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Welcher Song ist deine U-Bahn-Linie? Berlin Edition.

Morgens bringt sie dich zur Arbeit, abends in den Club, früh nach Hause und wenn du Pech hast, fährst du tagelang im Kreis. Also: Ring. Eine musikalische Ode ans Berliner U-Bahnnetz.

Die U-Bahn ist der erbarmungslose Spiegel unserer Gesellschaft. Sie transportiert die schamlose Wahrheit von A nach B: Leute, die nach dem Fitnessstudio nicht geduscht haben; Halbstarke, die cool auf den Boden spucken; Leute, die Sexspielzeug (einen sadistischen Schwanzring oder dem Anusspreizer) in diesen auffällig/unauffälligen Beuteln unertappt nach Hause bringen wollen. Oder das Schlimmste: Kontrolleure. Aber jede Linie ist anders, jede Linie repräsentiert andere Stadtteile, andere Stadtteilbewohner, andere Lebensstile und dadurch auch andere Musik.

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U1—Die Atzen: „Party (Ich will abgehn)“

In kleineren Städten gibt es sogenannte Kneipenmeilen, in denen sich alles sammelt, wo man sich einen Rausch holen kann. In Berlin gibt es dagegen eine ganze Kneipen-Club-und-Konzertlocation-U-Bahn-Linie. Die U1 kann aus keinem anderen Grund gebaut worden sein, als alles Rauschhafte zwischen Warschauer Straße und Ku-Damm möglichst unkompliziert miteinander zu verbinden: Watergate, Magnet, Binuu, Lido, alles am Kotti, vier Millionen Kneipen auf dem Weg, jede Menge Locations, die ich gerade vergesse oder die mir egal sind, und am Ende stehst du an der Schlange zum Q-Dorf. Herzlichen Glückwunsch. Zum Glück hast du ja bereits den richtigen Soundtrack.

U8—Die Kassierer: „Das Schlimmste Ist, Wenn Das Bier Alle Ist“

Ach, liebe U8, du bist ein ständiger Begleiter, wie ein lästiger, langjähriger Bekannter, den man irgendwie mag, aber ungern jeden Tag trifft. Weil er seit 1993 im Grunde nichts anderes macht, als zu viel zu saufen, sich selten zu waschen und dich ständig anzuschnorren („Kippe?“, „Euro?“). Sein Köter sabbert dich voll, seine Freunde grölen rum und seine U-Bahn-Tickets sind gefälscht. Aber hey, der Typ ist eine ehrliche Haut, hat noch nie irgendwem was getan und ist im Zweifel für dich da. Er hat die richtige politische Einstellung (Anarchie) und ist ein Teil deiner Jugend (als Vorbild), genau wie deiner Gegenwart (als Warnung). Außerdem gibt es echt Schlimmeres als die U8—zum Beispiel, wenn das Bier alle ist.

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U2—Der Tourist: „Supergeil“

Die U2 ist nur für einen Zweck gebaut: Menschen, die nur zu Gast sind, zu zeigen, dass Berlin schön ist. Beziehungsweise vorzugaukeln, dass Berlin schön ist. U2: Tourilinie, Lügenlinie. Beginnen wir unsere Reise im vom wunderbaren Altbauten geschmückten Prenzl-Berg, wo die Straßen gefegt werden, keine Sofas und Fernseher auf dem Bürgersteig rumliegen, Fixerbesteck ein Fremdwort ist und Menschen fünf Kinder bekommen, die alle schon im Kindergarten eine Eins in Chinesisch haben. Wir passieren den Alexanderplatz, damit der Tourist mal sieht, wie leer eine Innenstadt von innen aussehen kann, dann via Spittelmarkt und Stadtmitte durch eine Gegend, die echte Berliner nur vom Hörensagen kennen. Wir fahren weiter zum Potsdamer Platz, spätestens hier schneiden sich Einheimische in der Bahn die Pulsadern auf. Doch für den Touristen befinden wir uns im perfekten Ausgehparadies. Aber Moment, es geht ja noch weiter, nämlich Richtung Ku'damm, shoppen! Damit das Bild auch wirklich perfekt abgerundet wird, endet die U2 am guten, alten Olympiastadion. Es ist, als hätte man alle Sehenswürdigkeiten eigens an diese Linie gebaut. Wie würde Friedrich Liechtenstein sagen: „Supergeil“. Apropos Liechtenstein: Der lebt übrigens auch an der U2, Station Rosa-Luxemburg-Platz.

U7—Marteria: „Verstrahlt“

Du bist jung, hip und cool, du scheißt auf Konventionen wie feste Arbeitszeiten, verwirklichst dich in Kunstprojekten und lebst vom Geld deiner Eltern, du gehst donnerstags aus und kommst erst montags wieder heim, du bist verstrahlt, verstrahlt, verstrahlt und behauptest, dass hätte überhaupt nichts mit den Pillchen oder dem Pülverchen zu tun, dass du dir heimlich auf der Toilette ziehst, du kommst aus Neukölln, dabei kommst du eigentlich aus Göttingen, du demonstrierst gegen Gentrifizierung, dabei hast du dich als erstes in einem Kiez breitgemacht, in dem du eigentlich überhaupt nichts verloren hast, und du ernährst dich vegan und hasst Menschen, die echte Kuhmilch im nicht biologisch korrekten Fairkaffee trinken? Willkommen im Club, Brudi, lass uns U7 fahren!

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U6—Beatsteaks: „I Don't Care As Long As We Sing“

Du sagst, die U8 ist Punk? Du sagst, die U7 ist jung, hip und verdrogt? Du sagst, ich bin zu alt für eure Bahn? Du sagst, die U6 ist tot? Fick dich, Mann. Ich bin schon U7 gefahren, da gab es dich noch gar nicht. Und wenn dann hättest du dich niemals da rein getraut, zu den harten Jungs, die du jetzt aus Neukölln gentrifizierst. Und die U8? Ich war die U8, Mann, jahrelang, Bier, Pisse, Schnorren, Köter. Rauchen in der Bahn, Kotzen in der Bahn. Dann bin ich reifer geworden, älter, erwachsener. Größer. Jetzt fahr ich U6, weil ich mit der U6 aus Kreuzberg bis Mitte komme, wo ich arbeite und Geld verdiene. Genau wie mit der U8, aber stilvoller. Weißt du, was ich meine? Ich fülle Stadien, während du noch immer im Jugendclub hängst. Also, piss du mich nicht an.

U5—Coldplay: „Fix You“

Natürlich hörst du Coldplay, du gibst es nur nicht zu. Jeder hört Coldplay, hätte diese Band mit ihrem letzten Album sonst diverse iTunes-Rekorde gebrochen und im Jahr 2011/12 (Krise!!) Millionen Kopien verkauft? Im Grunde ist es mit der U5 genauso, niemand gibt zu, dass er sie nimmt, aber sie ist immer proppenvoll. Und wenn dich einer sieht, hast du immer irgendeine bescheuerte Ausrede parat—„Shit, bin ich in der U5? Ich wollte eigentlich die U2 nehmen!“—oder du machst einen auf megacool: „Ich hasse die U5, aber ich habe nun mal einen Termin in F-Hain, was soll ich machen..?“ Tja, Freundchen, kauf dir halt ein scheiß Fahrrad, wenn du nicht in der U5 gesehen werden willst, ehrlich.

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U3—Queen: „I want to break free“

Na, wer von euch ist jemals mit der U3 gefahren? Ich persönlich ja nie. Ich hatte auch nie das Verlangen, nicht mal Neugierde, wirklich. Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht im geringsten U3-o-phob, ich habe überhaupt nichts gegen Leute, die U3 fahren. Im Gegenteil: Ein paar meiner besten Freunde fahren regelmäßig U3 und das sind die besten Menschen, die man sich vorstellen kann. U3 rocks. Außerdem sehen die Leute in der U3 gut aus, riechen erheblich angenehmer als jeder U7- oder U8-Passagier und haben mehr Geld. Positive discrimination, zugegeben, aber Klischees haben wie Legenden immer einen wahren Kern.

U55—Autechre: „Gantz Graf“

Natürlich gibt es die U55. Doch, wirklich. Gut, sie verkehrt nur zwischen drei Stationen, ist für die Infrastruktur von Berlin vollkommen irrelevant und faktisch fährt niemals freiwillig jemand auf dieser Linie. Warum auch? Aber jeder, wirklich jeder behauptet es. Die Politik ist von der gesellschaftlichen Relevanz überzeugt und buttert gnadenlos Subventionen in den (Aus-) Bau, die BVG sieht es als Prestige-Objekt, Sammler horten in der U55-only-Station „Bundestag“ gestempelte Tickets und die ganz angesagten Trendsetter behaupten, dass sie jeden Tag mit der U55 zur Arbeit fahren, was natürlich nicht stimmt, weil sie in Wahrheit die U5 nehmen, aber das niemals zugeben würden.

U9—Ton Steine Scherben: „Macht Kaputt Was Euch Kaputt Macht“

Die U9 ist das Bahn gewordene Westberlin, vom Wedding über Westhafen und Bahnhof Zoo zum Ku'damm und von da weiter über den Bundesplatz nach Steglitz. Wenn du die U9 nimmst, merkst du gar nicht, dass es die Mauer nicht mehr gibt, es ist behaglich warm und mufft nach Westberlin. Es schmeckt nach Steine werfen und Protest, nach besetzten Häusern und Freiheit. Dann steigst du aus und stehst in Westberlin 2014—mach kaputt, was dich kaputt macht.

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Ringbahn: Sugababes: „Round Round“

Jaja, ick weeß, ich weeß, dit is jar keene U-Bahn. Dit is ne ESSS-Bahn. Fährt immer im Kreis, und wenn du deine Station verpasst, bleibste einfach sitzen. Kommt wieder. Soll Leute geben, die ein ums andere Wochenende auf die Art verbracht haben. Von wegen ich war von Freitag bis Montag im Berghain—ich war von Freitag bis Montag in der S42, Alter! Schön mit der Kanne Sterni am Hals rum, rum, rum, immer im Kreis. Ganze Stadt gesehen.

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