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Interviews

Urlaub in der Krise: Wir haben die deutsch-griechische Band Sea + Air gefragt, wie die Stimmung in Griechenland ist

Das Duo hat mit uns über die Krise, Europa und darüber gesprochen, welches Bild uns die Medien von Griechenland und seinen Bewohnern vermitteln.

Griechenland ist gerade eines der Top-Themen in den Medien. Kein Tag vergeht ohne neue Ankündigungen und Auseinanderesetzungen. Während sich die Politiker streiten und die Bevölkerung leidet, läuft das Leben in Europa aber halbwegs normal weiter. Das Ehepaar Sea + Air, die zusammen mit einem Cembalo eine Band bilden, macht gerade Urlaub in der Krise. Sie ist Griechin und er Deutscher und nach eigener Aussage liegt den beiden dank zahlreicher Europa-Touren die Heimatlosigkeit im Blut. Nach den Aufnahmen zu ihrem zweiten Album, von dem Noisey vorab schon die Single „Follow Me Me Me“ präsentiert hat, wollen die beiden erstmal Urlaub machen. Das heißt: Fünf Wochen zur Ruhe kommen und Verwandte besuchen, in Griechenland. Aber ist das denn im Moment ein entspanntes Urlaubsziel?

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Noisey: Es gab in Athen Ausschreitungen auf einer Demo gegen weitere Sparmaßnahmen der Regierung. Bekommt ihr davon etwas mit?
Daniel: Nein. Wir sind in einem kleinen Ort am Meer, Asprovalta, ein White-Trash-Paradies für Osteuropäer. Athen ist 600 km weit weg. Die Stimmung hier ist wie immer.

Was heißt das?
Eleni: Die Griechen leben zwischen Hoffnung und Angst. Und das schon seit fünf Jahren. Jeder versucht hier damit einigermaßen zurechtzukommen. Auf jeden Fall hilft es, sich—wenn möglich—an der eigenen Gesundheit zu erfreuen. In diesem Sinne: „Gia mas!“ Das heißt: „Auf unsere Gesundheit!“

Hassen die Griechen Merkel und Schäuble, wie behauptet wird?
Eleni: Für die Mehrheit der Griechen steht es außer Frage, dass sie zu Europa gehören. Europa ist hier geboren. Sie hassen die Deutschen nicht. Sie können zwischen Mensch und Staat trennen. Außerdem lieben sie deutsche Touristen. Besonders ihre deutschen Euros. Schäuble und Merkel sind aber definitiv beliebte Angriffsziele, wenn es darum geht, sich in Political Incorrectness zu übertrumpfen. Neulich hat hier ein Nachbar mit seinen Händen angedeutet, dass man dem querschnittsgelähmten Schäuble jetzt noch die Arme und die Zunge abhacken müsste! Was Griechen auf jeden Fall nicht abkönnen, ist die selbstgerechte Art von „Lehrmeister“ Schäuble. Merkel muss dagegen nur damit leben, dass sie hier als seltsam aussehender Mann wahrgenommen wird.
Daniel: (lacht) Ja, wenn man den Griechen sagt, dass der Merkel-Look in Deutschland „normal“ ist, können die das nicht glauben. Dass Deutschland international als Oberstreber wahrgenommen wird, damit muss man als Deutscher leben können.

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Daniel, du hast in den letzten Wochen auf Facebook ein Grexit-Tagebuch geschrieben. Wie kamst du auf die Idee?
Daniel: Naja, das wurde ja so aufgebauscht in den deutschen Medien, dass ich dachte: Wenn wir schon zufällig zur richtigen Zeit im Land sind, sollte man auch mal aus persönlicher Sicht berichten.
Eleni: Wir versuchen ja jedes Jahr herzukommen, um uns von Deutschland zu erholen. Meistens bleiben wir einen Monat. Wir laden hier unsere Batterien mit Vitamin D und dem Meer auf. Außerdem besuchen wir meine Verwandten.

Im deutschen Fernsehen kann man jeden Tag Bilder von verzweifelten Griechen sehen, die vor Geldautomaten oder Krankenhäusern anstehen. In deinem Tagebuch zeichnest du aber ein anderes Bild. Sind die deutschen Nachrichten und ihre Bilder aus deiner Sicht alle unwahr?
Daniel: Vieles davon sind Lügen, die nur erfunden werden, um Zeitungen zu verkaufen. Zum Beispiel dass die Supermärkte leer seien oder kein Benzin mehr erhältlich wäre. Oder dass die Griechen die Deutschen hassen. Völliger Bullshit! Die Geldautomaten- und Krankenhaus-Thematik ist natürlich ein reales Problem.

Welches Lebensgefühl verbindet ihr beide denn, abgesehen von der Krise, mit dem Land?
Eleni: Was hier an erster Stelle kommt, ist die Gemeinschaft mit Freunden oder Familie. Wenn gemeinsam gegessen wird, dann kann das bis zu drei Stunden in Anspruch nehmen. Und ich rede nicht vom Wochenende. Die meisten Griechen sind gesellige Menschen, die nur darauf warten, dass man ihre Gastfreundschaft in Anspruch nimmt. Man sollte viel Zeit zum Kaffee trinken und Reden einplanen.
Daniel: Vielleicht sollte das den Deutschen ja mal zu denken geben, dass es Mentalitäten gibt, denen Menschlichkeit wichtiger ist als Geld.

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Das klingt ja schon nach einer Utopie!
Daniel: Jeder, der in Griechenland war, ist darüber erstaunt. Wir hatten zwei Freunde aus Norwegen da, die auf dem Markt Früchte kaufen wollten. Letztendlich wurden die ihnen einfach geschenkt. Sowas passiert hier ständig. Ich selbst bin sowas von pro griechisch eingestellt!

Euer Album Evropi, das im August erscheint, ist ja ein Album über Europa und eure Touren durch seine Länder. Hat sich Europa, auch durch die griechische Krise, seit den Aufnahmen verändert?
Daniel: Total! Was alle Europäer langsam aber sicher verstehen, ist, dass eine große Krise gerade ohne Waffen gelöst wird. Das gibt Europa als Konstrukt hoffentlich Stärke und Selbstbewusstsein. Unsere Generation versteht, dass sie was zu melden hat, was verändern kann. Und wo wir Deutschen hinkommen, tragen wir einen Teil dazu bei, dass die Leute verstehen: Nicht jeder Deutsche ist ein Schäuble.
Eleni: Auf politischer Ebene tritt Europa aber, wie so oft, nicht als geschlossene Gemeinschaft auf. Ich hoffe für die Zukunft, dass Europa mehr einer Liebesbeziehung gleichen wird als einer Zweckehe. Darum geht es auch auf unserem Album. EVROPI als Utopie von Europa.

Gibt's einen Song von euch oder einem anderen Künstler, den ihr mal in Griechenland speziell für die Griechen spielen wollt?
Daniel: Von uns den Song „Lady Evropi“. Der ist teilweise auf Griechisch. Und nicht von uns: „Hasaposerviko“, ein traditionelles Lied. Von wem das ist, weiß ich ehrlich gesagt gar nicht.
Eleni: „Wind Of Change“ von den Scorpions.

Evropi erscheint am 21. August über Glitterhouse. Hier könnt ihr die Platte vorbestellen.

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