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Wir müssen endlich einsehen, dass Nazis auf Hardcore-Shows gehen

Dass die Hooligans hinter den Attacken auf das Leipziger Alternativ-Viertel Connewitz überdimensionale Terror-Aufkleber auf ihren Autos hatten, ist kein Zufall.

Hardcore ist ein bisschen wie der Pausenhof einer Sonderschule für verhaltensauffällige Jugendliche mit ADHS. Jeder hängt nur in seiner Gruppe rum, findet alles außerhalb dieser zum Kotzen und jede noch so kleine Diskussion, sei es über Bands, Moshen oder Skinny Jeans, hat das Potential so zu eskalieren, dass der Pausenaufsicht nichts anderes übrig bleibt, als die streitenden Gruppen mit Ritalin-Gasgranaten zu trennen. Nur auf eins konnte man sich trotz aller Anfeindungen immer irgendwie einigen: Nazis sind scheiße. Im Jahr 2016 bekommt man aber immer öfter das Gefühl, dass diese einstige Bastion der Gemeinsamkeit nur noch im sogenannten „früher“ existiert, von dem dir alte Menschen erzählen, wenn sie nicht gerade Mittagsschlaf machen oder verwirrt im generationenfreundlichen Hofer mit der Lupe die Zutaten der Maggi-Linsensuppe studieren.

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Dass sich auf größeren Hardcore-Veranstaltungen immer mehr rechtsgesinnte Menschen befinden, war bisher nur ein vages Gefühl, was ab und zu durch Hörensagen von Freunden und Bekannten bestätigt wurde, die davon erzählten, dass einige HC-Bands zwar gerne „Refugees Welcome“ brüllen, auf ihrem Dorf aber ohne größere Probleme mit Nazis an der Tanke hängen und Bier trinken. Dieses nicht greifbare Gefühl erfuhr am 11. Januar leider traurigen Zuspruch. Der Tag markiert den vorläufigen Ekel-Höhepunkt der neurechten Bewegung im deutschsprachigen Raum. Während „Wir sind ja keine Nazis“-LEGIDA zusammen mit Kategorie C-Frontmann Hannes Ostendorf in der Leipziger Innenstadt die „westlichen Werte“ verteidigte, zogen 250 Nazis aus der Hooligan-Szene ins linksalternative Connewitz, um dort einen kompletten Straßenzug zu zerlegen und Wohnhäuser mit Feuerwerkskörper zu beschießen, wodurch teilweise kleinere Brände entstanden.

Für die ansässigen Lokaljournalisten vom MDR natürlich eine aufregende Nacht. Kein Wunder also, dass diese bis nach Mitternacht vor den geparkten Autos der gefassten Täter ausharrten, um diese nach ihrer vorläufigen Freilassung abzufangen. Die Wartezeit nutze das MDR, um anhand von Zeichen an den Fahrzeugen auf die mögliche Gesinnung der Täter zu schließen. Neben typischen Symboliken, wie „1488“ auf dem Autokennzeichen und einer Wolfsangel filmten die Journalisten auch zwei überdimensionierte Aufkleber der kalifornischen Hardcore-Band Terror.

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Ganz ehrlich: Selbst, wenn man mit Terror eher weniger am Hut hat, würde man bei diesen Bildern am liebsten das Frühstück—bestehend aus gentrifiziertem grünem Bio Fairtrade-Smoothie und Club Mate—auf das finanzierte MacBook kotzen, wenn man es nicht für den Job als „Irgendwas mit Medien“ brauchen würde. Wie kann es sein, dass Menschen, die so offen dazu stehen, dass sie Nazis sind, Hardcore hören? Und dazu noch eine Band, die sogar beim harten Antifa-Kern Anklang findet? So sehr, dass dieser gewaltbereite linke Kern nicht nur beschlossen hat, einen Song von Terror zur musikalischen Untermalung eines Mobilisierungsvideos zu nutzen, auf dem zu sehen ist, wie zwei Antifaschisten im Dezember den (Ex-) NPD-Politiker Axel Radestock in seinem Laden verprügeln und dabei sogar Merch der Band tragen?

Nun könnte man einfach sagen, dass sich Musiker ihre Fans nicht aussuchen können, genauso wenig wie sich Casper ausgesucht hat, dass Menschen auf PEGIDA-Demonstrationen seine Songs gespielt haben. Statistik ist ein unbarmherziges Miststück und je größer das Publikum wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es eben auch Idioten darunter gibt. Es wäre jedoch zu einfach und zu dumm, diese Tatsache mit eben so einer Begründung leichtfertig abzutun, denn im Gegensatz zu vielen anderen Genres liegen die Wurzeln von Hardcore tief in der linken Subkultur und auch heute baut die Szene auf den daraus resultierenden Werten auf. Das Problem sind dabei nicht einmal Nazis, die auf Hardcore Shows gehen, sondern dass Bands nicht aktiv betonen, dass solche Menschen auf keiner Show einen Platz haben.

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Hier ist die Schuld nicht bei kleineren Bands wie Light Your Anchor oder Wolf Down zu suchen, die vehement eine antirassistische und antifaschistische Haltung an den Tag legen und damit auch das ein oder andere Dorfkind anpissen, welches auch nach dutzenden Beiträgen zu brennenden Flüchtlingsheimen immer noch keinen Unterschied zwischen Links und Rechts sieht. Nein, das Problem sind große etablierte Bands, die von einem Großteil der Community wie Legenden vergöttert werden. Hier kann man nichtmal mit dem Finger auf eine spezielle Band zeigen, vielmehr ist es die Summe aus Bands wie Terror, Madball und Agnostic Front—die Szene wird nunmal eher auf dem With Full Force als auf dem Fluff Fest geprägt.

Genau diese Bands haben durch ihre Größe jahrelang die heutige Szene geformt und schrittweise für eine Entpolitisierung gesorgt. Je größer die Community wurde, desto mehr wich man von konkreten Problemen ab. Alles, worum es nur noch ging und geht ist: „Wer ist true? Früher war es besser! Wer ist härter? Warum tragen Männer heutzutage so enge Hosen?“ Und überhaupt, von Phrasen wie „The strong will survive“ „Family and friends come first“ und „Never look back“ fühlt sich irgendwann natürlich auch ein Durchschnitts-Rechter angesprochen. Dazu kommt dann noch die brachiale und rohe Natur von Hardcore, die es dann sehr einfach macht, die linken Wurzeln zu vergessen.

Die Größe einer Show sagt dabei viel über die politische Präsenz aus. Ist Politik und Gesinnung auf kleinen Shows durch Besucher und Bühnenansagen noch extrem greifbar und omnipräsent, nimmt das mit Wachsen des Konzertraums deutlich ab. So scheint sich die sehr konkrete Message auf kleinen Shows („Scheiß Nazis“) zu einer schwammigen und sehr unkonkreten Nachricht („Steht zu euren Freunden“) zu entwickeln, die sowohl von links als auch von rechts angenommen werden kann. Von den größeren Bands neigen lediglich Bands wie Nasty oder Stick To Your Guns dazu, sehr konkrete Aussagen zu treffen. So stand STYG-Frontmann Jesse bei einer Show in Dresden auf der Bühne und nutzte eben diese Plattform, um klarzumachen, dass man überall auf der Welt entschlossen gegen Faschismus vorgehen müsste. Bei der Band, die danach spielte, habe wurden solche konkreten Aussagen jedoch vermisst—diese Band war Terror.

Natürlich ist es falsch, mit dem Finger auf eine einzelne Band zeigen und sagen, dass speziell sie Schuld daran hat, dass sich Nazis nun im Hardcore aufgehoben fühlen. In diese Scheiße sind wir alle gemeinsam getreten. Aber dieses ständige Aufgeilen an der eigenen Geschichte und dem Tough-Guy-Image ist trotzdem nicht nur vollkommener Bullshit, sondern hat über die Zeit auch dafür gesorgt, dass die politischen Wurzeln der Szene immer irrelevanter werden. Bands bekommen die Szene und Fans, die sie verdient haben und aktuell sieht es so aus, dass diese Szene eben auch Leute beherbergt, die versuchen, Wohnhäuser in Brand zu stecken, nur weil sich diese in einem linken Viertel befinden.

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