FYI.

This story is over 5 years old.

Features

Schnipo Schranke sagen auch privat „Fotze“

Das Girl-Duo Schnipo Schranke pisst auf eine schöne Sprache und wird den Punk zurückbringen. Rocko Schamoni und Lena Dunham gefällt das.

Fuckbuddies, Tamponaden, urinbesprenkelte Genitalbereiche, Beziehungen, die für den Arsch sind, Orgien und Muschi-Behaarung. Tun sich hier etwa neue Feuchtgebiete auf? Hat der VICE-Überschriften-Generator wieder zugeschlagen? Nein, das ist ein Auszug aus einer Reihe von Themen, die Schnipo Schranke auf ihrem Debütalbum Satt präsentieren. Mit ihrem Vorabhit „Pisse“ ritten sie letztes Jahr bereits die erste Hypewelle, ihr erinnert euch vielleicht.

Anzeige

Schon damals kamen Vorwürfe auf: zu verliebt, zu direkt, zu ehrlich, zu eklig für die Welt? Das Girl-Duo, bestehend aus den BFFs Daniela Reis und Friederike Ernst, gibt auf solche Meinungen aber einen Fick. Sie konnten sich dank anfänglicher Props des Hamburger-Schule-Absolventen Rocko Schamoni ordentlich Underground-Fame in die Taschen stopfen. „Wir waren auf einer Lesung und irgendwann besoffen genug. Dass er sich die Demo anhört, hätten wir nie gedacht, wir dachten, die landet irgendwo im Müll“, erzählt Daniela.

Ted Gaier von den Goldenen Zitronen produzierte den Erstling sogar. Und das alles, obwohl sie zuvor Cello und Blockflöte an der HfMDK Frankfurt studierten. Lange hielt es Daniela dort aber nicht aus, „weil es nicht sein kann, dass du acht Stunden am Tag Tonleitern übst und am Ende vor drei Rentnern spielst, die halbherzig klatschen.“

Als sich Daniela und Frederike in Frankfurt kennenlernten, merkten beide schnell: Jetzt heißt es, wir gegen den Rest der Welt. Sie schlossen sich in eine WG ein, umgeben vom Elend des Frankfurter Bahnhofsviertels, und begannen Krach zu machen. Aus einem anfänglichen YouTube-Fun-Video-Projekt, bei dem sie es mit Spasti-Rap und irgendwas versuchten, wurde schnell eine „richtige“ Band irgendwo zwischen Indie-Chanson und Punk-Schlager. Gleich zu Beginn machten sie Sachen, die sie nicht konnten, gerade weil sie die nicht konnten, aber einfach wollten. „Wir hatten plötzlich unser erstes Konzert und haben dann erstmal angefangen Schlagzeug zu spielen.“

Anzeige

Schnipo Schranke nehmen den Pop als Exit-Strategie, als Ausbruch aus dem Korsett des Zwanghaften, des Musiksoldatentums, der Stockhausen-im-Arsch-Klassik. „Ich wollte schon immer auf die Bühne, aber ich konnte es damals echt nicht ertragen. Ich dachte ‚Drei Mal noch, dann bringe ich mich um’. Und bei unserem ersten Schnipo-Konzert waren wir einfach nicht nervös, weil es sich total richtig anfühlte", erzählt Friederike. So aufwendig und verdichtet die Texte sind, so infantil und schunkelig ist oft der Sound. Der bewusste Dilettantismus entlarvt sich aber auf den zweiten Blick als echter Punk-Move, alias die Heimat von „Ich kann das nicht, aber I don't give a shit!“. Bewaffnet mit Blockflöte, Keyboard und Drums, legen sie dabei die Dunkelstellen ihres Privatlebens frei.

In „Pisse“ heißt es da etwa: „Hab meine Fürze angezündet/ ʻne Orgie verkündet/ auf dem Platz der Republik/ zu klassischer Musik./ Dein Handy mit den Arschbacken gehalten,/ nur um dich zu unterhalten. / Dacht du findest so was komisch,/ seitdem liebst du mich platonisch.“ Ziemlich direkt, ohne „in die Fresse“ zu sein, ziemlich lustig, ohne peinlich zu sein und ziemlich realistisch, ohne langweilig zu sein. Ihre Songs haben dadurch, wie die beiden selbst, einen extrem verstörenden Wiedererkennungswert. Von neuer Hamburger Schule soll hier aber nicht die Rede sein. „Alles, was hier so abgeht, und auch was in den letzten Jahrzehnten im deutsprachigen Pop-Bereich oder Punk so abgegangen ist, mussten wir uns nachträglich aneignen. Auch Hamburger Schule und so ein Kram, da wussten wir gar nichts von, bis wir selbst von den Protagonisten damit in Zusammenhang gebracht wurden."

Anzeige

Live verpacken sie das Ganze aber eher reserviert: Eingepackt in Uniformen des Vietkong und mit unterstützender Man-Power von Ente Schulz, der bereits für das Video zu „Pisse“ so nett war, seinen Penis in die Kamera zu halten und auf Kommando in eine Teetasse zu pinkeln. Mit der Deutung des Ganzen wird man alleine gelassen. Dadurch gewinnen die Texte nochmal eine eigene Qualität, weil die Sexualität nicht wie zum Beispiel bei Peaches Teil der Show ist. Nur in den Texten geht es explizit zu. „Es ist für mich normal, auf diese Art zu denken und auf diese Art zu reden. Wenn ich mit meinen Freunden rede, sage ich auch: Ey, das war voll die Fotze! Da wäre es doch bescheuert, das beim Songschreiben auf eine schöne Sprache herunterzubrechen“, klärt Daniela auf.

Durch ihren offenen Umgang mit den Unzulänglichkeiten des eigenen Körpers („Drei-Tage-Muschi“), den Abhängigkeiten in Beziehungen („Du hast mich im Schrank vergessen“) und den selbstermächtigenden Fantasien, werden die Schnipos oft von Verfechtern des Feminismus vereinnahmt. Doch selbst würden sie sich nicht in diese Ecke stellen: „Wir hatten niemals politische Gründe, Musik zu machen, und wir würden uns niemals als Feministinnen sehen. Natürlich wird es in dem Kontext gesehen, weil wir nunmal Frauen sind und explizit werden. Das ist für uns okay und richtig. Ist ja nicht so, als würden Nazis das irgendwie umdeuten“ (lacht). Natürlich erinnert die Haltung an Lea Dunhams Girls, doch Schnipo Schranke geht es im Kern um eine einfache Sache. „Wir werden auch oft satirisch verstanden, eigentlich finden wir es aber wirklich wichtig, was in unserer Beziehung passiert oder ob wir gerade eine Beziehung haben. Deswegen schreiben wir darüber. Eigentlich ist das doch das Wichtigste im Leben, die Beziehung zu anderen Menschen.“

Mit ihren Texten und ihrem Auftreten nähren Schnipo Schranke das schöne Gefühl, dass manche Ideen die Zeit überdauern und sich weiterentwickeln. Anarchie soll hier keine öde Schnorr- und Sauf-Rebellion pubertierender Arztsöhne sein, sondern ein Versuch, sich selbst und seinen Standpunkt in oder außerhalb der Gesellschaft zu reflektieren, um dann „oben ohne die Flatrate an der Cocktailbar“ zu genießen.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.