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Was Bushido kann, kann Booba schon lange: Wie der französische Rapper das ganze Land gegen sich aufbrachte

Der Rapper Booba hat mit seinen Äußerungen zu den Anschlägen auf Charlie Hebdo ganz Frankreich empört. Zu Recht?

Nach dem Anschlag auf das Pariser Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar überschlugen sich die Diskussionen. Die Ratlosigkeit und Fassungslosigkeit aller führte in nicht enden wollende Erklärungsversuche. Nicht nur gab es eine Debatte über den Antisemitismus in Frankreich und natürlich über Mohammed-Karikaturen sowie den Islamischen Staat, es wurde auch über die heuchlerische Verwendung von #JeSuisCharlie und Pressefreiheit referiert. In Deutschland versuchten einige Medien sogar, einen abwegigen Zusammenhang zwischen Rap und Islamismus herzustellen. Letzteres war auch in der Musikgemeinde ein großes Thema, in erster Linie da man sich über die abwegigen Versuche, einen Zusammenhang herzustellen, nur aufregen konnte. Tatsächlich musste sich aber nicht nur der Deutschrap mit diesen leidigen Vorwürfen auseinandersetzen. Auch für die französischen Medien war das ein Thema.

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Angefeuert wurde die Debatte in Frankreich nicht zuletzt durch ein paar Tropfen Öl, die von einem provokanten französischen Rapper in das Feuer gegossen wurden. Booba, der gerade ein Album promotete, schaffte es, die Diskussionen noch anzuheizen und eine Welle der Empörung zu erzeugen. Ein bisschen erinnern die Ereignisse an den Paris-Pullover, den Bushido zu einem wahrlich ungünstigen Zeitpunkt postete, dessen Absicht er erst leugnete, dann aber zugab, dass er „einfach mal wieder ein bisschen Stress machen“ wollte. Ob sein französisches Gegenstück Booba nun auch nur Stress machen wollte, sei mal dahin gestellt, aber seine Geschichte erinnert dennoch sehr an unseren Lieblings-Skandalrapper—nur eben im Paralelluniversum Frankreich.

Vor ein paar Wochen veröffentlichte der Pariser Rapper Booba sein achtes Album D.U.C.. Natürlich hat es nicht lange gedauert, bis sich in Frankreich unzählige Kritiker nicht nur zum Album, sondern auch zu einem Interview äußerten, das der Rapper in seiner Promo-Phase mit der französischen Zeitung Le Parisien gab. Der Parisien begann daraufhin hier und da Clips des 45-minütigen Interviews zu veröffentlichen. Die eigentlich relativ planlose und spontane Frage, was der Rapper von den Anschlägen auf das Satiremagazin hält, hatte in diesem Interview magische Auswirkungen, auch wenn sich erst im Nachhinein herausstellte, wie relevant die Frage eigentlich war. Denn zufälligerweise spricht Booba auf seinem neuen Album von den Ereignissen bei Charlie Hebdo, was die Journalisten zum Zeitpunkt des Interviews jedoch unmöglich wissen konnten, weil sie den Song nicht gehört hatten.

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Der Part des Songs „Les Meilleurs“, um den es hier geht, lässt sich ziemlich genau so übersetzen:

„Sieht meine Fresse so aus, als würde ich Charlie heißen? Sei ehrlich, du hast den Mund zu weit aufgemacht, dafür hast du Blei geschluckt, so ist das auf der Straße, so ist das in den Schützengräben.“

Natürlich geben solche Lines gepaart mit dem Interview des Parisien, in dem Booba erklärte, sowohl die Seite der Extremisten als auch die andere Seite verstehen zu können, den Cybernauten genug Stoff, um sich aufzuregen. Kommen wir nun also zu den Äußerungen der Kritiker.

Erster auf der Liste ist Patrick Pelloux, der regelmäßig für das Satiremagazin Charlie Hebdo schreibt. Er war ziemlich entsetzt über Boobas Kommentare. Das zeigte sich unter anderem dadurch, dass Pelloux in einem Interview mit der Zeitung Ouest France seine Antwort auf die Frage, was er denn von Boobas Kommentaren gehalten habe, mit den Worten „Da habe ich keine Lust drauf zu antworten“ begann. Während des Interviews wird einem schnell klar, wie raffiniert der Journalist vorgeht. Vor allem, als er Pelloux fragte, ob Booba wegen seiner Kommentare ein Strafverfahren drohen könnte. Denn darauf antwortet Pelloux: „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, aber ja, möglich wäre das.“ Ja, es ist normal, darüber nicht nachgedacht zu haben, und nein, möglich wäre das nicht.

Obwohl Pelloux im Interview nicht viel über Booba zu sagen hatte, ließ er seinen Emotionen auf Twitter freien Lauf. In seinem Tweet erklärte Pelloux, HipHop solle sich nicht von einer Radikalisierung beeinflussen lassen und Terrorismus unterstützen. Außerdem sei Kultur immer ein Opfer von Nazis, womit er sich höchstwahrscheinlich auf Booba bezog. Auch ein Abgeordneter der französischen Partei UMP, von dem vorher noch nie jemand etwas gehört hatte, verurteilte Boobas Äußerungen und hofft, dass ein Strafverfahren wegen Verherrlichung terroristischer Anschläge gegen den Rapper eingeleitet wird. Das hielt den Politiker aber trotzdem nicht davon ab, Booba wegen seines Talents zu loben.

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Ein Abgeordneter der Nationalversammlung, Éric Ciotti, richtete harte Worte an den Rapper und war ebenfalls der Meinung, dass Booba für seine Kommentare strafrechtlich verfolgt werden müsste. Christian Estrosi, ebenfalls Mitglied der französischen Nationalversammlung, der bereits letztes Jahr von einem Rapper aus Nizza gedisst wurde, will ebenso ein Strafverfahren.

Der Schauspieler Jean-Michel Ribes wiederum erklärte, Booba habe Unrecht, könne sich aber trotzdem frei zu den Geschehnissen äußern und fügte hinzu, dass Künstler sich nicht den Mund verbieten lassen sollten. Auch französische Komiker haben sich mit den innovativsten, brillantesten und literarisch hochwertigsten Kommentaren zu den Geschehnissen geäußert, unter anderem mit diesen Kommentaren: „Booba sagt böse Schimpfwörter“, „Booba hat kein Gehirn“ oder auch „Booba sagt böse Schimpfwörter“.

Eine französische Polizeigewerkschaft, von der bisher keiner jemals etwas gehört hatte, stellte in einer Pressemitteilung klar, dass Booba tatsächlich wegen Verherrlichung terroristischer Anschläge mit einem Strafverfahren rechnen müsse. Wundern kann das keiner, schließlich—sollte ich das richtig verstanden haben—handelt es sich hier um dieselbe Polizeigewerkschaft, die in der Vergangenheit bereits Kommentare tweetete, die fast schon rechtextremistisch waren.

Während das alles passierte, begannen Fans auf Twitter Booba den Hashtag #JeSuisBooba zu widmen. Die ganz waghalsigen Fans gingen sogar so weit, Zeitungen und Politiker zu beleidigen, die es gewagt hatten, ihr Idol runterzumachen.

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Rap-Experten in Frankreich, unter anderem Laurent Ruquier und Audrey Pulvier, sowie ziemlich alle großen Medien des Landes verurteilen einstimmig die Kommentare des Rappers, auch wenn viele vorher noch nie von ihm gehört hatten. So etwas gibt natürlich immer ziemlich viel Stoff her. Wie zum Beispiel als Gäste während einer Sendung des französischen Radiosenders Europe 1 Boobas Texte zitierten, in denen er unter anderem rappte, seinen Schwanz tief in den Hals einer französischen Schauspielerin stecken zu wollen.

Von den anderen französischen Rappern haben nur die wenigsten auf die ganze Geschichte reagiert. Man muss hier aber auch zugeben, dass die meisten von ihnen Booba als kleinen Vollidioten abstempeln, der alles für ein bisschen Promo tun würde, während andere ihm vorwerfen, sich allgemein nicht genug für Dinge zu engagieren.

Booba nahm sich dafür Zeit, um sich bei Instagram zu der ganzen Geschichte zu äußern. Wie auch schon damals, als einer von Boobas Angestellten in einem seiner Klamottenläden angegriffen wurde, erklärte der Rapper, wie scheiße die Medien sind. Dennoch schaffte er es mit einigen Geniestreichen, den Papst Franziskus mit ins Boot zu holen, in dem er ihn zitierte. So etwas hat es im französischen Rap noch nie gegeben. Den Papst zu zitieren, ist natürlich passend, denn Booba stellt in seinem Post klar, dass sowohl der Papst als auch der Rapper selbst die exakt gleiche Meinung zum Thema Pressefreiheit haben.

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Irgendwann antwortete auch der Zeichner Luz von Charlie Hebdo mit einer Karikatur auf Boobas Kommentare. Auf der Zeichnung ist der Rapper beim Pumpen zu sehen, außerdem fällt auf, dass Booba auf dem Bild weiß ist und einen kleinen Penis hat. Der Rapper antwortete prompt mit einem selbstgemalten Meisterwerk, auf dem zu sehen ist, wie der Rapper einem auf dem Boden liegenden Typen beim Pumpen den Schwanz in den Hals rammt. Das führte natürlich dazu, dass ein Reporter des Magazins L’Obs plötzlich der festen Überzeugung war, es handele sich bei der liegenden Figur um eines der Opfer des Attentats. Luz antwortete darauf erneut mit einer Karikatur—inzwischen war ihm auch aufgefallen, dass Booba eigentlich gar nicht weiß ist—und fügte dem Bild noch ein paar Zeilen hinzu, die einem Rap-Versuch ähnelten und… verdammt, mehr muss man dazu nicht mehr sagen.

Boobas Kommentare in dem Interview mögen für manche vielleicht etwas schwer verdaulich sein, aber wir haben es hier nicht mehr mit einem Booba zu tun, der sich in der Vergangenheit bereits mit Akademikern und Pro-Palästina-Gruppen anlegen musste—die Zeiten sind vorbei. Dennoch scheint es so, als wolle der Rapper nun seinen Endgegnern begegnen, um mit ihnen zu beefen. Diese Endgegner sind Politiker.

Booba hätte seine Lyrics locker herunterspielen können, mit den Worten, es sei doch alles „nur Musik“—wie doch sonst allzu gern argumentiert wird. Er hätte mit den Opfern sympathisieren können, solche Sachen halt. Doch er hat sich entschlossen das Gegenteil zu tun.

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Vielleicht hat seine Auswanderung nach Miami etwas damit zu tun, dass er sich in Frankreich nicht unbedingt mit „Je suis Charlie“ identifizieren kann, vielleicht will er sich mit seinen Äußerungen auch nur mit „einer bestimmten Crowd“ identifizieren, vielleicht macht Booba einfach nur Werbung, wie sonst auch—für sein Verhalten gibt es viele Erklärungen. Er ist schon vielen Menschen auf die Nerven gegangen und wenn man ehrlich ist, gefällt das den Leuten, die seine Musik hören. Vielleicht ist das sogar die einzige Wahrheit über seine Karriere.

Ganz nostalgische Fans erkennen vielleicht auch einen Zusammenhang zwischen den kontroversen Lyrics auf „Les Meilleurs“ und denen auf „Groupe Sanguin“, einem Song aus dem Jahr 2000, in dem er rappte, dass Frankreich sich bei der Ausländerpolitik gar nicht mehr wundern sollte, dass mit Nägeln gefüllte Gasflaschen in der Öffentlichkeit explodieren könnten.

Manche Leute scheinen es nicht akzeptieren zu wollen, dass Booba, der unbewusste Bling-Bling-Rapper, der auf einem riesigen Egotrip zu sein scheint, solche bösen Dinge von sich geben könnte. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Booba ununterbrochen als Sieger aus dem Ring steigt, nicht, weil er ein verrücktes Genie ist, sondern, weil sich seine Gegner immer wieder als komplett unfähig herausstellen. Wie auch in diesem Fall.

Manche Redaktionen mussten wegen des Skandals eine komplette Kursänderung einlegen, da Booba bei manchen erst der Superstar und Straßenpoet, plötzlich aber zum kleinen Dschihadisten-Scheißer ohne Moral wurde. So etwas mitzubekommen, ist natürlich immer besonders interessant. An dieser Stelle sollte auch noch erwähnt werden, dass die französische Presse mal wieder eine absolute Unfähigkeit bewiesen hat, das Wort Rap und Musik zusammen in einem Satz zu erwähnen.

Boobas Klamottenmarke Unkut könnte sofort ein neues T-Shirt auf dem Markt bringen, auf dem „Je suis Booba“ steht. Das würde sich für beide Seiten bestimmt lohnen: für Booba um ein bisschen extra Cash zu machen, für pro-Charlie-Gruppen, um einen Unkut-Laden nach dem anderen auseinanderzunehmen.

Booba hätte mit seinem Song und den Kommentaren zu Charlie Hebdo auf jeden Fall kein besseres Timing haben können, denn zur gleichen Zeit veröffentlichte die Zeitung Article 11 ein aus 2004 stammendes Zitat des Karikaturisten Char, der bei den Anschlägen ums Leben kam. In dem Zitat erklärte Charb, dass er zu der Erkenntnis gekommen sei, dass Zeichnen für ihn keinen Sinn mehr ergäbe, er würde lieber zur Kalaschnikow greifen und hätte anstatt Zeichner auch Kamikaze werden können. So ein Satz hätte auch aus Boobas Mund kommen können.

Booba hat es also mal wieder geschafft, die PR-Maschine zum Durchdrehen zu bringen. Nicht auf Kosten der Opfer, die bei dem Attentat ermordet wurden, sondern auf Kosten der vielen Vollidioten, die zu jeglichen Themen ihren Senf dazu geben müssen. Natürlich wäre es für Booba auch gut gewesen, ein gutes Album auf den Markt zu bringen, aber wen interessiert das 2015 schon?

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