FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Wie du deiner Familie an Weihnachten Deutschrap 2015 erklärst

Weihnachten: Die perfekte Zeit, Oma und Co. zu erklären, was Xatar, Cloudrap und Punchlines sind.

„Arbeitest du immer noch mit diesem Internet?“ Den Familienmitgliedern über 40 zu erklären, was der Beruf eines Online-Journalisten ist, ist manchmal nicht einfach. Noch weniger einfach ist es, wenn die Inhalte, mit denen man sich in seinen mysteriösen, digitalen Artikeln beschäftigt, hauptsächlich mit Deutschrap zu tun haben.

Wenn man zur Weihnachtszeit nun aber mit all seinen näheren und entfernteren Verwandten plötzlich wieder Knie an Knie am Esstisch zusammenpfercht ist, entkommt man leider nicht der unvermeidbaren Frage: „Und was machst du jetzt so?“ Es gibt wohl kaum eine Lebenslage, in der man auf diese Frage lieber mit etwas anderem, als einer Ohrfeige antworten möchte. Aber macht euch nichts draus: Sei es euer sinnloses Studium, euer nicht vorhandenes Liebesleben oder zweifelhafte persönliche Entscheidungen—eure Familie wird eine Schwachstelle finden, auch wenn euer Leben noch so super ist, um für das nötige Unwohlsein während der Feiertage zu sorgen.

Anzeige

Da Widerstand also eh zwecklos und Ohrfeigen keine schöne Form der Kommunikation sind, kann man auch gleich die Chance ergreifen und seinen lieben Verwandten tatsächlich versuchen zu erklären, was einen beschäftigt und wie die kleine Welt innerhalb der eigenen gläsernen Schneekugel aussieht.

2015 war ein bewegtes Jahr für Deutschrap. Bei all den News und dem eigenen löchrigen Erinnerungsvermögen, ist es also wichtig, sich auf die großen Themen, die Deutschrap im Jahr 2015 beschäftigten, zu konzentrieren, um die Verwandschaft nicht zu überfordern.

So wollen auch wir versuchen, der Familie die kleine Welt des Deutschrap zu erklären, wo—um beim Bild der Schneekugel zu bleiben—es Kokain, statt Schnee rieselt und der Weihnachtsmann nicht mit verbalen, sondern tatsächlichen drei Hoes aus Fleisch und Blut durch die Tür gelaufen kommt. „Rap? Das ist doch alles total frauenfeindliches Macho-Getue.“
Also es gibt ja inzwischen auch die ein oder andere Rapperin, die im Deutschrap die Frauenquote etwas aufbessert. Schwesta Ewa zum Beispiel:

„Das ist ja genau das Gleiche wie bei den Männern. Warum hat sie denn halbnackte Frauen in ihrem Video?“
Warum nicht? Warum sollte eine Frau nicht auch in Ferraris sitzen, Blunts rauchen und nackte Frauen befummeln dürfen? Klar sind das alles Reproduktionen männlicher Klischeebilder. Man kann es aber auch als weibliche Selbstermächtigung betrachten.

„Hat sie sich gerade selber ‚Nutte‘ genannt? Moment—wie heißt das Album???“
Es ist interssant, dass ihr euch so an der Rotlicht-Thematik aufhängt. Ewa war einmal Prostutierte. Jetzt ist sie es nicht mehr, sondern rappt unter anderem darüber. Aber ist es nicht schade, dass ihr—eben genau wie große Teile der Deutschrapszene—sie dennoch in erster Linie als Nutte wahrnehmt, statt als Rapperin? Einer ziemlich guten sogar?

Anzeige

„Vielleicht würde es helfen, wenn sie sich nicht die ganze Zeit selbst als ‚Nutte‘ bezeichnen würde.“
Tut sie das denn? Und selbst wenn, ist doch auch das ein Instrument der Selbstermächtigung. Warum nennen sich Türken und Araber heute selber Kanacken? Das ist doch auch eigentlich ein Schimpfwort, dem sie jedoch die Macht entziehen, indem sie es sich einfach selbst aneignen. Aprospos Araber: Habt ihr schon mal was von Xatar gehört?

„War der nicht auf der Frankfurter Buchmesse?“
Genau. Der ist übrigens sowas wie der Chef von Schwesta Ewa. Gefällt euch das besser?

„Der sagt ‚Schnucki‘. Das ist doch mal 'ne nette Abwechslung. Ist das ein netter?“
Das weiß ich nicht, aber wenn ihr mit „nett“ meint, ob er eine weiße Weste hat, dann eher nicht. Aber dennoch hat Xatar es geschafft, innerhalb von einem Jahr aus dem Gefängnis zu kommen, eines der beliebtesten Deutschrapalben des Jahres zu machen und seine Biografie zu schreiben.

„Was hat es mit dem Mantel auf sich?“
Xatar trägt eben Mantel. Er ist der Chef und nur die Chefs tragen Mantel.

„Wie der Weihnachtsmann!“
Ja genau. Doch weg von den Männern hin zu einem Boy, der dieses Jahr für sehr viel Aufsehen gesorgt hat: Money Boy.

„Ist das ein Scherz?“
Das ist die Hamlet-Frage, die sich HipHop-Philosophen stellen, seit Money Boy sein erstes Lied veröffentlichte. Aber ob ihr's glaubt oder nicht, Money Boy ist momentan einer der beliebtesten und meist diskutiertesten Rapper in Deutschland. Er bringt im Jahr um die 15 Mixtapes raus und hat einen der beliebtesten Twitter-Accounts.

Anzeige

„Warum verschüttet er sein Fanta bei den anderen auf der Bühne?“
Weil Money Boy ein bisschen wie unser Cousin Pauli ist: Wenn er keine Aufmerksamkeit kriegt, stellt er eben irgendetwas an, um welche zu kriegen. Manche finden das lustig, andere nicht so. Im Frühjahr wurde Money Boy für einige Tweets angefeindet, in denen er sich über den Absturz des German Wings-Flugzeugs lustig gemacht hat.

ich finde es nicht ganz korrekt das die Kanzlerin Merkel die verstorbenen German Wings passagiere zusätzlich noch als "Opfer" beleidigen tut

— Money Boy (@therealmoneyboy) March 24, 2015

„Glaubst du, Money Boy hat auch ADS?“
Bestimmt. Aber haben das nicht die Besten? Deutschlands Provokateur Nr.1 Bushido hatte dieses Jahr übrigens auch mal wieder zugeschlagen. Nach dem Terroranschlag auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo postete er ein Bild von sich, wiem er einen Pullover mit dem Schriftzug „Paris“ trug und schrieb dazu: „Bald gehts wieder rund…“

A photo posted by Anis Ferchichi (@bush1do) on Jan 8, 2015 at 11:17am PST

„Also Money Boys sehr schwarzen Humor kann man jetzt lustig finden oder nicht—aber den Witz bei dem Bild versteh ich wirklich nicht.“
Das haben die wenigsten. Bushido meinte selbst, dass keinerlei Botschaft hinter dem Post gesteckt habe und es blanker Zufall war, dass er ausgerechnet einen Pullover anhatte, auf dem „Paris“ stand, als er sein neues Album promoten wollte. Ein ehemaliger Kollege von Bushido, Bass Sultan Hengzt, hat dieses Jahr auch in den sozialen Medien provoziert. Jedoch mit einer ganz anderen Botschaft als Bushido oder Money Boy.

Anzeige

Hier die Premium Edition MUSIK WEGEN WEIBAZ pic.twitter.com/o3IV5jnQLQ

— BASS SULTAN HENGZT (@Sultanhengzt) February 22, 2015

„Oh, das kam unerwartet. “
Ihr müsst wissen, dass Buss Sultan Hengzt sich im Laufe der Zeit musikalisch sehr verändert hat. Früher hat er um viel „härtere“ Musik gemacht als heute. Die Wandlung hin zum Unterstützer von Homosexuellen kam also vor allem für seine Fans aus alten Tagen überraschend, die natürlich—was uns hingegen gar nicht überrascht—äußerst ekelhaft und homophob auf das Cover reagierten.

„Ich glaube, ich habe das auch auf Spiegel Online gesehen.“
Eine definitive Bestätigung, dass HipHop nun auch im Feuilleton angekommen ist, was dieses Jahr auch ein Riesenthema war. Schon Ende 2014 ging das los, als Haftbefehl von der Zeit zum „deutschen Dichter der Stunde“ erklärt wurde, Zugezogen Maskulin dann im Frühling zum „schlechten Gewissen“ des Deutschrap und wer K.I.Z. nicht mag, ist halt auch echt selber schuld.

„Findet man das jetzt gut oder schlecht?“
Es kommt drauf an. Es ist logisch, dass es passiert, weil Deutschrap in diesem Jahr so erfolgreich, wie nie zuvor war. Die ersten Plätze der Charts wurden fast durchgehend von Deutschrappern belegt, die Verkaufzahlen schießen wieder in die Höhe. HipHop ist DIE dominierende Jugendkultur im Moment. Dass „das“ ist also gut, das „wie“ ist eher manchmal das Problem. Ein gutes Beispiel dafür ist Jan Böhmermann, den kennt ihr vom ZDF. Der hat vor kurzem ein Video veröffentlicht, in dem er den Frankfurter Rapper Haftbefehl persifliert.

Anzeige

„Darf man das nicht?“
Natürlich darf man das. Nur ist halt nicht jeder Komiker lustig, nicht jede Satire gelungen und nicht jede Kritik berechtigt. Es gibt eben Mario Barts und Helge Schneiders auf diesem Planeten. Das Problem ist, wie bereits erwähnt, das „wie“ und nicht das „das“. Was Jan Böhmermann in seinem Video betreibt, ist eigentlich nichts anderes als Blackfacing, nur dass eben keine Schwarzen, sondern Migranten aus der Unterschicht verspottet werden und wie mein Kollege Marcus Staiger sagte, „die Arroganz einer Gesellschaft, die das schon ganz in Ordnung findet, dass es Gewinner und Verlierer gibt“, entarnt wird.

„Das ist natürlich sehr schwere Kost. Muss bei Rap denn immer alles so bierernst sein?“
Das ist auch eine ernste Angelegenheit, okay? Nee Quatsch, ist es doch gar nicht. Die gefeierten Idole aus den Feuilletons besitzen alle eine gesunde Portion Selbstironie und Money Boy ist ja wohl der ultimative Beweis, dass Deutschrap Humor hat! Apropos: Um Money Boy herum versammelt sich nicht nur eine Wolke minderjähriger Supporter, sondern auch junger RapTalente—die haben sogar ein neues Genre etabliert: deutschen Cloudrap.

„Ja gut, da stellt sich jetzt wieder die Frage, ob das jetzt ernst gemeint ist oder nicht. Das ist ja sowas von inhaltslos.“
Es gibt auch innerhalb der HipHop-Szene erhitze Debatten darüber, ob Cloudrap nun der Untergang des Abendlandes für Deutschrap ist. So Stichworte wie „Punchlines“ und „Realness“ vermissen nämlich einige eingefleischte HipHop-Fans bei den Clourappern. Andererseits: Turn Up!

Anzeige

„Was heißt das?“
Naja, man muss vielleicht auch Cloudrap einfach als das akzeptieren, was er ist und ihm nicht irgendwelche HipHop-Regeln aufstülpen. Da geht es eben mehr um eine Ästhetik, als eine aufwändige Reimstruktur und Storytelling.

„Und die HipHop-Urgesteine regen sich jetzt darüber auf?“
Oder lösen sich auf. Wie Blumentopf.

„Wer?“
Ach, ist auch nicht so wichtig. Kann ich mal das Salz haben?

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.