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Ein Auftritt in Handschellen—So war das Xavier Naidoo-Konzert in Wien

Einer der deutschesten Sänger der Welt war gestern in Wien. Seitdem wissen wir: Alles wird gut.

Der deutsche Sänger Xavier Naidoo ist—ähnlich wie Pharrell Williams—von der Natur mit einer bemerkenswerten Alterslosigkeit beschenkt worden. Man vergisst dadurch gelegentlich, dass Naidoo mittlerweile 43 Jahre alt ist und schon seit Ende der 90er ziemlich erfolgreich Musik macht. Generell vergisst man in letzter Zeit häufiger, dass Naidoo Musik macht, weil er seinen steinigen und schweren Weg durch die Schlagzeilen hauptsächlich deshalb macht, weil er von „Deutschland befindet sich noch im Kriegszustand“ bis „9/11 was an inside job“ ungefähr jeder absurden Verschwörungstheorie anhängt, die es gibt. Und weil er wegen eines Songs seines Projekts Xavas, in dem er Homosexualität in Richtung Pädophilie rückte, angezeigt wurde.

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Gestern stattete Xavier Naidoo der Kaiserwiese in Wien einen Besuch ab. Allerdings in seinem Hauptberuf. Wer auf irgendwelche seltsamen Bühnenansagen gehofft hatte—wie ich, zugegeben—wurde enttäuscht. Der Andrang war überraschend hoch, das Konzert war restlos ausverkauft. Auf der Wiese stand eine sehr heterogene Menschenmenge. Vom Kind bis zur Oma war wirklich alles dabei. Der Hauptteil wurde gefühlt von Paaren zwischen 23 und 42 gestellt, deren Tribal- und China-Tattoos nur unzureichend von ihrem Hollister-Gewand verdeckt wurden.

Menschen, die sich selbst einen guten Geschmack attestieren, stellen sich oft die Frage, wie Xavier Naidoo so erfolgreich werden konnte. Diese Frage ist so berechtigt wie blödsinnig, weil sie sich eigentlich recht einfach beantworten lässt. Naidoos Erfolg speist sich aus zwei Quellen. Zuallererst muss man mal sagen, dass Naidoos Musik besser ist als ihr Ruf. Er ist ein guter Sänger, und so schnulzig ein Song wie „Was wir alleine nicht schaffen“ auch ist—es ist eine gute Nummer, die sich irgendwo zwischen Mainstream-R'n'B, Mainstream-Soul und Pop in eine gemütliche Hängematte legt. Sie wirkt auf uns primär deshalb abstoßend, weil die deutsche Sprache bei dieser Art von Musik an ihre Grenzen stößt.

Deutsch kann grundsätzlich recht viel. Auf Deutsch lassen sich Begebenheiten durch Substantivkomposita („öffentlicher Personennahverkehr“) fast schmerzlich exakt ausdrücken. Deutsch ist von sperriger Schöhnheit und eignet sich wie keine zweite für das Abfeiern der Lakonie—ein Sven Regener oder Max Goldt kommen nicht zufällig aus dem deutschen Sprachraum. Aber eines kann diese Sprache nicht: lässig sein. Nie. Deshalb wäre „Alles wird besser werden“—würde der Song von einem auch nur mittelmäßigen R'n'B-Amerikaner gesungen werden—sehr akzeptabel. Bei Xavier wirkt es aber so, als würde demnächst Hartmut Engler um die Ecke biegen. Deshalb darf man auch zu „We found love“ auf die Tanzfläche stürmen, aber auf keinen Fall zu „Atemlos durch die Nacht“. Wenn wir gerade schon mal bei „deutsch“ sind: Xaviers Erfolg hat noch eine ganz speziell deutsche Komponente. Doch dazu später mehr.

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Das Konzert begann so, wie Konzerte normalerweise mit Recht nicht beginnen: Mit Einspielern von Möwengesängen und einer Coverversion von Edwin Starrs „War“. Danach folgte eine ganze Reihe von Songs, die sich thematisch um das Thema Freiheit drehten. Entweder als Aufforderung („Seid frei!“), als Wunsch („Ich will frei sein!“) oder als Frage („Bist du aufgewacht?“). Das Zweck dieser Übung war vermutlich nicht, die Möglichkeiten verschiedener grammatikalischer Formulierungen aufzuzeigen, sondern dem Motto („Frei Sein“-Open Air) Rechnung zu tragen. Wer wirklich wissen will, wie plakativ diese Bekundungen waren: Naidoo trug bei diesen Songs auf der Bühne Handschellen. Kein Scherz. Und zwar nicht, weil er von der Metapher-Polizei verhaftet wurde oder einen „Xavaliers-Delikt“ begangen hatte, sondern damit auch die Leute, die nur schwer am FOH vorbeischauen konnten, dank der Videoleinwand sahen, wie unfrei dieser Xavier Naidoo trotz seines vielen Geldes eigentlich ist.

Der Freiheitsbegriff als solcher ist ja praktisch, weil man ihn immer postulieren kann, ohne ihn mit Leben füllen zu müssen. Jeder will frei sein. Die Frage ist immer nur: Wovor? Die Neo-Liberalen wollen frei von staatlicher Bevormundung sein, die Kommunisten frei von materiellen Sorgen und der Chemtrails-Anhänger frei von Chemikalien, die sein Immunsystem für die Pharmaindustrie schwächen. Sie alle könnten sich gestern auf der Kaiserwiese zu Zeilen wie „Frei wie der Wind, wenn er weht“ in den Armen gelegen haben. Musik verbindet.

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Xavier Naidoo mixte in der Folge Hits („Sie sieht mich nicht“, „Dieser Weg“) mit weniger bekannten Songs wie „Danke“ aka die Nummer, bei der sich die Leute immer fragen, ob Nico Suave nicht früher mal ein halbwegs ernstzunehmender Deutschrapper gewesen war. Die Interaktion mit dem Publikum blieb spärlich, und doch hatte Xavier seine Leute in der Hand. Andererseits war der Faktor Kontroverse in Aussagen wie „Ihr seid Europa!“ und „Ich freu mich wieder in Wien zu sein, aber Mörbisch ist auch geil!“ ohnehin überschaubar. Die Live-Band, die der Sänger in einem kreativen Anfall nur als „meine Hammer-Band“ ankündigte, war wirklich gut, und das Publikum sang bei den großen Nummern brav mit. Es ertrug sogar neue Nummern wie „Rosenblätter“, eine gefühlvolle und völlig ironiebefreite Hymne an Naidoos Heimatstadt Mannheim. Das geht natürlich nicht. Man kann kleine bis mittelgroße Städte besingen, aber nicht ohne Distanz.

Auch wenn das Konzert gestern in Wien war, lohnt es sich ein paar Gedanken zu machen, warum Xavier Naidoo in Deutschland so wahnsinnig erfolgreich ist. Ich glaube, dass das viel mit der sprichwörtlichen german angst zu tun hat. Xavier Naidoo beschwört in seiner Musik ständig, dass alles gut wird, die besseren Zeiten hinter der nächsten Bergkuppe warten und sich der schwere und anstrengende Weg lohnen wird. Wir haben alles Gute vor uns. Alles wird besser werden. Wir müssen geduldig sein. Es wird schon werden. Im Grunde sind das Schlaflieder für ganz große Kinder, deren Monster sich nicht im Schrank verstecken, sondern eher die Form einer scheiternden Ehe oder einer Beförderung, die vielleicht doch nicht kommt, annehmen. Übrigens schlägt Thees „Es wird passieren, ich hoffe du weißt es“ Uhlmann in dieselbe Kerbe, nur dass der eher Twentysomethings verbal in den Arm nimmt. Beide beruhigen aber die deutsche Seele. Die Welt da draußen ist gemein, fies und sagt OXI. Aber es wird besser. Glaubt uns einfach.

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Doch zurück zum Konzert in Wien. Nachdem die Menschen „Ich kenne nichts“ gebührend gefeiert haben, coverte Xavier—wie er es schon öfter getan hat—„Amoi seg ma uns wieder“, die eventuell erträglichste Nummer von Andreas Gabalier, die übrigens auch mit dem „Wird alles schon“-Thema spielt. Und hängt hinterher noch einen Song von Christina Stürmer dran, die er auch ganz freundlich grüßt, weil sie irgendwo im Publikum steht. Das kommt natürlich gut an in Wien. Zum Abschluss gab es dann den Song „Zeilen aus Gold“. Ein Song, in dem er unter anderem verspricht, geliebten Menschen „Zeilen aus Blut“ zu schreiben. Ich hoffe, diese freuen sich auch darüber oder werden zumindest vorab informiert.

Punkt 22 Uhr–so ist das auf der Kaiserwiese, die ja doch ziemlich in der Stadt liegt—verabschiedet sich der doch ziemlich deutsche Xavier Naidoo und entlässt ein glückliches Publikum in die Nacht. Menschen strömen in ihre Leben und stellen sich vor, wie ihre Träume in Erfüllung gehen.

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