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Taktloss hat Deutschrap getötet, tötet, tötet—Ein Nachbericht zu den letzten Konzerten in Berlin

Taktloss, ein lebendes Relikt aus einer Zeit, als Rap noch wirklich Untergrund, wirklich böse und ein Abgrenzungsmerkmal gegen die anderen Kids vom Pausenhof war, sagt adieu.

A photo posted by Frank (@frankwe92) on May 29, 2016 at 4:14am PDT

Als Taktloss ankündigte, sein letztes Konzert aller Zeiten zu spielen, drehten die Leute durch. In mehrerer Hinsicht. Kaum ein Rapper ist so eigen, so legendär und mystisch, wie der "letzte tighte Nigga" Takti. Ein lebendes Relikt aus einer Zeit, als Rap noch wirklich Untergrund, bitter böse und ein Abgrenzungsmerkmal gegen die anderen Kids vom Pausenhof war, sagt adieu. Aber gut, wir wollen hier nicht den "früher war alles besser"-Opa in uns raushängen lassen. Jedenfalls drehten die Leute so sehr durch, dass das allerletzte Konzert zu zwei allerletzten Konzerten ausgeweitet werden musste. Und wir waren auf beiden dabei. Der Versuch eines Nachberichts.

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Versuch deswegen, weil es einerseits schwierig ist, ein Konzert—noch dazu ein Taktloss-Konzert und nochmal dazu, das LETZTE Taktloss Konzert—mit Worten zu beschreiben. Wie ja hinlänglich bekannt ist, ist Taktloss schließlich ein wahnsinniger Live-Rapper, Entertainment-Genie und verschrobener Typ hoch 10. Ein Konzert vom werten TAK muss man vermutlich einfach erlebt haben, um zu verstehen, was da eigentlich abgeht. Zweitens hatten sich die Noisey-Berichterstatter auf die beiden Abende verteilt, was einen ziemlichen Unterschied in der Berichterstattung ausmacht.

Während Tristan am ersten Abend des letzten Konzerts im Astra Berlin die Stimmung als "zwischen Ostergottesdienst und Fußballstadion schwankend" beschrieb, war am zweiten Abend die Stimmung eher das Konzert-Äquivalent der Bergpredigt. Mit Sicherheit kann man sagen, dass Takti wohl das größte eigene Publikum seiner Karriere an beiden Abenden bespielen durfte. Und das tat er—wie man es von Taktloss gewohnt ist—in komödiantischer, artsy Form. Dennoch merkte man, das er sich viel überlegt hatte. So führte Taktloss durch eine wunderbar entertainende Show (wie eigentlich immer, aber viele seiner Moderationen waren neu und nicht mehr die, die er teilweise jahrelang sehr ähnlich durchgezogen hatte).

Das beginnt bei seinen schizophrenen Konversationen mit DJ Ugly Cut (der nicht exsitiert—das Konzert ist eine ununterbrochene MP3-Spur in WinAmp, inklusive Pausen, eine wirklich beeindruckende Leistung hinsichtlich Koordination und Timing), der Einsätze verkackt und schlecht scratcht, zieht sich durch bei seinem angeblich blinden Saxophonspieler, der zwischenzeitlich mit kleinen Instrumental-Einlagen die Menge unterhält, während sich Takt ein neues Fussballtrikot anzieht, und endet nicht zuletzt bei den unzähligen "Was macht mein Label?"-Einspielern, auf die das Publikum Takt mit erleuchteten Gesichtern "Es fickt die Biatch" entgegenbrüllt, so wie damals die Jünger bei Jesus. Naja, im übertragenen Sinne.

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A video posted by Noisey Deutschland (@noisey_de) on May 30, 2016 at 12:58am PDT

Richtig schön und spannend wird es, wenn Dinge passieren, die Taktloss selbst so nicht vorhersehen konnte und ihn tatsächlich ab und an aus seiner "Verrückter-Diktator-auf-der-Bühne"-Rolle ausbrechen lassen. Sei es, weil er einen Kreis im Publikum verlangt, in dem Breakdance getanzt werden soll—und dann passiert das wirklich. Das ringt ihm kurz ein ehrliches Lächeln ab, dem man anmerkt, dass das hier ein ganz besonderes Konzert ist. Oder als MC Bogy auf der Bühne zwei Parts performt, dazwischen aber als Hypeman und Dues-payer für Taktloss' Verdienste um den deutschen Rap seine wahre Bestimmung findet und Taktloss in einer innigen Umarmung abermals zum normalen Menschen werden lässt.

Wo wir von Gastauftritten reden: Es war wohl ab der Ankündigung von Kool Savas klar, dass der zweite Abend der noch legendärere werden würde. Schließlich bedeutete Savas' Zusage neben denen von Justus Jonas und Jack Orsen eine Wiedervereinigung der legendären Westberlin Maskulin Crew MOR—ein Auftritt, auf den Rapfans seit 17 Jahren gewartet haben. Der Moment, als Savas dann plötzlich auf die Bühne kam und Takti und er zusammen "Horror" flexten, war wirklich—ohne kitschig werden zu wollen—so, als ob zwei Delfine vor einem Regenbogen kreuzend aus dem Ozean springen würden: magisch. Spätestens als sie "Battlekings" rappten, hätte von Emotionen her vermutlich selbst Saad Wackelpudding in der Brust gehabt.

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A video posted by Sebastian (@schwaboswissenwerderbaboist) on May 30, 2016 at 2:18am PDT

Eine weitere Erkenntnis, die einem bei diesem Auftritt bewusst wird: Man kann von seiner Musik halten, was man will: Kool Savas ist vermutlich einer der besten Live-Rapper Deutschlands—vielleicht sogar international betrachtet. Da verzeihen wir ihm fast sogar "Der Rhythmus meines Lebens". Wobei keinesfalls vergessen werden darf, dass Jack Orsen und Justus Jonas ebenso absolute Killer auf der Bühne waren, wobei Ersterer mit seiner unglaublichen Präsenz und sauber geflexten Parts zum geheimen Publikumsliebling an dem Abend wurde. Aber auch Justus Jonas sorgte für ehrerbietendes Gejohle und Applaus mit mir bis dato noch unbekannten Zeilen wie "Ihr seid so lächerlich / Eure Lines sind nicht mehr als ein Wespenstich / meine Reime ein Zähne fletschendes Krokodil, das gerade deine Schwester frisst".

Jedes einzelne MOR-Mitglied glänzte an diesem Abend für sich: Jack Orsen mit seiner unglaublichen Präsenz, Justus mit den besten Zeilen, Takt natürlich mit seiner Theater-esquen Performance und Savas, mit der stimmlichen Delivery eines in einer Kinderschaukel verbissenen Kampfhundes auf Speed.

A photo posted by EASYdoesit.de (@easydoesit_berlin) on May 29, 2016 at 2:55pm PDT

Von Links nach Rechts: Kool Savas, Fumanschu, Taktloss, Justus Jonas, Jack Orsen, Big Derill Mack

Selbst wenn dies doch nicht Taktloss' letztes Konzert gewesen sein mag (was wir natürlich hoffen und irgendwie auch ein bisschen sicher sind, dass da noch was kommt) kann man nach dem, was da am Wochenende passiert ist, dennoch mit Fug und Recht behaupten: Es gibt kein Battle. Allerspätenstens jetzt nicht mehr.

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