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Warum deutscher Straßenrap weniger Amazon ­Boxen und mehr Deutschlehrer-Outfits braucht

Reicht jetzt mal mit geleakten Whatsapp-­Verläufen, Hausbesuchen und Pumper-Amazon-Boxen: MC Bomber, Shacke One und Co. bringen deutschen Rap dahin, wo er hingehört: zurück in den Dreck.

Geleakte Whatsapp-­Verläufe. Nächtliche Hausbesuche. Strukturvertrieb von Trainingsprogrammen und muskelfördernden Nahrungsergänzungsmitteln. 2016 inszenieren sich deutsche Rapper allen Ernstes auf Pressefotos oberkörperfrei in Urlaubsregionen, beide Daumen durch die Gürtelschlaufen einer Blue­ Jeans gesteckt. Inhalte werden überwunden. Lieber droppen Rapper auf Albumlänge wirre, mit Markennamen gespickte Parts, die klingen wie das heruntergelesene Schnäppchen-­Portfolio der OUTLETCITY-Metzingen. Tragen Masken wie die Sexperversen aus Eyes wide shut. Gründen seit den frühen Nullerjahren Labels und signen dabei jedes Mal aufs neue Rapper, die 1:1 klingen und aussehen wie sie selbst.

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Hierzulande streiten sich erwachsene, wahlberechtigte Männer, wer sich zuerst schamlos an Trends aus UK, Frankreich oder den USA bedient hat. Es überrascht niemanden mehr als den Autor dieser Zeilen selbst, dass es in all den Jahren objektiv betrachtet keinem außer Fler gelungen ist, funktionierenden Trap auf Deutsch zu machen. Wie viele limitierte Amazon­ Boxen inklusive "Shirt­ Größe­L" braucht Rap wirklich? Ist Pumpen gerade IN oder OUT? Heißt Sidos neue Single tatsächlich "Hamdullah", ist sie "lit" und "ahnbar"? Und allem voran: Wann platzt die Deutschrap­blase endlich?

Jetzt mal Realtalk: Brauchbarer deutscher Rap trägt keine Snapback­ Kappe, auf der Mickey-Mouse-­Hände einen Joint rollen. Vielleicht eher eine thermoaktive Schöffeljacke. Strickpullover. Lederne Bootsschuhe. MC Bomber sieht zugegebenermaßen auf den ersten Blick aus wie ein Deutschlehrer. Ein zorniger, sexgeiler Deutschlehrer mit Hang zu Vandalismus und Vaginas. Und allerhand zu erzählen.

Im Laufe seiner Battletape­ Diskographie begleitet der aufmerksame Hörer Bomber beim Rappen, Feiern, Ficken, Sprühen und Handtaschenklauen. Rap, Saufen, Crime und Frauen. Eigentlich alles wie immer, nur in geiler. Näher. Echter. Die Tracks sind allesamt absolut untanzbar und es ist mehr als fraglich, ob sie substanziell die Jahrhunderte überdauern werden, aber wen stört das schon.

Der Spätkauf­-Huckleberry­-Finn philosophiert auf "Fleiß bei der Arbeit" übers Flaschensammeln, sowie Sinn­ und Sinnhaftigkeit eines geregelten Arbeitslebens und ist auch sonst bemüht, seinen Fans die ein oder andere Erkenntnis mit auf den Weg zu geben. Bonmots wie: "Viele Jugendliche machen heute Praktika / Die Meisten sind bei dessen Wahl erfolgsgeile Spastiker / In Agenturen rumsitzen, manchmal Kaffee kochen / Bei meinem Praktikum war ich immer besoffen" und "Mit Schnaps zu geizen ist wie Säuglinge erdrosseln / Dieser Stoff ist unsere Leiter, also brich nicht ihre Sprossen" finden sich allein in diesen wohlinvestierten 3:30 Zuhauf.

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Passenderweise hat Bomber seine musikalische Heimat bei PROLETIK gefunden, dem brandneuen Label des Graffiti/Sexrap/Exzess/Bassinstrumental­ Pioniers Frauenarzt. Das passt wie Arsch auf Eimer. Berliner Rap als generationenübergreifender Familienbetrieb. An dieser Stelle muss auch Bombers langjähriger Upstruct Partner ­in ­Crime Shacke One Erwähnung finden. Wenn es nicht gerade "auf dem Bauernmarkt ’n Kilo Rippchen für nen Fünfer" gibt, steht MC Bombers potenter Sidekick dem selbsternannten P-Berg­ Ajatollah in nichts nach.

So entführt Shacke One den verblüfften Zuschauer in seiner ersten Videoauskopplung "Boss der Panke" wild fluchend aus den Tiefen eines düsteren U-­Bahnschachts auf ein Hausdach hoch über Berlin, dem Hangout seiner Crew. Direkt angenehm, 2016 einmal gutgekleidete junge Männer auf einem Rooftop zu sehen, ohne dass dabei direkt wieder die Rede von "Offlocation­ Rave", "Secret­ Facebook-Event" oder einem DJ ist, der unter bürgerlichem Namen Housemusik für BWLer auflegt.

Derartige Entgleisungen sind von den Graffittirappern wie Bomber oder Shacke nicht zu erwarten: "Der Orpheus vom Nordkreuz wummert geile Muttis" zitiert non­chalant den Beatfabrik-Klassiker "Rap ist meine Schwester" und führt unbeirrt sein Graffiti­-Gaunerleben "Zwischen Zugdepot und Kneipe". Stolpert man noch eine Etage tiefer in den Deutschrap­-Cyber­-Hades, stößt man auf die ebenfalls writer­affinen, gesichtslosen Low ­Life­ Phantome John Borno und Sportler99.

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Virtuos werden hier Schnipsel aus alten Youtube-­Dokumentationen rund um dieThemenschwerpunkte Spielsucht, Rauschgiftmissbrauch und Gossenleben zu einem eindrucksvollen Video-Frankenstein zusammengeflickt. Hier macht man "das Handy für ne Woche aus wenn man ’nen Brief öffnet". Hier zieht man "das Pep vom Fotoalbum" über das "Austauschjahr in Bayern". Mehr Abwärtsdrall geht nicht. Kai der Brecher of Rap.

Seit den inoffiziellen Lacoste­ Markenbotschaftern von der 187­ Straßenbande hat authentischer, deutscher Street­rap nicht mehr so viel Spaß gemacht. Keine Amazon­ Box. Kein "Shirt ­Größe ­L". Aber dafür auch keine Topless ­Pressefotos. Inhalte Baby, Inhalte!

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