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Captain Capa auf großer Amerika-Tour—Das Tagebuch, Teil 2

Captain Capa sind momentan auf der Warped-Tour in Amerika und schreiben ihre Sauf-, Klo-, Catering- und Bus-Geschichten für uns in ihr Tagebuch.

Was bisher geschah: Eine Million Euro Gage verloren, für zwei Millionen Euro Flüge umgebucht— Captain Capa sind etwas verspätet in die legendäre Warped Tour durch die US of A gestartet—Teil 1.

PORTLAND // DAY 8

Tag 8 auf der Vans Warped Tour und wir leben noch. Ein kleines Wunder, wenn man bedenkt, dass die Warped-Organisatoren in die freien Tage zwischen den Shows ein lebensgefährliches Programm an Freizeitangeboten für ihre Rockstar-Karawane stopfen. Gerade durfte man sich zum Skydiven, Wildwasser Rafting oder zum Speedboating eintragen. Für umme. Der Warped-Chef Lymann lässt einen springen. „Kevin Lymann zahlt!“, wird zum Schlachtruf. Wir verbringen also einen irrsinnigen, freien Tag auf einem Boot, das uns mit 220km/h durch die Canions fährt, dabei 360° Umdrehungen macht, über Wellen springt und uns letztlich mitten im Wald absetzt, wo es Barbecue und Bier aus gigantischen Krügen gibt. Das ist so geil, dass uns nicht mal die tätowierten Großmäuler aus Brooklyn die Stimmung trüben können, die in der ersten Reihe des Bootes nach mehr Action schreien. Schließlich seien sie „echte Motorradfahrer“. Oh lord.

Für meinen letzten Reisebericht habe ich schiefe Blicke und Fragezeichen von einigen Freunden geerntet, weil ich explizit auf die Scheiß- und Duschsituation der Tour eingegangen bin. Denen scheint nicht klar zu sein, auf welches Abenteuer man sich hier tagtäglich einlässt, wenn man vorhat, sanitäre Anlagen zu besuchen. Der luxuriöse Nightliner bietet zwar ein Waschbecken zum Zähneputzen und ein Spül-Pottie zum Pinkeln, alles weitere wird aber immer wieder zu einer echten Herausforderung. Gestern haben wir uns z.B. mal wieder brav in die Schlange vor der Dusche eingereiht, um nicht noch mal völlig verstaubt und verklebt ins viel zu kleine Busbett zu kriechen. Auf 800 Leute kamen an jenem Abend in, äh, San Diego (?) zwei Duschkabinen. Zwei. Also kurz vor Bus-Call noch mal in den Backstage geschlichen und angestellt. Vor uns zwei hünenhafte, behaarte Spanier. Irgendeine Hardcoreband, weißdergeier. „What kinda fucking language are you speaking!?“—„Äh, German, we're from Germany.“—„German? You're in California, you better speak fucking spanish.“ Alles klar, gracias. Als die beiden Muskeltypen die Dusche verlassen, begrüßt mich eine Kakerlake auf den Bodenfliesen. Augen zu und durch.

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Auch das restliche Hygienebusiness ist nicht zu unterschätzen. Amerikanische Toiletten sind im sauberen Zustand schon ätzend. Wenn aber vorher 800 Rockstars oder—noch schlimmer—16.000 Kids auf die Klobrillen gepisst haben, wird der tägliche Toilettengang zum Spießrutenlauf.

Aber genug über ekligen Scheiß geredet. Zur Abwechslung mal was Lustiges: In unserem magischen Tourbus, Bus 17, herrscht in den letzten Tagen kirre Aufregung. Erstens steht uns ein regelrechter Höllentrip bevor—15 Stunden Fahrt, 8 Stunden Pause, noch mal 12 Stunden Fahrt. Zweitens führt uns die Warped Tour in Kürze über die kanadische Grenze nach Toronto, Montreal und zurück. Der US-kanadische Grenzübergang ist hier jedes Jahr gefürchtet. Ständig werden Busse auf den Kopf gestellt, Hunde durch die Bunkbeds gejagt, Bands gefilzt und Tontechniker zurückgelassen, weil sie irgendwann mal irgendwo jemandem in die Schnauze gehauen haben oder falsch geparkt haben. Das heißt für die DJs und Tourmanager im Bus 17: schnell das letzte Gras wegrauchen und alle illegal mitgeführten Hausapotheken in die Blutbahn jagen. Kollege M. aus der Bay Area legt gut vor und knallt sich rein, was geht. Das werden zwei lustige Off-Days on the road.

Dabei hinterlässt der Lagerkoller schon ohne Vollrausch hier und da seine Spuren. Unsere Bandmutti Norman hat es heute im Partybus nicht mehr ausgehalten und uns zum Chillen in einen chinesischen Garten entführt. Leider gab es außerhalb des chinesischen Gartens nur Obdachlose, Methdealer und obdachlose Methdealer. Wir haben zwei übergewichtigen Opas bei einer Prügelei zugeschaut, uns beinahe ein Handy klauen lassen und den Rest des Trips damit verbracht, um unsere letzten 20 Dollar zu bangen und nicht an The Wire zu denken.

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Wieder auf dem Festivalgelände angekommen, hatte uns der Touralltag schnell im Griff. 12 bis 14 Uhr Catering. 15 Uhr Pressekram. Wenn sich hier mal ein Interview in unseren Press-Schedule verirrt, sind es meistens schüchterne Teenager von College-Radios oder unterbesuchten YouTube-Channels, in seltenen Fällen seriöse Presseanstalten mit interessanten Fragen. Manchmal wird man von der wundervollen Pressechefin Bethany ungefragt mit Interviewzöglingen zusammen geschleudert. Dann wird's besonders awkward. Aber wir sind inzwischen trainiert: über Bier sprechen und „Guten Tag“ sagen. Das mögen die.

Auf unserer Bühne flattert seit Kurzem ein riesiges Captain Capa-Logo. Immerhin wissen die Warped Kids jetzt, mit wem sie es zu tun haben. Warped Kids kann man in einige wenige Kategorien einteilen: Überbleibsel aus den tiefsten Höllenfeuern der Emokultur (schwarz gefärbte Klebfrisuren, Armbänder und Ketten mit motivierenden „Halte durch!“-Sprüchen, Pubertäts-Akne), halbnackte Party-Teenager, die eigentlich lieber zum Spring Break wollten (ausgewaschene Bikinis, FREE HUGS Kriegsbemalung, Pubertäts-Akne) und ein paar versprengte Dorfrapper, die sich auf einer der offenen Mini-Bühnen beweisen wollen (Insane Clown Posse T-Shirts, ausgeschlagene Zähne, Pubertäts-Akne). Zwischendurch trifft man aber selbstverständlich auch normale Menschen und viele, viele Eltern. Die dürfen übrigens kostenlos rein. Guter Zug. Aber im Ernst, die meisten Kids hier haben noch eine große Gemeinsamkeit. Sie sind alle schwer in Ordnung, offen für fast alles und sehr dankbar, wenn man sie eine halbe Stunde anspruchsvoll bespaßt.

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Wir haben uns angewöhnt, auf das hier übliche Ansagen-Trommelfeuer zu verzichten, und ich glaube, das tut den Warped-Teenies ganz gut. Von acht Bühnen hört man hier folgende Sätze immer und immer wieder: „I want to see you go REALLY fucking crazy right now!“, „I need to see a nice big circle pit right here!“ und „I'm gonna need you to go crazier than you did with any other band today!!“ Ansonsten gibt's Motivationstraining („Always remember, kids, if you have a dream, don't let anyone stand in your way! You will achieve all of your goals!“) oder im schlimmsten Fall Christengebrabbel („You know why I'm standing here in front of you!? Cause Jesus wanted me to do this! Cause Jesus keeps saving me from suicide every! Single! Day!“) Wir nehmen uns aus der Rechnung raus und drohen dem Publikum lieber, uns auf der Bühne zu erhängen, wenn nicht sofort 10.000 Leute vor den Boxen stehen. Kicher, kicher. Silly Germans.

MARYLAND HEIGHTS // DAY 12

10 Uhr Morgens. Ich sitze in den Trümmern der Vornacht. Hinter uns liegen 1800 Meilen und zwei Off-Days in der Wüste Nebraskas. Die freie Zeit zwischen den unmenschlich langen Fahrten haben wir wieder gepflegt mit Duschen, Hotel-Wi-Fi lahmlegen und Whirlpoolen verbracht. Alternative Press, DIE Zeitschriften-Bibel der Warped-Zielgruppe, hat außerdem unser neues Musikvideo veröffentlicht. Ab jetzt sollte sich die Zahl der Zuschauer vor unserer Bühne also MINDESTENS verdreifachen. Ich bin gespannt. Ein Fan kommentiert enthusiastisch: „Hattet schon bessere Videos.“ Ich denke an den knüppelharten Videodreh bei Minustemperaturen auf den Bergspitzen Österreichs und möchte in den Laptop langen. Aber egal, AMERIKA!

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Während Norman und Maik sich auf eine Kneipentour durch Lincoln, Nebraska (eine Geisterstadt mit mehr Kirchen als Bars), begaben, haben Tourmanager Grant, MC Chris und ich die Backlounge des Busses zur Nerdhöhle umfunktioniert. Dort spielt man jetzt regelmäßig Magic The Gathering oder—noch härter—Dungeons and Dragons. HERRLICH. MC Chris lernt gerade, was „Trampelschaden“ ist und wieso man Spontanzauber zu jedem Zeitpunkt spielen kann, als Norman und Maik völlig zerstört nach Benzin riechend in den Bus torkeln und damit eine Party anleiern, die so schnell nicht mehr enden sollte. Während uns der Bus durch die Steppen Mittelamerikas treibt, hängt sich Spencer nackt an die Decke und schreit Metro Station-Hits, Norman belöffelt den Busfahrer, zwei Menschen kuscheln verliebt und irgendjemand rammt eine Schere in eine Bierdose und stopft sich das überschäumende Blechding in den Mund. Ich weiß nicht genau, was danach noch passiert ist, aber als ich heute morgen die Tür zum Vorraum öffne, schlägt mir der Geruch von abgestandenem Bier, Gras und Kotze in die Nase. Der Boden ist komplett mit Popcorn gepflastert, Tourmanagerin K. liegt winselnd in eine Decke gewickelt auf der Couch und zieht nervös an ihrer E-Zigarette. Auf dem Whiteboard steht hastig gekritzelt: „If you made this mess, YOU clean it up!“

MONTREAL // DAY 15

In Bus 17 wurden Regeln eingeführt. Erst kürzlich haben wir erfahren, dass Bunkbed-Nachbar C. seit acht Jahren trockener Alkoholiker ist und ungern den ganzen Tag von Besoffenen umgeben ist. Außerdem hat das Gemetzel von Maryland seine Spuren hinterlassen. Wir müssen alle einen Gang zurückschalten. Passt aber—wenn das so weiter ginge, würden wir hier sonst bald die ersten Toten aus dem Bus schaffen.

Norman hat es nicht nach Kanada geschafft. Die Einreisebestimmungen sind rein wie raus knüppelhart, weshalb er sich lieber nach New York verpisst hat und dort mit sketchy Gestalten abhängt. Gute Entscheidung, denn die Busse werden mit Hunden durchsucht, die Catering-Trucks werden stundenlang fest gehalten und wir dürfen uns alle auf dem Parkplatz aufreihen. Das daraus resultierende Chaos in Toronto ist die Hölle—die Hälfte der Bands kommt zu spät, Frühstück fällt aus, die Kids stehen teilweise vor leeren Bühnen. Aber am Ende laufen alle Fäden zusammen und sogar für uns versammelt sich eine überraschend gute Crowd.

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Mein anfänglicher Warped-Zynismus weicht zunehmend einem allgegenwärtigen Glücksgefühl. Es gefällt uns tatsächlich hier. So gut, dass uns irgendeine Laune der Natur dazu trieb, auf den Zettel am Catering zu reagieren: „NEED HELP IN CANADA WITH CATERING. WANNA JUMP IN?“ Viele Bands packen freiwillig hin und wieder beim Bühnenbau, Catering oder sonstwo mit an. Zur Belohnung darf man die Catering-Schlange überspringen und die grenzenlose Dankbarkeit der Warped-Götter genießen. Plötzlich stehen Maik und ich also ernsthaft in einer kleinen, schäbigen Küche und schmieren 80 Sandwiches für die Busfahrer.

It's Peanut-Butter-Jellytime.

Beim Falten der Lunchpakete fantasieren wir darüber, wie wir beim abendlichen Barbecue mit Kniefall und Rotem Teppich begrüßt werden würden—THANK YOU SO MUCH FOR PREPARING THE DRIVERS MEALS HÄNNES AND MAIK, OHMYGOD!! Stattdessen überall Amerikaflaggen, Stars and Stripes und die Nationalhymne. Aaah, der vierte Juli.

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