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Staiger vs das Elend der modernen Welt

Staiger vs. das Elend der modernen Welt: Scheiß auf Ironie—Bring the Message back home, Heino!

Staiger bekämpft Heino und hat Gründe genug dafür.
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Uhh, wie wild. Heino, der alte Schlagerstar covert Deutsches Liedgut der Neuzeit und die BILD Zeitung berichtet von einem Rocker-Krieg, den erboste Bands anscheinend gegen den deutschen Tone Loc (wegen der Brille, haha) führen würden. Was sich zunächst als furchtbar gute Geschichte liest, entpuppt sich allerdings bei näherer Betrachtung als Marketing-Gag. Wie sonst wird das Ding schon im Vorhinein mit der Banderole „das verbotene Album“ beworben?

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Anzunehmen ist auch, dass die BILD ihrem alten Kumpel Heino noch einen Gefallen schuldig war und deshalb nach allen Kräften mit inszenierte. Die gecoverten Bands wie Rammstein und Die Ärzte hätten Klage gegen das Album eingereicht, so hieß es und die deutsche Poplandschaft stehe Kopf. Dabei sei diese jahrelang auf dem greisen Schlagerstar herumgetrampelt und habe ihre Späße mit ihm gemacht, jetzt würde er eben lediglich zurückschlagen. Die angesprochenen Bands winken allerdings gelassen ab und lassen feststellen, dass sie mitnichten an einer Klage gegen Heino arbeiten würden, ja dass es ihnen letztendlich sogar relativ egal sei, was Heinz Georg Kramm a.k.a. Heino so macht. Weder die Ärzte noch Rammstein wollen rechtliche Schritte gegen Heino einleiten, heißt es von deren Seite, auch wenn die Marketingabteilung seiner Plattenfirma das offensichtlich gerne hätte. Die Sache ist nach deutschem Recht nämlich auch so, dass jeder Mensch zu jeder Zeit Coverversionen von jedem x-beliebigen Song anfertigen darf, ohne den Urheber um Erlaubnis bitten zu müssen. Einzige Bedingungen: a) Das Werk darf nicht verändert werden, ansonsten handelt es sich nämlich um eine Bearbeitung und die wiederum ist genehmigungspflichtig und b) man muss das Werk bei der GEMA auf die Originalautoren und Komponisten anmelden. Punkt.

Dass sich Farin Urlaub, Rammstein oder auch Oomph! trotzdem gerne dagegen verwahren wollen würden, dass der liebe Onkel Heino ihre Lieder intoniert, wäre ihnen nicht zu verübeln, oder um es ausnahmsweise mal mit Jan Delay zu sagen: „Ich will nicht, dass der meine Lieder singt“, schließlich wurde ja auch das „Liebes Lied“ von den Absoluten Beginnern gecovert. Und Jan Delay hätte ausnahmsweise auch einmal Recht, denn wenn man bedenkt, was Heino ansonsten so zu Gehör brachte, dann ist Widerstand Pflicht. Neben jeder Menge „Karamba“ und „Karacho“ hat der Platinblinde nämlich auch das eine oder andere Soldatenlied im Repertoire, das auch schon zu Wehrmachtszeiten gerne gesungen wurde. Sei es das „Polenmädchen“ aus dem Polenstädtchen, das ihren ersten Kuss von einem feschen Grenadier bekommt oder das „Wolgalied“ in dem ein Soldat am Wolgastrand, der dort sein Vaterland (sic!) verteidigt, steht und sich fragt, ob der liebe Gott ihn vergessen habe.

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Warum er sich stattdessen nicht fragt, was er da überhaupt zu suchen hat, am Wolgastrand, konnte auch von Heino nicht ganz geklärt werden. Und nicht zu vergessen das „Schlesierlied“, aufgenommen 1975, in dem die verlorenen Ostgebiete besungen werden, sowie als Krönung der vollkommen unbefangene Umgang mit allen drei Strophen der Deutschen Nationalhymne, inklusive großdeutscher Grenzziehung: „Von der Maas“ (Niederlande) „bis an die Memel“ (Litauen). Angeregt wurde diese pädagogische Großtat—denn Heino nahm die Single für Unterrichtszwecke auf—durch den ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, der vor seiner CDU-Karriere Mitglied der NSDAP und Marinerichter während der Nazi-Zeit war. In dieser Funktion war er nachweislich für das Todesurteil von mindestens vier Deserteuren verantwortlich.

Da sollte man sich dann also doch bitteschön nicht wundern, wenn man eher in die Ecke schwarz-brauner Haselnüsse gesteckt, anstatt im fortschrittlich linken Lager gesehen wird.

Heinos weinerliche Beschwerde, er sei doch kein Nazi, wirkt ebenso schal, wie die Beteuerungen ähnlich „heimatverbundener“ Bands wie Frei.Wild, die mit ihrer Art von „Volksmusik“, die nur allzu gerne auch mal völkisch daherkommt, ganz gerne im sogenannten Heimatschutz-Milieu fischen.

Der wirklich interessante Effekt allerdings auf der neuen Heino-Platte stellt sich tatsächlich mit dem Genuss der Songs selbst ein. Das ist dann wirklich gruselig.

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Angefangen beim „Haus am See“ von Peter Fox, in dem sich ein junger Mann vorstellt, wie er als alter Mann gerne leben würde. Heino selbst ist alt und in der Realität wohnt er in einem Haus mit Swimming Pool in den Tiroler Alpen und was bei Peter Fox sepiafarben verklärt, mit ein bisschen Soul rüberkommt, klingt bei Heino nach Muff und Herrgottswinkel und alpenländischer Schnitzerei und einer solariumgebräunten Hannelore.

„Sonne“ von Rammstein sei nach Heinos eigener Aussagen „Ein wirklich schönes Stück Volksmusik“. Beherrschen Rammstein allerdings das Spiel mit der Leni Riefenstahl Ästhetik, Germanenbeats und Teutonenlyrik auf der einen Seite und überdrehtem Klamauk auf der anderen Seite ganz gut, so stürzt die Sonne unter der Regie von Heinz Georg Kramm vollkommen in die Arno Breker Ästehtik ab. Kein Witz mehr—nirgendwo! Angst!

Ganz offensichtlich wird es aber bei „Junge“ von den Ärzten. Wenn Farin Urlaub die erbosten Eltern nachäfft, dann IST Heino in seiner Version tatsächlich der erboste Vater. Die Ironie verkehrt sich in ihr Gegenteil—sie wird zur Realität. Heino spielt hier nicht die Generation, die mit langen Haaren und zu lauter Musik nichts anfangen kann, Heino IST diese Generation und sein „und wie du wieder aussiehst“ ist echt.

Hier spricht der Verteidiger der Sekundärtugenden. Tugenden, die anscheinend wieder populär werden, da diese unter den 68ern ungerechtfertigterweise abgeschafft wurden, ganz nach dem Motto: „Das wird man doch mal wieder sagen dürfen.“ Darf man natürlich, klingt dann aber trotzdem nicht mehr witzig und auch nicht selbstironisch, sondern eher wie Freddy Quinn im Jahr 1966 mit seinem Titel „Wir“. Im Übrigen einer der besten reaktionären Songs aller Zeiten. Ganz ohne Ironie und doppelten Boden. Genau wie Heino jetzt. Bring the message back home. Bravo!

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PS: Einen ähnlichen Effekt gab es übrigens schon einmal, nämlich als der gute „heimatverbundene“ Fler zusammen mit Bushido den ironischen Prinzensong „Das alles ist Deutschland“ coverte—vollkommen bierernst und ebenfalls ohne Witz und doppelten Boden. Warum die Prinzen sich damals allerdings nicht dagegen verwahrten, bleibt ihr Geheimnis, denn das war tatsächlich eine Bearbeitung und ohne eine Freigabe von Seiten der Urheber hätte Fler die Hook gar nicht benutzen dürfen.

Marcus Staiger hat als Betreiber von Royal Bunker und Entdecker solcher Leute wie Kool Savas, Eko Fresh oder K.I.Z den Straßenrap in Deutschland etabliert. Sprich: Er hat Unmoral und Verrohung über Gesellschaft und Jugend gebracht. Um die Karmaleiter wieder ein Stück nach oben zu klettern, schreibt er ab sofort regelmäßig bei uns gegen die Unmoral und die Verrohung der Gesellschaft an.

Staiger bei Twitter: @StaigerRoyal

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