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Machen Major Labels den Record Store Day kaputt?

Dass Major Labels auf den RSD aufspringen ist klar und verständlich. Aber tun sie ihm damit auch gut?

Foto: Laura Lynn Photography

Die folgende Geschichte beginnt mit einem Gerücht, geht weiter mit einer Enttäuschung und endet mit einem Kaffee. Aber alles der Reihe nach.

Anfang der Woche hörte ich über zwei Ecken, dass der Besitzer eines Plattenladens in Wien nicht besonders gut auf den Record Store Day zu sprechen sei. Beziehungsweise auf das, was aus ihm geworden ist. Nach ein paar Mails versprach er mir einen Gastkommentar. Nachdem das eine Szene ist, die man normalerweise ja nur vor dem Ladentisch erlebt, war ich ziemlich aus dem Häuschen.

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Einen Tag später kam die Absage. Ich war enttäuscht, es war aber letztlich eh verständlich: Die Szenen sind klein, wir müssen alle überleben, und ein Kommentar ist es nicht wert es sich mit wichtigen Geschäftspartnern zu verscherzen. Ich gab aber nicht auf. Wiederum gingen einige Mails hin und her. Einen Tag später sitze ich mit den Ladenbesitzern bei Kaffee und Zigaretten in der Küche. Das ist das Protokoll dieses Gesprächs.

„Der Record Store Day wurde 2008 das erste Mal gefeiert und kam 2010 nach Österreich. Am Anfang entsprach er auch noch dem, wofür wir stehen und was wir lieben: eine Independent-Plattenkultur. Die Läden haben Getränke ausgeschenkt, die Menschen haben schöne Releases ihrer Lieblingsbands gekauft und den Plattenladen als Ort gefeiert, wo sich Menschen treffen, quatschen und sich neue Musik anhören. Er ist dann in den Folgejahren immer größer geworden. Leider ist dadurch das ganze Indie-Fantum hinter dem Record Store Day kaputt gegangen. Heuer gibt es knapp 700 spezielle Releases für diese Tag. Das kann man als Fan nicht überblicken und als Laden nicht bestellen.

Wir jammern hier übrigens relativ zwiespältig: Wir beschweren uns als Fans, nicht als Ladenbesitzer. Der Record Store Day letztes Jahr war Umsatz-technisch der beste Tag in unserer Geschichte. Es kommen Leute, die sonst nie kommen. Aber auch das ist zweischneidig: Wir freuen uns natürlich, wenn der ACDC-Fanclub Österreich kommt und die sich wie kleine Kinder freuen, weil sie eine bestimmte Single kriegen. Oder das Pärchen aus Mistelbach wegen einer 12’’ den Weg auf sich nimmt. Es ist schön, wenn uns neue Leute besuchen. Es wäre nur schön, wenn die danach auch wiederkommen würden und nicht wieder bei Amazon oder Saturn einkaufen würden.

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Dieses Foto ist von Matthias Heschl, ist aber ein Symbolfoto und entstand nicht am Tag, geschweige denn am Ort des Gesprächs.

Früher ging es beim Record Store Day um den Independent-Plattenladen. Mittlerweile ist er leider ein Marketing-Instrument geworden. Schuld daran sind unserer Meinung nach schon die Major Labels, die im Zuge des Vinyl-Booms gemerkt haben, dass sie damit Geld machen können. Deshalb bringen sie nicht nur die neue Alben auf Platte heraus, sondern kramen auch in ihren Archiven, wo immer noch irgendeine Aufnahme schlummert, die meistens eigentlich eh niemand braucht. Wenn man sich ein bisschen auskennt, merkt man das leider auch den Releases. So richtig spezielles ist nur noch wenig dabei. Wenn wir aber gerade schon auf die Majors schimpfen, wollen wir mal ein Positivbeispiel herausheben: Warner macht zu jedem Record Store Day farbige Split-Singles mit Indie-Bands, die Hits oder sich gegenseitig covern. Für sowas ist der der Tag eigentlich geboren worden. Es werden aber leider immer mehr Reissues, die teuer beworben und verkauft werden. Man bekommt Platten, auf denen steht „Limitiert auf 7500 Stück“, was natürlich völlig lächerlich ist.

Auch sonst haben die Majors im Verbund mit den großen Vertrieben den Gedanken des Record Store Day in den letzten Jahren immer mehr verwaschen. Eigentlich sollten diese Ware ja nur Indie-Plattenläden bekommen. Aber die Majors pressen zuviel und haben dann Ware übrig—was klar ist, weil sich kein Laden 20 Fleetwood Mac-Platten für 50 Euro ins Regal stellen will, die es um 2 Euro auf dem Flohmarkt gibt. Deshalb gibt es bei manchen Vertrieben eine „Schonfrist“ von drei oder vier Wochen, nach der sie die Ware dann auch in jeden Media Markt oder Saturn reinstellen. So ein Riesen-Konzern hat natürlich auch eine ganz andere Preispolitik. Der normale Konsument weiß von den Dingen im Hintergrund natürlich nichts und sieht nur, dass er eine bei uns gekaufte Platte ein paar Wochen später woanders billiger bekommt. Der denkt sich dann: „Ihr Wichser!“ Ich glaube in Deutschland gab es das nicht, aber bei uns wurde das klassisch österreichisch geregelt: „Ist noch was da? Gebt es halt in den Saturn.“ Es hat auch Fälle gegeben, bei denen große Reissues zum Record Store Day herausgebracht wurden und anderthalb Monate später in den normalen Vertrieb kamen. Ohne Hinweis auf den speziellen Tag, der Sticker „Exklusiv zum RSD“ war allerdings noch drauf.

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Dieses Foto ist von Matthias Heschl, ist aber ein Symbolfoto und entstand nicht am Tag, geschweige denn am Ort des Gesprächs.

Was viele gar nicht wissen: Es gibt in Deutschland einen offiziellen Koordinator für den Record Store Day. Wir sehen das als Teil des Problems. Diese Person ist offiziell eingesetzt und hat ein Marketing-Budget. Von wem er das bekommt weiß man nicht genau. Aber wir haben Promo-Material zugeschickt bekommen auf dem stand: „Record Store Day—der Tag der unabhängigen Plattenläden. Gesponsert von Universal, Warner und Jever“. Du kannst dir vorstellen, wohin das Material bei uns gewandert ist. Grundsätzlich haben wir gar nichts dagegen, dass eine Person das Ganze koordiniert, solange er Ahnung von der Szene hat. In England hat der Koordinator früher den Rough Trade-Laden geleitet. Der Koordinator für Deutschland (der macht Österreich so ein bisschen mit) hat im März eine Liste mit den speziellen Releases herumgeschickt. Die unabhängigen Plattenläden, die es noch gibt und die mitmachen, brauchen aber weder diese Listen und den Koordinator. Die machen das schon länger und wissen wo sie ihr Zeug herbekommen. Die schauen nicht auf das Mail und sagen „Was, diesen Vertrieb gibt es auch?“

Aktuell muss man sich als Laden nur registrieren und sich verpflichten, das Material nicht vorher zu verkaufen. Ab nächstes Jahr soll dann eine „Marketingumlage“ eingehoben werden. Die wird nicht hoch sein, aber es geht uns da ums Prinzip: Warum sollen wir für die Arbeit zahlen, die wir täglich machen? Das hat nicht mehr viel mit dem Record Store Day zu tun, wie wir ihn uns vorstellen. Hinzu kommt: Normalerweise kann man Ware, die man nicht verkauft, retournieren. Bei der speziellen Record Store Day-Ware geht das nicht. Das ist natürlich ein Risiko, weil wir ja alles vorfinanzieren müssen.

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In England geht die Debatte schon in die Richtung, dass sich der Record Store Day reformieren muss. Ein großer Elektronic-Vertrieb hat sich in einem offenen Brief schon fürchterlich darüber aufgeregt, dass die Plattenpresswerke vollgestopft werden. Einfach ausgedrückt: Die Majors pressen im Vorfeld des Record Store Day in so hohen Stückzahlen, dass man sich als kleines Label mit einer 500er Maxi ein, zwei Monate hinten anstellen muss. Auch der englische Record Store Day-Beauftragte hat in einem Interview gesagt, dass sich etwas ändern muss. Wir hoffen das. Denn grundsätzlich ist das Ganze natürlich eine wunderbare Sache.“

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