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Schreibt niemals eine verschissene Review

Zumindest, wenn euch euer Leben einigermaßen lieb ist.

Musikredakteur sein ist ungefähr der beste Job der Welt. Flexible Arbeitszeiten, absurd schöne Menschen, jede Menge Umsonstkram, rauschende Koksparties auf Jay-Zs Minigolfanlage – und was euch noch so alles versprochen wurde, als ihr nach eurem dreimonatigen Praktikum „erst mal“ unbezahlt in der Institution eures Vertrauens weiterarbeiten durftet. Neben der ein oder anderen arbeitsrechtlichen Lappalie gibt es aber noch eine Sache, von der euch bei der Vorbereitung auf eure hochambitionierte Journalismuskarriere garantiert niemand etwas erzählt hat: der immerschwelende Zorn von Künstlern und ihren Anhängern. Oder mit anderen Worten: Verfasst nie, aber auch wirklich nie eine scheiß Review.

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Stundenlang mit Freunden über Musik diskutieren und dabei den Gegenwert von sieben bis 20 Ikea-Beistelltischen in Alkohol und Zigaretten zu investieren, macht ziemlich viel Spaß. Jetzt stellt euch vor, eure Freunde tragen dabei alle Masken, zeigen auf euch und beleidigen grammatikalisch falsch eure Mütter. Kriegt ihr hin? Super, dann könnt ihr euch vorstellen wie es ist, einen Text zu veröffentlichen. Bekommt ihr morgens von eurem Vorgesetzten, dessen Hände immer ein bisschen feucht sind, weil er so wahnsinnig viel zu tun hat, eine CD mit den Worten „Mach mal bis heute Abend“ in die Hand gedrückt, gibt es genau zwei Möglichkeiten: Entweder ihr skippt jeden einzelnen Track durch und schreibt dann möglichst aufbauschend über das komplette Album, in der Hoffnung keinen elementar wichtigen Break überhört zu haben. Oder ihr pickt euch vier Songs raus und analysiert sie zu Tode. Letzteres wird euch Pluspunkte bei den ernsten Musiknerds mit den verschmierten Echtglas-Brillengläsern bringen, dafür hassen euch dann die ganz euphorischen Fanboys dafür, dass ihr den „wirklich sehr intensiven Storyteller“-Hiddentrack nicht erwähnt habt. Was die bessere Variante ist? Es gibt sie nicht. Deshalb sollt ihr ja auch niemals freiwillig eine scheiß Review schreiben.

Nehmen wir an, ihr habt einen guten Tag und quält euch wirklich wohlwollend durch die Special Limited Re-Release Doppel-Platte mit diversen Hidden-/Remix- und Bonus-Tracks, nur um dann festzustellen, dass ihr sowohl den Künstler, als auch all seine näheren und entfernteren Verwandten sowie zukünftige Nachkommen mehr hasst als die Telefonstimme eurer Mutter. Spätestens jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um mit dem Trinken anzufangen. (Ich glaube es ist wichtig für euch zu wissen, dass in der Journalismusbranche im Allgemeinen sehr viel getrunken wird, aber mehr dazu vielleicht wann anders.) Ihr versucht also, möglichst begründet ins Content Management System zu hacken, warum für das neue Release von… sagen wir mal FLER keine hundertprozentige Kaufempfehlung auszusprechen ist und solltet schon jetzt wissen: Es ist egal. Es ist scheißegal, wie schlecht das Album ist, wie gut ihr das begründet und wie sehr euch restlos jeder Mensch auf diesem Planeten dabei zustimmen müsste. Die Leser werden euch trotzdem hassen, der Künstler sowieso und falls ihr es bis jetzt noch nicht verinnerlicht habt: Schreibt niemals und unter keinen Umständen eine scheiß Review.

Nach diversen Drohanrufen, E-Mails, in denen euch vorgeworfen wird, dass ihr das Album nur deshalb nicht feiert, weil ihr unglücklich in den Künstler verliebt seid und natürlich gefühlten 367 negativen Kommentaren, wegen denen ihr endlich wieder regelmäßig zur Therapie geht, werdet ihr froh sein zu hören: Es gibt auch den Moment, in dem man wirklich mal eine Veröffentlichung besprechen muss, die man gut findet. So richtig, richtig gut. So sehr, dass ihr deren Release vielleicht sogar herbeigesehnt habt. Beschwingt wie zuletzt kurz vor eurem ersten Analverkehr (Männer) oder Spa-Wochenende auf Malta (Frauen) tippt ihr dementsprechend den musikwissenschaftlich fundiertesten Text aller Zeiten. Er geht online, respektive wird gedruckt. Mit strahlenden Augen erwartet ihr die Rückmeldung der Leser und müsst feststellen: Es ist egal! Es ist komplett egal, denn ebensoviele wie das Album lieben, hassen es auch. Und somit euch. Die Unterstellungen reichen von wiederholtem Geschlechtsverkehr mit besagtem Musiker bis hin zum Transfer größerer Geldsummen auf euer Konto und während ihr euch noch wünscht, dass zumindest letzteres der Wahrheit entspricht, krümmt ihr euch weinend auf der Ledercouch eures Psychiaters und denkt über einen sofortigen Wechsel in die Baubranche nach. Und genau deshalb: Schreibt niemals eine scheiß Review, außer ihr werdet mit vorgehaltener Schusswaffe dazu gezwungen! Oder Jay-Z lädt euch auf eine Koks-Party ein.

Folgt Lisa bei Twitter @Antialleslisa und lest ihren Blog.