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Björk: Die Geschichte und der Style eines kompletten Eigenbrödlers

Ich habe Björk mal auf einem Fischmarkt in Reykjavík gesehen. Sie in natürlicher Umgebung zu sehen, hat sie in meinen Augen nicht normalisiert. Sie ist einfach nicht von dieser Welt...

Photo by Juergen Teller.

Ich habe Björk mal auf einem Fischmarkt in Reykjavík getroffen. Sie in natürlicher Umgebung zu sehen, hat sie in meinen Augen nicht normalisiert. Es kommt mir vor wie in der Szene von Mars Attacks, in der sich der Spion der Marsianer als menschliche Frau verkleidet—beide sind so sehr nicht von dieser Welt, dass das Versteckspiel einfach nicht funktioniert. Björk wurde schon anders geboren. Tatsächlich haben nicht sehr viele Isländer inuitische Wurzeln—die meisten sind indogermanischer Abstammung—also nannten die Kinder in der Schule sie China Girl. Seitdem lebt sie ihre Abart und baut ihren Weg darauf auf, ohne an Integrität oder Unabhängigkeit zu verlieren, ohne sich je abzuschminken.

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Zwanzig Jahre später releaste sie diesen Monat ihr erstes in jeder Hinsicht erwachsene Solo-Album. Sie beschäftigt die Musikindustrie seit fast 40 Jahren und hat auch mich einige Jahre lang gequält. Ich betrachte mich eigentlich als eine emotional stabile Persönlichkeit, doch ich klebe förmlich an Björk und so fliegt die Lüge auf. Ihre Gefühle brechen sich durch ihren Gesang, als wäre ihr Körper nicht genug. Habe ich sie im Ohr, fange ich mitten im Supermarkt an zu weinen, meine vertrockneten Synapsen werden von ihren Emotionen überschwemmt. Es ist wie Telepathie—ich fühle, was sie fühlt. Sie ist E.T., ich bin Elliot. Oder andersrum, ich bin mir nicht sicher.

Sie hat mit einigen der größten Modedesignern, Fotografen und Produzenten zusammengearbeitet. Leute wie Spike Jonze und Michel Gondry haben ihre Videos gemacht. Sie meinte auch mal Sex und Musik wären für sie ähnlich instinktive Angelegenheiten, und so hat sie vielerlei Beziehungen zu ihren Kollegen aufgebaut. Sie ist jedermanns Muse. Hier seht ihr, warum.

Björk wurde schon mit fünf Jahren in eine Musikschule gesteckt, war davon aber sehr schnell abgetörnt. Dieses „ständige Rumreiten auf alten Schwachköpfen wie Bach und Beethoven“ langweilte sie so sehr, dass sie regelmäßig zum Direktor geschickt wurde, um darüber zu debattieren, wer hier was falsch macht. Sie erklärte ihm dann, wie er seine Schule zu führen hat. Am Ende, so sagt sie, sind beide in Tränen ausgebrochen.

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Ihr wurde ein Plattenvertrag angeboten, als einer ihrer Lehrer eine Aufnahme von ihrem Gesang an eine Radio-Station schickte. Ihre Hippie-Mutter willigte ein. Daraus resultierte eine Sammlung von Folk-Disco-Songs (darunter auch dieses wunderschöne Cover von „The Fool On The Hill“, das ihre Mutter entwarf), mit der sie Platin erreichte und die sie zum Star machte. Da war sie gerade mal elf Jahre alt.

Sie weigerte sich, weiter in Richtung Pop zu gehen und schlug die Chance aus, ein weiteres Album aufzunehmen. Sie begann eigene Songs zu schreiben und arbeitete nebenher in einer Fischfabrik. Nachdem sie in ein paar Punkbands gespielt hatte, blieb sie bei der Band Tappi Tíkarrass, was auf Isländisch so etwas wie der „Korken im Arsch der Schlampe“ bedeutet. Ihr Kleine-Mädchen-Look entsprang einem gesunden feministischen Sarkasmus. Unglaublich, dass sie auf dem Foto unter diesem Absatz erst 16 Jahre alt ist. Mit der Band Kukl drehte sie so richtig am Rad. Sie unterschrieb bei dem anarchistischen Label der englischen Band Crass und tourte in einem Bus durch Europa, wusch sich nicht mehr, aß nur Brot und schlief in besetzten Häusern. Ihre Locken mussten einer Glatze weichen. 1986 performte sie hochschwanger im isländischen TV und präsentierte stolz ihren dicken Bauch. Das war zu viel für einige Zuschauer. Eine alte Zuschauerin hatte wohl sogar einen Herzanfall. 1 zu 0 für Björk im Kampf gegen die Gesellschaft.

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Photo by Juergen Teller.

Dann hatten die trotzigen anti-kommerziellen Kukl ihren Durchbruch als kuschelige Pop-Sternchen. Mit den Sugarcubes erreichte sie die ganze Welt, was ihr den Weg als Solo-Künstlerin ermöglichte. Sie hatte über Jahre hinweg schon Songs für sich geschrieben und als die Sugarcubes sich auflösten, zog sie nach London und veröffentlichte sie. Passenderweise singt sie auf Debut darüber, dass sie das Leben wieder wie beim ersten Mal wahrnimmt, erfüllt von dem Wunsch, die Wunder der Welt zu ergründen. Dabei zeichnete sie der Welt ein Bild von Island, wenn sie singt: „Ich stapfe runter an die Küste / stehe am Meer / es rauscht mir zu / und ich rausche zurück“, weiß man irgendwie, es war so, wie sie es darstellt. Leute, die sie nicht fühlen können, sehen sie als wankelmütige Göre, ihr Gesang ist nur Katzengejammer und mit dem ganzen Metall im Gesicht sieht sie aus wie die Fortsetzung von Star Wars: Die dunkle Bedrohung.

Photo by: Nick Knight.

Auf Debut folgte das dramatische Werk Post, das ihr bisher den größten kommerziellen Erfolg einbrachte und leider auch unangenehm viel Ruhm. Ihr Gesicht auf Zeitschriftencover und berühmte Bekanntschaften waren kein Problem, doch das Chaos, das sie auf Flughäfen auslöste und Briefbomben von suizidkranken Stalkern, das war zu viel. Sie floh nach Malaga, um sich dem ganzen Stress zu entziehen und sich verstärkt auf die Musik zu konzentrieren. Auf Homogenic verbindet sie Streicher und elektronische Elemente mit viel Gefühl, ihre herzzerreißende Stimme überfordert die Membran, es knackt und übersteuert, aber das hat was. Auf einen Schlag legte sie ihr Image als verrückte Fee ab. Sie engagierte Alexander McQueen, ihr Cover zu gestalten: „Ich habe ihm erklärt, was für eine Person hinter den Songs steckt“, sagt sie der Chicago Tribune. „Jemand der in einem schrecklichen Dilemma steckt, so schrecklich, dass er zum Krieger werden muss, um sich zu befreien, ein Krieger, der keine andere Waffe trägt, als die Liebe.

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Die Zusammenarbeit am Homogenic-Cover war der Anfang einer magisch-verdrehten Freundschaft. McQueen machte das Video zu „Alarm Call“, in dem Björk eine Schlange streichelt und sich in einen Piranha verwandelt. Sie arbeiten weiter zusammen. Er entwarf das atemberaubende Kleid ohne Oberteil von „Pagan Poetry“, den gefiederten Wahnsinn, den sie zu den Fashion Rocks trug und auch er hatte die Idee, ihr Gesicht mit Diamanten zu besetzen.
Photo by Inez Van Lamsweerde and Vindooh Matadin.

2000 spielte sie die Hauptrolle in Lars von Triers FIlm Dancer in the Dark, dem traurigsten Film aller Zeiten. Es fiel ihr schwer, sich von ihrem erbarmungslosen, teuflischen Charakter zu distanzieren, wodurch die Dreharbeiten sie schwer belasteten: „Ich denke, ich war sie für zwei Jahre. Soweit ich weiß, habe ich letzten Sommer einen Mann umgebracht“, sagte sie ein Jahr nach den Dreharbeiten. Ihre Beziehung zu Lars Legend entwickelte sich jedoch nicht so gut: Sie erzählt, er hätte wenig Rücksicht auf ihre psychische Instabilität genommen und ihre Seele zerstört. Er hat sie einmal so verrückt gemacht, dass sie ihren Cardigan aufgegessen hat.

Nach dem Film zog sie sich nach Island zurück, um Vespertine aufzunehmen. Eine introvertierte Ode an den Haussegen und ihre neugefundene Liebe zu Matthew Barney, dessen Stärke in ihrer Schwäche und der schonungslosen Intimität liegt. „Wer hätte gedacht / dass solch ein Jüngling / Licht in mich eindringt / meine Wunden verheilt“, singt sie auf „Cocoon“, während sie sich im Video auszieht. Das Video zu „Pagan Poetry“ wurde Gerüchten zufolge aus privatem Videomaterial von ihr und Barney zusammengeschitten. Das ganze Vespertine-Projekt war im Grunde ein großer Lovegasmus.

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Das Schwanenkleid (von Marian Pejoski), das sie, repräsentativ für den isländischen Winter, auf dem Cover von Vespertine trägt, hatte sie bereits 2001 zu den Oskars getragen, als sie für gewöhnlich noch ein Ei auf den roten Teppich gelegt hatte. „Es ist nur ein Kleid“, sagte Björk dazu.

2004 brachte Björk ihr Medúlla-Album raus, das vorwiegend aus Gesang besteht, unterstützt von Beatbox und Grunzen von Rahzel und Mike Patton. Eine besondere Würdigung verdient ihr Haarstylist, der sonst wohl als Korbweber arbeitet. Er oder sie zauberte bemerkenswerte Gebilde aus ihren Zöpfen. Ihr Haar sah aus wie Narnia.

Medúlla hatte seinen Höhepunkt mit „Triumph of a Heart", für das Spike Jonze ein Video gedreht hat, in dem Björk vor ihrem Mann wegrennt, um sich zu besaufen.

Photo by Inez Van Lamsweerde and Vindooh Matadin.

Schaut euch diese Verrückte an. Ihre Promofotos hatten immer den Anspruch, ihre emotionalen Zustand zu kommunizieren und die tribale Katzenmusik von Volta war eine Reaktion auf den rhythmischen Mangel auf Medúlla. Sie holte sich ein paar Beats von Timbaland—obwohl er nur ein paar Stunden Zeit für sie hatte und sie aus den gemeinsamen Improvisationen das Beste rausholen musste. Sie wurde von serbischen und chinesischen Beamten auf die stille Treppe verwiesen, als sie sich auf der Bühne, während Volta's Rave-Hymne "Declare Independence" ein freies Kosovo und ein freies Tibet einsetzte.

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„Das war das letzte mal, dass ich so etwas Ketzerisches gemacht hab", sagte sie nach den Faxen von Volta und kehrte zurück zu ihrer gewöhnlichen, minimalistischen Seite und releaste Biophilia, das sie auf einem Touchscreen-Tablet schusterte. Das Album dreht sich um Muster und Strukturen, doch sie ist offensichtlich gelangweilt von den üblichen Songstrukturen Part-Hook-Part. Das chaotische Geplenkel auf Biophilia lässt ihre vorherigen Sachen aussehen wie Pop-Hits á la Carly Rae Jepsen. Sie ist anscheinend ausgereizt, kastanienbraune Perrücken sind ein Rückschritt.

HEUTE

Hier seht ihr Björk auf dem Bonnaroo-Festival im Juni. Ihr Bühnenoutfit ist wohl aus leuchtenden Quallen gemacht, während ihr Kopfteil auf jeden Fall von einem Seeigel stammt. Ich glaube wir sind uns einig, wenn ich sage, dass sie mit Würde altert. Jede neue abgedrehte Sängerin wird mit Björk verglichen, so wie alle vor ihr ständig mit Kate Bush verglichen wurden. Die Leute vergleichen eben gerne, dabei macht das bei Björk keinen Sinn, denn niemand klingt wie Björk. Die viel interessantere Frage ist, wer sie beeinflusst: Thom Yorke, Wayne Coyne, Justin Vernon und RZA, alle verneigen sich vor ihr. All ihre Affekte, die über ihre Musik nach außen getragen wurden, waren echt, nichts davon gespielt. Sie wird immer klingen, singen und aussehen wie die Zukunft.

Wenn ihr mal einen weinenden Mann in einem Obstbaum seht, dann wundert euch nicht,es ist nur Alex, der gerade Björk hört. Er ist auf Twitter - @MrGodfrey.

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