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Captain Capa auf großer Amerika-Tour—Das Tagebuch, Teil 3

Langsam neigt sich Captain Capas Reise mit der Warped Tour dem Ende zu. Grund genug, die verbleibenden Tage in vollen Zügen zu genießen.

Was bisher geschah: Eine Million Euro Gage verloren, für zwei Millionen Euro Flüge umgebucht— Captain Capa sind etwas verspätet in die legendäre Warped Tour durch die US of A gestartet — Teil 1 Dann drohten sie ihrem Publikum, sich auf der Bühne zu erhängen und schmierten 80 Sandwiches für die Busfahrer — Teil 2

MINNESOTA // DAY 30

Das letzte Drittel der Warped Tour ist angebrochen und erst jetzt haben wir voll und ganz verstanden, wo wir uns hier die ganze Zeit befinden: im Rock'n'Roll-Summercamp. Im Ferienlager für erwachsene Kindgebliebene. Abgeschottet von der Außenwelt und weit weg von der Heimat schließen wir enge Freundschaften, die schon in wenigen Wochen wieder auseinandergerissen werden. Wir verbinden uns zu Cliquen und suchen beim Mittagessen vergeblich nach freien Plätzen neben den eigenen Bandenmitgliedern. Wir machen einen Bogen um die besonders coolen Jungs, sofern wir nicht selber dazu gehören. Alle schwärmen von den zwei, drei Mädels, die täglich galant übers Festivalgelände schweben und am letzten Tag doch in der Kiste des berühmten Sängers von der Mainstage landen. Die Nerds spielen vor ihrem Tourbus Magic-Karten, die Jocks machen Skateboardtricks und Dosenstechen. Hin und wieder verstecken wir uns sogar vor den Aufsehern—der Produktionscrew—bevor wir mit 'nem roten Becher Wodka-Cola auf dem Gelände erwischt werden.

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Ich selbst war als Kind nie in einem Ferienlager, sonst wäre ich vielleicht besser auf die Magenkrämpfe vorbereitet worden, die mir das bevorstehende Ende der Tour verschafft. Aber inzwischen ist Bus 17 zu unserem Zuhause geworden und die darin lebenden Knallköpfe zu unserer Familie auf Zeit. Doch der Kalender über der Mikrowelle erinnert mich mit erhobenem Zeigefinger daran, dass damit bald Schluss ist. Wir befinden uns in einer harmonischen Blase aus dumme-Jungs-Scherzen und Liebesbekundungen, führen endlose Diskussionen über Musikproduktion und das schreckliche Business, lästern über die arroganten Schweine aus dem Nachbarbus und hin und wieder verirrt sich ein ernsthaftes Gespräch über Zukunftsängste oder Frauen in die Bus-Lounge. Das familiäre Selbsthilfegruppen-Feeling aus Bus 17 greift derweil auf die gesamte Beatport-Stage über: Wenn jemand mal einen harten Slot abbekommt (11:15 Uhr am Morgen oder 19:45 Uhr am Abend) stürmt der Rest der Bands ins Publikum oder auf die Bühne und feiert mit. Wir bilden uns ein, die coolste Bühne auf der Tour zu sein. Bisher hat uns noch keiner widersprochen.

Zwischen all der Harmonie muss es bei acht Wochen on the road hin und wieder natürlich auch mal knallen. MC Chris wummert wütend die Tür zur Backlounge zu, in der kurz zuvor irgendwelche undefinierbaren Schweinereien passiert sind. Speedo-Spencer wird beim Konzert seiner Lieblingsband von der Hauptbühne verwiesen, weil er kein T-Shirt anhat. Irgendein Kondomverkäufer klaut uns die Campingstühle, die vor dem Bus standen. Die Freestyle-Rapper aus dem Hiphop-Zelt nebenan zetteln Beef an. Einen hat die ganz harte Tourdepression erwischt. Der verzweifelte Versuch, den Lagerkoller mit Schnaps und Cup Noodles zu ersticken, will Kollege N. nicht gelingen. Auch die familieninterne Gruppentherapie bleibt zwecklos. Sein stetes, besoffenes Gemurmel von Selbstzweifeln und Existenzangst wird zum weißen Rauschen im Hintergrund. Augen zu, Schulterklopfen und durch.

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Außerdem gibt es gute und schlechte Nachrichten an der Tontechniker-Front: Unser Soundmann Norman hat die Staaten verlassen und sitzt wieder in Deutschland, Tourmischer Moe ist dafür gelandet und hat galant übernommen. Normans letzte Nacht auf der Tour sollte der bis dato härteste Abriss in und um Bus 17 werden. Vom Dosenstechen-Contest bis zur Bierdusche ging irgendwie alles, Verletzte wurden vom Schlachtfeld geschleppt und in der Backlounge wurde gefummelt. Am nächsten Morgen deutet nur noch der kaputt gerupfte Vorhang an Normans Bunkbed auf den Terror der Nacht hin. Im Nightliner wird es ab sofort gelegentlich sentimental. Wann auch immer eine Flasche vom Tisch rollt, eine Tür knallt oder ein Magnet vom Whiteboard fällt, flüstert irgendjemand: „The ghost of Norman“, und zieht ein trauriges Gesicht. Unser Moe springt ein, um das Loch zu füllen, dass „turnt up Norman“ hinterlassen hat und stopft es mit Ausgeglichenheit und beängstigender Gelassenheit. „I’m pretty sure your Moe-guy is a serial killer and we're all gonna die at some point“, fürchtet sich Tourmanager Grant.

Bus-Terror, Familienbande und Schichtwechsel hin und her, eigentlich gehts ja hier um Musik. Die Warped-Tour ist dahingehend immernoch genau das schwitzige Biest aus Hardcore-Geknüppel, altem Skate-Punk und Emo-Pop, als das wir es in Erinnerung hatten. Tausende Kids tummeln sich nach wie vor täglich vor den acht Bühnen und schreien sich die Seele aus dem Leib. Meine Lieblingsansage des Tages kommt von Vanna, einer Metalcore (?) Band aus Boston, die für ihre irrsinnige Bühnenpräsenz und waghalsigen Körperkontakt mit dem Circlepit bekannt sind. „When I look into this crowd I see a lot of losers, a lot of fucking outcasts! But always remember: YOU ARE NOT ALONE.“ Gefolgt von Geknüppel und Black Metal Geschrei. Kann man machen. Der Faktor, der die Warped Tour nämlich auszeichnet und die Kids hier draußen auch nach 20 Jahren noch verbindet: Sie sind die Außenseiter aus der Schule, die sich für einen langen, erschöpfenden Sommertag zusammenrotten und sich in ihren Lieblingsbands verlieren dürfen. Die Bands wissen das und geben stundenlange Autogrammstunden, Fotosessions, Unplugged-Konzerte, Musikunterricht und Meet and Greets.

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So fragwürdig ich einige der Bands auch finde, die hier die Amphitheater füllen—den Kontakt zur pubertierenden und oft penetrant nervigen Fanbase rechne ich ihnen hoch an. Und überhaupt bin ich in den letzten Wochen vermehrt auf Nadeln im Heuhaufen gestoßen. Nicht, dass ich nicht schon immer eine Schwäche für Emo-Legenden und Herzschmerz-Metalcore hatte, aber dass ich hier noch eine Band finde, die ich mir jetzt jeden verdammten Tag anschaue, überrascht mich dann doch. Seit einer Woche habe ich kein Konzert der vor Sexappeal überschäumenden Indie-Funk-Monster Bad Rabbits verpasst und ich plane, das Hobby aufrechtzuhalten. Danach renne ich nicht selten zu K-Flay, deren Set ich auch schon auswendig kenne und wenn es gut läuft, schaue ich mir mit Faszination und Schrecken gleichermaßen an, wie Of Mice and Men ihre Fanschar in eine wütende Armee aus Fäusten verwandeln.

Angesteckt von den Spielereien, die sich andere Acts hier trauen, haben auch wir beschlossen, die Zeit of NOT GIVING A FUCK einzuläuten. Wir kraxeln während der Show auf Boxen, winken Kids an die Bühne als wären wir auf dem Hamburger Fischmarkt und zwingen ein paar halbnackte Typen zum Circle Pit. Funktioniert. Was zu unserem höchsten Erstaunen auch funktioniert, sind die regelmäßigen Autogrammsessions, die wir uns hier aufgebrummt haben. Ungeachtet der Tatsache, dass uns in den USA kaum jemand kennt, stürmen übereifrige Teenager das kleine Charity-Zelt von Music Saves Lives und holen sich Poster, Fotos und eine knappe Umarmung von uns ab. „See you guys 6PM on the Beatport stage, YEAH?!“ schreie ich einem kleinen, dicken Mädchen hinterher und erwische mich dabei zum ersten Mal beim Hustlen. Hustlen, so nennen sie das hier, wenn du um Zuschauer und Kaufkräftige wirbst. Eigentlich wollten wir damit nix zu tun haben. Aber für Reue ist es jetzt zu spät.

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CLEVELAND // DAY 31

Offday. Der Letzte vor einer langen, langen Dürrephase. Die ersten Stunden das freien Tages gehen im Hotelzimmer flöten. Wir verlesen Auszüge aus einem kürzlich erschienenen Bericht über die Warped Tour: „How the internet destroyed Warped“ oder so. Im Bild-Aufhänger ist unser Kollege „Cool“ zu sehen, der für mich zu einer Art Mentor in Lebensberatung und, hence the name, Coolness geworden ist. Der Text lässt verlauten, dass Rapper wie er und DJs wie Crizzly das Festival zerstören und schiebt am Ende alles aufs Internet. Cool schüttelt in Zeitlupe den Kopf, wie immer. „What is that dude trying to tell me?“ Morgen wird er wieder mit freiem Oberkörper vor 200 japsenden Kids auf und ab springen und sie zum „TURN UP!“ bewegen, bevor er zurück im Bus auf Zeitlupe schaltet und mich auf den Pfad der Gelassenheit führt.

Am Abend steht ein merkwürdiges Highlight bevor: Das Alternative Press Magazin stellt eine Awardshow auf und alle wichtigen Leute sind da. Man munkelt von Stargästen und schmeißt mit Bandnamen wie Fall Out Boy, Paramore, Blink-182, Panic! at the Disco und den Misfits um sich. Warped Tourmitglieder kriegen VIP Bänder geschenkt. Warum also nicht alles mitnehmen, was geht?

Die Preisverleihung am idyllischen Ufer der Rock and Roll Hall of Fame in Cleveland ist tatsächlich so unterhaltsam, wie erhofft. Die typischen, kurzen Fremdscham-Attacken von Awardshows bleiben nicht aus und so müssen wir hin und wieder zu Boden gucken, wenn tot geglaubte Alternative-Sänger Pokale aushändigen, Danksagungen stammeln oder humorlose Gags ins Sterben schicken. Ein Schulorchester besetzt die Bühne und spielt schiefe Streicher-Versionen aktueller Emocore-Hits. Lustig wird es aber tatsächlich, als ein ergreisender Coolio mit den fragwürdigen aber immer unterhaltsamen Falling In Reverse rappt, Ice-T mit Bodycount zur Aggro-Keule ausholt, Billy Corgan ein paar rührselige Worte stottert, Slash und Joan Jett sich für ihr Lebenswerk verneigen und ein paar meiner heimlichen Lieblings-Emopunks für sechs Minuten zur Medley-Hitkapelle verschmelzen. In einer Sommernacht 2008 habe ich die MTV Video Music Awards im Fernsehen gesehen und über den Prunk gestaunt, den Kanye West und Co. in einem Hochhaus in Las Vegas versprühten. Sowas in der Art mitzuerleben, ist damals ein ekelhafter, kleiner Traum geworden, der in den Jahren danach langsam verflogen ist. Jetzt stehen wir im VIP Bereich der Screamo-Hall of Fame und sehen zu, wie eine Mischung aus Justin Bieber und Alice Cooper einen Preis für seine Band „Black Veil Brides" annimmt und ins Publikum schleudert. Wenige Meter neben mir bereitet sich Mark Hoppus auf seine nächste Moderation vor. Lasse ich gelten!

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VIRGINIA BEACH // DAY 32

Ein Spitzenevent jagt das nächste in der wirren Welt von Tourbussen, Schwitzkids und Barbecues. Gestern Nacht fand die Warped Prom Night statt. In Maryland, Columbia, nach einem der feuchtesten, heißesten, staubigsten und dreckigsten Show-Tage. Die Chance für alle 800 Tourmitglieder ihre verbockte Highschool-Prom neu zu erleben. Ganz im Stile eines echten, amerikanischen Abschlussballs spielen die DJs Nineties-Trash, es werden eine Promqueen und ein King gewählt und vor einer Fotowand werden Bilder von den Pärchen geschossen. Neben mir steht der spindeldürre Sänger aus dem Nachbartruck und kotzt sich in die offenen Hände. Tourmanagerin K. eilt herbei und wischt fleißig auf, bevor der Dancefloor eröffnet wird. Später beobachte ich ihn beim wilden Zungenkuss an der Bar, während Crizzly am DJ-Pult sich traut, seine Trap-Hits im Set unterzubringen. Ein bärtiger Tätowierter mit Lederkappe schwankt auf die Bühne und schreit ihm ins Ohr: „THIS WAS SUPPOSED TO BE A GRUNGE NIGHT! BETTER PLAY SOME PEARL JAM!“ Crizzly schüttelt abweisend den Kopf und spielt Lil Johns „Turn Down For What.“

Auf dem Heimweg zum Bus stiefeln wir durch ein tropisches Waldstück, vorbei an knutschenden Kurzzeitpärchen und verliebten Ferienlager-Flirts. In zwölf Tagen werden alle diese kleinen Liebschaften zerbrechen und muskelbepackte Gitarristen mit 500.000 Facebook-Likes werden auf dem letzten, großen Aftershow-Barbecue in Tränen ausbrechen. Wenn die letzte Etappe jetzt keine komplette Kehrtwende macht, müssen wir uns ihnen dabei vielleicht auch noch anschließen.

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