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Interviews

„Im Optimalfall schaltest du dein Hirn komplett aus“—Interview mit Schlachthofbronx

Die zwei Münchner von Schlachthofbronx müssen auf ihren Live-Shows gar nicht mehr miteinander sprechen.

Foto: Gergana Petrova

Wenn du im Münchner Schlachthofviertel aufwächst, musst du dich frühmorgens an den Geruch verdammter Schweine gewöhnen. Vorsorglich wäre es bestimmt auch hilfreich, taub zu werden, um das Quieken nicht zu hören. Es hilft, deine Anlage laut aufzudrehen und dich vom hektisch pulsierenden Bass massieren zu lassen. Zwei Kinder des Viertels liefern dafür den perfekten Soundtrack: Schlachthofbronx. Das DJ-Duo hat seit 2008 die Kunst gemeistert, tanzwütige Meuten in Ekstase zu versetzen. Sie mixen ohne jegliche Berührungsängste verschiedene Musikstile in ihren laut vibrierenden Sound und touren damit um den Globus. Ich treffe Schlachthofbronx in einem Berliner Café und rede mit ihnen über ihr aktuelles Gratis-Album, mexikanische Sonidero-Partys, Global Bass und ihre Methode, alles ganz locker anzugehen.

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Noisey: Warum habt ihr euer drittes Album Rave and Romance als freien Download zur Verfügung gestellt?
Benedikt: Weil wir konnten (lacht). Tatsächlich waren wir in der luxuriösen Situation, dass wir viele Sachen fertig hatten. Wir haben dann schon ein paar Labels angefragt, aber die, die wir wollten, wollten nicht und die, die uns wollten, wollten wir nicht. Deswegen wollten wir das einfach mal ausprobieren und die Resonanz war extrem gut. Es hat nun mal nicht jeder auf der Welt einen iTunes-Zugang, Paypal oder eine Kreditkarte, aber viele haben Internet. Das finde ich eine faire und geile Sache. Du musst nichts liken, keine Mail-Adresse angeben, du musst nur einmal klicken und schon hast du es. Das war uns wichtig. Das heißt jetzt nicht, dass wir alles nur noch umsonst hergeben. Wir sind eh recht generös mit dem Zeug, das wir for free hergeben.
Jakob: Die Die-Hard-Fans kaufen sich halt die Picture-Vinyl oder unser T-Shirt.

Warum gibts denn die 7” auf Vinyl?
Benedikt: Weil’s geil ist. Wir haben das auch gern daheim. Die Leute stehen drauf. Schaut auch schön aus, kannst du nach Tagesform die Seiten wechseln. Das freut uns.

Warum eigentlich nicht wieder über das Label Disko B?
Benedikt: Weil wir wirklich mal alles selbst probieren wollten. Nur um zu schauen, wie das so ist.

Und wie ist es?
Benedikt: Ich finds ganz geil. Du weißt genau, dass, wenn du was falsch gemacht hast, du es falsch gemacht hast.
Jakob: Aber wir sind cool mit Disko B, das sind alles unsere Freunde.
Benedikt: Das steht außer Frage. Es gibt keinen Beef zwischen Schlachthofbronx und Disko B. Wenn's um den Bar Fight gehen würde, würden wir natürlich gewinnen (lacht).

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Was soll eigentlich das rote Feuerzeug auf dem Cover symbolisieren?
Benedikt: Das ist ein bisschen um die Ecke gedacht. Wir brauchten irgendetwas Einfaches, was eben diesen Namen widerspiegelt. Wenn du feiern gehst, hast du immer ein Feuerzeug dabei und jeder kennt das Bild, wenn PUR im Stadion spielen und alle ihre Feuerzeuge in die Luft halten. Du hast diesen schlichten Alltagsgegenstand, den wir auf diese artsy-mäßige Stufe gehoben haben.

Die Videos zu „Lights Off“ und „Up“ sind echt gut gemacht. Legt ihr jetzt einen größeren Fokus auf Videos als vorher?
Benedikt: Wir haben jetzt die Leute getroffen, mit denen wir das gut machen können (lacht). In München gibt es nicht so viele Leute, die das gut machen und die wir auch noch fair bezahlen können. 100 Black Dolphins kannten wir schon länger. Die haben zum Beispiel auch dasVideo zu „Everyday of the Week“ gemacht und sich seitdem natürlich auch weiterentwickelt. Wir haben sie nach Mexiko mitgenommen. Das Video zu „Up“ ist für mich das geilste, weil es diese Reise mit all ihren Abschnitten widerspiegelt. Es ist schon relativ authentisch und zeigt das, was in Mexico City eben so abgeht.

Wie es denn auf den Sonidero Partys zu spielen?
Benedikt: Bei diesen krassen Sonidero Partys haben wir jetzt nicht gespielt, sondern auf einem Festival in Mexico City…
Jakob: …wo auch viele von den Sonidero-Jungs involviert waren.
Benedikt: Die Leute sind wahnsinnig offen. Natürlich sind die alle mit Cumbia und Salsa aufgewachsen und da gibts eine junge Generation, die ihre eigene Version des Cumbia machen. Da gibts unfassbar geile Sachen.
Jakob: Es gibt viele, bei denen du dich wunderst, wie gut die darüber informiert sind, was gerade in Ost-London oder irgendwo in Berlin passiert. Da laufen Musiknerds in beachtlicher Anzahl rum.

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Was hat euch auf dem Trip am meisten geflasht?
Jakob: In Mexico City hatten wir ein paar Freunde, die uns überall mitgenommen haben, zum Beispiel auf die ganzen Partys, wo du sonst einfach nicht hinkommst. Wo selbst Leute, die in der Stadt wohnen, sagen, dass sie sich da noch nie hingetraut haben.
Benedikt: Die finden meistens eben in bestimmten Stadtvierteln statt.
Jakob: Da wird eine Straße abgesperrt und dann rechts und links Boxentürme hingestellt.
Benedikt: Das kann schon gefährlich sein. Muss aber nicht. Dadurch, dass wir eben eingeladen waren, konnten wir auch mit den Kameraleuten hin und filmen. Alle haben sich gefreut, dass wir da waren.
Jakob: Es ist ein Einblick, den du halt nicht bekommst, wenn du hinfliegst und mit deinem Reiseführer durch die Straßen läufst.
Benedikt: Mexico City hat jedes mal etwas Überwältigendes. Das siehst du auch im Video, wenn du nachts da rein- oder rausfliegst, reicht die Stadt bis zum Horizont. Es ist auch echt rough da. Wenn dich ein Auto anfährt, kommt drei Stunden lang kein Notarzt. Das ist einfach so.

Ihr habt auf dem Berlin Festival gespielt. Spielt ihr zurzeit viel von Rave & Romance?
Benedikt: Wir haben ja immer einen relativ großen Schnitt von unreleasten Sachen. Vor Rave & Romance war das natürlich mehr, aber dadurch, dass wir eh nur unsere eigenen Sachen spielen, greift das ineinander. Also 50 Prozent sind bereits veröffentlicht. Davor waren wir bei 80 Prozent.
Jakob: Ist uns auch wichtig, es für uns und für die Leute spannend zu halten.
Benedikt: Du hast teilweise nur kleine Schnipsel, die du raushaust, um zu schauen, wie die Leute reagieren.

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Das ist aber schon ein recht hoher Output.
Benedikt: Teilweise sehe ich andere Kollegen, die mit einem Projekt ein Album aufgenommen haben, dann noch für andere etwas produzierten, jetzt mit dem eigenen Album schon wieder um die Ecke kommen und live spielen. Wir arbeiten viel und hart, aber ich habe keine Ahnung, wie die das schaffen.
Jakob: Es gibt immer Leute, die noch mehr arbeiten.

Was macht für euch ein gutes Set aus?
Benedikt: Im Optimalfall schaltest du dein Hirn komplett aus. Wir spielen ja nicht jeden Abend komplett gleich, es gibt kein vorgefertigtes Gerüst. Es ist immer irgendwie anders, weil auch immer andere Sachen dazukommen und andere wieder wegfallen. Also Hirn aus und in dem Moment genau das machen, was dir selbst als richtig erscheint und als richtig vom Publikum wahrgenommen wird. Wir haben dann eine kommunikationsfreie Interaktion und liefern den Leuten genau das, was sie gerade brauchen.

Ich müsst euch beim Set nicht absprechen?
Benedikt: Was das anbelangt, sind wir relativ symbiontisch.
Jakob: Das ist der Vorteil, wenn du die ganze Zeit zusammen rumhängst. Dass du dann eben auch nicht mehr reden musst.
Benedikt: Ich finde es sehr angenehm, dass wir alles beim Spielen erfahren. Wir müssen uns nicht vorher treffen und proben.

Ihr mixt viele verschiedene Musikstilelemente miteinander. Wie entscheidet ihr, was miteinander verbunden werden soll?
Benedikt: Das ist eine reine Gefühlssache. Wir kommen jetzt gerade aus London vom Carnival, wohin wir jedes Jahr unseren „Betriebsausflug“ machen. Das hat für mich schon immer ein großes inspirierendes Potenzial. Es gibt keine Pause, nach der wir das nächste halbe Jahr arbeiten. Wir beide sind einfach sehr schnell von Sachen inspiriert. Das kann von Theater bis Film alles sein.

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Hört ihr euch viel Musik anderer Leute an?
Benedikt: Wir hören uns wahnsinnig viel Zeug an. Vieles ist davon tatsächlich sehr schlecht, vor allem Promos, die wir geschickt bekommen. Ich will keine neue Trap-Nummer hören. Mich interessiert dieses ganze EDM-Zeug und das, was bei uns unter dem Oberbegriff „Popcorn-Musik“ läuft, nicht. Mich interessiert das, was bei Leuten rauskommt und vielleicht sogar total schlecht gemischt sein kann, aber etwas Urwüchsiges, etwas Echtes hat. Nichts Hochgezüchtetes.
Jakob: Kein marktoptimiertes Produkt einer gemanagten Band. Wir hören da sehr viel und fühlen uns zu relativ wenig zugehörig, weil wir merken, dass das, was wir machen, in vielen Aspekten sehr anders ist.
Benedikt: Wobei das natürlich auch eine Eigenwahrnehmung ist. Andere Leute hören uns, finden das irgendwie tanzbar, ordnen uns irgendwo ein und wir sagen dazu „Nein. Einfach nein.“

In Verbindung mit euch fällt oft der Begriff des Global Bass.
Benedikt: Das ist so ein Ausdruck von Anfang 2000, wo Medien versucht haben, Künstler, die offen für Einflüsse aus aller Welt sind, zusammenzufassen. Ich sehe uns da nicht. Da passiert total viel Interessantes, aber wir haben uns das nie auf die Fahnen geschrieben.
Jakob: So können wir auch mal einen Techno-Song machen, der in dieses Raster aber nicht reinpassen würde. Insofern macht Global Bass für uns wenig Sinn, weil wir auch schon immer genremäßig einen sehr breiten Musikgeschmack hatten.
Benedikt: Am Ende hast du gute Musik und schlechte Musik. Ich mag gute Musik (lacht). Wir tun uns ja selber schwer damit, es in einem Wort zu beschreiben. Wir waren damals von der Monotonie in den Clubs gelangweilt. Wir wollten immer einen Abend haben, wo du dir ganz unterschiedliche Sachen anhören kannst, die aber alle gut sind. Inzwischen ist es in diesem eher Geld-orientierten Genre eher so, dass Leute sowohl Techno und auch Rap zu spielen. Das ist für viele noch die totale Wow-Nummer, für uns ist es normal und hätte schon immer so sein müssen. In den nächsten Jahren wird es aber wieder zu einer strikten Trennung kommen.
Jakob: Für manche, ja. Die brauchen das dann auch zur Identifizierung. Das hat für mich immer etwas Kindliches, Pubertäres. Dann sollen es die Leute halt so machen.
Benedikt: Genau. Dann machen die das so und wir machen das anders.

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Von bayerischer Volksmusik habt ihr euch inzwischen entfernt, war das irgendwann einfach ausgereizt?
Benedikt: Nein, wir haben dann halt dieses Edition Warngau-Projekt angefangen, wo wir live mit 17 Leuten Blasmusik spielten, auf das wir ja hingearbeitet hatten. Ich bin relativ schnell gelangweilt von Sounds. Ich sehe dann diesen ganzen Gypsy-House oder wie du das nennen möchtest, da gibts ja keinen politischen Ausdruck für diesen ganzen Itzie-Fitzie…

…ich glaube, das ist der richtige Ausdruck.
Benjamin: (lacht) Das hat es einem teilweise auch verdorben. Natürlich kannst du mit Bläsern nochmal ganz eigene Sachen machen, die auch überhaupt nicht in die Richtung gehen, aber…
Jakob: …du musst es auch nicht die ganze Zeit machen.
Benedikt: Festgelegt haben wir uns noch nie.

Auf welchen Sound habt ihr in nächster Zeit Lust?
Benedikt: Zur Zeit überlegen wir, ob wir von dem Live-Aspekt aus an die neuen Sachen herangehen.
Jakob: Wir probieren viel aus, gucken, was für uns interessant ist, experimentieren rum.
Benedikt: Das Labor ist offen. Sobald du krampfig wirst, funktioniert nichts. Ist ja wie bei allen Sachen im Leben. Wenn du sagst: „Ich möchte unbedingt eine Freundin“, dann wirst du diese Freundin nicht finden (lacht) …ich suche keine Freundin!

Die aktuelle LP Rave & Romance kannst du dir auf schlachthofbronx.com anhören und runterladen.

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