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Warum es nie wieder einen Popstar wie Phil Collins geben wird

Phil Collins ist nicht cool, aber genau deswegen ist er so wichtig.

Es wird in der Welt der Popmusik wahrscheinlich nie wieder einen Künstler wie Phil Collins geben und das ist eine Schande. Das soll nicht heißen, dass es nie wieder Künstler geben wird, die sich der dunkleren Seite des Pop zuwenden oder die atemberaubende Drum-Solos spielen können, aber so wie sich die Welt dreht, gibt es nun mal keinen Platz für zwei musikalische Ikonen, die aussehen, als würden sie bei Sideways 2 mitspielen. (Tatsächlich sind die Chancen sogar groß, dass es nie wieder einen Superstar mit dem Namen „Phil“ geben wird, also nenne ich ihn in diesem Artikel nur mit seinem Vornamen.) Seien wir ehrlich, Phil sah nie cool aus und jetzt, wo er über 60 und von Alamo besessen ist, stehen die Chancen, dass er sein Comeback gibt, genauso gut wie dass Mexiko Texas annektiert. Das sagt allerdings weniger über Phil als über den momentanen Zustand der Popmusik aus.

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Etwas Hintergrundgeschichte: Phil Collins war mein erstes Konzert überhaupt und ich habe immer noch das Shirt davon. (Das Bemerkenswerteste daran ist, dass Phil auf der Rückseite nicht die Städte auflistet, wie andere Leute, sondern stattdessen die Länder.) Das war im Jahr 1990, ich war 11 Jahre alt und Phil ist im Zuge seines Smash-Albums …But Seriously auf Tour gegangen, ein Album, auf dessen Cover man eine unvorteilhafte Darstellung von Phils Gesicht im Profil sieht, die ich als Teenager stolz auf meiner Brust getragen habe. Früher habe ich gelogen und gesagt, dass mein erstes Konzert Guns N’ Roses auf ihrer Use Your Illusion-Tour war, aber technisch gesehen war das mein drittes Konzert, nachdem ich erst Phil und danach Genesis auf der We Can’t Dance-Tour gesehen habe. Der Typ, mit dem ich auf einem dieser Konzerte war, ist mittlerweile Abgeordneter und sieht aus wie einer von Kevin Spaceys Spezis in House Of Cards. Oder anders ausgedrückt, es ist wirklich verdammt lange her.

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Das abgetragene Phil Collins-Shirt des Autors.

Wie auch immer, letztens stieß ich auf dieses Shirt und ich habe …But Seriously angeschmissen und, Nostalgiefaktor beiseite, es klingt wirklich gut, auch wenn ein paar der Keyboard-Sounds und -Arrangements verglichen mit heutigen Standards wirklich ungemein veraltet klingen. Was mich neben Phils unverwechselbarem Gesang außerdem beeindruckt hat, war der Inhalt der Texte. Betrachte nur mal seinen Nummer-Eins-Hit „Another Day In Paradise“. Im Prinzip ist das ein Song darüber, sich schuldig zu fühlen, da man obdachlose Leute ignoriert, und er wird auf eine Weise gesungen, die dir bestimmt kein wohliges Gefühl verleiht. Um deine Erinnerung ein wenig aufzufrischen, da du vielleicht kein regelmäßiger Phil Collins-Hörer bist, er geht in etwa so: "She calls out to the man on the street, ,Sir, can you help me? It's cold and there's nowhere I can sleep, is there some way you can tell me?' He walks on doesn't reply, he pretends he can't hear her. Starts to whistle as he crosses the street, seems embarrassed to be there."

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Lass uns das mit dem heutigen Nummer-Eins-Song „Happy“ von Pharrell Williams vergleichen: "It might seem crazy what I'm about to say, Sunshine, she's here, you can take a break. I'm a hot air balloon that could go to space. With the air, like I don't care, baby by the way." Es ist nichts falsch daran, Fröhlichkeit zu zelebrieren und Musik zu einer Fluchtmöglichkeit aus dem Alltagstrott zu machen, aber die Tatsache, dass Songs wie diese grundsätzlich davon handeln, vor unseren Problemen zu fliehen, anstatt sich ihnen zu stellen, ist schwer zu bestreiten. Zugegeben, 80er Jahre Allstar-Hymnen wie „We Are The World“ klingen heutzutage vielleicht kitschig, aber kannst du dir vorstellen, dass alle Pop-Ikonen ihre Streitigkeiten lange genug auf Eis legen, um im selben Raum zusammenzukommen und 2014 einen Song über Frieden zu machen? Das würde nie passieren—und wenn es das würde, wäre es Teil einer Reality-Show oder einer Marketingkampagne.

Der Autor Neal Pollack ist vor kurzem stark unter Beschuss geraten, als er für den New York Observer in einem brillanten Artikel beschrieben hat, wie das SXSW überkommerzialisiert geworden ist und obwohl er recht hat, gibt es diese Entwicklung nicht nur bei diesem Festival, sondern in der Mainstream-Kultur allgemein, von Popmusik bis Politik. (Denkst du wirklich, dass wir nach Obama jemals wieder einen Präsident wählen werden, der aussieht wie Ronald Reagan?) Wenn wir an die 60er, 70er, 80er und 90er Jahre denken, hat jedes Genre seinen unverwechselbaren Klang und sein unverwechselbares Gefühl. Wenn wir später auf die heutige Zeit zurückblicken, wird es da ein distinktives stilistisches Kennzeichen geben oder werden wir uns nur daran erinnern, dass Lady Gaga bei den Grammys ein Fleischkleid trug oder an die verschiedenen Farben der Perücken von Nicki Minaj? Phil würde fragen: „Do You Remember?“ und sich damit auf eine Zeit beziehen, in der „viral gehen“ eine besorgniserregende Entwicklung war. Andererseits hatte Phil wahrscheinlich auch Probleme flachgelegt zu werden, selbst als einer der größten Popstars der Welt… und an dieser Tatsache ist etwas merkwürdig beruhigendes.

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Aber verlass dich nicht auf meine Aussagen. Ich habe mit dem namhaften Phil Collins-Enthusiasten Erin Tate, Schlagzeuger bei Minus The Bear, gesprochen, der mir erklärte: „Leute die sagen, dass Phil Collins kitschig ist, haben sich nie all seine Sachen angehört“, womit er sich darauf bezieht, dass Collins die einflussreiche Prog-Gruppe Brand X gegründet hat. „Als Schlagzeuger war er der erste, der aus dem Hintergrund trat und die Kontrolle übernahm. Genesis haben mit Peter Gabriel einen großartigen Frontmann verloren, aber Phil David Collins ist an seine Stelle getreten, um die Band zu neuen Höhen zu bringen“, fasst er zusammen, „was für einen Schlagzeuger wirklich verdammt beeindruckend ist“. Tate klärt mich auch darüber auf, dass Collins vor kurzem aus dem Ruhestand zurückgekehrt ist und angekündigt hat, mit Adele zu arbeiten, was Sinn macht, wenn man bedenkt, dass sie ein ähnlicher Typ ist, der ebenfalls aussieht wie ein richtiger Mensch; wie bei Phil ist ihr Talent so gewaltig, dass sie nicht ignoriert werden kann, nur weil sie den normalen physischen Normen nicht entspricht.

Als ich diesen Artikel getippt habe, fing es draußen an zu schütten und genau in diesem Moment lief der Song „I Wish It Would Rain Down“. Und als Phil sang: „I wish it would rain, rain down on me“, wurde mir klar, dass das ganz klar eine Metapher für Liebe und Verlust ist. Wie alle Phil Collins-Songs handelt er letztendlich vom Schmerz einer Trennung und wie es sich anfühlt, wenn dir dein Herz aus der Brust gerissen wird. Dass es dich innerlich zerreißt und traumatisiert, aber dich zumindest dazu zwingt, etwas zu fühlen. Die Popmusik von heute tut nicht weh, sie lässt dich auch nicht fragend zurück. Vielleicht liegt das am Internet, vielleicht haben die Leute genug davon, mit deprimierendem Zeug bombardiert zu werden—oder vielleicht werde ich auch einfach senil.

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Ich mag es einfach, wenn Musik mich etwas fühlen lässt. Nicht nur flüchtig… sondern ernsthaft.

Jonah Bayer ist bei Twitter: @mynameisjonah

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