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Warum es der undankbarste Job der Welt ist, Statist in einem Musikvideo zu sein

„Wir unterzeichneten natürlich alle die Erklärung, mit der wir uns einverstanden erklärten, selbst für Schäden an unserer Person zu haften.“

"Hallo. Im Rahmen des Projektes Musikvideo sind wir für unseren Kunden auf der Suche nach männlichen Komparsen und haben dabei auch an dich gedacht.“ An mich gedacht? Endlich! Ein ganzes Jahr nach meiner Anmeldung bei einer Online-Casting-Agentur lag mein erstes Angebot vor mir, dass mich in die fabelhafte Welt der Schauspielkunst katapultieren sollte. Ich konnte es schon vor mir sehen, mein Gesicht auf den Postern in der Bravo Girl, als Komparse im Hintergrund aller Musikvideos dieser Welt. "Es werden Kürbismasken getragen, somit wird das Gesicht nicht zu erkennen sein." Na gut. Dann immerhin 100 Euro auf die Hand für ein Low-Budget-Cosplay. Der Drehbeginn um 8 Uhr schien auf den ersten Blick sehr human zu sein, immerhin fangen um diese Uhrzeit auch normale Menschen an, zu arbeiten, wieso also nicht auch ich als angehender Superstar? Und natürlich wollte ich auch gut aussehen, wenn ich später von etlichen Menschen gesehen (und vergöttert) werde. Ich ging selbstverständlich davon aus, dass ich durch meine fabelhafte Leistung nicht lange ein maskentragender Komparse bleiben würde und stellte deshalb meinen Wecker auf Sonnenaufgang. Puh, Sonnenaufgang, das ist, wenn nicht gerade Winter ist, schon vor 6 Uhr. Jetzt weiß ich endlich, wie sich Bäcker fühlen, die schon arbeiten müssen, bevor der Rest der Welt aufsteht und ich beneide sie kein bisschen.

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In einem Gespräch mit einem anderen Komparsen erwähnte dieser, dass es nicht sein erstes Mal sei und er wüsste, dass man immer verdammt viel wartet. Kein Problem. Naja, mal abgesehen von den angemalten Storm-Trooper-Anzügen, dem Schal, um den Hals zu verdecken und den weißen Kürbiskopfmasken. Oh, und hatte ich schon erwähnt, dass wir uns in einer verdammten Kaolin-Grube befinden? Der weiße Porzellan-Staub dringt nicht nur in jede noch so kleine Öffnung deines Körpers ein, sondern reflektiert die Sonne zusätzlich noch so unbarmherzig, dass du dein Körperfett schneller rausschwitzt, als es jede Bosstransformation mit dir anstellen könnte. Wenigstens wurde ich wie alle anderen Komparsen auch ausreichend mit Wasser eingedeckt und regelmäßig ans Trinken erinnert. Gegen den Gestank von zehn schwitzenden Männern, die Krieg spielen, kommt man allerdings nicht an.

Noch weniger kam ich mit der Erkenntnis klar, dass ich wohl doch nur ein Soldat der Kürbiskopfarmee bleiben würde. Scheiße, ich bin wohl doch nur zum Komparsen gut. Dazu war ich am Set weniger Wert, als der Typ, dessen einziger Job es ist, eine Nebelmaschine unter Blättern zu verstecken und auf einen Knopf zu drücken, wenn die Aufnahme läuft. Der ist immerhin noch versichert. Am zweiten Drehort, in einem verlassenen Stahlwerk, gab es jede Menge Möglichkeiten, sich ernsthaft zu verletzen oder draufzugehen. Da wir, die Komparsen, natürlich trotzdem noch die Aussicht auf etwas Ruhm (und auf 100 Euro) hatten, unterzeichneten wir natürlich alle die Erklärung, mit der wir uns einverstanden erklärten, selbst für Schäden an unserer Person zu haften. Wenige Minuten danach wäre ich beinahe in einen metertiefen Kühlkanal aus Beton gestolpert, über den wir zum Drehort springen mussten, hätte mich nicht ein anderer Statist aufgefangen. Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie schwer es ist, mit einer Latexmaske aus dem Halloween-Laden zu laufen, zu rennen oder zu springen? Dass alle Kürbiskrieger immerwieder an derselben Stelle stolpern und in jedem Take grade jemand seine Hand am Kopf hat, bemerkte das Team wahrscheinlich erst im Schnitt (oder nie).

Aber gut. Ich habe Wasser aus meinen Schweißdrüsen gesprüht, wie dieser Typ in der ekelhaften AXE-Werbung. Ich bin immer und immer wieder denselben Sandberg heruntergefallen, weil der Typ vor mir gestolpert ist. Bei jedem neuen Take der zweiten Schießerei bin ich durch Brennesseln gewatet. Aber all das bringt mir doch mehr als 100 Euro, oder? Man würde mir Fotos für meine Setcard zuschicken, versprach man mir. Man würde mich bei der Agentur gut bewerten, wurde gesagt. Falsch gedacht, denn Komparsen sind nunmal Komparsen und damit nicht nur unwichtig, sondern auch unbekannt. Wen interessiert es schon, wer der Typ ganz hinten links ist, der genauso aussieht wie alle Anderen, wenn in dem Musikvideo immerhin Titten zu sehen sind? Titten. Meine Träume vom Film verwandelten sich nach dieser Erfahrung, wie die "Granate" am Ende des Musikvideos, in einen Haufen explodierenden Schrott.

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