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Wie ich es geschafft habe, mein persönliches Kriegsbeil zu begraben und Against Me! (wieder) zu lieben

Wie ich Against Me! erst liebte, dann hasste, und wieder lieben lernte.

Das erste Mal, dass ich etwas von Against Me! hörte, war, als mir jemand ihre Lyrics übers Telefon vorlas. Ich war 19, das erste Album der Band, Reinventing Axl Rose, war gerade erschienen und meine damalige Freundin hatte vor mir eine Kopie ergattern können. Der Text ging so:

We want a band that plays loud and hard every night
That doesn't care how many people are counted at the door
That would travel one million miles and ask for nothing more than a plate of food and a place to rest

Just gimme a scene where the music is free
And the beer is not the life of the party
There's no need to shit-talk or impress
'Cause honesty and emotion are not looked down upon

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Meine ersten Reaktionen waren schlicht „FUCK!“ und „YES!“. Bedenke bitte, es war 2002. Eine Zeit zu der größere Labels alles an Punk-, Hardcore- und Emobands unter Vertrag nahmen, was irgendeine Form von Marktqualitäten (z.B. coole Frisuren) vorweisen konnte. Dann eine Gruppe zu sehen, die sich einfach hinstellt und allem und jedem einen gigantischen Mittelfinger entgegenstreckt, war selten und einfach verdammt schön.

Das ganze Album ist eine einzige mitreißende Lo-Fi-Hymne für Menschen, die es nicht einsehen, 20 Euro oder mehr für ein Punkkonzert zu zahlen, und die sich nicht mit riesigen Absperrgittern zwischen ihnen und ihrer Lieblingsband abfinden wollen, um dann noch von beschissenen Securitys genervt zu werden. Das Album wurde der Soundtrack für meine Überzeugungen; ein Ethos, der mich daran erinnerte, warum ich überhaupt angefangen hatte, so viel Zeit mit Musik zu vergeuden. Und im Gegensatz zu Minor Threat oder anderen idealistischen Bands der Vergangenheit musste man über Against Me! nicht in irgendwelchen Büchern lesen. Sie waren etwas, das jetzt und hier stattfand. Und ich war nicht allein. Einer ganzen Generation von jungen Punkern und solchen, die es werden wollten, eröffnete die Band ganz neue Perspektiven. Plötzlich erkannten die Leute, dass es keine Plattenverträge, große Konzerthallen oder teures Equipment braucht (ganz am Anfang, als Against Me! noch eine Zweierformation waren, waren sie dafür bekannt, auf einem provisorischem Schlagzeug aus Eimern und Töpfen zu spielen). Musik zu machen, braucht gar nichts davon. Alleine der Albumtitel war schon eine Kampfansage: The rock star bullshit of the past is dead and we’re re-writing the rules. Get on board or get out of the way, mother fuckers. Mit nur elf kurzen Songs inspirierte Reinventing Axl Rose tausende neuer Bands. Um es kurz zusammenzufassen, das ist wohl das, was man unter diesem ‚Punkrock’ versteht.

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Against Me! 2002 in irgendeinem versifften Keller

Über die nächsten Jahre hinweg sollten mich Against Me! jedoch immer mehr verlieren. Nach Reinventing kam mit As The Eternal Cowboy ihr solides aber auch verhältnismäßig poliertes Nachfolgealbum. Was die Diehard-DIY-Punks aber wirklich auf die Palme brachte, war die Tatsache, dass das Album nicht mehr von den üblichen Szenelabels wie Plan-It-X oder No Idea Records veröffentlicht wurde, sondern von Fat Wreck Chords. Rückblickend eigentlich ein kleiner Schritt, aber nicht damals. Nein, damals führte das dazu, dass sich einige der militanteren Backpatchkids von ihnen abwanden. Wie ich hörte, „feierten“ einige Fans erster Stunde den Labelwechsel damit, dass sie der Band die Autoreifen aufschlitzten. Mich persönlich kümmerte die Wandlung nicht allzu sehr. Das Album hatte jetzt nicht die gleiche unbändige Energie wie Reinventing, aber es war immer noch eine ziemlich großartige Platte.

Nach Eternal Cowboy brachten Against Me! eine DVD raus, die von ihrem dritten Album, Searching for a Former Clarity, gefolgt wurde. Die DVD dokumentierte vor allem, was es heißt, eine junge und frühreife (und nebenbei extrem liebenswürdige) Band zu sein, die von verschiedenen Vertretern der Industrie (a.k.a. „The Man“) kontaktiert wird, die dreckigen Kellerlöcher verlässt und Verträge bei großen Plattenlabeln unterschreibt. „Irgendjemand sagte uns, ‚Ich gebe euch eine Million Dollar, um die nächste Platte zu machen.’ Es ist einfach nur verdammt verrückt, es ist der reine Wahnsinn. Das liegt so fernab von allem, was wir jemals als Band sein oder für das wir stehen wollten,“ sagte damals Laura Jane Grace (zu der Zeit bekannt als Tom Gabel). Dieses Statement und die gesamte Doku würden sich nur zwei Jahre später als extrem ironisch herausstellen, als die Band einen Vertrag bei Sire Records unterschrieb, einer Abteilung der Warner Music Group.

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2005 tourten Against Me! als Support für Green Day durch diverse Stadien und spielten Orte mit furchtbaren Namen wie Gillette Stadium und Meadowlands Arena. Mir fehlte nicht nur die Kohle, um mir den Eintritt leisten zu können, und das Bedürfnis Green Day beim würdelosen Altern zuzusehen, nein, ich wollte mich auch nicht davon deprimieren lassen, Songs über Anarchismus in einem riesigen Stadium zu hören, das den Namen irgendeines Konzerns trägt. Sorry, du kannst einfach nicht solche Texte schreiben wie „Our arenas are just basements and bookstores across an underground America“ und sie dann in einer sprichwörtlichen Arena singen. (Ich glaube auch nicht, dass das Meadowlands als Buchladen durchgeht, nur weil sie dort diese 30 Dollar Programme während der Footballspiele verkaufen.)

Als dann Searching veröffentlicht wurde, war ich endgültig fertig mit der Band. Sie waren für mich komplett gestorben. Manchmal, wenn Bands Sellout betreiben, entschuldigen Leute das wie folgt, „Nein, verstehst du das nicht? Das System zu infiltrieren und dann von innen heraus zu zerstören, das ist wirklicher Punkrock!“ Wenn du dir das sagen musst, damit du nachts beruhigt einschlafen kannst, dann soll mir das recht sein. Aber auf der Mikroebene—will heißen: was mich persönlich angeht—muss ich plötzlich mehr Geld für Platten und Konzertkarten blechen. Ich habe also rein gar nichts von dieser Punkrockversion des trojanischen Pferdes. Und nur, um das hier noch mal klarzustellen: Ich habe nichts gegen Bands, die bei großen Labels unterschreiben. Wenn mir jemand genug Kohle anbieten würde, damit ich meinen normalen Job aufgeben und Vollzeit als Musiker arbeiten könnte, würde ich auch sofort zuschlagen. Im Fall von Against Me! kam das allerdings wie ein heftiger Schlag ins Gesicht der ganzen Fans, die ihnen ihre Idee einer Punkrock-Utopie abgekauft hatten, in der einfach alles möglich war und wir tanzen konnten, wie wir wollten—immer mit einer Faust in die Luft gestreckt.

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Against Me! spielen einen Song, den ich nicht wiedererkenne, in einer Venue, in die ich niemals auch nur einen Fuß setzen würde.

Meine Freunde, die der Band treugeblieben waren, versuchten mir zwischendurch neuere Against Me!-Alben wie New Wave und White Crosses schmackhaft zu machen und zeigten mir hier und da ein paar Songs, die gar nicht so schlimm waren—vor allem solche wie „I Was A Teenage Anarchist“, in dem die Band ihr Verhältnis zu ihrer DIY-Vergangenheit erklärt. Weil ich aber das bin, was du eventuell als „blödes Arschloch“ bezeichnen würdest, bestand meine Reaktion lediglich darin, meine Augen zu verdrehen. Mein größtes Problem mit Against Me! war inzwischen, dass sie als Band für rein gar nichts mehr standen. Sie repräsentierten nichts und niemanden mehr, oder falls sie es doch taten, interessierte es mich einfach nicht genug, um dem Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bekam das Gefühl nicht los, dass ich von ein paar Heuchlern düpiert worden war. Aber dann passierte etwas Bemerkenswertes.

Jeder, der auch nur irgendwie am Rande das Musikgeschäft mitverfolgt, kennt diesen Teil der Geschichte: 2012 erschien im Rolling Stone ein Artikel mit der Überschrift „The Secret Life of Transgender Rocker Tom Gabel“, in dem angekündigt wurde, dass der Against Me!-Gründer Tom Gabel zukünftig unter dem Namen Laura Jane Grace als Frau leben wird. Mit einem Schlag zählten die ganzen alten Fehltritte von Against Me! nichts mehr—der Sellout, die Abkehr vom Anarchismus, die fragwürdigen Sire Records-Veröffentlichungen—nichts davon interessierte noch jemanden. Diese eine Sache würde für immer der prägendste Moment in der Bandgeschichte sein.

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Egal, ob Fan oder nicht, brauche ich Lauras Musik nicht zu mögen, um anzuerkennen, dass das Outing als Transgender in einer oft sehr intoleranten Musikszene das Mutigste ist, was jemand innerhalb der letzten zehn Jahre Punkrock gebracht hat. Da wir uns hier im Internet befinden und das flüchtige Überfliegen eines Artikels für die meisten Menschen Anlass genug ist, sich mit ihren Blog-und Twitteraccounts einzuloggen, um wie desinformierte Geistesgestörte alles mit Hasstiraden vollzuspammen, werde ich den folgenden Satz fünf mal wiederholen:

Ich unterstütze Laura und ihre Entscheidung zu 150% und erkenne an, dass sie ungefähr neun Millionen Mal mehr Punkrock ist, als ich es je sein werde.

Ich unterstütze Laura und ihre Entscheidung zu 150% und erkenne an, dass sie ungefähr neun Millionen Mal mehr Punkrock ist, als ich es je sein werde.

Ich unterstütze Laura und ihre Entscheidung zu 150% und erkenne an, dass sie ungefähr neun Millionen Mal mehr Punkrock ist, als ich es je sein werde.

Ich unterstütze Laura und ihre Entscheidung zu 150% und erkenne an, dass sie ungefähr neun Millionen Mal mehr Punkrock ist, als ich es je sein werde.

Ich unterstütze Laura und ihre Entscheidung zu 150% und erkenne an, dass sie ungefähr neun Millionen Mal mehr Punkrock ist, als ich es je sein werde.

Und hier noch mal für alle in Großbuchstaben: ICH UNTERSTÜTZE LAURA UND IHRE ENTSCHEIDUNG ZU 150% UND ERKENNE AN, DASS SIE UNGEFÄHR NEUN MILLIONEN MAL MEHR PUNKROCK IST, ALS ICH ES JE SEIN WERDE.

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Wie auch immer, nur weil ich sie mutig finde und sie wirklich zutiefst bewundere, heißt das noch lange nicht, dass ich automatisch auch meine Meinung zu ihrer Musik geändert habe. Ich ging fest davon aus, dass Against Me!-Platten mich auch weiterhin nicht interessieren werden. Letztes Jahr wurde ich dann aber zu Lauras Solokonzert in New York mitgeschleift. Da ich sie seit über zehn Jahren nicht mehr live gesehen hatte, war ich mir unsicher, was für ein Publikum einen dort erwarten würde und, alter, mit einer Kariere, die so viele große Veränderungen vollzogen hatte, war der Laden voll mit den unterschiedlichsten Menschen. Es gab eine Handvoll älterer, bärtiger, arroganter Typen wie mich, die mit verschränkten Armen in den hinteren Reihen standen, eine Menge wirklich enthusiastischer junger Frauen und zu meiner Verwunderung einige kleine Gruppen mit College-Wichsern, die immer wieder „Freeeeebird!“ riefen (Ich habe keine Ahnung, an welchem Punkt diese Typen zu den AM!-Fans gestoßen sind, aber hier waren sie, in all ihrer Abercrombie-Pracht). Die bemerkenswerteste Zuschauergruppe war jedoch die große Gruppe sehr stolzer und sehr offensiver Transgender—was wirklich großartig war. Zwischen den Songs riefen sie Laura Sachen zu wie „Du bist wunderschön!“ und „Du machst das super, Mädchen!“, was sich zwar wie das schlimmste Klischee und total abgedroschen anhört, aber während des Konzerts war es natürlich, ehrlich und wirklich inspirierend.

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Laura spielte viele Songs von dem damals noch nicht veröffentlichten Against Me!-Album Transgender Dysphoria Blues, ein Album, von dem ich ausging, dass es mich genauso langweilen würde, wie die letzten beiden Veröffentlichungen. Aber das tat es nicht. Musikalisch ist das Album im Verhältnis zu dem, was die Band in den letzten zehn Jahren gemacht hat, eine riesiger Schritt nach vorne. Textlich geht es in den meisten Songs um Lauras Gender-Dysphorie und ihr neues Leben als Frau. Als heterosexueller weißer Mann in Amerika brauche ich mich nicht mit Transgender-Dysphorie rumzuschlagen. Ich muss mich nur über nutzlose Sportstatistiken auf dem Laufenden halten und darüber, welcher Typ letztens welchen anderen Typen bei diesem MMA-Ding am krassesten verprügelt hat. Ich identifiziere mich also nicht mit so vielen Aspekten des Albums, wie ich es noch bei Reinventing Axl Rose getan habe, aber ich weiß es trotzdem als grundehrlichen und passionierten Ausdruck des Gefühlslebens einer Person zu schätzen und das lässt es zu einer wirklich intimen Erfahrung werden.

Als ich Lauras neue Transgender-Fans im Publikum betrachtete, sah ich etwas in ihnen. Es war das Gleiche, was ich in mir mit 19 sah. Against Me! bedeutet ihnen etwas. Und obwohl ich mich mit der Band nicht mehr unbedingt so sehr identifizierte, wie ich es einmal getan habe, bin ich am Ende wirklich froh darüber, dass sie jetzt wieder anderen Menschen etwas bedeuten. Ich bin froh darüber, dass sie Menschen den Mut geben, sich in ihrer eigenen Haut wohlzufühlen. Ich bin froh darüber, dass sie Leute wieder anspornen, selber etwas zu kreieren. Ich bin froh darüber, dass Against Me! es immer noch schaffen, Menschen Feuer unterm Hintern zu machen. Kurz und knapp, ich bin froh darüber, dass sie, getreu ihrem Titel Reinventing Axl Rose, Rockmusik weiterhin hinterfragen und auf den Kopf stellen.

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Als es darum ging, Pflastersteine durch die Scheiben eines Starbucks zu werfen, ließen Against Me! Dan Ozzi sitzen. Folge ihm auf Twitter—@danozzi

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