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Drogen

Wir haben einen Arzt gefragt, warum es dir nach einem Wochenende auf Drogen so beschissen geht

Ein Facharzt für Suchtpsychologie hat uns erklärt, was es mit dem Runterkommen auf sich hat und was du dagegen tun kannst.
Foto: Bob Foster

Du wachst abrupt auf, greifst nach deiner Bettdecke, um dir die schweißnasse Stirn abzuwischen, und plötzlich beschleicht dich ein furchtbarer Gedanke: „Verdammt, habe ich mich wirklich angepisst?“ Nach ein paar vorsichtigen olfaktorischen Nachforschungen kommst du aber zu dem Schluss, dass es lediglich dein Schweiß ist, der das Bettlaken total durchtränkt hat. Es ist Dienstag, du bist gestern vom Festival wieder nach Hause gekommen, bist nur ein kraftloser Klumpen aus Fleisch und Knochen und dein Körper scheint offensichtlich gerade wieder runterzukommen. Gerade bist du aus einem furchtbaren Albtraum erwacht—irgendwas mit einer 140 Kilo Frau, die dir einen runterholt und dich dabei zwingt, Nickelbacks obskures Debütalbum anzuhören. Die Sonne könnte heute noch so fröhlich scheinen, das wird kein schöner Tag.

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Runterkommen ist überhaupt kein Problem, wenn du zarte 20 bist und dich keine noch so große Menge an lauwarmem Discounterbier und Amphetaminderivaten davon abhalten kann, Dienstags in der früh wieder in der Vorlesung zu sitzen. Sobald du aber ein paar Jahre auf dem Buckel hast, werden deine Kater schlimmer, aggressiver und vor allem beängstigend kräftezehrend. Nachdem ich mir jetzt ein knappes Jahrzehnt den Kopf darüber zerbrochen habe, warum ich selbst sieben Tage nach einem Festival nicht viel mehr hinbekomme, als wie ein Häufchen Elend—ausgelaugt und deprimiert—auf meiner Couch vor mich hinzuvegetieren und mir alte Columbo-Folgen anzusehen, wollte ich mir endlich mal Gewissheit verschaffen und habe mich an Tim Williams gewandt.

Ich habe meine Depressionen mit Ketamin behandelt.

Tim ist Facharzt für Suchtpsychologie. Er behandelt Menschen mit Suchtproblemen—vor allem Alkoholiker, aber auch Heroin- und Crackabhängige. Er ist außerdem Experte für das, was er neue psychoaktive Substanzen nennt—dir und mir eher bekannt als Designerdrogen, Research Chemicals oder auch Legal Highs. Er hat jahrelang in der psychiatrischen Ambulanz des Glastonbury Festival gearbeitet und ist, wie sich herausstellte, ganz nebenbei auch noch eine verdammte Legende. Eigentlich kein großes Wunder, wenn man seinen Job bedenkt.

Noisey: Hi Tim! Ich habe gehört, dass der ‚Depri-Dienstag’—also der absolute Tiefpunkt des Runterkommens unter der Woche—ein Mythos ist. Stimmt das?
Tim: Ich glaube nicht, dass es sich dabei bloß um einen Mythos handelt. Was aber nicht stimmt, ist die Annahme, dass der Drogenkonsum allein daran schuld ist. Wir haben eine Sendung für Channel 4 gemacht, The Ecstasy Trial, und im Rahmen dieser Sendung füllten Studienteilnehmer auch einen Fragebogen zu den Nachwirkungen der Droge aus. Als Ergebnis bekamen wir nicht das signifikante Defizit angezeigt, das wir alle erwartet hatten. Das waren Menschen, keine regelmäßigen Konsumenten, die eine Dosis ohne Zugabe anderer Substanzen zu sich genommen hatten. Einige von ihnen gaben an, sich etwas niedergeschlagen zu fühlen, aber insgesamt konnte in diesem strikt-medizinischen Kontext diesbezüglich kein signifikanter Effekt des MDMA-Konsums festgestellt werden. Natürlich bekommt man einen sehr unsauberen Effekt, wenn man MDMA zusammen mit einer Menge anderer Substanzen konsumiert, aber dementsprechend lässt sich [der Depri-Dienstag] nicht einzig und allein auf den MDMA-Konsum zurückführen.

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OK, aber was ist, wenn man das drei Tage am Stück konsumiert—was bei Festivals oftmals gemacht wird? Ich habe MDMA / Ecstasy immer so verstanden, dass es die Serotonin-Pforten öffnet. Nach einer gewissen Zeit ist dann eben nichts mehr da.
Ja, das kann man so stehen lassen. Es gibt eine Menge Studien über MDMA-Konsumenten, die ihre Gefühle beschrieben haben. Menschen zu untersuchen, die drei Tage am Stück MDMA konsumiert haben, ist dann aber noch mal eine ganz andere Sache. Man müsste dann die Gehirnaktivitäten dieser Menschen aufzeichnen und das kostet natürlich Geld. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die überhaupt bereit dazu wären, eine solche Forschung zu finanzieren! Durch wissenschaftliche Experimente zu der Droge wissen wir, dass sie sich auf den Serotonin-Haushalt auswirkt. Es ist also keineswegs abwegig, dass es einen solchen Erschöpfungseffekt des Serotonin-Haushalts gibt, wie du ihn beschrieben hast. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, was wir wissen und was nicht.

Gibt es irgendeine Möglichkeit, wie man seinem Serotoninspeicher währenddessen und danach wieder in die Gänge bekommt? Viele Leute meinen, dass Bananen helfen würden.
Es gibt eine organische Verbindung namens Tryptophan und die brauchst du, damit dein Körper den Serotoninspeicher hinter den Pforten wieder auffüllen kann. Die meisten Menschen haben aber gute Serotonin-Level: Wenn du dich normal ernährst, hast du eine ausreichende Menge Tryptophan in deinem Körper. Als normaler Mensch mit einer ausgewogenen Diät gibt es keinen Grund, dass du Unmengen von Bananen in dich reinstopfen oder stark aminosäurehaltige Getränke trinken müsstest. Dein Körper verfügt nämlich über Reserven und mit diesen füllt er die Speicher regelmäßig auf. Bananen sind aber natürlich Teil einer ausgewogenen Diät. Ich käme niemals auf die Idee, Leuten davon abzuraten, welche zu essen!

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Hängt das Ausmaß des „Depri-Dienstags“ auch von der konsumierten Droge ab? Was ist zum Beispiel mit Ketamin?
Ketamin gehört zu einer ganz anderen Stoffklasse—eigentlich handelt es sich dabei ja um ein dissoziatives Anästhetikum. Es hat auch nicht die gleiche Wirkung. Mit dem NMDA-Rezeptorkomplex als Hauptwirkort zielt es auf ein ganz anderes chemisches Areal ab. Bei Ketamin würde man jetzt nicht unbedingt eine Art des Runterkommens erwarten. Tatsächlich wird es häufig in der Notfallmedizin eingesetzt. In Notaufnahmen und in Entwicklungsländern ist es sehr weit verbreitet, weil es als Anästhetikum recht sicher ist und (vergleichsweise) keine signifikante Nebenwirkungen hat.

Du würdest auf Ketamin wahrscheinlich leichter schlafen können.
Es ist eher ein Downer als ein Upper. Schlaf ist auch ein sehr wichtiger Teil der ganzen Festivalerfahrung. Viele der Drogen, die Menschen nehmen, wirken sich auf den Schlaf aus. Nehmen wir Cannabis: Es hilft Leuten dabei, schneller einzuschlafen, stört aber den erholsamen Schlaf. Man schläft also, aber die Qualität des Schlafes ist sehr viel schlechter. Alkohol wirkt sich auch furchtbar auf den Schlaf aus. Wenn du jeden Tag schlecht schläfst, hat das einen physiologischen Effekt und dieser kann sich stark auf deine Laune auswirken. Das solle man nicht unterschätzen.

Also selbst wenn du nur Alkohol getrunken hast, können diese Symptome bei dir auftreten?
Absolut! Das Abbauprodukt von Alkohol nennt sich Acetaldehyd. Viele Leute machen die Erfahrung, mitten in der Nacht heiß und schweißgebadet aufzuwachen und aufs Klo zu müssen. Dieses Hitze- und Schweißgefühl kommt vom Acetaldehyd. Alkohol allein stört deinen Schlaf also schon ungemein. Wenn du dich dann auch noch auf einem Festival befindest, wo du eh nicht so gut schläfst, weil das Zelt nicht so bequem ist wie dein Bett zuhause, und dann noch über mehrere Tage am Stück Alkohol ins Spiel bringst … nun, du wirst sehr wahrscheinlich ein vehementes Leistungsdefizit in den nachfolgenden Tagen verspüren.

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Was ist, wenn du etwas trinkst oder isst, um dem Alkohol entgegenzuwirken? In letzter Zeit reden alle von Kokosnusswasser.
Nein. Alkohol gibt es schon so lange und es wurde schon über so viele Dinge gesagt, dass sie deinen Kater auskurieren würden, hätte aber wirklich mal jemand etwas erfunden, das dir deinen Kater erfolgreich vertreibt, wäre diese Person jetzt ziemlich sicher Millionär—von diesen Symptomen werden viele, viele Leute heimgesucht. Allein die Tatsache, dass es nichts gibt, auf das sich alle einigen können, heißt doch schon, dass auch nichts davon wirklich hilft. Aber allein der Glaube daran, dass etwas hilft, wird dir dabei helfen, dich besser zu fühlen. Im Endeffekt gibt es aber nichts, was deinen Kater einfach verschwinden lässt.

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Warum bekommt man so furchtbare Träume und Nachtangst nach einem Festival?
Dein Körper wird versuchen, den ganzen Schlafentzug wieder auszugleichen. Es gibt einen bestimmten Anteil REM-Schlaf, den jeder braucht (in etwa 20% bei Erwachsenen, die wir ja anscheinend alle sind). Wenn dir aus verschiedensten Gründen REM-Schlaf fehlt, dann erinnert sich dein Gehirn daran, wie viele REM-Schlaf es aufholen muss—eine unglaubliche Fähigkeit, wenn man mal darüber nachdenkt. Wenn du dann also wieder halbwegs normal schlafen kannst und zurück in deiner gewohnten Umgebung bist, wirst du viel mehr intensiven REM-Schlaf haben.

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Welche Drogen stören den REM-Schlaf am meisten?
Cannabis ist sehr gut darin, REM-Schlaf zu unterbinden. Vor allem wenn du kein regelmäßiger Cannabiskonsument bist und dann am Festivalwochenende rauchst, wirst du erst mal keinen REM-Schlaf mehr haben. In den Tagen oder Wochen danach wird dein Gehirn dann versuchen, das Defizit wieder aufzuholen, und dementsprechend wird größerer Anteil deines Schlafes von intensiven und lebendigen Träumen dominiert sein.

Das ist auch charakteristisch für regelmäßige Cannabiskonsumenten, die abrupt damit aufhören. Sobald sich das Gehirn wieder in einem Zustand befindet, in dem es träumen kann, tut es das sehr intensiv, um den verlorengegangenen REM-Schlaf wieder aufzuholen. Alkohol wirkt sich, da er deinen Schlaf ebenfalls stört, auch auf deine REM-Phase aus.

Viele Leute nehmen sich nach einem Festival noch ein oder zwei Tage frei und rauchen dann eine Menge Gras, um mit das Runterkommen abzumildern. Was hältst du davon?
In diesen beiden Tagen wäre es am besten, sich wieder einen normalen Schlafrhythmus anzueignen. Cannabis ist eine schlechte Idee. Versuch einfach gesund zu schlafen, komm wieder in einen normalen Rhythmus und mach jeden Morgen etwas Sport. Trink keinen Kaffee oder andere stimulierende Getränke und nimm auf keinen Fall irgendwelche Drogen. Verbann den Fernseher und deinen Computer aus deinem Schlafzimmer.

Sport wäre die einzige Medizin, die ich dir für diese Tagen verschreiben würde. Du solltest aber keine schwerkörperlichen Anstrengungen später als zwei Stunden vor dem Schlafengehen betreiben, weil das deinen Stoffwechsel und deine Wachheit anregt. Ich würde auch empfehlen, tagsüber aufzustehen und aus dem Haus zu gehen. Am besten in die Sonne, das steuert nämlich deine Melatonin-Ausschüttung und wirkt sich positiv auf deinen Schlaf-Wach-Zyklus aus.

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Gibt es irgendwelche Nahrungsmittel, die besonders gut helfen?
Jede Art von gesunder und ausgewogener Ernährung. Nichts, was zu viel Fett und Kohlenhydrate enthält, das Völlegefühl wirkt sich nämlich ebenfalls auf deinen Schlaf aus.

Also keine XXL-Pizza?
Nein, besser nicht. Ein schöner Salat mit etwas öligem Fisch wäre zum Beispiel gut wegen der Omega 3 Fettsäuren—so etwas in der Art.

Was ist mit diesen Kopfzuckungen—so als hätte man einen Tic in seinem Gehirn? Ich habe schon mit vielen Leuten darüber gesprochen und allen macht das etwas Angst.
Darüber ist mir noch nichts bekannt. Erhöhte Gefühle der Beklemmung und Schlaflosigkeit könnten aber für solche Zuckungen verantwortlich sein. Wenn ich ausgelaugt und gestresst bin, bekomme ich Faszikulationen in meinen Muskeln. Dabei zucken kleine Muskelgruppen zusammen und oft hat das mit einem Ungleichgewicht im Elektrolythaushalt zu tun. Wenn man sich ein ganzes Wochenende lang sehr ungesund verhält, dann sind solche ungesunden Nebenerscheinungen keineswegs unwahrscheinlich.

Haben Sie jemals einige der Symptome dieser Drogen am eigenen Leib erfahren?
Ich habe im Feld der Psychedelika geforscht und währenddessen auch eine Substanz zu mir genommen. Wir haben mehrere Studien mit Psilocybin, dem aktiven Wirkstoff von sogenannten Zauberpilzen, als Therapeutikum durchgeführt. Wir mussten am Anfang beweisen, dass es in einem medizinischen Kontext sicher ist, also haben ich und ein paar andere Psychiater uns bereit erklärt, etwas davon zu nehmen und dann unser Gehirn scannen zu lassen. Seitdem verstehe ich definitiv einige der Erfahrungen besser, von denen manche Menschen berichten!