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Ist Young Thug das Genie, auf das wir gewartet haben?

Oder ist er nur einer von vielen Weirdos, der uns an der Nase herumführt? Ein Annäherungsversuch.

Alle paar Jahre kommt ein Künstler zum Vorschein, für den keine Regeln zu gelten scheinen. Einer, der alles Vorgegebene so konsequent ignoriert und durch sein schieres Talent die Grenzen des vermeintlich Möglichen verschiebt. Nach journalistischen Regeln könnte der nächste Satz lauten: Young Thug ist dieser eine Künstler. Doch so einfach ist das nicht. Beim Thugger ist einfach gar nichts klar. Wird aus ihm der neue HipHop-Superstar, wie es ihm viele prophezeien, oder lassen wir uns von der Hype-Welle eines Musikers anstecken, den wir eh nicht deuten können?

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Vor zwei Monaten zierte Young Thug das Cover des renommierten Complex-Magazins. Selbst in den USA, wo man einen feuchten Dreck auf Gepflogenheiten gibt, entwickelte sich daraus eine hitzige Debatte. Darf ein Künstler, der noch kein Album draußen hat, auf dem Cover eines der größten HipHop-Magazine stattfinden?

Der Artikel beginnt mit einer SMS, die der Autor Jacob Moore von einem Bekannten von Thug am gleichen Tag des geplanten Covershootings bekam: „Vielleicht steigt er nicht in den Flieger. Vielleicht dreht er ein Video in Atlanta.“

Young Thug blieb in Atlanta und drehte sein Video. Für die Complex-Crew der journalistische Super-GAU. Das Cover kam einige Tage später doch zu Stande, weil sich Birdman, seines Zeichens Geschäftsführer von Cash Money Records und einer der reichsten Rapmogule, persönlich bei der Redaktion für Thugs Verhalten entschuldigte. Birdman fragte, ob man das Cover noch retten könnte und bot an, beim Shooting seines Protegés mit dabei zu sein.

Nach dem Covershooting führte Autor Moore noch ein Interview mit Thug. Er versuchte es zumindest.

„Wann hast du zum ersten mal Wayne gehört?“
„Ich erinnere mich nicht.“

„Was magst du an ihm so sehr?“
„Seinen Ehrgeiz.“

„Wie ist deine Beziehung zu Gucci (Mane Anm. d. Verfassers) derzeit?“
„Er ist mein Bruder.“

„Versuchst du, bei Cash Money Records zu signen?“
„Yeah.“

„Wirst du dein Album wirklich Tha Carter VI nennen?“
„Yeah.“

„Was hast du von Wayne gelernt?“
„Viel.“

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„Kannst du irgendwelche Einzelheiten verraten?“
„Ähm … nein.“

Man kann es an dieser Stelle wohl niemandem übel nehmen, wenn er denkt: „Was für ein Idiot!“ Doch Young Thug scheinen solche Dinge nicht zu scheren. Er hat noch kein einziges aufschlussreiches Interview gegeben, in dem uns einen Zugang zu seiner Person gibt. Obwohl er fast wöchentlich etwas veröffentlicht, kann man ihn in keiner Form greifen, weder als Typen noch als Musiker.

Der Videodreh, weswegen er nicht zum Covershooting gegangen ist, war übrigens für „Stoner“, seine endgültige Durchbruchsingle aus dem letzten Jahr.

Der Track fängt genau das ein, wofür Young Thug steht: ge-autotunetes Weirdo-Gefasel, dann ruhiger 60 BPM-Flow, immer wieder unverständlich eingeworfene Adlibs, und plötzlich eine zuckersüß eingesungene Melodie und wieder Staccato-Flow. Eigentlich dürfte hier gar nichts zusammen passen, von überall wird irgendwas eingeworfen, der Text ist absoluter Nonsense. Doch alles zusammen ergibt ein Stück Musik-Genialität. Will Stephenson schreibt im Fader-Magazine über Young Thug: „In einer typischen Young Thug-Strophe lallt, schreit, wimmert und singt er, verzerrt seine Stimme in einer Reihe von ungeraden Klangfarben, wie ein wunderschön gespieltes, aber kaputtes Blasinstrument.“

Südstaatenrap hat sich noch nie an Konventionen gehalten, und auch die neue Rap-Generation aus Atlanta (Future, Migos, Rich Homie Quan) nutzt alles, was musikalisch geht, um sich auszudrücken. Allerdings wirkt das stellenweise aufgesetzt. Young Thug aber ist ein Weirdo durch und durch. Er ist der zweitjüngste Sohn (von zehn Geschwistern) eines berüchtigtigten Glücksspielers in Atlanta. Es scheint, als ob Thug nicht mal im Ansatz so etwas wie Skrupel beigebracht wurde. Seine Tracks schwanken zwischen Geniestreich und komplettem Rotz, weil er den erstbesten Gedanken ungefiltert umsetzt. Er selbst erzählt, dass er nie etwas anderes außer Lil Wayne gehört hat, alles andere habe ihn schlicht und einfach nicht interessiert. Genauso wenig, wie es ihn schert, ob es die Leute aufregt, dass er Frauenkleider anzieht, Nagellack benutzt oder bei Jimmy Fallon im landesweiten Fernsehen eine Prinzessin Leia-Frisur trägt. Oder wenn er für das Cover seines Mixtapes 1017 Thug 2 ein Bild von Wiz Khalifa in Lederjacke nimmt und darauf sein Gesicht photoshoppen lässt.

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Young Thug scheint der Künstler zu sein, der noch talentierter und noch verrückter als die meisten anderen ist. Diese Kombination macht ihn gerade zum heißesten Eisen im Rapgeschäft. Was aus Thug werden kann, ist die große Frage. Offensichtlich schert ihn das Musikbusiness kein Stück, was bedeutet, dass er so weit kommt, wie er von seinem Umfeld getragen wird. Sollten Lyor Cohen (300 Entertainment), Gucci Mane (1017 Brick Squad), Asylum und Atlantic Records schaffen, ihren Künstler in die richtigen Bahnen lenken, kann aus ihm wirklich ein Superstar werden. Vielleicht sogar der Nachfolger Lil Waynes… Vielleicht wird er immer ein Weirdo bleiben, aber schlimm wäre das nicht. Das Popgeschäft ist ziemlich vorhersehbar, Young Thug ist das nicht. Alleine dafür gebührt ihm Dank.

Und dafür:

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