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Staiger vs das Elend der modernen Welt

Die weißen Massai–Teil 2 von Staigers Afrikatrip mit Marteria, Maeckes und Paul Ripke

Marcus Staiger ist gerade mit Unterstützung von Viva con Agua in Kenia. Zusammen mit Maeckes, Marteria und dem Fotografen Paul Ripke bereist er das Land und versucht zu helfen

Alle Fotos: © Paul Ripke

Anm. der Red.: Marcus Staiger ist gerade mit Unterstützung von Viva con Agua in Kenia. Zusammen mit Maeckes, Marteria und dem Fotografen Paul Ripke bereist er das Land und versucht zu helfen—und wenn es nur durch Aufmerksamkeit für die Situation der dort teilweise in ärmlichsten Verhältnissen lebenden Menschen ist. Bei uns berichtet er von seinen Erlebnissen. Hier lest ihr den ersten Teil.

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Es geht raus aus Nairobi. Schon alleine den Stadtrand der riesigen Metropole zu erreichen dauert ungefähr anderthalb Stunden. Der Verkehr ist unglaublich. Wir sind auf dem Weg zu einem der Fieldprojects von Viva con Agua, die in Kenia vor Ort von der Welthungerhilfe betrieben werden. Zuvor haben wir uns alle im Hauptquartier der Welthungerhilfe getroffen und uns gegenseitig vorgestellt. Das Anwesen des Vereins ist selbstverständlich standesgemäß und wirkt von außen wie eine protzige Villa in einem der besseren Stadtviertel von Nairobi, mit Steinmauern, Elektrozäunen und Wächtern. Standard in Nairobi. Eine größere Anzahl weißer Toyota-Jeeps steht im Innenhof. Das Haus selbst ist allerdings schon beträchtlich in die Jahre gekommen und wirkt eher, als wäre es von einem älteren Lehrerehepaar aus Münster bewohnt. Es riecht ein bisschen muffig. Eine Mischung aus Buchantiquariat und Pferdedecke. Zwanzig Leute arbeiten hier und trotzdem entbrennt sofort eine heftige Diskussion, ob eine Hilfsorganisation überhaupt so ein Anwesen braucht oder warum im künstlichen Teich im Eingangsbereich ein Koi Karpfen herumschwimmt. Marteria verteidigt die Welthungerhilfe, weil sie eine der wenigen Organisationen sei, die tatsächlich etwas tun würde. Die anderen säßen eben wirklich nur im Hilton herum und würden nichts machen, während die Welthungerhilfe nach draußen fährt, um wie im Fall von Viva con Agua, Brunnen zu bauen. Ich sage nichts. Ich will auch nicht immer der beschissene Bedenkenträger sein, der alles schlecht redet. Wir sind alle gut drauf und wollen helfen. Trotzdem bleibt ein schales Gefühl. Nicht zum letzten Mal auf dieser Fahrt.

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Nach ungefähr anderthalb Stunden Fahrt erreichen wir das Fieldbüro der Welthungerhilfe in Kajado, der Hauptstadt einer der südlichen Provinzen von Kenia. Auch dort werden wir dem Team vorgestellt und bekommen originale Massai Kleidung, die wir in den kommenden zwei Tagen tragen sollen. Die Tücher, die wir uns um den Leib binden, riechen nach chinesischem Import-Export-Shop und abgesehen davon sehen wir allesamt eher wie Darsteller der Jesusfestspiele in Oberammergau aus. Halb Römer, halb judäische Könige. Es ist absurd und auch die kenianischen Mitarbeiter aus Nairobi, die ebenfalls so eingekleidet werden, fühlen sich sichtlich unwohl in ihrer Verkleidung. Trotz allem behalten wir die Klamotten tapfer an und stellen uns vor, wie es wohl wäre, wenn uns Kool Savas oder Bushido auf dieser Reise begleiten würden. Lektionen in Coolness.

Auf dem Weg ins erste Massaidorf, in dem wir uns ein bereits realisiertes Wasserprojekt von Viva con Agua anschauen werden, müssen wir des Öfteren halten. Die Menschen starren uns an, wenn wir mit unseren bunten Tüchern aus den Jeeps klettern, um uns am Straßenrand Bananen oder ein Getränk zu kaufen. Wir erklären ihnen, dass es sich bei unserem Aufzug um ganz normale europäische Kleidung handelt und die Leute lachen. Wahrscheinlich lachen sie uns aus, aber das ist uns egal.

Im Dorf angekommen, werden wir von den Würdenträgern der Region begrüßt. Alle haben sich fein gemacht und es folgt ein Ritual, das wir auf allen anderen Stationen unserer Rundreise noch mehrere Male erleben werden. Der Bürgermeister ist da und dankt uns sehr für unsere Hilfe, der lokale Chief ist da und dankt uns sehr für unsere Hilfe, ein Prediger predigt und betet für uns und dankt uns sehr für unsere Hilfe, ein Mitglied des Parlaments ist da und telefoniert laut in der ersten Reihe, während die anderen reden, dankt uns in seiner eigenen Rede sehr für unsere Hilfe und schließlich spricht auch noch ein ungefähr vierzigjähriger Mann. Natürlich bedankt auch er sich für die Hilfe, doch richtet sich seine Rede weniger an uns, als an die anwesenden Schulkinder. Er spricht zu ihnen und ermahnt sie, sich zu bilden und hart zu arbeiten, damit es irgendwann einmal so sein wird, dass die Kenianer den Deutschen helfen können und eines Tages Kenianer nach Deutschland reisen werden, um dort Entwicklungshilfe zu betreiben. Die Kinder lachen. Die Erwachsenen freuen sich hinter vorgehaltener Hand. Ein kurzer Moment der Wahrheit blitzt durch, doch wir haben einen straffen Zeitplan. Nachdem wir noch zur Belustigung aller bei einer Tanzperformance mitgemacht haben, Onejiru gesungen hat und Maeckes und Marteria gerappt haben, müssen wir sofort weiter. Das nächste Projekt wartet. Wir haben keine Zeit.

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Tanzen und Rappen und Singen

Als wir am Morgen gefragt wurden, ob wir auf der Schnellstraße fahren wollen oder lieber Off Road waren wir einstimmig der Meinung, dass wir viel lieber Querfeldein fahren würden. Schließlich würde man da viel mehr sehen und vielleicht auch ein paar wilde Tiere. Nun stehen die Giraffen aber auch am Rand der Highways und das mit dem „viel mehr sehen können“ ist relativ. Nach ungefähr fünf Stunden auf dem Längs-Rücksitz eines Jeeps, sind wir von Off Road nicht mehr so richtig überzeugt. Ehrlich gesagt kotzt es uns richtig an. Von der Landschaft sieht man vor lauter Staub sowieso nichts und außerdem wird es sowieso ziemlich früh dunkel, weil es in Kenia immer ziemlich früh dunkel wird und wir sind noch nicht am Ziel. Zum Glück hat DJ Paul Ripke die Flasche Schnaps mitgenommen, die wir tags zuvor gekauft haben und die er jetzt aus seiner Tasche zaubert. Herr Ripke ist hauptberuflich Fotograf und ein sehr praktischer Mensch, der immer die richtige Idee zur richtigen Zeit hat und so fangen wir an, uns zu betrinken. Die Fahrt dauert noch und unser Fahrer hat den Anschluss an die anderen Fahrzeuge unseres kleinen Konvois schon längst verloren. Hin und wieder begegnen uns in der Schwärze der Nacht tatsächlich Menschen, die in Autos, zu Fuß oder auf Motorrädern unterwegs sind. Auf die Frage, ob hier vor Kurzem drei andere Jeeps vorbei gekommen sind, bekommen wir die immer gleiche Antwort. „Jaja, die sind hier vorbei gekommen und da lang gefahren. Es ist nicht mehr weit.“ Irgendwie haben wir ein schlechtes Gefühl. Dass man sich in dieser Einöde überhaupt zurecht finden kann, verwundert uns. Außer Paul Ripke. Dieser hat neben einem unfassbaren praktischen und fotografischen Talent auch noch ein ausgeprägtes Orientierungsvermögen und behauptet, dass er uns im Notfall auch ganz locker zurück bringen könnte. Wir haben trotzdem ein schlechtes Gefühl.

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Als wir dann schließlich und endlich doch noch die kleine Massai-Siedlung erreichen ist es schon ordentlich spät und wir sind heillos betrunken. Den Massais gefällt das. Sie lieben uns dafür und auch unsere Kostümierung. Wir werden an ein großes Lagerfeuer geführt, es gibt Maisbrei mit einer Art Ziegeneintopf. Am Feuer stecken Ziegenkeulen und es gibt Local Brew zu trinken. Vergorenes Irgendwas, das ein bisschen wie Most schmeckt. Die Massais singen und wir versuchen auch etwas zu singen, stellen aber fest, dass wir kein einziges Lied richtig zusammen singen können. Entweder kann der eine den Text nicht oder der andere oder nach zwei Takten wissen wir nicht mehr, wie es weiter geht. Auch das scheint den Massais vollkommen gleichgültig zu sein. Sie feiern uns, weil wir so gut drauf sind und viel lachen. Das ist das Wichtigste. Irgendwann schlafe ich am Feuer ein.

Mitten in der Nacht wache ich auf. Mir ist furchtbar kalt und ich habe Durst. Das Lagerfeuer ist bis auf einen kleinen Rest herunter gebrannt und halb benommen krieche ich in eine der Hütten, die extra für uns geräumt wurden. Im Dunkeln ertaste ich so etwas wie ein Bettgestell. Äste auf denen eine getrocknete Kuhhaut liegt. Auf der Kuhhaut liegt Paul Ripke, der im Schlaf irgendetwas von „Royalbunker Untergrundtapes“ murmelt—mit Schweizer Akzent. Ich schubse ihn zur Seite und versuche wieder einzuschlafen. Ich frage mich, ob das offene Feuer in der Hütte wohl zu einer mittelschweren Rauchvergiftung führen kann und ob meine Kopfschmerzen daher rühren? Ich komme mir vor, wie ein alter Mann. Jeder Knochen tut mir weh und jedesmal wenn ich mich umdrehe, entdecke ich einen neuen. Irgendwann ist mir alles egal und ich schlafe dann doch wieder ein. Ich träume von einer kleinen verborgenen Kammer, in denen die Massai einen Stapel Matratzen versteckt haben.

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Menjatta

Um kurz nach sechs wird es hell, weil es in Kenia immer um sechs hell wird, genauso wie es um sechs dunkel wird. Ich bin ein bisschen verkatert und freue mich auf meinen Tee, der mit Milch gereicht wird, die wir selber gemolken haben—die wir selber melken wollten. Marteria als echter Naturbursche pirscht sich an die Kühe der Massai heran, leider ohne Erfolg. Erst als eine der Massaifrauen einem der Tiere die Hinterbeine zusammen bindet, gelingt es ihm einen kleinen Schluck Milch zu ergattern. Die Massaifrauen haben mehr Geschick und kommen mit einem halbvollen Kanister zurück und so reicht es schließlich doch noch für den Tee.

Nach dem Tee stellt sich für mich allerdings eine ganz andere Frage. Wie wird man die ganzen Sachen, die man am Vortag gegessen hat, eigentlich wieder los, wenn man nicht aufs Klo gehen kann, denn dass wir überhaupt an diesem Ort sind, hat ja einen Grund. Es gibt kein Wasser hier. Open Defecation ist ein großes hygienisches Problem in Afrika, wobei ich meinerseits nur das Problem habe, dass ich gar nicht mehr weiß, wie das geht: In den Wald kacken. Wie macht man das, ohne die eigene Hose zu treffen? Wie kriegt man das alles wieder ordentlich sauber? Wie schafft man es, nicht dabei umzufallen und wie schafft man es, dabei auch noch einigermaßen würdevoll auszusehen? Kann ja sein, dass zufällig jemand vorbei kommt. Ich gehe ungefähr einen halben Kilometer, bis ich denke, dass ich weit genug entfernt bin und der Dornbusch groß genug ist, hinter den ich mich hocke. Es ist unglaublich anstrengend und tatsächlich bekomme ich einen Schweißausbruch. Der Chef der Welthungerhilfe hat mich vorher noch ermahnt, dass man, das was übrig bleibt, zumindest verstreichen solle, da es so schneller trocknet und was trocken ist, ist nicht mehr verkeimt. Also sitze ich vor meiner eigenen Scheiße und zerteile sie im Steppensand. Hinter mir röhrt ein Elefant.—Nein natürlich nicht. Auf unserer gesamten Fahrt bekommen wir leider keinen einzigen Elefanten zu Gesicht, dafür Ziegengedärme, die über einen Baum zum Trocknen gelegt wurden. Kinder spielen damit.

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Ziegendarm

Nach dem Frühstückstee, zu dem auch noch ein kräftigender Sud gereicht wird, der so schmeckt als sei er aus den letzten Resten des Ziegeneintopfs gekocht worden, machen wir noch ein kleines Interview mit dem Dorfältesten, das immer wieder durch das Klingeln seines Handys unterbrochen wird. Er trägt es in einer kleinen Ledertaschen unter seinem traditionellen Tuchgewand.

Dorfältester im roten Tuch

Wir fragen ihn, ob ihm unser Besuch gefallen hat und er äußert sich sehr positiv über unsere gute Laune und unsere Trinkfestigkeit. Weil ein Massai immer die Wahrheit sagt, könnten wir ihm ruhig glauben, lässt er uns wissen, denn ein Massai sage immer die Wahrheit. Wenn es für die Dinge, die es zu sagen gibt ein Wort gibt, dann spricht ein Massai dieses Wort auch aus. Die einzigen Dinge, die ein Massai nicht ausspricht, sind jene, für die es keine Worte gibt. Also, was hat ihm nicht gefallen an unserem Besuch? Die Antwort kommt ebenfalls ohne Umschweife: „Wir haben gesehen, dass nicht alle von Euch in der Hütte geschlafen haben. Das finden wir sehr unhöflich. Wir haben die Hütte extra für euch geräumt und dann schlaft ihr lieber in Euren Zelten oder in den Autos. Das finden wir nicht gut.“ Der Chef der Welthungerhilfe, der kurz zuvor aus seinem Treckingzelt geklettert kam, senkt beschämt den Kopf. Paul Ripke und ich nicken uns anerkennend zu. Marteria und Maeckes, die auf einer anderen Kuhhaut gelegen haben, ebenfalls. Wir haben zwar Kopfschmerzen, sind aber auch ein wenig stolz. Michael Fritz, einer der Mitbegründer von Viva con Agua, der ebenfalls nicht in der Hütte geschlafen hat, lässt als Entschädigung eine Sankt Pauli Flagge da. Wir wissen nicht, ob die Massai sich darüber gefreut haben. Wahrscheinlich haben sie keine Worte dafür.

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Wir brechen auf. Einige Hundert Meter von der Siedlung entfernt besuchen wir eine Schule. Der eigentliche Grund unseres Besuchs, denn in der Nähe gibt es mit ziemlicher Sicherheit eine Stelle, an der es sich lohnt, nach Wasser zu bohren. Bislang ist es so, dass die Menschen in dieser Gegend im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Trockenen sitzen. Gerade jetzt, gegen Ende der Trockenzeit müssen sie weite Strecken zurücklegen, um an das Überlebensnotwendigste heranzukommen. 25 Kilometer bis zum nächsten Bohrloch, zehn bis zwanzig Kilometer bis zum ausgetrockneten Fluss, wo es kleine Lachen gibt, aus denen man Wasser schöpfen kann. Da allerdings auch Tiere zu diesen Wasserstellen kommen, sind diese oft durch Fäkalien verunreinigt, weshalb die Menschen tiefe Löcher ins Flussbett graben, um an das Grundwasser zu kommen, das dann aber auch oft dreckig und schlammig ist. Viel Zeit gehe dadurch verloren und so kämen viele der Kinder nicht mehr zum Unterricht, erklärt uns der Lehrer, weil sie einen Großteil des Tages damit beschäftigt seien, Wasser zu besorgen. Ein Brunnen wäre tatsächlich eine große Hilfe für die Region und könnte mit einem Einzugsgebiet von bis zu fünf Kilometern ungefähr 5.000 Menschen mit sauberem Trinkwasser versorgen. Kostenpunkt 75.000 Euro, je nachdem wie tief man bohren muss. Wir verabschieden uns mit unserer üblichen Floskel, dass wir zwar nichts versprechen können, aber alles dafür tun werden, um das Geld für diesen Brunnenbau aufzutreiben und die Menschen in Deutschland davon zu überzeugen, dafür zu spenden.

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Schule

In diesem Sinne. Die Kontonummer von Viva con Agua ist:

BLZ: 200 505 50
Konto: 1268 135 181
IBAN: DE58 2005 0550 1268 1351 81
BIC: HASPDEHHXXX

Oder ihr benutzt ganz bequem den Spendenbutton.

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