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Interviews

„Ich erzähle immer, dass ich ein tschechischer Pornostar bin“—Tokio Hotel Interview

Wir saßen mit Tokio Hotel im Ritz Carlton und haben mit ihnen über das Berghain und Pornostars gesprochen.

Foto: Lado Alexi

Eventuell habt ihr es mitbekommen. Tokio Hotel haben am Tag der Deutschen Einheit ein Album rausgebracht. Kings of Suburbia heißt es und—ihr könnt euch beruhigen—es ist nicht die definierende Platte unserer Generation geworden. Was sie aber durchaus hätte sein können. Die Voraussetzungen für ein unverhofftes Comeback sind wie gemalt: Vor vier Jahren zogen Bill und Tom Kaulitz nach L.A. und damit weg von dem Wahnsinn, der ihnen seit „Durch den Monsun“ in der halben Welt entgegengebracht wurde. Tokio Hotel haben vor dem Eifelturm gespielt und Stadien in Japan gefüllt, sie haben sogar israelische Teenager dazu gebracht, deutsch zu lernen. Stell dir vor, die halbe Welt würde dir beim Erwachsenwerden zusehen und du musst immer und immer wieder deine sexuelle Orientierung erklären.

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Das alles habe ich im Kopf, während ich wie ein kleiner Junge in der Eingangshalle des Ritz Carltons sitze, um zum Interview mit Tokio Hotel abgeholt zu werden. Dabei beobachte ich Russinnen in Prada-Schuhen, indische Styler mit Dolce und Gabana-Gürteln und Amerikaner in Givenchy-Shirts. Diese Situation ist schon surreal genug. Als dann noch die Basketballer meines Lieblingsteams, der San Antonio Spurs, an mir vorbeitrotten, weiß ich, dass dieses Interview magisch werden muss. (Kleiner Tipp, setzt euch einfach mal in die Eingangshalle des Ritz und schaut euch die Leute an. Vielleicht solltet ihr aber kein Thug Life-T-Shirt anziehen…)

Paar Minuten später werde ich abgeholt und sitze in einer Doppelsuite. So gleich kommen auch schon die vier Popstars aus dem anderen Zimmer, teilweise schlurfend, teilweise stöckelnd. Bill trägt nämlich Pumps, auf denen Pommes draufgemalt sind. Alle vier grinsen mich an.

Noisey: Bill, du hast bei der Pressekonferenz am Donnerstag gesagt, dass du noch nie im Berghain warst. Da habe ich dir was voraus. Ich war vor zwei Wochen zum ersten Mal da.
Bill: Und? Wie war’s?

Na ja, es war sieben Uhr morgens und ich war nüchtern…
Ich habe auch schon gehört, dass die Leute um neun Uhr dahin gehen. Ist man da nicht gerade erst aufgestanden? Fängt man dann schon an zu trinken?

Ich glaube, viele gehen hin, holen sich einen Stempel, gehen nach Hause, kommen am Nachmittag wieder und bleiben bis Dienstag oder so.
Achso, und du bist um sieben Uhr morgens hin und bist dann bis Dienstag geblieben?

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Um Gottes Willen. Ich bin nach drei Stunden nach Hause gegangen. Aber warum fasziniert dich ausgerechnet das Berghain?
Ich habe einfach gehört, dass das der geilste Club ist und dass Leute aus ganz Europa kommen, um im Berghain zu feiern. In Amerika und gerade in L.A. gibt es sowas überhaupt nicht, dass 24 Stunden in einem Club gefeiert werden kann.

Wann ist da Zapfenstreich?
Um 1:45 ist der Last Call.
Tom: Um Punkt zwei Uhr nehmen sie dir den Drink aus der Hand.
Bill: Und dann gehen die Lichter an. Die machen auch keine Ausnahme. Es ist wirklich langweilig. Aber ist es denn schwierig reinzukommen?

Als ich da war, gab es keine Schlange. Aber ich habe auch schon von Leuten gehört, die drei Stunden in der Schlange standen und nicht reingekommen sind. Aber wusstet ihr, dass es da auch Dark Rooms gibt?
Bill: Im Berghain gibt es auch Darkrooms? Dann will ich erst Recht dahin! (lacht)

Georg und Gustav, wäre das Berghain auch was für euch?
Georg: Ich würde es mir mal angucken.
Gustav: Den Dark Room auf jeden Fall. Das war das überzeugende Argument.
Bill: Also, der Dark Room wäre für euch beiden total was, finde ich.
Tom: Dann kriegen die auch mal was ab.

Genug vom Berghain. Ihr seid vor fünf Jahren nach L.A. gezogen. Wolltet ihr vor dem Tokio Hotel­-Wahnsinn fliehen?
Tom: Es ging jetzt nicht primär um L.A. als Stadt. Wir fanden es die ganze Zeit schon unerträglich. Der ausschlaggebende Punkt war, als bei uns zuhause eingebrochen wurde.

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Von Fans?
Bei uns standen ja jeden Tag 50 Leute vor der Tür. Einer von denen wird es gewesen sein. Als die eingebrochen sind und unsere letzten 600 Quadratmeter Privatleben weggenommen haben, haben wir gesagt, dass wir wegmüssen. Wir kannten in L.A. ein paar Leute und sind dann mit Sack und Pack dahin.
Bill: Wir haben das Haus auch gar nicht gesehen, sondern sind einfach hingefahren.
Tom: Das glamouröse Hollywood­image, das man von L.A. hat, wäre eigentlich der gegenteilige Grund, um dahin zu fahren. Wir wollten eigentlich abtauchen. Das haben wir auch gemacht, als wir ein bisschen außerhalb von L.A. gezogen sind, weil wir auch kein Bock auf rote Teppiche und Promipartys hatten. Lange Zeit haben wir einfach gar nichts gemacht und haben versucht, uns zu verstecken.

Was war das für ein Gefühl, zum ersten Mal anonym zu sein?
Tom: Der Wahnsinn!
Bill: Das war ein Traum. Am Anfang hat es ein bisschen gedauert, bis wir uns daran gewöhnt haben. Man guckt halt, ob da jemand ist oder auf dich wartet. In L.A. können wir auch irgendwo hingehen und unter unseren eigenen Namen reservieren. Wenn wir hier irgendwo einchecken, dann haben wir immer alle Decknamen, damit niemand das rausbekommt. Wenn wir zu lange an einem Ort bleiben, dann geht das nicht gut. Darum sind wir eigentlich immer unterwegs.
Georg: Wir können es ruhig verraten: Sein Deckname ist Vivian Schmitt. (alle lachen)

Wenn du Privatsphäre haben willst, ist das bestimmt nicht der beste Deckname.
Bill: Stimmt, dann stehen andere Leute vor der Tür.
Tom: Mit Umschnalldildo.

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Ihr habt gesagt, dass ihr in L.A. euer Leben nachgeholt habt. Was bedeutet das genau?
Bill: Genau, wir haben erst mal ganz viel Party gemacht. Das musste ich auch erst mal lernen: Ohne Security nachts in den Club. Hier ist es so: Du rufst irgendwen an, dann wird ein Tisch in der VIP­Ecke reserviert, wo ein rotes Absperrband davor ist. Dann sitzt du da wie im Zoo und alle Leute stehen da und machen Fotos. Das ist nicht geil. Da kannst du nicht mit deinen Freunden sitzen und Spaß haben.
Tom: Wir suchen die Clubs auch immer nach Raucherecken aus. Ich liebe es, mich dort mit Leuten zu unterhalten und abzuhängen.

Wenn ihr dann in diesen Raucherecken sitzt und euch mit Leuten unterhaltet, die euch nicht kennen—wie erklärt ihr denen, dass ihr Deutschlands erfolgreichste Rockband aller Zeiten seid?
Bill: In L.A. ist es so, dass die Leute sofort erzählen, was sie machen und wie toll sie sind. Tom und ich halten dann immer die Fresse, deswegen denken die, dass wir total komisch sind. Wenn ich irgendwo ganz alleine bin, dann lüge ich auch einfach oft. Dann erzähle ich, dass ich Student bin. Letztens hat mich einer gefragt, was ich mache und ich habe erzählt, dass ich Fotografie studiere. „Der meinte: Das gibt’s nicht! Ich bin Fotograf!“ Ich dachte mir nur „Scheiße!“ Dann fragt er mich, was meine Lieblingskamera und meine Lieblingslinse ist.
Tom: Hast du ihm gesagt, dass deine Lieblingskamera dein iPhone ist?
Bill: (lacht) Ich habe mich schon oft gefragt, was realistisch ist und was die anderen mir abnehmen würden.
Tom: Ich sage immer, dass ich tschechischer Pornostar bin.

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Hast du auch einen tschechischen Akzent drauf?
Tom: Nö, ich pack einfach immer mein Ding aus. Das reicht als Beweis.

Ich glaube, wenn ihr euch das nächste Mal was überlegt habt, solltet ihr definitiv noch recherchieren.
Bill: Total. Wir sollten das nächste Mal echt was nehmen, worin wir uns auskennen. Wir haben sogar schon gesagt, dass wir reiche Eltern haben, aber das haben sie uns auch nicht geglaubt.

Nach fünf Jahren habt ihr euch jetzt musikalisch zurückgemeldet. Welche Erkenntnisse habt ihr aus der Zeit für die Zukunft gewonnen?
Bill: Ich glaube, es ist wichtig, dass wir eine Balance finden zwischen dem Tokio Hotel­-Wahnsinn und unserem Privatleben. Früher gab es kein anderes Leben außer in dieser Blase. Irgendwann wirst du depressiv und kannst es auch nicht genießen. Dann ist es dir scheißegal, in welcher Stadt du bist oder welchen Preis du gewinnst. Irgendwann ist es so, dass du nicht weißt, wie die TV-Show heißt, in der du auftrittst. Dass man das aber genießen und wieder wahrnehmen kann, dafür braucht man einen Rückzugsort. Das Ziel ist es, den zu behalten, weil wir den gerade haben.

Habt ihr in der Zeit bewusster Musik gehört?
Tom: Klar, wir waren auf Festivals und man hört in der Anfangsphase der Produktion zum Album sehr viel neue Musik. Ich höre gerade sehr viel Chet Faker. Ich finde das neue Video von ihm auch super, obwohl es so simpel ist. Wie haben die das gemacht? Die sind niemals auf der Straße gefahren, weil die Kameraführung so smooth ist. Das ist genial.

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Wie wollt ihr denn, dass die Leute das neue Tokio Hotel aufnehmen?
Tom: Wir wünschen uns, dass die Leute die Platte neutral aufnehmen und sich die Musik einfach anhören. Ich mag einfach gut gemachte Musik. Sobald ich einen Song höre, bei dem ich denke: Das ist ein geiles Songwriting mit guter Produktion, dann mag ich das. Es mir dann auch egal, wo das herkommt oder welcher Name draufsteht. Das wünscht man sich als Künstler selber natürlich auch. Deswegen haben wir auch die Pause gemacht, weil wir mit Musik zurückkommen wollten, über die man sprechen kann und nicht nur über irgendwelche Privatgeschichten.

Kann man das denn bei euch neutral bewerten? „Durch den Monsun“ hat sich bei mir schon eingebrannt und ich habe es damals ehrlich gesagt nicht gefeiert.
Das ist ja bei uns genau das Gleiche. Als wir mit 15 „Durch den Monsun“ gemacht haben, fand ich den Song total geil. Heute würden wir den Song so wahrscheinlich nicht mehr schreiben.
Bill: Das kommt immer drauf an, wie offen die Leute die Leute sind. Wenn ich einen Song gut finde, dann höre ich ja erstmal nur den Song und erfahre erst im Nachhinein, wer ihn gemacht hat. Nur weil ihn jemand gemacht hat, den ich vorher nicht so gut fand, kann ich ihn mir ja trotzdem mal anhören. Deswegen haben wir auch drei Lieder vor dem Album veröffentlicht. Die Leute sollen erst unser Musik hören und können danach schauen, wie wir aussehen.

Leider haben wir keine Zeit mehr. Aber wann gehen wir denn jetzt zusammen ins Berghain?
Bill: Ich würde am Liebsten jetzt schon gehen. Das Problem ist, dass wir übermorgen nach Frankreich fliegen. Aber wir richten uns gerade ein Studio in Berlin ein. Wir wollen nämlich unsere Base von Hamburg nach Berlin verlegen. Hoffentlich haben wir bald die Möglichkeit mal hinzugehen.
Georg: Es hat doch noch auf. Theoretisch könnten wir jetzt auch spontan gehen.
Bill: Stimmt. Lass uns alle Termine absagen und wir sehen uns Dienstag Abend wieder.

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