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Welcher Song ist deine U-Bahn-Linie? Hamburg Edition.

Die Hamburger U-Bahn-Edition verlangt natürlich nach Songs der Hamburger Schule.

Die U-Bahn ist der erbarmungslose Spiegel unserer Gesellschaft. Sie transportiert die schamlose Wahrheit von A nach B: Leute, die nach dem Fitnessstudio nicht geduscht haben; Halbstarke, die cool auf den Boden spucken; Leute, die Sexspielzeug (einen sadistischen Schwanzring oder dem Anusspreizer) in diesen auffällig/unauffälligen Beuteln unertappt nach Hause bringen wollen. Oder das Schlimmste: Kontrolleure. Aber jede Linie ist anders, jede Linie repräsentiert andere Stadtteile, andere Stadtteilbewohner, andere Lebensstile und dadurch auch andere Musik.

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Die U-Bahn-Linien von Berlin und München haben wir bereits zugeteilt, heute ist es Zeit für Hamburg. Und da Hamburg, obwohl es so gern den Anspruch erhebt, eine echte Weltstadt zu sein, nicht mehr als dreieinhalb poplige U-Bahn-Linien zu bieten hat, haben wir uns erlaubt, auch die S-Bahn miteinzuschließen. Was die Stadt an U-Bahn-Vielfalt vermissen lässt, macht sie dafür in puncto Musik wieder gut, weshalb wir euch in dieser Folge ausschließlich Songs von Hamburger Künstlern präsentieren.

U1—Fraktus: „All die armen Menschen“

Die U1 darf sich rühmen, die längste U-Bahnlinie Deutschlands zu sein. Doch das allein ist noch kein Grund zur Freude, da die 55 Kilometer lange Strecke vor allem eins bietet: norddeutsche Tristesse. Menschen, die U1 fahren, wurden von Fortuna mit keinem glücklichen Schicksal beschenkt, denn abgesehen von der Innenstadt hält sie ausschließlich dort, wo eigentlich kein Mensch jemals hin will, und beweist somit, dass man sich auch in einer Metropole wie Hamburg fühlen kann, als lebe man in der tiefsten, grauen Provinz. Das lange Elend führt vom tristen Norderstedt (wo Uwe Seeler wohnt) über Ochsenzoll (wo die Klapse ist) und Ohlsdorf (wo der große Friedhof ist) wahlweise nach Ohlstedt oder Volksdorf (wo schließlich gar nichts mehr ist).

U2—Blumfeld: „Tausend Tränen tief“

Ja, werden die treuen Fans der verunglimpften U1 jetzt sagen, die U2 ist auch nicht viel besser. Aber ich werde sagen: Die U2 bedient zwar genauso triste Vorstadt-Bahnhöfe wie ihre trostlose Schwesternlinie, aber sie hält zumindest bei Hagenbecks Tierpark. Außerdem ist sie nicht so lang. Dafür aber tief. Tiefer und tiefer fährt man auf den Rolltreppen der Station Messehallen nach unten, bis man irgendwann den Mittelpunkt der Erde erreicht hat und Beklemmungsanfälle bekommt wie sonst nur in den U-Bahn-Schächten von London oder Moskau. Das ist zwar gruselig, hat dafür aber auch schon wieder etwas richtig Weltstädtisches.

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U3—Kettcar: „Landungsbrücken raus“

Kommen wir nun zur Schönheit unter Hamburgs U-Bahnlinien. Die U3 fährt fast ausschließlich überirdisch und passiert auf ihrer Runde durch die Stadt so viele Sehenswürdigkeiten, dass man sich das Geld für eine überteuerte Bustour problemlos sparen kann. Die Touristen drücken sich die Nasen an den Scheiben platt und bewundern die Modelleisenbahnkulisse der Speicherstadt und die Schiffe auf der glitzernden Elbe, während der Hamburger selbst es natürlich nicht nötig hat, auch nur einen kurzen Blick aus dem Fenster zu werfen, weil er erstens zu cool ist, um sich auf das Niveau eines schwäbischen Touristen herabzulassen, und zweitens die Schönheit schon viel zu oft gesehen hat. Dabei kann ein Blick auf die Landungsbrücken in der Dämmerung, wenn die Lichter auf der Cap San Diego angehen, auch wenn man es schon hundertmal gesehen hat, eine ereignislose Fahrt in den Feierabend stets in eine magische Reise verwandeln.

U4—Die Sterne: „Deine Pläne“

Ist irgendwer von euch schon mal U4 gefahren? Ich persönlich dachte immer, die wäre wie Nessie oder der böse Buhmann, und gibt es gar nicht. Pläne für die U4 gab es bereits in den Siebzigern, die dann allerdings aus Kostengründen verworfen wurden. Die heutige U4 ist eigentlich die U2, ergänzt durch zwei neue, unfassbar teure Stationen in der Hafencity. Die aktuelle Endhaltestelle Hafencity Universität bietet für die Millionen, die sie verschlungen hat, immerhin eine spacige Lightshow. Dazu gibt es für den kultivierten Hafencity-Besucher klassische Musik wie sie von der Hamburger Hochbahn AG bisher nur zur Vertreibung von Pennern genutzt wurde. Bis 2018 soll die 1,3 Kilometer lange Verlängerung in Richtung Elbbrücken fertig sein, für weitere 180 Millionen. Die Elbphilharmonie, die bis dahin auch fertig sein soll, bekommt allerdings keine eigene Haltestelle.

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S3—ASD: „Sag mir wo die Party ist“

Sich an einem späten Samstagabend in einem Zug auf den Weg zur Reeperbahn zu machen, ist kein Vergnügen. Der Zug ist überfüllt und ebenso die Menschen. Wenn es sich bei besagtem Zug auch noch um ein Transportmittel der Linie S3 aus Richtung Pinneberg handelt, solltest du dich vorsichtshalber selbst so besoffen haben, dass die Mischung aus pubertären Vorstadt-Idioten, 20-köpfigen Junggesellenabschieden und pöbelnden HSV-Fans, die ihren Frust über die letzte Niederlage in billigem Fusel ertränken, deinen Geschmack trifft. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand dich beschimpft, angrapscht oder vor deinen Füßen kollabiert, ist ziemlich hoch. Ebenso die, dass dir aus dem Mülleimer wahlweise Pisse oder Kotze auf die Hose tropft. Aber das hast du nun mal davon, wenn du unbedingt am Wochenende auf den Kiez fahren musst.

S31—Tocotronic: „Auf dem Pfad der Dämmerung“

Die S31 ist die U3 unter den S-Bahnlinien. Elbbrücken, Alster-Panorama, Schulterblatt-Piazza, immer gibt's was Schönes zu gucken. Gleichzeitig ist sie die Studentenlinie, die ganze WGs aus Wilhelmsburg oder Altona morgens zur Uni am Dammtor und abends zur Demo in die Schanze bringt.

S21—Absolute Beginner feat. Samy Deluxe: „Füchse“

Ich glaube ja, dass die S21 langsamer fährt als andere Linien, aber das kann auch reine Einbildung sein. Vielleicht kommt es mir so vor, weil sich, sobald man einen S21-Zug besteigt, ein gemütliches Ausflugsdampfer-Kaffeefahrt-Gefühl einstellt. Gemächlich tuckert man raus aus der Stadt, auf ein Open Air in Rotenburgsort oder weiter raus ins Grüne, bis man in irgendeinem idyllischen schleswig-holsteinischen Dörfchen landet. Wenn man genau hinsieht, kann man auf der Fahrt durch Wälder und Wiesen sogar Fuchs und Hase beim Gutenachtsagen beobachten.

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S11— Gottlieb Wendehals: „Polonäse Blankenese“

Die S11 verkehrt als Kurzzug, was die Wahrscheinlichkeit, dass sie dir vor der Nase wegfährt, während du ihr fluchend und keuchend hinterher rennst, um einiges erhöht. Natürlich macht die S11 das nicht nur zum Spaß. Nein, hinter dem Kurzzug versteckt sich eine unmissverständliche Botschaft: die nimmt nicht jeden mit, denn sie ist die Gediegene unter Hamburgs S-Bahnlinien. Unter der Woche befördert sie die gut betuchten Einwohner der Elbvororte Othmarschen und Blankenese zum Delikatesseneinkauf oder Museumsbesuch in die Innenstadt—zumindest diejenigen, die zum Selberfahren zu blind sind, und deren Chauffeur sich gerade krankgemeldet hat. Nach Kotze im Mülleimer wirst du hier vergeblich suchen, dafür könntest du mit etwas Glück unter deinem Sitz die eine oder andere verlorene Wertsache finden.

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