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Interviews

Ein seltenes Gespräch mit der Erfinderin von Deutschlands größter Girlgroup: Tic Tac Toe

Claudia Wohlfromm hat das Konstrukt Tic Tac Toe ins Leben gerufen und damit eine ganze Generation geprägt. Nicht nur, weil wir jetzt alle „scheiße“ sagen dürfen.

Tic Tac Toe (Lee, Jazzy, Ricky) mit Erfinderin und Managerin Claudia Wohlfromm (2 v.r.)
Foto: © Axl Jansen | CC BY 3.0

„Wenn wir Freunde wären, dann würdest du so einen Scheiß überhaupt nicht machen! Du machst uns alles kaputt! Das schwöre ich!“. Jeder kennt dieses Video, in dem die blauhaarige Lee unter Tränen ihre Bandkollegin Ricky anschreit, durch die Tür verschwindet und eine johlende Menge an Journalisten zurücklässt. Es ist wohl die bekannteste Pressekonferenz in der deutschen Musikgeschichte, die sich am 21. November 1997 in München ereignete. Eigentlich wollten Jazzy, Lee und Ricky an diesem Abend Einigkeit beweisen, doch es war das endgültige Ende einer einzigartigen Band.

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Tic Tac Toe ist die erfolgreichste deutsche Girlband aller Zeiten, obwohl sie in ihrer ursprünglichen Besetzung nur zwei Jahre bestand. Ihre Songs „Ich find' dich Scheiße“, „Leck mich am A, B, Zeh“, „Verpiss dich“ oder „Warum?“ stellten Mitte der 90er die Republik auf den Kopf. Davor gab es keine Girlband, die rappte und mit solch expliziten Texten provozierte. Die Wirkung wurde nicht verfehlt: Die gesellschaftlichen Eliten fühlten sich provoziert und reduzierten den überschwänglichen Erfolg der Gruppe auf ihre Fäkalsprache. Oft wurde ignoriert, dass die Band nicht nur sprachlich sondern auch thematisch die Musiklandschaft durchwirbelte. Mit klaren Aussagen sangen sie über Verhütung, Missbrauch, Drogen und Selbstmord und beeinflussten damit wohl eine ganze Generation von Mädchen.

Während ihrer erfolgreichen Jahre suchte die Presse immer wieder nach Schmutz im Bandgefüge. Bei Lee wurden sie fündig. Sie fanden heraus, dass die Deutschjamaikanerin kurze Zeit im Bordell gearbeitet hat und einen Ehemann hatte, der sich erhängte, als Tic Tac Toe ihre größten Erfolge feierte. Auch die Entstehungsgeschichte der Band wurde angezweifelt: Lee sei bei einer HipHop-Jam im Ruhrgebiet als einzige Frau aufgetreten, danach seien Jazzy und Ricky spontan auf die Bühne gekommen, um mitzurappen. Nach dem Auftritt hätten sie einen Plattenvertrag in der Tasche gehabt.

Das kurze, aber intensive Kapitel Tic Tac Toe ist die Erfindung von Claudia Wohlfromm. Sie entdeckte die Mitglieder, komponierte mit ihrem damaligen Lebensgefährten Torsten Börger die Musik, schrieb die Texte und war auch noch Managerin der Band. Später übernahm sie auch das Management von Falco, bevor er starb. Nach dem ersten erfolglosen Comeback von Tic Tac Toe im Jahr 2000 zog sie sich komplett aus der Musik zurück. Heute lebt Wohlfromm in Palma de Mallorca und betreibt die Firma „hecho con-amor“, unter anderem managt und komponiert sie wieder für Jazzy und einen Newcomer.

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Da wir kein Interview von ihr fanden, schickten wir ihr ohne große Hoffnung eine Anfrage. Wie selbstverständlich kam ein „Können wir gerne machen“ zurück, und eine Woche später telefonierten wir.

Noisey: Wundert es dich, dass das Thema Tic Tac Toe heute so totgeschwiegen wird, obwohl ihr über vier Millionen Platten verkauft habt?
Claudia Wohlfromm: Berichtet wird immer noch, aber immer nur über die Pressekonferenz. Ich kann mir das nur damit erklären, dass es damals so ein komisches Ende genommen hat und das die Mädchen in ein merkwürdiges Licht gerückt hat. Es ist ja nicht wegen schlechter Musik auseinandergegangen, sondern aufgrund von menschlichem Versagen. Wenn Anfragen kommen, dann geht es darum: Wer ist pleite? Wer ist gerade auf Drogen? Es geht nie um die Musik, aber ich kann mir vorstellen, dass sich das irgendwann wieder drehen wird. Vielleicht in 20 Jahren.

Wie blickst du heute auf die Zeit mit Tic Tac Toe zurück?
Es war natürlich eine sehr aufregende Zeit, ich blicke da mit sehr viel Stolz drauf, weil wir was Großartiges geleistet haben. Aber natürlich ist da auch viel Wehmut dabei, weil es nicht zu verhindern war, dass es geknallt hat. Aber das passiert ja immer, wenn es plötzlich um sehr viel Geld und Ruhm geht und wenn andere von Außen diesen inneren Kreis verunsichern. Da sind wir nicht die Einzigen. Bei uns war es nur öffentlich.

Auf deiner Website steht der Spruch: „Wer erfolgreich Musik machen will, der darf kein Feigling sein.” War das eure Maxime, als ihr angefangen habt?
Wenn du Musik machen willst, dann musst du dein ganzes Sein ergründen. Es reicht nicht, dass du nur ein bisschen von dir zeigst, sonst kommt es bei den Leuten nicht an. Es muss nicht jeder alles können, das war in unserem Fall auch nicht so. Börger (Torsten Börger Anm. d. Red.) und ich haben die Musik produziert und die Texte personenbezogen geschrieben und die Mädchen haben es interpretiert. Alle fünf, die daran beteiligt waren, haben alles gegeben. Deswegen waren wir am Ende des Tages ziemlich leer.

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Warum war der Erfolg von Tic Tac Tos aus deiner Sicht so überwältigend?
Es war damals nicht üblich so Tacheles zu reden und solche Themen anzugreifen. Es gab ein paar Leute, die Tic Tac Toe nur auf Fäkalsprache reduziert haben und nicht richtig zugehört haben. Doch wir wären bestimmt nicht so erfolgreich gewesen, wenn es nicht so angekommen wäre, wie wir es gemeint haben. Die Themen, die wir gehabt haben, waren wahnsinnig brisant. Zum Beispiel vom Drogennehmen oder von dem Selbstmord von einer Freundin von Lee. Bei „Leck mich am A, B, Zeh“ ging es darum, Kondome zu benutzen. Wir haben das Thema Kindesmissbrauch behandelt, was für unglaublich viele Zuschriften gesorgt hat, weil die Mädchen als Freundinnen gesehen wurden, denen man diese Dinge anvertraut hat. Wir haben eine ganze Generation sehr positiv beeinflusst.

Wenn ich mir heute die Berichte zu Tic Tac Toe von damals durchlese, dann hatte das meinem Eindruck nach einen sexistischen Unterton. Habt ihr das auch so empfunden?
Nein, das Gefühl hatte ich nicht. Ich glaube, die Presse kam nicht damit klar, dass drei Mädchen, die so frech waren, eine so große Plattform bekommen haben. Starke Frauen sind oftmals nicht so beliebt. Vor allem waren es drei davon—mit mir vier—und so sind wir immer wie eine Wand aufgetreten.

Aber es wurde fast schon nach privaten Ausrutschern gesucht.
Aber das ist immer so, wenn man auf der Eins steht. Natürlich wollen viele auch auf diesen Platz. Und wenn man gefühlt aus dem Nichts kommt, dann wird man natürlich mit Scheiße beworfen. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, dann geht es immer ins Privatleben. Bei uns war mit den extremen Charakteren, die wir ja auch so ausgesucht haben, extremes Futter da. Lee, die auch kurz durchs Bordell gerutscht ist und darüber gesungen hat—so etwas gab es vorher nicht. Für mich zählte der Mensch und Lee war für mich liebenswert. Sie kommt ja aus einem extremen Milieu und deswegen konnte sie das auch so interpretieren, aber sie hat eine Chance bekommen, sich zu ändern. Das gibt es in Amerika, aber in Deutschland waren die Leute es nicht gewöhnt.

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Warum konnte niemand den Erfolg von Tic Tac Toe wiederholen?
Tic Tac Toe ist nicht kopierbar. Die Mädchen haben es ja selber versucht und nicht geschafft. Damals habe ich mir gedacht: Macht das nicht, das kann nur peinlich werden.

Stammt die legendäre Entstehungsgeschichte aus deiner Feder?
Am Ende des Tages ist das ja wirklich so passiert. Die Idee mit Lee und Ricky eine Band zu machen, gab es schon. Jazzy habe ich dann bei einer Jam entdeckt und die drei zusammen geführt.

Du hattest also einen Plan von einer Girlband im Kopf und hast nach drei Mädchen gesucht?
Ganz genau so. Ich wusste in dem Moment, als ich mir das ausgedacht habe, dass es was wird. Dass es so riesig und der erste Song gleich zum Hit wurde, war mir natürlich nicht klar. Aber die Vorstellung war sehr konkret. Lee kenne ich schon, seit sie klein war. Die hat damals in meinem Studio gesungen. Als sie 15 war, habe ich ihr schon gesagt, dass ich irgendwann kommen und sie holen werde. Das ist dann vier Jahre später auch passiert, als das Konzept da war, das passte.

Aus welchen Beweggründen wolltest du denn eine Band gründen?
Für mich war es wichtig, ein Sprachrohr zu haben für das, was in der Generation damals passiert ist: Materialismus, Drogen, Aids—das waren alles Themen, die die Generation damals beschäftigt haben.

Wie hat die Musikindustrie damals auf „Ich find’ dich scheiße“ reagiert?
Die Meisten haben es anfangs boykottiert. „Ich find dich scheiße“ durfte man damals im Fernsehen und Radio noch nicht sagen, was man sich heute auch nicht mehr vorstellen kann. Ich glaube sogar, dass die Bayern die Ersten waren, die es im Radio gespielt haben. Erst dann ist es zum Riesen-Hit geworden. Ich glaube, viele in der Musikindustrie haben sich von dem Text angesprochen gefühlt, was ich sehr lustig fand. Ich kann mich noch an eine Dame von einer Plattenfirma erinnern, die vor der Veröffentlichung so einen Schiss hatte, dass sie gefragt hat, ob die Mädchen nicht „Ich find’ dich klasse” singen könnten (lacht).

War Tic Tac Toe ein Teenie-Phänomen oder wie sehr hat die Band die Gesellschaft beeinflusst?
Wir hätten niemals so viele Platten verkaufen können, wenn es nur Kinder und Jugendliche aufgenommen hätten. Mit „Verpiss dich“ zum Beispiel haben wir auch 30-Jährige gekriegt. Damit konnte sich jeder identifizieren. Das Lied kannst du heute noch nehmen und jedem vorspielen, weil es ein Evergreen ist. Es wird nur nicht mehr gespielt, weil es die Pressekonferenz gab und die Mädchen in einem schlechten Licht dastanden.

Hast du heute noch Kontakt zu den ehemaligen Mitgliedern?
Ich habe mit Ricky noch ein bisschen Kontakt. Bei Lee weiß ich nicht, wo sie ist. Das weiß keiner, sie hat sich total zurückgezogen. Mit Jazzy bin ich ganz eng befreundet. Die hat ja auch eine Zeit hier gewohnt und hat jetzt ein Baby bekommen. Wir sprechen auch oft über die Zeit. Eines Tages werde ich meine ganzen Videos, die ich privat gedreht habe, mal rausholen und der Welt zeigen. Aber bisher hatte ich noch keine Lust zu.

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