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Im Iran kannst du für deine Metal-Leidenschaft hingerichtet werden

„Gotteslästerer“, wie die Mitglieder der Metalband Confess aus Teheran, müssen mit Gefängnis rechnen—oder sogar der Todesstrafe.

„Ich erinnere mich daran, wie ich mit 14 dieses Scorpions T-Shirt anhatte und im örtlichen Park abhing. Die Polizei hielt mich fest und ließ mich nicht gehen, bis ich meinen Freund zu meinem Vater schickte, damit er mir ein neues Hemd vorbeibringen und die Polizei das Scorpions T-Shirt zerreissen konnte“, erinnert sich B., ein iranischer Metaller, der anonym bleiben will. „Die Angst, in Schwierigkeiten zu geraten, war immer da. Sie war ein Adrenalinschub und für uns gehörte es einfach als Metalhead dazu, gleichzeitig auch Rebell zu sein.“

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Jeans und Lederklamotten bringen dich im Iran in große Schwierigkeiten—und wir reden hier nicht von ein paar Klapsen und Anfeindungen. In einem Land, das von einem streng islamischen Regime regiert wird, droht jedem, der der „Blasphemie“ oder „Teufelsanbetung“ beschuldigt wird, eine lange Haftstrafe—oder sogar die Exekution. Ein Fall, der die Metal-Blogosphäre vor Kurzem erhitzt hat, ist ein allzu reales Beispiel dafür. Zwei Mitglieder der iranischen Groove-Metal-Band Confess, Nikan Siiyanor Khosravi und Arash 'Chemical' Ilkhani, wurden Berichten zufolge im November 2015 für die „Beleidigung islamischer Heiligkeiten“ und „Verbreitung von Propaganda gegen den Staat“ verhaftet. Den Männern, die Berichten zufolge noch immer von den Behörden festgehalten werden, könnte eine Haftstrafe von bis zu sechs Jahren drohen.

Obwohl nur wenige Details zu der Verhaftung öffentlich gemacht worden waren, hat Raha Bahreini, die Iran-Forscherin von Amnesty International, bestätigt, dass die Band, auch wenn sie entgegen ursprünglicher Berichte von westlichen Medien keine Exekution zu befürchten hat, der extrem eingeschränkten Meinungsfreiheit im Land zum Opfer gefallen ist. Iran wurde 1979 nach der Revolution zu einer islamischen Republik und wird seitdem von einer sehr konservativen geistlichen Elite regiert. Jede Art der Verwestlichung und modernen Praxis ist verboten, wenn sie nicht im Einklang mit der regimetreuen Interpretation des islamischem Rechts steht.

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„Das Verbot von Musik im Iran geht über westliche Kunst hinaus“, erklärt Raha. „Jegliche Musik, die nicht von den Autoritäten lizenziert ist, gilt als illegal. Dazu gehören weibliche Solo-Sängerinnen, die seit der islamischen Revolution nicht mehr öffentlich auftreten dürfen; dazu gehören Künstler, die nicht die Gesetze der Obrigkeit befolgen, und es zielt auf Künstler ab, die sich Tabuthemen oder sozialpolitischen Themen widmen.“

B. hat den Iran vor sechs Jahren verlassen und erklärt, dass es in den 90ern im Iran—vor dem Internet—als jugendlicher Metalfan beinahe unmöglich war, an Musik zu gelangen, da das Regime mit voller Kraft gegen jegliche Form von Freiheit vorging. „Es gab keine Plattenläden, keine Magazine, keinen Zugang zur Außenwelt“, erinnert er sich. „Wirklich alles war verboten und wenn sie dich mit ‚westlicher Musik‘ erwischt haben, warst du in großen Schwierigkeiten.“

Das Internet spielt mittlerweile, was den allgemeinen Zugang angeht, eine große Rolle. Auch wenn die Regierung Webseiten und soziale Medien zensiert, sagt B., dass „sie nicht besonders viel ausrichten kann.“ Der Zugang zu verbotener Musik ist im Iran allerdings viel beschränkter, als man sich das in der westlichen Welt vorstellen könnte. Die Social-Media-Accounts von Confess wurden seit der Verhaftung zum Beispiel überwacht.

B. beobachtet, dass sich seither nicht viel geändert hat. „Raubkopien und Downloads sind im Iran die Hauptquelle für Musik. Wir können nichts bestellen und es ist nicht einmal möglich, Paypal zu nutzen. Es gibt keine Konzerte. Vielleicht kommen von Zeit zu Zeit mal ein paar Freunde zusammen und spielen für sich selbst—es ist wirklich Underground. Natürlich gibt es Bands, aber sie müssen von der Regierung genehmigt werden. Deswegen ist das auch kein Metal, wie wir ihn kennen. Die Leute wurden damals verhaftet und, wie du siehst, werden sie es noch immer. Es gibt keine große Veränderung, solange der Islam da drüben existiert, das kann ich dir garantieren.“

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Seit 1989 wird das Land vom obersten Führer Ayatollah Ali Chamenei regiert, der das Rechtssystem, die Medien und das Militär kontrolliert. Iran steht oft in der Kritik internationaler Medien und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und die vielen Hinrichtungen haben dem Land einen Platz in den Top-Fünf der Staaten mit den meisten Exekutionen gesichert. Das Blasphemie-Gesetz ist kein Witz: Den Propheten Mohammed zu beleidigen, gilt als Kapitalverbrechen. Es gab laut Raha in der Vergangenheit mehrere dokumentierte Fälle, in denen die Todesstrafe dazu benutzt worden war, Leute wegen „lächerlicher“ Vergehen zu verurteilen. Mohammad Ali Taheri, ein spiritueller Führer, wurde letztes Jahr zum Tode verurteilt, weil ihm vorgeworfen wurde, „auf der Erde Korruption zu verbreiten.“ Er befindet sich das fünfte Jahr in Folge in Einzelhaft und alle, die sich öffentlich für ihn aussprechen, riskieren, ebenfalls verhaftet zu werden.

Besonders aktuell ist der Fall um die Inhaftierung von zwei Musikern und einem Filmemacher, denen, wie dem Confess-Duo, droht, wegen „Beleidigung islamischer Heiligkeiten“ und „illegaler audio-visueller Aktivitäten“ verurteilt zu werden. Internationaler Druck kann in solchen Fällen laut Raha allerdings durchaus etwas verändern. Sie glaubt, dass je mehr Menschen sich gegen die Menschenrechtsvergehen aussprechen, desto mehr Wirkung ihre Proteste auch haben können.

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Nichtsdestotrotz, laut dem iranischen Sakularitätsaktivisten Reza, der das Land ebenfalls vor Jahren verlassen hat, ist das Justizsystem korrupt und die Bestrafungen variieren je nach Laune des Richters. „Es ist verrückt und wahnsinnig“, erklärt er. „Es gibt alle möglichen Arten der Korruption und es gibt keine Geschworenen, was bedeutet, dass der Richter auf sein eigenes Urteil vertraut.“

Reza erklärt auch, dass von allen Subkulturen des Landes die Headbanger am schlimmsten betroffen sind. „Metalmusiker haben ernste Probleme und das nicht zum ersten Mal—sie nennen es ‚satanische Musik‘“, sagt er. „Es gibt andere Musikgenres, die es nicht so sehr abbekommen wie Metal. Du findest ab und zu einen Rock-Gig und auch wenn die Leute nicht aufstehen, tanzen oder mitsingen dürfen, haben sie immer noch ihre Konzerte. Aber bei Metal ist das eine ganz andere Sache, [denn] da geht es um Wut und Politik. Ich erinnere mich an einen Fall vor einigen Jahren, wo sie jeden aus einer Gruppe ausgezogen und nach Tattoos abgesucht haben. Die haben es auf jeden Fall am schlimmsten getroffen.“

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Es gibt im Iran tatsächlich einen lebendigen Underground—das Leben und die Kultur gehen weiter, verlassen aber die heimischen vier Wände nicht. In den Kellern iranischer Häuser finden trotz aller Widrigkeiten Sex, Drogen und Rock’n’Roll statt, aber sobald jemand vor die Türe geht, wird erwartet, dass sich diese Person der islamischen Identität anpasst. „Die Regierung kann die Kultur nicht aufhalten“, erklärt Reza. „Sie können sie nicht kontrollieren … Wenn sie jemanden für eine Sache festnehmen, dann wird jemand anders übernehmen. Das Leben geht weiter.“

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B. sieht für Nikan und Arash von Confess eine düstere Zukunft voraus und geht davon aus, dass eine derartige Verfolgung von Metallern im Iran auch in Zukunft weiter stattfinden wird, wie sie das auch schon seit mehreren Jahren tut. Diese Geschichte hat kein Happy End. Die Angst ist real, aber sie hält weder B. noch irgendeinen anderen Künstler im Iran auf.

„Du wirst immer diesen dämlichen Blick in ihren Gesichtern sehen, wenn du mit langen Haaren und Lederklamotten draußen rumläufst“, erklärt B. „Aber wie Lemmy schon sagte, wenn sie Rock’n’Roll nicht mögen, dann mag ich sie nicht!“

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