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Warum Justin Timberlake im Jahr 2013 überflüssig ist

Obwohl er sich als interessantester Mensch der Welt zu vermarkten versucht, hat JT ein langweiliges, schmalziges Album gemacht.

Beim ersten von Justin Timberlakes fünf Late Night with Jimmy Fallon-Auftritten diese Woche (weil fünf Auftritte absolut angemessen sind), hat Amerikas süßer Pop-R‘n‘B-Prinz Fallons Fragen bezüglich seiner Saturday Night Live-Performance die Woche davor, in der er versuchte, Kanye West für seine Ablehnung gegenüber „Suit & Tie“ zurückzuweisen, mit einem leicht verklemmten Lachen abgetan. „Did it seem that way? I don‘t remember that,“ sagte Timberlake mit gespielter Überraschung. Sein Leugnen war natürlich völlig unnötig. Die Reaktion auf seinen recht konservativen Diss (er änderte eine Line in „Suit & Tie“ zu „My hit‘s so sick, got rappers act dramatic“) war genau so, wie man es erwarten musste: Justin ist so stilvoll im Vergleich zu diesem unberechenbaren Rapper!

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West wird chronisch missverstanden, er ist wahrscheinlich die am meisten polarisierende Person in der derzeitigen Popkultur. Timberlake ist und war immer, der Anti-West. Er ist das platonische Ideal von Liebenswürdigkeit—mit einem kleinen Schuss Schärfe (sein Dick in a Box war schon unfassbar witzig!) Selbst kleidungsmäßig ist er der Good Guy, mit seinem Suit and Tie-Shit, das genaue Gegenteil zu Wests Lederkleid-Shit.

Ähnlich wie bei seinem „Beef“ mit West hat Timberlake mit seinem dritten Album The 20/20 Experience nichts zu verlieren und nichts zu beweisen. Selbst nach einer siebenjährigen musikalischen Fastenzeit ist er mit der Prämisse in das Game geschlendert, dass er immer noch an der Spitze ist, als ob sich nichts verändert hätte, seit er gegangen ist und dass die Welt ihm glaubt—wie der Rattenfänger von Hameln des Weiße-Jungs-R‘n‘Bs. Einige Dinge haben sich aber verändert, zum Beispiel sein ich-bin-gerade-aufgestanden-aber-eigentlich-soll-es-nur-so-aussehen-Frisur, Timbalands Abstieg vom Weirdo-Genie-Trendsetter zum selbstgefälligen Kreatinmonster, und äh, du weißt schon, EDM und Pitchfork-R&B und ein weiterer Typ namens Justin, um nur einige Sachen zu nennen.

Derweil eine kurze Zusammenfassung, was Justin in den letzten Jahren zu getrieben hat: Hauptrollen in „The Social Network“, „Bad Teacher“, „In Time“ und „Freunde mit gewissen Vorzügen“, ein paar Flirts mit der Comedybranche (SNL-Auftritte, Lonely Island-Kollaborationen), dem Modelabel William Rast, Miteigentümer an den Restaurants Destino und Southern Hospitality und der Tequila-Marke 901, Teilhaber an den Memphis Grizzlies zusammen mit seiner Frau Jessica Biel, Produzent der MTV-Reality Show „The Phone“, Auftragen des Hoodies, den Tom im Myspace-Büro vergessen hat, Beratung für Sony, Givenchy, Audi, Callaway Golf-Produkte und zuletzt Werbefigur für Bud Light Platinum. Um das klarzustellen: An all dem ist nichts auszusetzen. Aber könnten wir aufhören so zu tun, als sei der Typ, der ein Walmart-Shareholder-Meeting hostete und sagte: „Ich kaufe viel bei Walmart“, das popmusikalische Äquivalent zum interessantesten Menschen der Welt? Und könnten wir bitte die Tatsache in Betracht ziehen, dass seine Versuche inklusive dem unglaublich günstigen Timing seiner Comeback-Bekanntgabe (Überraschung—kurz vor dem Super Bowl und den Grammys!) buchstäblich alles dafür zu tun dass er zurück zu seinem Musikding kommt, einfach nur, weil er es kann?

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The 20/20 Experience ergänzt Timberlakes neue Rolle als Bud Light Platinum-Werbeikone tatsächlich ziemlich gut—der strategisch eher vage Bud-Platinum-Claim „Superior Drinkability“ entspricht exakt dem pseudo-künstlerischen Image des Albums, was Bedeutung und Interesse angeht—Intros, Outros und lustige Titel—es fühlt sich vom ersten Moment ein bisschen leer an und geht zu leicht runter. Wie ein Lightbier eben. Viele Reaktionen auf das Album drehen sich im Moment um die „übertriebene“ Länge—die meisten Songs sind um die sieben Minuten lang—aber das ist eine völlig in die Irre führende Beschwerde (FutureSex/LoveSounds war insgesamt nur vier Minuten kürzer und Drakes Take Care ist zehn Minuten länger). Statt sich mit der Albumlänge zu beschäftigen, sollte man sich lieber mit Notwendigkeit und Zielen auseinandersetzen. Ein siebenminütiger Popsong ist nicht von Natur aus langweilig, sogar vom Internet verdorbene Kids kommen mit langen Song klar (siehe: Drakes „Marvin‘s Room / Buried Alive“, Kanyes „Runaway“ oder Rihannas „Love Without Tragedy / Mother Mary“). Aber Songs einfach nur ihrer selbst Willen auf mit aller Gewalt auf sieben Minuten auszudehnen ist billig und unfassbar anstrengend. Viele dieser Songs wären durchaus solide—oder zumindest weniger angreifbar—wenn sie ordentlich bearbeitet und gekürzt worden wären. Man hätte zum Beispiel die total unbeholfenen Vocal-Samples bei „Don‘t Hold The Wall“ rausnehmen können oder die „Hey white people, this ist spicy“-Rufe bei „Let The Groove Get In“ (schon der Titel geht gar nicht …) oder die ersten 30 Sekunden und die letzten zwei Minuten von „Tunnel Vision“.

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Es ist ja nicht so, dass Intros und Outros bei Timberlake und Timbaland etwas Neues wären—Justified und FutureSex sind voll mit solchen Schnörkeln. Aber auf dem neuen Album scheinen sie längst nicht so durchdacht und ausgefeilt. Die Brücken bei etwa „Last Night“ oder „ (And She Said) Take Me Now“ oder „I Think She Knows (Interlude)“ flowen viel natürlicher und transportieren nicht einmal das Gefühl etwas zu überreizen. Was sich an Timbalands Twist-and-Turn-Produktionen einmal riskant und spannend anfühlte, wirkt jetzt künstlich und formelhaft.

Was am 2013er Timberlake aber am meisten frustriert, ist das beunruhigende Fehlen von Soul. „Mirrors“, ein Song den ich als er rauskam fast unhörbar fand, fühlt sich im Kontext des Albums prophetisch an—weil es das erste Mal nach einer Stunde The 20/20 Experience ist, dass wahre Gefühle zu hören sind (bevor sich JT auch hier in abgedroschenen Phrasen verliert, indem er „You are, you are, the love of my life“ grölt). Dieses Album will ausschweifen und uns ein wenig an der Nase herumführen, aber das gelingt überhaupt gar nicht. Stattdessen wirkt es wie jemand, der sich brutal bemüht, cool zu wirken und genau dadurch kein bisschen cool ist.

Es scheint unausweichlich, dass Timberlake von Frank Oceans Channel Orange beeinflusst wurde—aber wenn man Channel Orange durchgehört hat, bleibt man mit diesem starken Gefühl zurück, etwas darüber erfahren zu haben, was Frank Ocean ausmacht. Welche Erfahrung können wir von The 20/20 Experience mitnehmen, außer dass JT ein sehr charmanter, glücklich verheirateter Entertainer ist?

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Bei allen vorherigen Projekten von Timberlake—und ich schließe da *NSyncs absolut unterschätzte No Strings Attached und Celebrity-Alben auch ein—gibt es eine immer präsente Zielstrebigkeit, ein Grund, warum das Album existiert. No Strings Attached aus dem Jahr 2000 war ein grundlegendes Statement über das Erwachsenwerden, mit Themen, wie dem Ausbrechen von der Major-Label-Puppenspielerei und entgegensetzten Boyband-Erwartungen mit härteren Proto-EDM Bangern wie „Bye Bye Bye“ und „It‘s Gonna Be Me“ (die interessanterweise von Max Martin, der den EDM-Radiopop in den letzten Jahren dominierte, produziert wurden) und merkwürdigen Liebe-im-Internetzeitalter-Erklärungen wie „Digital Get Down“, statt zuckersüßer Backstreet-Balladen. Celebrity hatte Proto-Drake-Themen, über die Schrecken des Berühmtseins und Herzschmerz, und dass auf schockierend experimentellen Produktionen, die sich in die Richtung Garage und 2-Step bewegten. „Do Your Thing“ und „The Two of Us“ waren anspruchsvolle Stücke des 2step&b, auf Augenhöhe mit Craig Davids von Kritikern viel mehr geliebtem Material aus der gleichen Ära. „Up Against the Wall“ hätte auch von der Garage-Gottheit Todd Edwards produziert werden können und „Girlfriend“ und „Gone“ (beide mitgeschrieben von Timberlake, ebenso wie vieles vom Album) sind genauso gut, vielleicht sogar besser, als jeder Timberlake-Solohit.

Und während sich sein Solomaterial stets gewachsen-und-sexy gekrümmt hat, hat er sich niemals so erwachsen gefühlt, im schlimmsten Sinne des Begriffs. 2002 in Justified, sehen wir, wie Timberlake die Rolle eines komplexen, entwickelnden jungen Mannes—maskulin und doch ein bisschen kitschig, horny aber immer ein Gentleman, herausfindend, wie Erwachsenenbeziehungen und Liebeskummer funktionieren („Cry Me A River“, als Song und Video ist mit Abstand der mutigste Zug seiner Solokarriere). Der Timberlake von 2007s FutureSex ist ein eingebildet, selbstbewusster Mann, bequem genug um mehr als nur Pop-R‘n‘B zu versuchen, mit mehr ernsthaften Abzweigungen Richtung Funk, HipHop und Clubmusik. Beide Soloalben sind wichtige Leistungen, und in beiden ist er losgezogen, um etwas über sich selbst zu beweisen, und er war erfolgreich. Tatsächlich war er in so ziemlich allem erfolgreich, was er in seiner Karriere angepackt hat, wofür er sehr viel Anerkennung verdient. Aber was hat er mit 20/20 zu beweisen? Das er noch existiert?

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Es gibt noch eine Menge darüber zu sagen, wie man zur richtigen Zeit aufhört und Justin Timberlake hat selbst oft genug darüber gesprochen, als er zum Beispiel erklärte, er hätte mit der Musik aufgehört, weil er sich ausgebrannt und ideenlos fühlte. Das ist nicht nur absolute legitim, sondern auch bewundernswert. Wenn Justin Timberlake im letzten Jahr ernsthaft sein Interesse an der Musik wiederentdeckt hat, vielleicht sind die Unzulänglichkeiten von The 20/20 Experiences ein wertvolles Bildungsangebot—kluge, talentierte Menschen, die nur selten jemals das Gefühl von Versagen erlebt haben, sollten wohl häufiger in Situationen gebracht werden, in denen sie verlieren. Hey, es ist 2013 und nicht 2007 und was macht dieser andere Justin? Diese Schärfe mit der er im Snippet seines neuen Songs „You Want Me“, erschienen am Abend von JT‘s Grammy-Auftritt, ankündigt, „It‘s Justin … [dramatisch lange Pause] BIEBER“, war ganz sicher nicht ungewollt.

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