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Yeasayer sind so not Berghain

Yeasayer lieben unsere Welt. Außerdem veröffentlichen sie demnächst das Album des Jahres.

Fotos: Grey Hutton

Ich würde ja jetzt eigentlich mit ein paar Genrebeschreibungen um mich werfen, um etwas weniger ausgeschlafenen Menschen die New Yorker Band Yeasayer zu beschreiben. Aber nach dem Gespräch mit ihrem Bassisten Ira Wolf Tuton traue ich mich nicht mehr. Wir sprachen über Musikjournalisten und deren Kategorisierungsfetisch und Ira nahm da nun wirklich kein Blatt vor den Mund. Eigentlich ist Ira aber ziemlich nett. Das liegt wohl daran, dass er kein echter New Yorker, sondern nur zugezogen ist. Vielleicht kennt er deswegen auch nicht die Ausdrücke der coolen New Yorker Kids wie „That's so Berghain“. Vielleicht sagt das dort aber auch überhaupt niemand und wir haben uns einen Bären aufbinden lassen. Wie auch immer: Yeasayer sind definitiv so not Berghain. Jedenfalls wenn Berghain für uncool, ausgelutscht und bald-schon-nicht-mehr-unter-uns steht. Am 17. August erscheint nämlich das neue Album Fragrant World und im September kommen sie dann für zwei Konzerte nach Deutschland. Die Tourdaten seht ihr unten.

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Noisey: Hi.
Ira: Ihr seid von der VICE?

Sozusagen.
Die haben unser Album letztes Mal geleaked.

Echt?
Ja, aber das ist Schnee von gestern.

Wart ihr sauer?
Na ja, alle Alben gehen früher oder später online. Das ist ja nicht wirklich unsere Sache, sondern die Arbeit des Labels. Ich glaube, dass die Labels inzwischen auch verstehen, dass Alben geleaked werden. Und sie versuchen es so gut es geht zu kontrollieren und so gut es geht vorbereitet zu sein. Damit sie sich davon eher einen Vorteil verschaffen können. Das ist aber nicht mein Business.

Dafür konntet ihr jemandem die Schuld geben.
Genau. Und immerhin gibt es Leute, die es hören wollten.

Lass uns über euer neues Album reden. Ihr mögt die Welt ja richtig gerne, oder?
Na ja, es ist die einzige, die wir haben. Also sollte man sie genießen und sich mit ihr arrangieren.

Das Album heißt Fragrant World.
Ich denke, das ist einfach ein schöner poetischer und umfassender Begriff. Er beinhaltet irgendwie die Vielfalt der Welt, in der wir leben, das Vorhandensein und die Vielseitigkeit der Sinne. Das könnte es sein, wenn man etwas tiefer hineinblicken will. Wenn man ein Album macht, dann ist es immer dem Hörer überlassen, sich sein eigenes Bild zu machen. So ist das generell bei Musik. Es ist immer schwer darüber zu reden, was man beabsichtigt hat. Unsere Absicht ist es, dass jeder seine eigene Reaktion darauf hat.

YEASAYER - "HENRIETTA" (OFFICIAL SCREEN SAVER) from Jason Foster on Vimeo.

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Kannst du mir die Story von Henrietta erzählen?
Chris hat den Song geschrieben. Kennst du Henrietta Lacks? Er hat die Geschichte mal im Radio gehört. Nachdem sie an Krebs starb, wurden ihre Zellen regeneriert. Die Zellen wurden in Laboren benutzt und sind seitdem die Basis von vielen medizinischen Untersuchungen. Das ist wirklich eine fesselnde Geschichte. Henrietta ist eine einzelne Person, die die ganze Welt beeinflusst hat. Es gibt natürlich etwas Gutes und etwas Schlechtes daran. Klar war es gut, dass man Krankheiten heilen konnte, aber auf der anderen Seite hat dieses Individuum ihre Individualität verloren. Chris fand das sehr spannend. Er versucht unsere Songs über packende Geschichten zu schreiben.

Einer von euch hat mal gesagt, dass Funk ein wirklich schlimmes Wort ist.
Ja, das kann man wahrscheinlich über jedes Musikgenre sagen. Sobald man anfängt die Musik so genau zu definieren, ist alles schrecklich. Man kann dasselbe über Disko sagen.

Auch wenn man Pop sagt, haben viele gleich ganz schlimme Assoziationen.
Ja, weil die standardisierte Vorstellung eines Genres immer eine abgemilderte Nullachtfünfzehn-Version von dem ist, was es eigentlich ist. Aber im Musikjournalismus muss man der Erklärung wegen die Sachen definieren. Funkadelic ist eine meiner Lieblingsbands und alle sagen, dass das Funk ist. Ich dagegen denke, dass sie eine der besten Rock 'n' Roll Bands aller Zeiten sind. Aber das ist der Job der Musikjournalisten, Genres zu kreieren.

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Es ist ein harter Job.
(lacht) Ihr tut mir gar nicht Leid.

Ich hasse Genres auch.
Ja, vor allem jetzt müsst ihr euch wahrscheinlich dauernd irgendeinen Bullshit ausdenken, weil alles immer neu sein muss. Und jeder will immer der erste sein, der einen Begriff prägt. Und dann kommt sowas wie Sudo-Mash-Ragga-Disco-Funk dabei raus.

Weißt du, was wirklich ein schlimmes Wort ist?
Sag du es mir.

Edutainment, also eine Mischung aus Education und Entertainment. Das wurde euch mal zugeschrieben.
Uns? Wir sind Edutainment?

Ja. Ihr seid Edutainment.
Wow, das ist protzig.

Ist das etwas, das ihr machen wollt, die Leute erziehen?
Oh Mann, da hat jemand zu viel nachgedacht. Wenn Leute unsere Musik hören und sich davon angezogen fühlen, dann ermöglicht das uns weiter Musik zu machen. Ich beziehe das auf meine Jugend. Wenn ich Musik gehört habe, die sehr bedeutend für mich war, hat das meine Persönlichkeit berührt und die Art verändert, wie ich mich selber sehe. Musik hat mich stellenweise durch sehr gute und schlechte Zeiten gebracht.

Hattest du eine Band in der Jugend, die dich erzogen hat?
Ich habe mein Instrument spielen gelernt, indem ich einfach nur Platten anhörte und die Stücke nachspielte. Ich hab viele Motown Platten gehört, als ich aufwuchs. James Jamersons war einer der Pioniere im melodischen Bassspielen. Auch die Zusammenstellungen von Motown waren immer sehr orchestral. Und dann interessierte ich mich für verschiedene Künstler, nicht nur für Basspieler. Als ich jünger war, habe ich versucht, so viel wie möglich davon aufzunehmen, um dann damit etwas eigenes zu schaffen. Ich wollte nicht nur einen Stil wiedergeben, sondern herausfinden, wer ich als Musiker bin. Und das kam vom Musikhören, Nachspielen und Mischen.

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Ihr zieht bei euren Covern pro Album immer einen bestimmten Stil durch alle Singles durch. “Henrietta” war ja eine Hand, was soll das Albumcover darstellen?
Unser Freund Ryan hat die Grafik dieser Platte entworfen. Artwork war schon immer sehr wichtig für uns. Ich freue mich darüber, dass man in einer Band auch die Möglichkeit hat, ein Teil von etwas Größerem zu sein, mehr als nur die akustische Landschaft. Die Möglichkeit, sich mit talentierten Leuten zusammen zu schließen, mit Leuten, die du respektierst oder deren Arbeiten dich interessieren. Aber auf dem Cover von „Fragrant World“ ist eine Figur zu sehen, eine zusammengefaltete Figur. Es ist eine abstrakte Schlichtheit und sehr mysteriös. Es gefällt mir richtig gut.

Sucht ihr euch dann für jedes Album einen anderen Künstler aus?
Chris hat das erste gemacht. Ein Freund von uns, Ben Phelan, ein Künstler aus New York das zweite. Es gibt so viele Leute, die innerhalb des Kreativbereichs interessante Sachen machen. Ich meine, wir leben in einer Welt mit einem sehr beschränkten Horizont. Mit wir meine ich dich und mich, es geht nur um Musik, Musik Musik. Aber es gibt noch so viel mehr. Leute, die mit Materialien arbeiten, genauso wie mit Technologien. Und die Verfügbarkeit von Technologien verändert sich, die Industrie verändert sich, nicht nur in der Musik. Das passiert auch in vielen anderen Bereichen, in Bezug darauf wie man überhaupt dreidimensionale Arbeiten macht. Es ist ein sehr faszinierender Moment. Ich weiß, dass ihr auch das Creator's Projekt macht. Das ist weltweit, oder?

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Ja.
Da werden offene Türen eingerannt und es wird über die Grenze hinausgeschaut. Wir leben in dieser Zeit, in der der Fortschritt von Kreativität enorm ist, bzw. der Fortschritt der Instrumente, mit denen man kreativ sein kann.

So wie auch in euren neuen Videos.
Ja, absolut. Wie schnell sich das entwickelt hat und wie schnell sich die Landschaft verändert hat, ist irrsinnig. Es ist wirklich schwer, das zu begreifen. Ich meine, es ging so schnell. Ich kann nicht mal fassen, dass ich eines Tages mal kein Handy hatte. Das ist wahnsinnig. Wie ist das überhaupt möglich?

Wie haben wir uns überhaupt verabredet?
Ja und das ist nur ein Handy, nicht zu reden von diesem kleinen mächtigen Computer in meiner Hosentasche. Und jetzt laufe ich herum und beschwere mich, dass es nicht schnell genug geht. Das ist wahnsinnig. (lacht) Es ging einfach so schnell, wir konnten nicht mal darüber nachdenken.

Ihr seid alle nach New York gezogen, richtig?
Ja.

Ich habe eine Frage, die ich einem New Yorker stellen wollte. Ist es so, dass alle kreativen Leute nach New York ziehen und die echten New Yorker so richtig angepisst sind?
Nein, ist das in Berlin so?

Ja, absolut.
Nein, das gibt es in New York nicht. New York ist so eine riesige Stadt. Man kann das vielleicht in bestimmten Bezirken sehen, die gentrifiziert werden. Sobald Gegenden gentrifiziert werden, gibt es meistens einen Konflikt zwischen den alten und den neuen Bewohnern. Aber die Stadt basiert auf Veränderungen und das war schon immer so. Es ist eine Stadt, die heruntergerissen und wieder aufgebaut wird. Deswegen ist es ja auch ein sehr dynamischer und aufregender Ort. Dort können sich Leute neu definieren, dort wird Architektur neu definiert, öffentlicher Raum wird neu definiert. Ständig wird irgendwas abgerissen und neu aufgebaut, ob das nun gut oder schlecht ist. Manchmal ist es auch schrecklich. Manchmal werden die schönsten Dinge, wie Penn Station, abgerissen und durch was Schreckliches ersetzt. Penn Station war eine der schönsten Haltestellen der Welt und wurde abgerissen, um den hässlichen Madison Square Garden darüber zu bauen. Aber es ist einfach diese konstante Entstehung und Entwicklung. Und die Energie der Stadt ist, das sie alles aufnimmt. Die meisten Leute, die dort nicht leben oder noch nicht viel Zeit dort verbracht haben, verstehen das nicht wirklich, aber es ist eine der freundlichsten Städte, in der ich je war.

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Das habe ich auch so erlebt, als ich in New York war.
Ja, aber die Leute denken immer, es ist so rabiat. Es gibt diese Hollywood Vorstellung von den New Yorker Taxifahrern, die total unfreundlich sind. Aber das ist einfach Quatsch. Ich bin in Philadelphia aufgewachsen und wenn du nicht aus Philadelphia kommst, können die Leute echt gemein sein. Wenn man nach New York geht, kommt niemand aus New York. Sie kommen alle von woanders her. Es gibt einfach so viele Möglichkeiten. Und diese konstante Energie der Leute ist es, was die Stadt ausmacht. Dieser Zufluss von neuem Blut und die ständige Herausforderung.

Vielleicht sind auch die echten New Yorker total unfreundlich, aber man trifft sie einfach nicht.
Ja, das könnte sein. Es gibt schon Arschlöcher dort, aber es gibt doch überall Arschlöcher. Für so eine große Stadt ist es ziemlich nett dort.

Ich habe ja gehört, dass die coolen Kids in New York neuerdings bei etwas richtig Krassem immer sagen: „That's so Berghain!“
Was?

Berghain. Kennst du den Club?
Nein. Anscheinend bin ich uncool. (lacht) Scheiße, ich hatte keine Ahnung. Jetzt bin ich bin echt uncool.

Nein, das hat dich gerade ziemlich cool gemacht, dass du diesen Satz nicht kennst.
(lacht) Ich habe echt keine Ahnung, wovon du redest.

Glaub mir, das ist auch gut so. Was euch übrigens auch noch cool macht, sind eure Vinyls. Ihr habt glitzernde Vinyls für das neue Album herstellen lassen. Kann man die abspielen?
Ich hab keine Ahnung. Das war das Risiko. Wir haben es auf uns genommen, weil es schon visuell einfach so ein bemerkenswertes Stück ist. Ich finde, dass eine 7" ein sehr romantisches Objekt ist. Ich meine unser Album wird sofort in der digitalen Sphäre existieren. Ich habe leider noch keine der Platten, also weiß ich nicht, ob sie funktioniert. Uns wurde schon gesagt, dass sie vielleicht nicht funktionieren, aber wir meinten „Na ja, aber es sieht ziemlich cool aus, also egal.“ Man will das Vinyl ja sehen. Wir hatten diese Möglichkeit und wir wollten unbedingt wissen, wie das aussieht. Und wenn sie nicht funktioniert, dann kümmern wir uns später darum, dann kriegst du dein Geld zurück. (lacht)

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OK, cool.
Aber du musst mir die Platte zurückgeben.

Die sind doch eh nur zum Sammeln da.
Ja, es ist eine Sache eine Full Length Vinyl zu haben, aber 7" ist wieder etwas anderes. Alle Leute, die ich kenne, die 7" haben, sammeln auch nur 7". Es ist einfach ein Sammlerstück, es geht um das Objekt und um das Anfassen. Vielleicht war es mal wichtig, als DJs noch 7" abgespielt haben, aber diese Zeit ist ja schon lange vorbei. Vinyl ist noch nicht tot. Es ist zwar nur ein kleiner Nischenmarkt, aber es geht um die Platte.

Danke dir.
Cool und leaked nicht unser Album!

Yeasayer on Tour:
16. September 2012, Berlin, Astra
23. September 2012, Köln, Bahnhof Ehrenfeld

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Yeasayers Fragrant World erscheint auf Mute Records.