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„Herr Sorge kommt auf Melodien, die Samy nicht zugelassen hätte“

Beim nächsten Album ist Samy Deluxe vielleicht weiß mit blonden Haaren. Falls vorher nicht längst die Welt untergeht.

2011 hat Samy Deluxe mit seinem Album SchwarzWeiß allen Rappern bewiesen, dass er immernoch ganz oben mitspielt. Doch jetzt schlägt er andere Töne an. Als Herr Sorge „singt“ er mit Autotune über den Verfall der Gesellschaft und über die persönlichen Weltuntergänge der Menschen. Seit ein paar Wochen tauchen Bilder und Videos im Netz auf, Samy Deluxe geschminkt, mit Zylinder und bunten Klamotten—eine Mischung aus Johnny Depp in Dark Shadows, Johnny Depp in Alice im Wunderland und Johnny Depp in Charlie und die Schokoladenfabrik. Und auch vom Sound hat man das Gefühl, dass Tim Burtons Gruselhumor irgendwie seine Finger im Spiel hat. Viele gute alte Samy-Deluxe-Fans haben sich gefragt, was das soll. Wir übrigens auch. Wir haben uns mit ihm getroffen und über Herr Sorges Probleme geredet.

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Sascha: Angenommen die Welt ginge nächste Woche wirklich unter, findest du nicht, man sollte eher eine schöne Zeit haben, anstatt so wie du mit deinem Album eine negative Stimmung zu verbreiten?

Herr Sorge: Ich denke, man sollte tun was man will. Es wurde ja auch keiner gezwungen diesen 2012-Film anzuschauen. Jede Art von positiver oder negativer Voraussage für irgendwelche zukünftigen Events ist ja immer zur Debatte frei. Ich glaube natürlich auch nicht daran, dass die Welt untergeht. Die Musik war einfach zuerst da und der Inhalt zog sich von persönlichen Weltuntergängen bis zu dem Verfall der Welt und dieser provoziert natürlich das Wort Weltuntergang.

Dann ist das alles also nur eine Masche?

Erst gab es „Fröhliche Weltuntergangsmusik" und das wurde dann zum Genre, war am Anfang aber noch der Arbeitstitel fürs Album. Dann bin ich nach und nach erst auf das Thema Weltuntergang gestoßen und habe recherchiert, was es damit auf sich hat. Dann habe ich gesehen, dass der 21. auf einen Freitag fällt und da ich Musiker bin, denke ich nur an Freitage. Wenn der 21. auf einen Mittwoch gefallen wäre, hätte ich das wahrscheinlich gar nicht so ausgesponnen. So ist es halt perfekt, ich bringe eine Woche vorher mein Album raus und spiele einen Tag vor dem 21. die Show. (Fröhliche Weltuntergangsgala am 20.12. im Hamburger Thalia Theater)

Und wenn dann am nächsten Tag die Welt nicht untergeht, ist der Witz weg.

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Der Verfall der Welt hört ja nicht einfach mit einem abgelaufenen Datum auf. Alles was ich auf dem Album erwähne, gibt es ja wirklich von Naturkatastrophen bis zu den persönlichen Weltuntergängen, die die Leute jeden Tag erleben. Ich finde es als Gesamtwerk auch nicht so negativ, wie es auf den ersten Blick scheint. Kommt natürlich auch drauf an, ob man es nur am Themeninhalt festmacht oder den Zynismus oder den Witz in den Sachen auch zulässt oder ihn auch versteht beziehungsweise ihn akzeptiert. Gibt ja auch Leute, die sagen: Okay, ist zwar zynisch gemeint, aber ich finde es total negativ. Als Künstler weißt du ja auch nie, wie irgendwas bei Dritten ankommt.

Ich glaube aber, es ist gut ausbalanciert. Es ist definitiv kein happy-zum-Bügeln-hören-Album, aber auch auf keinen Fall ein schlitz-dir-die Pulsadern-auf-Album. Es wird bei den Leuten, die es zulassen, sehr viel an Bildern auslösen.

Wie funktioniert das Hin und Her zwischen Samy Deluxe und Herrn Sorge?

Die ersten Songs sind noch als Samy entstanden zum Beispiel „Diesassda". Ich habe dann aber gemerkt, das passt irgendwie nicht. Die meisten Songs sind dann entstanden, als es Herrn Sorge schon gab und dann war es auch leichter. Ich glaube, die Wahrnehmung von mir und dem Zuhörer unterscheidet sich da ganz stark. Ich habe ganz oft gelacht und mir gedacht: Stimmt, sowas kann er ja auch sagen, Samy würde sowas nie sagen.

Du hast gesagt, Herr Sorge sagt Sachen, die Samy nicht sagen kann. Also musstest du diesen Charakter erschaffen um die Musik zu machen, weil Samy das einfach nicht machen würde?

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Erstmal muss man wissen, dass es bei dem ganzen Projekt eigentlich kaum Vorsätze gab. Ich funktioniere auch einfach gar nicht so, dass ich mir denke, ich sollte jetzt das machen und als nächstes sollte ich mich schminken und dann mache ich solche Musik. Ich mache einfach jeden Tag Musik und die kann natürlich auch sehr unterschiedlich sein. Das geht von dem härtesten und schnellsten Rap bis zu sphärischen Balladen. Das ist immer der erste Teil und danach kommt alles andere dazu. Bei diesem Album habe ich halt eine Richtung gefunden und konnte diese Freiheit entwickeln. Es gab aber nicht diesen Vorsatz, ich muss das machen, um das machen zu können. Auch so in der Retroperspektive betrachtet, war es einfach eine natürliche Entwicklung.

Man muss dazu wissen, dass, obwohl es noch nicht mal raus ist, das Projekt schon wieder alt für mich ist. Ich habe schon ein neues Samy-Album fertig, bevor das Herr Sorge-Album überhaupt raus ist und habe noch ein Album für Cassandra Steen geschrieben. Ich bin nicht so wie diese anderen Künstler, die ins Studio gehen, wenn das Label sagt, geh mal ins Studio. Ich mache jeden Tag Musik.

Wenn du jetzt schon wieder weiter bist, ist es dann schwer für dich wieder in die Herr Sorge Rolle einzutauchen?

Nee, gar nicht. Das ist mein Baby, ich liebe dieses Projekt. Beim Aufstehen eben, war es die ersten zehn Minuten noch so: „Boah, fuck kein Bock, ich sage ab". Aber als ich dann wieder Herr Sorge war, war alles cool und ich dachte mir nur: „Ach ja, das ist mein Job, ich muss die Welt irgendwie vor ihrem Untergang bewahren."

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Es ist einfach ein super Projekt und es macht mich freier auch psychologisch. Dadurch, dass ich diesen Charakter so ausgelagert habe, diesen Part von mir den es auf jeden Fall gibt.

Ich bin einfach der King der Luxusprobleme, ich war gestern bei so einer Veranstaltung und habe so ein riesen Paket geschenkt bekommen, was normale Leute, die gerne solche Sachen haben würden, nie geschenkt bekommen und ich habe mir nur aufgeregt, weil ich heute fliegen muss und eh schon so eine volle Tasche habe.

Diesen Sorge-Typ gibt es auf jeden Fall in mir, der ist die ganze Zeit irgendwie genervt und hat mir das Leben auch oft schwer gemacht, für mich persönlich als Mensch. Aber seitdem ich diese Rolle erschaffen habe und Herr Sorge so outgesourced ist, geht es mir irgendwie besser.

Herr Sorge existiert also auch im echten Leben?

Ja, der hat echt was bewirkt in meinem Leben—auch in meiner Beziehung. Meine Freundin hat mir auch ganz krass geholfen, den zu definieren. Ganz viel davon ist auch bei ihr Zuhause entstanden, da habe ich auch ein Studio, ich habe ihr jeden Morgen die Tracks vorgespielt und dann haben wir diesen Charakter optisch definiert. Wir sind nach Paris gefahren, haben dort eingekauft, den Zylinder zum Beispiel und waren dann in Second Hand Stores.

Der Prozess war einfach megageil und hat mir auch für Samy Deluxe-Sachen neue Türen aufgemacht, die ich gar nicht erwartet hätte. Ich wollte das einfach nur machen, weil es mich flasht, aber es hat halt einiges bewirkt.

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Was kann Herr Sorge, was Samy nicht kann?

Herr Sorge ist freier. Als Samy habe ich so eine Grenze, über die ich nicht drüber kann…

… Weil es sonst nicht mehr HipHop ist?

Da bin ich eigentlich gar nicht so dogmatisch. HipHop hat ja für mich keinen Tageskurs wie der Dax. Das ist in mir seitdem ich 13, 14 Jahre alt bin. Es ist einfach das, was mich am Meisten interessiert, mich interessiert nichts mehr als die aktuelle Entwicklung von Rap. Aber seitdem ich sage, diese Sachen sind Herr Sorge, habe ich krasse Musik gemacht, ich bin auf Melodien gekommen, die ich als Samy nicht zugelassen hätte. Es ist ja nichts Schlechtes daran, Popmusik zu machen. Popmusik ist ja oft nur scheiße, weil es Scheiß-Popmusik ist. Michael Jackson ist auch Pop und man liebt ihn. Popmusik war auch vor HipHop in meinem Leben. Aber seitdem HipHop da war, war das einfach mein Hauptfokus.

Mein Anspruch für das nächste Samy-Album ist jetzt, dass ich keine einzige Hook singen werde. Es wird zwar Gesangshooks geben, aber die werden dann von anderen Leuten gemacht. Jetzt habe ich so viele Melodien rausgelassen, ich habe einfach wieder Bock auf das Rap-Statement.

SchwarzWeiß war auch als Rapalbum nur so geil, weil ich vorher Dis Wo Ich Herkomm gemacht hab' und manche Leute gesagt haben: „Höö jetzt singt er Reggae", und ich denen dann mal weider beweisen musste, dass ich der beste Rapper hier bin. Jetzt ist Herr Sorge da und ich merke das schon bei dieser Samy Produktion, obwohl ich mir das Feedback zu Herr Sorge nicht anhöre. Aber ich weiß ja, was irgendwelche Dogmaten denken.

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Wie gehst du mit der Kritik zu Herrn Sorge um, kannst du da wirklich einfach drüber hinweggehen?

Ich schaue es mir einfach nicht an. Das ist halt das Ding, man kann sich dem ja entziehen. Du musst ja nicht jeden Tag gucken, wie Sachen von dir bei Youtube kommentiert werden. Das kann auch zu einer Angewohnheit werden, die die Sicht vernebelt auf das, was wirklich wichtig ist. Das Ziel eines Künstlers sollte einfach sein, in seiner Lebenszeit, so viel wie möglich zu probieren, das zu finden was ihn ausmacht und das ist ja immer nur der Moment. Es gibt für keinen Menschen eine endgültige Wahrheit, aber viele, die da draußen bewerten, wollen das so sehen. „Samy sollte so sein", aber wenn sie selbst in der Position wären, dass 300.000 Leute sie bewerten, wenn sie was rausbringen, dann würden sie sich auch viel mehr Freiheit für sich wünschen.

Ich hatte dieses Jahr einfach nicht so viel Spaß an: Jetzt schreibe ich 100 Bars und Punchlines. Aber seitdem ich das Master vor drei Wochen abgegeben habe, habe ich 20 neue Rapsongs geschrieben und vorher kam auch Rap, Herr Sorge hat auch hier und da gerappt. Diese Juice EP zum Beispiel ist relativ raplastig. Im Moment bin ich wieder auf diesem Film, „ohh Rap ist ja voll geil". Für mich sind die Rapsachen, die ich jetzt gemacht habe geiler als alles, was ich bis jetzt rapmäßig gemacht habe. Viel krasser und aber auch viel freier, so verspielt, viele Flowswitches, Reime, Wortspiele. Unterbewusst, obwohl ich es mir nicht angucke, weiß ich ja, was irgendwelche Leute da jetzt wieder denken: Samy macht nur noch das und ist nur noch das. Dadurch ist die Rapsache wieder auf ein neues Level gekommen. Ich bin der geilste Rapper und das werde ich denen auch alle paar Jahre wieder beweisen. Vielleicht werden die Projekte dazwischen auch immer abstrakter, vielleicht bin ich beim nächsten Album weiß mit blonden Haaren.

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Du sagst, man muss alles mit einem Augenzwinkern betrachten, aber diese Sachen, die du behauptest, haben ja auch einen Ursprung.
Also glaubst du wirklich, dass die Menschen heute weniger miteinander sprechen als früher?

Ich glaube einfach anders. Wir haben andere Arten zu kommunizieren, wir haben andere Arten zu lernen. Ich glaube halt, dass es für Leute die ganz jung sind, eine andere Welt ist, die haben zu allem leichter Zugang. Die Kids gucken sich mit acht oder neun nackte Frauen an. Irgendwie sind diese Unterschiede einfach da und Leute wachsen anders auf. Ich glaube man kann sich da total viel Gutes rausziehen, aber manche verfallen den Nachteilen ihrer Generation und manche nutzen die Vorteile eben, weil es immer Vor- oder Nachteile gibt. Sachen werden ja nicht einfach nur besser oder schlechter sondern einfach anders. Ich glaube, dass es für viele schwer ist, heutzutage in dieser Welt aufzuwachsen.

Auf den Tracks werden oft Ängste behandelt. Sind das Ängste, die du beobachtest oder auch Ängste, die du selbst hast?

Es ist viel Beobachterperspektive. In vielen Songs geht es ja um die Wahrnehmung, die wir haben. Zum Beispiel im Song „Lebenlang” spiele ich in den Strophen mit den ganzen Sachen die passieren könnten, morgen könnte ich AIDS kriegen, morgen könnte ein Taliban in mein Haus fliegen. Sowas haben wir ja nicht in unseren Köpfen, das sind Dinge, die andere in unsere Köpfe reinprojizieren. Es geht mehr darum, dass die Welt heute mit Angst und Panikmache regiert wird, als mit den gegenteiligen Werten. Den Kids wird immer noch gesagt, dass einzig Wichtige ist, dass du deine Schule durchziehst und eine Ausbildung machst und dann gucken die Fernsehen und alle Leute, die sie bewundern, haben keine Ausbildung und waren nicht lange in der Schule. Das sind irgendwie so viele Widersprüche in der Welt, dass ich einfach das Gefühl hatte, es macht Sinn so einen Charakter zu erschaffen, der komplett wiedersprüchlich ist und trotzdem damit sehr viel Wahrheit ausdrückt.

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Ist das Herr Sorge-Projekt einmalig oder kannst du dir vorstellen, es fortzusetzen?

Ich sehe irgendwie eine düstere Zukunft für den Charakter, weil der irgendwie interessant ist. Ich glaube auch, je mehr ich in den Medien damit mache, werden Leute den kennenlernen und mögen lernen auf irgendeine Weise. Ich kann mir jetzt in diesem Moment nicht vorstellen, was das zweite Album so vom Themeninhalt wäre, aber andererseites macht Herr Sorge sich ja einfach nur Sorgen und er kann sich auch um alles Sorgen machen, das ist ja das Witzige daran, deshalb könnte ich mir das vorstellen, aber ich habe nicht direkt ein Follow-Up geplant.

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Sascha auf Twitter: @DeutscheWorte

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