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Interviews

Rocko Schamoni schmückt sich mit fremden Federn

Rocko Schamoni hat uns erzählt, welche Musik er aktuell hört und warum seine alten CDs von seinem Label zu Parkbänken geschreddert wurden.

Du solltest Rocko Schamoni dankbar sein. Nicht nur hat er mit Fraktus Techno erfunden, mit Studio Braun das wohl lustigste Trio in Deutschland gegründet und es geschafft, aus Gold Scheiße zu machen, dank ihm kannst du außerdem im Park auf gemütlichen Bänken sitzen. Dank ihm und seinem musikalischen Frühwerk, das von Rockos Ex-Label Polydor vor Jahren vernichtet und zu Parkbänken geschreddert wurde. Nicht das einzige Ärgernis, das ihn immer mal wieder dazu brachte, mit der Musikindustrie abzuschließen, um kurze Zeit später dennoch mit einem neuen musikalischen Projekt zurückzukommen. Seine neueste Platte, die er mit dem 16-köpfigen Orchester Mirage aufnahm, ließ er durch Crowdfunding finanzieren und soll Die Vergessenen der deutschen Popmusik würdigen. Auch das ist etwas, wofür man King Rocko Schamoni dankbar sein könnte, doch das sieht er ganz anders.

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Wir haben seinen Exkurs in die deutsche Popmusik als Anlass genommen, mit ihm über aktuelle Musikszene, die Bravo, seine größten musikalischen Erfolge (nicht die Bravo) und schlimmsten Erlebnisse (auch nicht die Bravo) zu sprechen:

Noisey: Ich muss erstmal fragen, ob ich Du sagen darf?
Rocko Schamoni: Ja, darfst du.

Dein Kollege Heinz Strunk besteht anscheinend auf das Sie.
Ist das so? Das weiß ich nicht, ich darf ihn ja duzen (lacht). Wenn jemand gern im Sie bleiben will, habe ich auch nichts dagegen. Ich finde es gut, dass wir in Deutschland diese Form haben, um eine gewisse Distanz gegenüber Leuten, denen man nichts so nah sein will, wahren zu können. Aber ich persönlich lege in diesem Fall keinen gesonderten Wert darauf. Ich weiß innerhalb der ersten drei Sekunden, wenn mir eine Person so unsympathisch ist, dass ich sie erstmal nicht duzen möchte.

Gut. Du hast ja schon öfter…
Immer noch Sie, ja?

Habe ich es jetzt versaut?
Jetzt hast du es voll versaut! Nein, weiter.

Du hast ja schon öfter die Musik an den Nagel gehängt. Ist die Musik so nervenaufreibend oder hatte das immer andere Gründe?
Das hatte den Grund, dass das Downloading frisch und neu den gesamten Plattenmarkt erobert hatte, und mit den Platten, mit denen du vorher Geld verdient hast, kein einziger Cent mehr zu machen war. Wenn du merkst, dass die Platte, für die du tierisch gearbeitet hast, drei Tage später im Netz ist und du—Puff—kein Geld mehr damit verdienen kannst, wird dir plötzlich dein Arbeitsfeld genommen. Das ist ein beknacktes Gefühl. Deswegen hatte ich auch Probleme, als die Piraten aufkamen. Zumindest am Anfang dieser Bewegung habe ich die Rechte und Arbeiten von Künstlern überhaupt nicht geschützt gesehen.

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Hast du immer noch das Gefühl, dass deine Arbeit verpufft?
Ja, dieser Verpuffungseffekt ist immer noch sehr stark, aber es gibt glücklicherweise inzwischen Gegentendenzen wie das Crowdfunding. Das, was einem früher weggenommen wurde, wird einem jetzt zum Teil durch Crowdfunding zurückgegeben. Das ist die andere Seite der Medaille, die positive. Die negative Seite ist, du kriegst von einer Plattenfirma nicht mehr genug Geld, um eine Platte aufzunehmen. Dass du davon leben kannst, ist vorbei. Du kannst es nur noch schaffen, eine aufwändige Platte zu produzieren, wenn du es mit Crowdfunding finanzierst oder ein Mäzen oder großes Label hast. Ansonsten musst du live arbeiten.

Auf der neuen Platte arbeitest du dich durch die Geschichte der deutschen Popmusik. Beschäftigst du dich auch mit der aktuellen Musikszene?
Das ist immer die Frage, was mit aktueller Musikszene gemeint ist. Wenn die Frage ist, ob ich mich mit den Charts beschäftige, dann Nein. Ich gucke mir ab und zu mal eine Dieter Bohlen-Sendung an, aber das ist für mich total lapidare Musik. Aber wenn es um andere neue Musik geht, höre ich alles Mögliche, komplett durchmischt. In den letzten beiden Tagen habe ich mir Alabama Shakes besorgt, eine gute Soulplatte, und vorhin wurde mir Young Fathers empfohlen, die werde ich mir heute Abend reinziehen. Grundsätzlich interessiert mich erstmal Musik. Ich habe keine Grenzen in mir.

Das war jetzt sehr international. Was ist denn mit deutschsprachiger Musik?
Da höre ich mir auch sehr viel an, alles, was mir vor die Flinte kommt. Ich bin niemand, der sich gezielt die iTunes- oder Indie-Charts durchguckt oder mir die neueste Spex reinzieht, um zu wissen, was ich hören muss. Ich bekomme sowieso so viel zu hören, weil ich ständig mit Musikern zu tun habe. Immer wieder sagt jemand: Zugezogen Maskulin musst du dir anhören, oder Antilopen Gang. Das kommt alles von selber ins Haus. Eine neue Band, die ich übrigens empfehlen möchte, ist Schnippo Schranke, die kommt auch bei Buback raus. Die radikalste neue Frauenband zur Zeit im Lande.

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Wurde ihr Song „Pisse“ vielleicht von deiner Kollektion beeinflusst?
Das hoffe ich sehr. Das muss was miteinander zu tun haben.

Matthias Schweighöfer macht jetzt auch Musik.
Ja, das habe ich mir schon angehört. Das fand ich erstmal nicht so interessant, das war eher durchschnittlich. Aber es war ja nur ein Song, es wird noch eine ganze Platte kommen und wer weiß? Vielleicht sind da ja Überraschungen drauf. Ich kann mir aber aufgrund der Filme, die er macht, nicht vorstellen, dass das besonders überraschend für mich wird, aber wer weiß…

Ich bin… Nee, ich wollte gerade sagen, ich bin gespannt.
Aber das stimmt überhaupt nicht, ne. Ich bin auch nicht gespannt.

Offensichtlich hörst du auch Deutschrap.
Ab und zu. Ich bin in den letzten Jahren tatsächlich immer weniger Rap-affin geworden. Am meisten habe ich mich über K.I.Z. gefreut. Ansonsten interessiert es mich nicht so stark, weil der Rap-Habitus bei mir durch ist. Ich höre mir auch mal ein Haftbefehl an, aber mein Soul, mein innerster Kernbereich ist es nicht. Ich habe Sympathien für Leute, die in dem Bereich arbeiten. Aber ich bin nach wie vor ein riesiger Dendemann-Fan, weil ich ihn für einen Gott der Wörter halte.

In der Jugend hast du mit Punk begonnen, heute nimmst du mit einem Orchester dieses Album auf. Würde der junge Rocko das spießig finden?
Das kann ich nicht ganz beurteilen. Ich weiß nicht, wie ich mich finden würde. Ich habe häufig gemutmaßt, dass ich mich scheiße finden würde, aber wenn ich mich zurückerinnere, weiß ich, dass ich mit so einem komisch grinsenden Auge auf Gestalten wie Harald Juhnke geschaut habe. Irgendwas an diesem komischen Glam, den die drauf hatten, fand ich gut, wenn da ein Bruch war. Schlager fand ich eigentlich langweilig, aber zum Beispiel fand ich Michael Holm irgendwie gut. Er hatte eine strange Herangehensweise an Schlager. Insofern hätte ich vielleicht Sympathien für eine Gestalt wie mich, denn ich bin ja auch kein typischer Schlagersänger, der glatten Volksmusikstadl-Quatsch singt. Ich suche mir die spezielle Songs aus.

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Stimmt es, dass du mal auf dem Cover der Bravo warst?
Ja, ich habe aus dem O rausgeguckt. Ich war leider nicht auf dem ganzen Cover, aber ich hatte eine Krone auf dem Kopf. In mehreren Ausgaben hatte ich auch eine halbe Seite, aber die Krönung war, als ich auf dem Cover war. Das O war auf jeden Fall ein guter Ort, die anderen Buchstaben sind nicht so geeignet. Du konntest noch aus dem V auftauchen, das hatte dann eine sexuellere Konnotation, aber das O hat mir ganz gut gefallen.

Deine Plattenfirma wollte dich früher glatter machen, weswegen du angefangen hast, Kunst zu studieren. Was wollten sie denn glätten?
Naja, sagen wir mal so, ich habe ihre Erwartungen an Mainstream und Charts nicht erfüllen können. Die wollten gern jemanden haben, den sie wie die Sau durchs Dorf jagen konnten. Ich musste auf die Bravo-Party fahren, wo Milli Vanilli oder der Sänger von Franky goes to Hollywood waren. Ich habe da überhaupt nicht reingepasst. Dort habe ich mich mal total abgeschossen, war richtig besoffen und habe den Flug am nächsten Morgen verpasst. Meine Begleitung von der Plattenfirma hat sich berechtigterweise darüber aufgeregt, was ich für ein unberechenbarer Typ bin. Aber ich konnte und wollte das selber nicht so, ich wollte nicht regelmäßig in der Hitparade auftreten. Ich wollte in erster Linie Musik machen und ab und zu mal auftreten. Es hat nicht gepasst. also haben sie mich nach zwei Platten fallengelassen und zu meinem großen Ärgernis alle Bestände, die von mir noch da waren, CDs und Platten, einstampfen lassen und daraus Parkbänke gemacht. Das hat mich geärgert.

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Alte CDs und Platten werden zu Parkbänken verarbeitet?
Ja, die werden zu Plastikgranulat verarbeitet und daraus wird dann irgendetwas gemacht, das in der Öffentlichkeit steht, Parkbänke, Stromkästen und so weiter. Bei mir waren es Parkbänke. Wenn wenigstens drauf gestanden hätte „Ich war mal eine Rocko Schamoni-CD“, aber das haben sie nicht eingraviert. Es lagen tausende CDs von mir rum, ich wollte sie alle abkaufen. Mir wurde immer gesagt, sie sind auf 0/5-Status. Ich habe gefragt, was das bedeutet und dann hieß es: Sie sind zu Vernichtung freigegeben. Nazi-Jargon: Zur Vernichtung freigegeben. Ich habe gefragt, wo sie denn sind? Dann hieß es: Die sind schon zu Parkbänken geschreddert worden. Das hat mich wirklich sehr geärgert.

Weißt du, wo die Bänke stehen?
Leider nicht, nichts. Verschwunden. Und das waren tausende. Ich war danach vertragslos und hätte die Platten gut gebrauchen können für die Tourneen. Ich habe ja weiter Musik gemacht und wollte meine Platten unters Volk bringen. Es war so, als hätte ich nie welche gemacht. Dabei haben sie eine dreiviertel Million Mark für die beiden Platten ausgegeben. Ich meine: eine dreiviertel Million Mark für zwei Platten ausgeben und dann alles einstampfen lassen, obwohl der Künstler sie noch abkaufen will.

Hätten sie nicht selbst die Rechte gehabt, sie weiterzuverkaufen?
Ja, alles. Sie wollten aber das Lager freiräumen. Der 0/5 Status—zur Vernichtung freigegeben—heißt Lager räumen und vernichten, der Lagerplatz kostet Geld. Dann kam die neue Barclay James Harvest ins Lager, wofür Platz gemacht werden musste. Ich wollte 15 Mark pro CD zahlen.

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Es ist bestimmt teuer, Platten zu vernichten.
Ja, das kostete 50 Pfenning pro vernichteter CD. Ich hätte ihnen 15 Mark pro CD gegeben. Und sie bezahlten 50 Pfenning pro CD, damit sie vernichtet werden? Wo ist der Vorteil für wen? Es war eine Lose-Lose-Situation. Ich habe mich beschwert, aber ich war vertragslos und das hat sie nicht mit dem Arsch interessiert. Derjenige, der die Plattenfirma damals geleitet hat, ist jetzt der Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten, Tim Renner. Das war mein damaliger Chef. Das war natürlich nicht seine persönliche Anweisung, dass meine CDs eingeschmolzen werden.

Das war aber schon meine Headline.
Ja, das wäre eine schöne Headline. Eigentlich wurde unter Tim Renners Leitung mein Frühwerk vernichtet.

Ich bau noch was mit Nazis ein.
Ja, kannst du auch noch machen. Nazis kommen immer gut in der Journaille.

Du hast mit Fraktus Techno erfunden, das war sehr nett. Jetzt hast du die vergessenen Lieder der Pop-Geschichte gewürdigt. Achtung, blöde Frage: Bist du der Robin Hood der Musik?
Ich würde „Blöde Frage“ als Antwort sagen (grinst). Aber tatsächlich habe ich mich darauf vorbereitet, dass irgendwann diese Frage kommt und ich möchte nur darauf hinweisen, dass ich nicht der Erretter der deutschen Indiemusik oder des Undergrounds bin. Ich bin nur jemand, der darauf verweist, dass da eine ganze Menge gute Musik rumliegt, die keiner mitbekommt, weil die Radios zu dumm oder zu gleichförmig sind, um sie zu spielen. Ich bin nur jemand, der ein paar Leute darauf aufmerksam macht, dass es diese Songs gibt. Wahrscheinlich sind die Leute, die durch mich darauf aufmerksam werden, auch Leute, die die Songs sowieso kennen. Aber wenn wenigstens zehn Leute dadurch die Songs kennenlernen, ist das doch schon ganz okay.

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Du hast ein Herz für Underdogs?
Ich mache es nicht aus einer heldischen Position heraus und ich will auch kein Danke dafür. Ich habe ja selber große Freude daran, diese Songs singen zu dürfen, weil sie meine Lieblingssongs sind.

Du bist also egoistisch.
Ich bin dabei auch ganz egoistisch. Ich stelle mich hin und darf mich mit fremden Federn schmücken, sieh’s mal andersherum. Das ist eine ganz schäbige Verhaltensweise, die ich hier an den Tag lege.

Robin Hood war auch ein wenig schäbig.
Ist das so bei ihm?

Er hat doch immer geklaut.
Aber er hat es nur für die Armen gemacht. Ich mache es nur für mich selber. Naja, nicht ganz…

Ist man als alteingesessener Hamburger eigentlich ein Berlin-Hasser?
Eigentlich nicht. Die letzten fünfzehn Jahre immer zu hören „Ich gehe jetzt auch nach Berlin“, hat mich schon gelangweilt. Ich habe natürlich auch darüber nachgedacht, schon vor 20 Jahren. Berlin ist ja auch spannend und hat viel zu bieten. Aber nachdem alle gegangen sind, fand ich das nicht mehr spannend. Ich hatte die Idee, in den Osten zu gehen. Ich dachte, eigentlich müssen alle nach Halle gehen. „Alle nach Halle.“

Oder nach Leipzig.
Aber das reimt sich nicht.

Und warum bist du nicht nach Halle gezogen?
Ich müsste die Zeit finden, um dort hinzufahren und zu begreifen, ob das meine Szene ist. Von null auf hundert, ohne Ahnung, ob ich mich wohl fühle, dorthin zu ziehen, finde ich schwierig. Ich bin dort ein paar mal aufgetreten und fand es sehr gut, tolle Leute da, aber hinziehen weiß ich noch nicht.

Noch eine wichtige Frage: Trinkst du Mariacron mit Cola oder pur?
Ich trinke Mariacron schon seit vielen Jahren nicht mehr. Ich würde sagen, bis 25 habe ich das getrunken und dann relativ früh gemerkt, dass es genauso wie Jägermeister des Teufels ist, weil da so viel Zucker und so viel Schrott drin ist, dass es dich einfach nur zermatscht und zermahlt. Wenn ich jetzt Schnaps trinke, suche ich mir was aus, was ein bisschen reiner ist. Es gibt gute Obstler aus Österreich, Marille oder so. Etwas, was relativ klar ist. Bei einem Jägermeister oder Asbach Brand geht man ja quasi von null auf hundert direkt in den Filmriss rein. Und neben Kotze und mit zerrissenen Klamotten morgens aufwachen habe ich genug gehabt, das brauche ich nicht mehr.

Was war dein persönlich größte Erfolg, den du in deiner musikalischen Laufbahn erreicht hast?
Mein größter Erfolg war, im Donald Duck erwähnt zu werden, als Donald gesagt hat: „Und Rumba tanzen und Walzer! Und Bongotrommel spielen! Und singen wie Rocko Schamoni!“ Das war eine noch größere Auszeichnung, als auf dem Bravo-Cover zu sein. Da dachte ich mir: Mehr geht nicht. Alles andere ist okay, aber das ist nicht zu toppen. In Donald Duck tauchen eigentlich keine irdischen Personen auf. Das gibt es da nicht. Ich bin vielleicht einer von fünf, die dort aufgetaucht sind. Wie willst du das toppen?

Rocko Schamonis neues Album mit L’Orchestre Mirage Die Vergessenen erscheint am 22. Mai bei Staatsakt. Holt es euch im Shop.

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