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Szenenwechsel

Wir haben einen Indie-Fan in den Mosh-Pit geworfen

Eigentlich wollte Alex zum Bloc-Party-Konzert gehen, aber wir haben ihn stattdessen zu einer Show der Beatdown-Band Nasty gezerrt.

Wie sagte B-Tight doch so schön zu Sekte-Zeiten: „Wer in der Scheiße sitzt, gewöhnt sich an den Dreck / Dann is es normal, das alles nach Scheiße schmeckt.“ Und er hat recht! Wenn du zu lange nur in deiner Musikszene rumhängst, mit den immer gleichen Leuten zu den ewig gleichförmigen Beats tanzt und bereits mit der dritten Kopie eines Szene-Sterotypen zusammen bist, hast du vergessen, was die Musikwelt dir eigentlich noch zu bieten hat. Da wir das ziemlich traurig finden, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, Leute aus den unterschiedlichsten Szenen auf ein musikalisch komplett gegensätzliches Konzert zu laden. Und genau deswegen musste Alex, der Bloc-Party-Fan, zu Nasty in den Moshpit.

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Alex ist eher so der Indie-Typ. Früher kam er mit Blink 182 und NoFX auf die Pop-Punk-Schiene, wurde dann durch Rancid und Dropkick Murphies zum kompletten Back-Katalog von Hellcat Records verleitet und immer mehr in die Punk-Ska-Ecke getrieben, bis ihn eine Freundin zu den Libertines, Eels und Mando Diao lotste. In dieser selbstbeweihräuchernden Indie-Ecke blieb er dann auch sitzen—bis heute. Eigentlich wollte er am Sonntagabend zum Bloc-Party-Konzert gehen, aber ich habe ihn stattdessen ins Berliner Cassiopeia gezerrt, wo er sein erstes Beatdown Hardcore-Konzert erleben durfte. Nasty sei Dank.

Im Vorfeld äußerte Alex dann aber Bedenken: „Ich habe ein bisschen Angst wegen Sonntag.“ Kein Wunder, hat er Hardcore doch nie gehört, geschweige denn Beatdown, die wesentlich härtere Spielart. Was Beatdown denn überhaupt ist? Eine musikalische Schlägerei. Ohne Scheiß, während bei regulärem Hardcore ab und zu langsam groovende Parts zum Ausrasten einladen, zelebriert Beatdown diese Parts in aller kindischen Stumpfheit. Dementsprechend legen die Leute vor der Bühne dann keinen Stehtanz hin, sondern setzen eher alle Gliedmaßen in Bewegung und vermeiden dabei keinen Körperkontakt—Moshen eben.

Es soll wohl etwas lauter werden.

Das alles habe ich auch Alex erklärt und ihm einen Song von Nasty, einer der bekanntesten Beatdown-Bands Europas, gezeigt. Ob er sich sehr auf den Abend freue? „Ich habe keinen Bock auf den Pit und dass die Leute immer nach vorne rennen. Ich tanze ja gerne, finde es auch super nervig, wenn sich Leute nicht bewegen. Aber das ist mir echt zu viel. Nach ein paar Bier geht das vielleicht schon, aber sonst nicht.“ Kleiner Spoiler: Es wird am Abend nur zwei Bier brauchen, bis Alex sich in den Pit wagt. Erst steht aber noch etwas viel Wichtigeres an: die Outfit-Frage. Ein paar Stunden vor dem Konzert fragt er noch über Chat: „Fuck was soll ich nur anziehen?“. Er entscheidet sich für ein unauffällig dunkelblaues T-Shirt und wir treffen uns wenig später im Berliner Cassiopeia.

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Alex’ erster Check des schon anwesenden Publikums: „Die sehen echt alle gleich aus. Ohne umgedrehtes Basecap, Beanie oder Tattoo fällt man hier auf.“ Er hat irgendwie recht. Eine Hardcore-Show gleicht einem Modesteg, auf dem jeder eine Variation des gleichen Styles präsentiert. Ich gehe schon seit gut zehn Jahren auf solche Konzerte und habe mich so daran gewöhnt, dass hier jeder großflächig bedruckte Shirts, Karohemden und genannte Kopfbedeckungen trägt, dass ich das glatt übersehe. Und Alex fällt noch etwas auf: „Voll viele haben Sportschuhe an! Auf einem Motörhead-Konzert wurde ich mal auf dem Klo von einem alten Typen ausgelacht, weil ich Sneaker anhatte und er Stahlkappen-Stiefel. Das hätte ich hier auch erwartet. Ist sowieso überraschend, wie hart HipHop und Hardcore stylemäßig beieinander liegen.“ Trotzdem denkt er nicht, dass er groß auffällt, zugehörig fühlt er sich aber auch nicht. Auf den ersten Check-Schreck erstmal etwas Vertrautes, Alex bestellt sich ein Bier und gesteht mir irritiert: „Ich habe mal geschaut, die Band ‚Beatdown’ spielt doch heute gar nicht.“ Schade.

Lautes Gerumpel aus dem Keller sagt uns, dass die Vorband Expire wohl angefangen hat. Alex geht voran, sein Bier in sicherem Griff an sich haltend. Wir stellen uns weiter hinten hin und beobachten das Treiben. Das Publikum bewegt sich schon ein bisschen zu den aggressiven Oldschool-Riffs, aber an sich erinnert ihn das alles an die gewohnten Punkrock-Shows seiner Jugend, „aber mit überraschendem HipHop-Einschlag. So ein bisschen wie Transplants. Sowas kenne ich und finde dann auch cool.“ Trotzdem ist er schockiert, als ein Typ einfach auf die Bühne steigt und sich ohne Rücksicht wieder ins Publikum stürzt. Natürlich fängt ihn nur der Boden auf. „Das mit dem Stagediving habe ich noch nicht gecheckt. Ich habe das nie gemacht, vielleicht ist es ja megacool. Aber einfach so von der Bühne zu springen, ohne zu warten, wer dich auffängt?“

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Mosh-Pit (Symbolbild) | Foto: Flickr | Suzy S. Photography | CC BY 2.0

Wir gehen wieder hoch, beobachten Leute in kurzen Hosen, denen der Winter egal ist und schauen uns die Merch-Stände an. Alex holt sich noch ein Bier, dann geht es wieder nach unten, wo Nasty gerade ihren Sound checken. Alex kämpft sich jetzt viel weiter nach vorne, ich folge ihm stolz. Bereits nach den ersten Akkorden wird deutlich, dass Beatdown vom Publikum eine wesentlich kreativere Reaktion als bloßes Rumspringen abverlangt. Jetzt wird überschwänglich mit dem Oberkörper gegroovt und Gliedmaßen von sich geschleudert: „Witzig, wie die immer in die Luft schlagen… Aber die Energie ist schon ansteckend.“ Alex’ Blick schweift jetzt immer weniger zur Bühne, als vielmehr in den Pit. Fasziniert stellt er fest, dass auch viele Frauen sich nicht die Blöße geben und ordentlich mitmischen. Im krassen Kontrast zu dem anscheinend aggressiven Tanzen wird sofort jedem Stürzendem hochgeholfen, verlorene Caps oder Handy in die Höhe gehalten, um den Besitzer zu finden.

Aber wie findet er denn die Musik? Matthi von Nasty rotzt immerhin einen deutlich verzerrteren Gesang als noch bei Expire ins Mikro. Das mag Alex nicht so sehr: „Jetzt fängt genau das an, was ich erwartet habe. Dieses Schreien, damit kann ich musikalisch nichts anfangen. Das ist sehr aggressiv. Wenn ich die ganze Zeit angeschrien werde… habe ich gar keinen Bock drauf.“ Dafür gefällt ihm, wie nah sich Publikum und Band kommen. Man merke, dass es allen extrem wichtig sei, dass der Kontakt da ist. Irgendwie scheint die musikalische Aggression aber auch in seinem Gehirn ein paar Synapsen zu sprengen. Er dreht sich zu mir um: „Sag mir mal, wann ich reingehen kann.“ Da gerade wieder der nächste Breakdown über das Publikum hinwegrollt, sage ich scherzhaft „Jetzt.“ Er lacht, gibt mir aber wenig später trotzdem seine Brille und leere Bierflasche und kämpft sich bei dem Song „Scheiße“ in den Pit. Eigentlich ein Song, der sehr aufs Mitsingen abzielt. Was auch Alex merkt und prompt losbrüllt. Der Text ist ist aber auch leicht zu merken: „Friss scheiße!“

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Bis zum Ende bleibt er im Pit, hüpft wie ein typischer Indie-Punk-Fan immer wieder auf und ab, schaut sich aber auch stetig um, was um ihn herum passiert. Irgendwann ist es vorbei, ein total verschwitzter Alex holt sich seinen Pfand und seine Brille ab: „Hätte ich mir härter vorgestellt. Manchmal habe ich geschmunzelt, sieht schon ein bisschen lustig aus, wie die um sich schlagen. Das Treten fand ich aber ultrascheiße.“ Warum er denn so lange vorne geblieben sei? „Damit ich wenigstens einmal die Kontrolle verliere, dass ich geschubst werde und ich mich nicht mehr halten kann… und es kam nie der Moment, wo ich alle wegschubsen und nach vorne rennen wollte.“

Frisch aus dem Pit

Diesen Moment gab es bei anderen Besuchern dafür aber umso öfter: „Es gibt die Durchfeger, das sind die, die einmal von links nach rechts alle einmal schlagen müssen. Da kam da auf einmal ein Mädchen und hat einmal aufgeräumt. Das finde ich schon ungewöhnlich. So hart mitgehen sehen habe ich Mädchen noch nie.“ Überhaupt bewundere er die Energie, die so viele das ganze Konzert über haben, während er nach drei Songs schon fertig war. Und wie befreiend scheinbar das Rumgebolze war: „Mit was für einem Grinsen im Gesicht die um sich geschlagen haben!“

Ich frage ihn, wie denn diese Szene nun auf ihn wirkt? „Skurrile Mischung, diese Hardcore-Jungs sind faszinierend, weil die ja schon alle stabil wirken, als ob die mich mit einer Faust umhauen können. Aber die achten schon sehr auf sich. Klar, sie haben Tattoos, aber vor allem dieser Straight-Edge-Gedanke war mir völlig neu.“ Von Außen kann es wirklich komisch aussehen, wenn völlig zugehackte Typen dann doch Tierschutz so wichtig nehmen, dass sie vegan leben und auf Alkohol und Drogen scheißen: „Ich habe mir letztens erst Under The Influence: New York Hardcore reingezogen—wird ja schließlich von Tim Armstrong gesprochen, haha—für mich war die Mucke eigentlich immer mit viel Rumgesaufe verbunden. Ein Ideal wie Straight Edge hätte ich nicht erwartet. Das ist ja eher so eine spirituelle Sache. Aber die Leute wirken allgemein schon relativ klar im Kopf, die sind nicht drauf, sondern voll da. Das ist voll spannend, weil ich es nicht kannte. Beim Konzert hatte ich die Doku wieder im Kopf und da hat es total Sinn gemacht, erst da wusste ich es einzuordnen.“

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Wir schlendern zum Merchstand, wo Matthi von Nasty jetzt ganz entspannt die Klamotten seiner Band verkauft. Alex geht zu ihm, erzählt ihm kurz, dass es sein erstes Mal war, es ihm aber gefallen hat und bittet um ein gemeinsames Foto: „Seine Person auf der Bühne und seine normale Person sind schon sehr verschieden, oder? Jetzt war er total nett und vorhin hat er selbst ein Wort wie ‚Love’ so hasserfüllt geschrien. Die sind oft eigentlich alle eher ruhig, aber auf Konzerten lassen sie alles raus, oder? Kontrollierte Aggression, eigentlich ganz cool. “

Foto mit Matthi von Nasty

Wir holen unsere Jacken und verlassen den Club. Ich will von ihm wissen, ob er jetzt Beatdown-Blut geleckt und nochmal auf so ein Konzert will? Er verneint: „Ich bin mitgegangen, um mal etwas Neues kennenzulernen, aber würde alleine nicht nochmal hingehen. Ich singe halt mega gerne mit, aber das war ja scheißegal, weil man eh kein Wort versteht.“ Das war eindeutig. Aber so ganz scheint ihn der Abend doch nicht losgelassen zu haben. Am nächsten Tag schreibt er mir: „Ich war ein bisschen aufgedreht nach gestern und konnte nicht so richtig schlafen.“ Na bitte.

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