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„Normale Fotografen müssen sich im Presspit mit den anderen Idioten drängen“—Fotograf Tom One im Interview

Er säuft Jägermeister mit Massive Attack, versteckt sich im VIP-Bereich und beleidigt Stagemanager: Tom One erzählt die Geschichten hinter seinen Fotos.

Seine kratzige Stimme dröhnt durch das Lokal. Ein älterer Herr am Spielautomaten hinter uns dreht sich mehrmals empört um und zeigt mir den Vogel. Es ist früher Nachmittag, wir trinken das erste Bier. Denn „gute Geschichten brauchen einen guten Schluck“. Und Zigaretten. Gott, brauchen diese Geschichten viele Zigaretten. Tom One sitzt neben mir, sein Laptop steht vor uns, wir klicken uns durch eine Unmenge an Fotos. Nahaufnahmen von Sängern, Arm-in-Arm-Fotos mit DJs, Backstage-Pics mit der Crew. Tom hat das, was den meisten Konzertfotografen fehlt: Eine unfassbar ausgeprägte Scheiß-drauf-Attitüde.

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Über 2 Bier, 20 Zigaretten und 200 Kraftausdrücke erzählte er mir, wie man es zu den Bands auf die Bühne schafft, was im VIP-Bereich von Festivals so los ist und warum manche Stage-Manager verdammte Arschlöcher sind.

Ich habe schon auf vielen Konzerten gearbeitet. Angefangen habe ich beim Film und für Musikvideos, ich war immer der Typ, der irgendwelche Kabel verlegt hat. Madonna, Robbie Williams, X-Men und Moulin Rouge, ich habe jede Menge Scheiß gemacht. Später wurden es dann Konzertbühnen. Noch mehr Kabel, noch mehr Konzerte, eine Bühne nach der anderen. Über 10 Jahre lang. Das ist auch, was mich in meiner Fotografie beeinflusst, ich kann all meine Kenntnisse nutzen. Ich komme auf eine Bühne und kenne mich aus. Ich weiß, wo der Roadie hockt und wo sich der Stagemanager herumtreibt, ich spreche ihre Sprache, ich kenne die Abläufe. Normale Fotografen müssen sich im Presspit mit den anderen Idioten drängen, sie dürfen für drei Songs ohne Blitz in den Graben. Das ist mir zu blöd, da bekommt man verdammtnochmal keine guten Pics. Für die muss man nämlich näher ran, direkt an die Band, so nah, dass man ihren Schweiß riechen kann. Ich benutze immer eine fixe Linse und kein Zoom-Objektiv, daher müssen die Bedingungen perfekt sein. Wenn sie nämlich nicht perfekt sind, dann wird das alles nur gequirlte Scheiße.

Tom One (links) in der Menge des Dour-Festivals

Das Dour-Festival in Belgien ist wie eine verfickte Insel. Wie ein ganzer Staat. Der ganze Scheiß geht schon seit 26 Jahren, aber ich habe noch nie vorher davon gehört, bis die Freundin meines Kumpels aus Berlin meinte, dass sie dort hin möchte. „Geil! Bin dabei“, habe ich mir gedacht, und bin also mit meinem Kumpel im Auto seines Vaters dort hingefahren. Scheißteures Auto, irgendein Audi A7, ne 80.000€-Karre. Und ich erwähne das, weil es Teil der Geschichte ist. Ich hatte nämlich die Autoschlüssel und habe mich vier Tage lang im VIP-Bereich versteckt, weil ich nur ein Band für den ersten Tag hatte. Ich habe nichts gegessen sondern nur Bier von den ganzen Bands geklaut. Mein Kumpel ist fast durchgedreht.

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Der Stage-Manager des Dour-Festivals (rechts)

Wichtig bei der ganzen Angelegenheit ist immer, dass man an eine gute Crew gerät. Ansonsten werde ich sofort gekickt. Der Stagemanager vom Dour-Festival war genial. Einer von den Guten. Und ich kenne genug Stagemanager, um das zu beurteilen—ich habe mit den Besten von ihnen Kokain genommen und mich besoffen! Das sind fette, alte, haarige Bastarde mit denen man eine gute Zeit haben kann! Der Stagemanager vom Outlook-Festival ist zum Beispiel eine verfickte Schwuchtel. Das habe ich sofort gesehen, das war ein verdammtes Kind, der war sprichwörtlich ein verfickter Dildo. Ich war mit Goldie auf der Bühne und hatte eine geile Zeit, dann kam dieser kleine Wichser ohne Sackhaare und hat mir die Security auf den Hals gehetzt, während er mein Bier gesoffen hat! Das hat auch Goldie selbst zum Kotzen gefunden, denn der hat mich total gefeiert!

Goldie und die „verfickte Schwuchtel“ von Stagemanager (links)

Ich habe ursprünglich eigentlich nur eine Kamera gekauft, um meine Graffitis zu fotografieren. Aber dann dachte ich mir, dass ich auch mal Bands fotografieren könnte. Der Trick dabei ist, sich wie selbstverständlich auf der Bühne zu bewegen. Du darfst dich nicht drum scheren, wenn dich jemand aufhalten will. Das sind ohnehin alles Wichser, die keine Ahnung haben.

Mad Sin

Die wirklich guten Bilder bekommt man nur, wenn man mit der Band auf der Bühne steht, und es ist mir scheißegal, ob ich dabei dem Publikum oder den Pressefotografen im Weg stehe. Du musst dich auch mit allen anfreunden—sauf mit ihnen, sonst wird das alles ein Albtraum!

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The Pharcyde beim DOUR-Festival

Beim Dour spielten auch die Jungs von The Pharcyde, die ich persönlich total verehre. Ich war mit ihnen auf der Bühne und habe sie und die ganzen scheiß Kiddies im Publikum fotografiert. Dieses Publikum! Ich habe mich gefühlt wie ein verdammter Großvater! Seit wann sind die denn alle so scheiß jung? Egal, jedenfalls bin ich dann wieder eine Weile backstage herumgelungert und dann habe ich so nen schwulen Typen getroffen und das war der persönliche Friseur von Pharcyde. Ich bekam so nen tuffigen Leoparden-Umhang und er hat mir tatsächlich die Haare geschnitten!

Tom One lässt sich vom Tourfriseur von The Pharcyde die Haare schneiden

Atari Teenage Riot am Dour-Festival

Es gibt Bands, die auf der Bühne einfach wahnsinnig gut aussehen. Andere sehen aus wie ein Haufen Scheiße, aber manche sind himmlisch. Atari Teenage Riot sehen zum Beispiel immer geil aus. Und Rival Sons haben auch eine hammer Präsenz. Und die meisten DJs, aber das ist keine Kunst, denn die bewegen sich ja kaum.

Rival Sons im Columbia Club Berlin

Ich habe von meinem Nachbarn für das diesjährige Melt!-Festival zwei Tickets für die Show von Massive Attack am Sonntagabend bekommen. Der Bastard bekommt einfach alles, er hat mich davor schon bei Rock am Ring und Wacken eingeschleust. Jedenfalls gingen ich und meine Freundin hin und mussten ihm vorher hoch und heilig versprechen, dass niemand unsere Pässe sieht, weil es direkt die Bandpässe von Massive Attack waren. Wir hingen dann also dort herum und haben brav unsere Pässe unterm Shirt versteckt, uns Getränke- und Essensmarken geben und den Weg in „unsere“ Garderobe erklären lassen. Irgendwann wurde ich dann gefragt, ob ich beim Tischfußball mitspielen mag—und es waren Massive Attack selbst, mit denen ich dann Tischfußball gespielt habe! Danach sind wir alle zusammen auf die Bühne gegangen, ich bin am Rand gesessen und habe versucht, ein paar Fotos zu machen, aber eigentlich war ich schon viel zu besoffen und die Lightshow von ihnen war auch zu groß. Später gingen wir wieder backstage und ich wurde von Massive Attack gefragt, warum ich eigentlich mit ihnen auf der Bühne war und die ganze Geschichte flog auf. Aber das war okay—am Ende der Nacht haben wir einige Flaschen Jägermeister zusammen gesoffen und hatten Spaß.

Skream und Tom One im Stattbad Wedding

Seht euch Tom Ones Fotos an.

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