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Wie Independent-Künstler und -Labels unter dem „Vinyl Revival“ leiden

Die Verkaufszahlen von Vinyl sind im letzten Jahrzehnt um 900 Prozent gestiegen. Was ist daran schlecht?

Die Universal Group wird zum 20-jährigen Jubiläum des Films Clueless eine Vinyl-Edition des Soundtracks zu Alicia Silverstones Komödie herausbringen. Das ist ein ziemlich merkwürdiger Schritt, wenn man bedenkt, dass es auf ästhetischer Ebene in der Welt vom Beverly Hills der 90er, in der Clueless spielt, keine Spur mehr von Vinyl als existierendem Musikformat gibt („Ich kann meine Cranberries-CD nicht finden. Ich muss auf den Hof, bevor sie mir jemand wegnimmt.“) Die Tracklist des Soundtracks liest sich wie ein Who-is-Who der aufgeblasenen 20-Euro-CD-Ära, inklusive Radiohead, den Counting Crows, den Beastie Boys und… Coolio. Warum wird im Zeitalter digitaler Musik also ein Soundtrack für einen Film aus dem Zeitalter der CD auf Vinyl wiederveröffentlicht? Die Antwort ist ziemlich einfach: Die Leute werden es kaufen.

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In den vergangenen zehn Jahren sind die Verkaufszahlen von Vinyl stark in die Höhe gegangen—zwischen 2004 und heute gab es einen ungefähr 900-prozentigen Anstieg, in den USA wurden 2014 9,2 Millionen Vinyl-Alben verkauft. In der gleichen Zeit haben die gesamten Verkaufszahlen aller Formate jährlich abgenommen, in den USA von 667 Millionen verkaufter Alben 2004 auf 257 Millionen verkaufter Alben 2014. Vinyl ist eindeutig auf dem Vormarsch, obwohl wir uns im digitalen Zeitalter des kostenlosen Streamings befinden.

Das Gesetz von Angebot und Nachfrage trifft in diesem Fall jedoch nicht unbedingt zu, weil im selben Zeitraum die Anzahl an Vinyl-Presswerken die gleiche geblieben ist. Diese Presswerke können der derzeitigen Nachfrage nach Vinyl auf keinen Fall gerecht werden.

Ironischerweise hat der Record Store Day, ein jährliches Event voller exklusiver Vinyl-Only-Veröffentlichungen, welches das Interesse an örtlichen Plattenläden fördern soll, zu riesigen Engpässen in der Vinyl-Produktion beigetragen, die aufgrund der hohen Nachfrage monatelang anhalten. Es ist nicht schwer zu sehen, dass durch Events wie dem Record Store Day der Produktionsplan für Vinyl komplett durcheinandergebracht wird. Dann kommen noch lächerlich kitschige, einmalige Pressungen („Als ob!“), leidenschaftliche Projekte von Jack White und andauernde Re-Pressings von Rock-Klassiker-Alben wie von den Beatles, Led Zeppelin und Pink Floyd hinzu. Die Ressourcen sind eben limitiert, deswegen entstehen ziemliche Probleme.

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Das Ergebnis, was in den letzten Jahren zu beobachten ist, ist, dass Independent-Veröffentlichungen hinten angestellt werden und geringere Priorität genießen, weil die Vinyl-Bestellungen von Indies für gewöhnlich nur einen Bruchteil der Größe von Majorlabels ausmachen. Hier ein Beispiel: Die erste Pressung der Debüt-LP der Indie-Punk-Band Cayetana, Nervous Like Me, wurde im Jahr 2014 auf dem Independent-Label Tiny Engines in einer limitierten Stückzahl von 1525 Kopien veröffentlicht. Die Band hat davon nur 400 Stück bekommen, um sie auf ihrer sechswöchigen Tour zur Unterstützung des Albums zu verkaufen, da der Rest der Kopien durch eine Verzögerung der Produktion seitens des Presswerks nicht verfügbar war. Im Gegensatz dazu hat Jack White 74.000 Exemplare seines 2014er Albums Lazaretto gepresst, wovon er 60.000 innerhalb der ersten sieben Wochen nach Veröffentlichung verkauft hat. Das sind die meisten Exemplare, die seit 1994 von einer Vinyl-Veröffentlichung in solch einem Zeitraum verkauft wurden. Beide Künstler waren von demselben Pool an Ressourcen bei den Presswerken abhängig (denk dran: es gibt nur 20 Stück in den USA!), denselben Ressourcen, von denen jeder, der in den USA Platten pressen will, abhängig ist. Ein großer Unterschied ist jedoch, dass einer dieser Künstler 30 Millionen Dollar schwer ist, während der andere davon abhängig ist, zehn oder zwanzig LPs pro Konzert zu verkaufen, um sich das Benzin für den Leih-Van leisten und zur nächsten Stadt fahren zu können.

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Foto via Flickr | krystian_o | CC BY 2.0

Die frustrierende Ironie dieser Situation ist, dass Independent-Labels und -Künstler zu den wenigen Kunden gehörten, die diese wenigen Presswerke in der dunkelsten und unpopulärsten Zeit im Leben der Schallplatte am Leben gehalten haben. Kleine Labels und Fans der Bands auf diesen Labels waren die einzigen abseitigen Außenseiter-Punk-Weirdos, die das zu der Zeit antiquierte und mittlerweile wieder schicke Musikformat gekauft haben.

„Die Abwicklungszeiten sind in den letzten zwei Jahren länger und länger geworden“, sagt Mike Park, Inhaber und Betreiber des Independent-Labels Asian Man Records, der Platten von Bands wie Alkaline Trio und The Lawrence Arms veröffentlicht hat. Park hat sein Label in den letzten 19 Jahren erfolgreich betrieben, durch den CD-Boom, die Wiederauferstehung von Vinyl und das digitale Zeitalter des Musikkonsums. „Ich mache im Moment eine Veröffentlichung über United [Presswerk] und es dauert schon über zwei Monate, ich habe noch nicht einmal eine Testpressung. Ich habe eine Nachpressung beantragt [die aufgrund der wenigeren Schritte bei der Herstellung der Platte für gewöhnlich eine kürzere Produktionsdauer hat] und mir wurde gesagt, dass es mindestens 16 Wochen dauern würde. Sechzehn Wochen! Vier Monate für eine Nachpressung!“

Diese langen Produktionszeiten haben für ein Label wie Asian Man einen direkten, negativen Effekt auf die Künstler, die auf dem Label veröffentlichen, weil eine kleine bis mittlere Independent- oder DIY-Band 40 bis 60 Prozent ihrer Tour-Einnahmen aus Merch-Verkäufen generiert. „Wir haben keine Platten mehr, während unsere Bands auf Tour sind und sie verlassen sich darauf, Platten zu verkaufen, um ihre Kosten zu decken. Es tut mir in der Seele weh, ihnen nichts liefern zu können“, sagt Park.

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Foto via Flickr | _Mairod | CC BY-ND 2.0

In letzter Zeit gab es Widerstand gegen den Record Store Day von Independent-Labels und -Läden, einige rufen sogar zum Boykott des jährlichen Events auf. Der Einfluss des Record Store Day auf die Produktionszeiten der Presswerke ist aufgrund der großen Verzögerungen verheerend. Die britischen Indie-Labels Howling Owl und Sonic Cathedral haben ein Statement veröffentlicht, in dem sie beklagen, was der Record Store Day für sie geworden ist: „Nur ein weiteres Event im jährlichen Musikindustrie-Zirkus… vereinnahmt von Majorlabels und als weiterer Marketing-Schritt benutzt. U2 haben ihr Album bereits in unsere iTunes-Bibliothek geschissen, warum sollten sie auch noch die Presswerke dieser Welt damit verstopfen?“ Manche würden außerdem argumentieren, dass es für Majorlabels nur eine weitere Möglichkeit geworden ist, um ihre Produkte vorteilhaft in unabhängige Läden zu bringen, die sonst keine Veröffentlichungen von besagtem Label führen würden. Dadurch nehmen sie den unabhängigen Künstlern den Platz im Regal weg und verzögern die Produktion in den Presswerken.

Es scheint nicht so, als würden die Dinge in dieser Hinsicht für die Indie-Labels bald besser werden. Die Nachfrage steigt weiter und wie bei allen Dingen, die mit der sterbenden Musikindustrie und den Leuten, die darin tätig sind, zusammenhängen, ist das Überleben eine Frage der Anpassung. „Die Leute müssen einfach längere Produktionszeiten einkalkulieren“, sagt Joe Steinhardt, der das amerikanische Indie-Label Don Giovanni in New Brunswick betreibt, das mit Bands wie Waxahatchee und Screaming Females erfolgreich war. „Es ist uns ein wenig aufgestoßen, als die Produktionszeiten erst von sechs auf acht Wochen und dann auf 24 Wochen gestiegen sind. Die Bands waren es gewohnt, acht Wochen vor Beginn einer Tour zu mastern und ich war daran gewöhnt, eine Nachpressung zu bestellen, wenn wir nur noch Vorrat für acht Wochen hatten. Aber die Leute müssen einfach ihre Erwartungen anpassen.“

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Das Problem bei der Anpassung der Erwartungen aufgrund der verlängerten Produktionszyklen ist, dass es nicht die finanzielle Infrastruktur dessen ändert, was es bedeutet, ein Independent-Künstler zu sein. Da man sich auf regelmäßiges Touren und Merchandise-Verkäufe verlässt, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, kann das Momentum eines Künstlers durch diese verlängerten Wartezeiten ernsthaft beschädigt werden, sowohl künstlerisch als auch finanziell. Je länger die Zeiträume zwischen den Touren werden und je mehr Zeit zwischen der Fertigstellung von Aufnahmen und ihrer Veröffentlichung vergeht, mit der dann auf Tour gegangen und durch die Geld verdient werden kann, desto mehr Lücken gibt es im Kalender, in denen der Künstler nicht in der Lage ist, zu arbeiten und Geld zu verdienen.

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Foto via Flickr | PauliCarmody | CC BY 2.0

Tim Kasher, Sänger und Songwriter bei Cursive und The Good Life, ist letztes Jahr auf eine sechswöchige Tour gegangen, um sein zweites Soloalbum Adult Film zu promoten. Das einzige Problem war jedoch, dass die Platte durch unvorhergesehene Verzögerungen im Presswerk noch nicht existierte. „Ich bin überzeugt, dass wir bessere Verkäufe gehabt hätten, wenn wir [vor der Tour Kopien zum Verkauf] gehabt hätten“, sagt Kasher. „Verstärktes Interesse an Vinyl ist eine tolle Sache, aber die Presswerke lehren uns auf die harte Tour, unsere Platten weit vor dem Veröffentlichungsdatum zur Produktion zu beauftragen. Ich wurde gebeten, meine nächste Platte fünfeinhalb Monate vor dem Veröffentlichungsdatum einzureichen und ich habe immer noch die Befürchtung, dass sie bis zur Deadline nicht fertig wird. Wir können nur annehmen, dass Beyoncés letzte Platte diese Probleme nicht hatte.“

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Die Presswerke selbst werden in dieser Situation vielleicht als die Sündenböcke ausgemacht. Sie könnten doch einfach mehr Arbeitsstunden reinstecken und die Zahl der Pressen erhöhen, um der Nachfrage gerecht zu werden, richtig? Das ist definitiv nicht der Fall. „Wir lassen unsere Maschinen 24 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche mit Höchstleistung laufen, genau wie die anderen wenigen Presswerke in den USA“, sagt Jerome Bruner von Rainbo Records, einer Firma zur Vinyl-Herstellung, die seit 1939 im Geschäft ist. „Wir sitzen im selben Boot wie die Indies, die Majors und die örtliche Garagenband. Wir tun unser Bestes, um allen gerecht zu werden. Es ist ein Lernprozess.“ Trotz des Aufwands, sich anzupassen und abzustimmen, sieht Bruner das gestiegene Interesse an Vinyl als eine großartige Sache an. „Wir leben in einer Welt, in der alles sofort und mit einem Klick oder einem Wisch verfügbar ist. [Aber trotzdem] gibt es eine ganze Generation, die sich in das Abspielen einer Platte verliebt hat und es sieht nicht so aus, als würde die Nachfrage nach dem Format in naher Zukunft abnehmen“, fügt er hinzu.

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Foto via Flickr | FourthFloor | CC BY 2.0

Wenn die Presswerke also nicht die Schuld am Leid der Independent-Labels tragen, wer dann? Urban Outfitters und Hot Topic, die größten Anbieter von Vinyl in der Mainstream-Mall-Kultur in Mittelamerika? Die Universal Music Group und andere Majorlabels, weil sie ihre umfangreichen Back-Kataloge im Rahmen des Record Store Day neu auflegen und versuchen, Geld mit Veröffentlichungen zu machen, die vorher als „finanziell nicht rentabel“ abgestempelt wurden? Die den Plattensammler ausnutzen und ihre Jahrzehnte alten Veröffentlichungen als kitschige oder „limitierte“ Veröffentlichung vermarkten? Sollten wir die Konsumenten selbst dafür verantwortlich machen? Tja, die Antwort auf all diese Fragen ist ja. Es ist tatsächlich die Angesagtheit von Vinyl, die sich ins eigene Fleisch schneidet.

Die andere Seite der Medaille, die Tatsache, dass Musikfans sich wieder mehr dafür interessieren, Schallplatten zu kaufen, als vor 20 Jahren, ist sehr positiv. Die Tatsache, dass Fans die Künstler unterstützen, indem sie für die Musik bezahlen, die sie veröffentlichen, ist ein unglaublicher Triumph im Klima der egoistischen Internetkultur des Jahres 2015. Independent-Künstler haben jedoch Schwierigkeiten, sich an diesen Triumph anzupassen, wenn sie sich nicht auf die Verfügbarkeit von Vinyl als Einnahmequelle verlassen können, um davon zu leben und auf Tour die Kosten zu decken. Aber alle Trends, besonders in der Popmusik, sind zyklisch; vielleicht sollte die Industrie kollektiv auf ein CD-Revival im Jahr 2025 hoffen.

Mike Campbell ist begeisterter Plattensammler und mag außerdem ‚Clueless' wirklich sehr. Er spielt Bass mit Laura Stevenson und ist bei Twitter - @mikedcampbell.

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