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Interviews

Aus & Vorbei: Nach 20 Jahren planen Dillinger Escape Plan ihren stilvollen Abgang

Dillinger Escape Plan-Gitarrist Ben hat mit uns über ihr sechstes und letztes Album ‚Dissociaton’, die intensiven Shows und darüber gesprochen, warum man aufhören soll, wenn es am schönsten ist.

Es ist wahr. Nach beinahe 20 Jahren voller Blastbeats, Off-Time-Geballer und Bühnen-Pyro hängen The Dillinger Escape Plan ihre Instrumente an den Nagel. Davor gibt es aber noch eine Tour zu ihrem sechsten Album Dissociation, das am 14. Oktober auf ihrem eigenen Label Party Smasher Inc. erscheint

"Ich bin 40 und habe gestern Abend einen Anhänger beladen", berichtet mir Gitarrist Ben Weinman stolz per Handy, während der langjährige Bassist der Band, Liam Wilson, den Van zu einer Show in Toronto fährt, wo sie am Abend spielen werden. "Selbst nach all dieser Zeit überleben wir nur, weil wir keine Manager und keine große Crew haben." Dieser autarke Geist und der unbedingte Willen, alles nach ihren eigenen Regeln anzugehen—das betrifft Musik und Business—, hat der Band mit Sänger Greg Puciato, Schlagzeuger Billy Rymer und dem neuen Gitarristen Kevin Antreassian geholfen, zu echten Vorreitern harter Musik zu werden. Im ersten Moment kommt es total unerwartet, dass die Band sich nach einem großartigen Album einfach verabschiedet, aber wenn du dir anschaust, wie DEP’s Karriere verlaufen ist, ergibt das durchaus Sinn.

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Noisey: Ihr seid immer noch berühmt und bald kommt ein neues Album. Warum hört ihr jetzt auf?
Ben Weinman: Nun, in gewisser Weise wollten wir den Seinfeld machen und aufhören, solange wir noch oben sind, wenn du verstehst, was ich meine. Die Band war nie erfolgreicher und wir sind so glaubwürdig und bekannt wie eh und je. Ich glaube, immer wenn wir auf der Bühne stehen, spielt zur gleichen Zeit keine andere Band auf der Welt, die uns das Wasser reichen kann. Und das ist unser Ziel. Wir freuen uns auch sehr auf dieses neue Album, gleichzeitig feiern wir 2017 aber auch unser 20-jähriges Bandjubiläum. Vielleicht gibt es uns sogar länger. Ich weiß nicht so genau, wann ich damit angefangen habe, Songs zu schreiben. Die erste EP ist jedenfalls 1997 rausgekommen. Ich finde, dass das eine dieser Sachen ist, bei denen wir nicht diesen Punkt erreichen wollen, an dem wir aufhören, weil wir es müssen, wir zu alt sind oder die Leute sich nicht mehr für einen interessieren. Wer weiß, ob das jemals passieren würde, aber ich fühle mich besser damit, harte Entscheidungen zu treffen. Ich mag die Vorstellung nicht, etwas langsam runterzufahren oder weniger häufig zu machen. Ich stürze mich lieber voll rein und gehe ans Limit, denn darum ging es bei dieser Band immer.

Die meisten eurer Weggefährten, die sich nicht aufgelöst haben, sind zumindest seit einiger Zeit nicht mehr aktiv. Es scheint, als hättet ihr euch nie eine Pause gegönnt.
Nein, wir waren die ganze Zeit eine Vollzeitband und der Titel Dissociation bezieht sich darauf, dass wir alle als Teil eines Ganzen Individuen sein können. Abhängigkeit ist bei Dillinger kein Thema. Wir machen das, weil wir es wollen und weil wir es mögen und das ist ein guter Zustand. Das ist wahre Reife, wenn du bei allen Beziehungen in deinem Leben diesen Punkt erreichst. Ich finde, dass das ein großer Teil des Albums ist und etwas wofür wir uns selbst feiern.

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Man würde davon ausgehen, dass nach so einer langen Bandkarriere so ein Album wie von selbst entsteht. Bei euch scheint das aber nicht der Fall zu sein, oder?
Nein, das war es noch nie. Es ist nie einfach gewesen, aber wir haben den Punkt erreicht, an dem wir keine Selbstzweifel mehr haben. Wenn wir ein Dillinger-Album machen, mache ich mir keine Sorgen mehr. Wir wissen, wie man Dillinger macht. Wir machen auch nie Platten, wenn wir uns unter Druck gesetzt fühlen. Wenn wir ein Album machen, dann nehmen wir uns viel Zeit und schauen, dass es sich richtig anfühlt und wir inspiriert sind. Greg hatte die fertige Platte zwei Wochen rumliegen, bevor er überhaupt damit anfing, am Gesang zu arbeiten. Er fühlte es einfach noch nicht und wir haben den Veröffentlichungstermin verschoben. Ich glaube, das beweist, dass wir Platten nicht einfach nur raushauen, damit wir wieder auf Tour gehen können.

Eure Shows sind ziemlich intensiv. Hat eure Entscheidung, jetzt aufzuhören, vielleicht auch damit zu tun, dass ihr so was mit 60 nicht mehr bringen könntet?
Es mag vielleicht stimmen, dass wir das mit 60 nicht abliefern könnten, aber wir hören jetzt bestimmt nicht auf, weil wir uns unfähig fühlen. So viel ist klar. Natürlich stimmt es, dass es an irgendeinem Punkt einfach nicht mehr realistisch wäre, diese Art von Show zu machen, die wir machen—meine Gelenke sind auch alle im Eimer. Aber das spielt gerade keine Rolle. Wenn wir spielen, dann spielen wir. Der Rest der Welt und alles andere, was in unseren Leben los ist, existiert dann nicht. Ich glaube, dass ich das am meisten vermissen werde—diese Momente. Aber in es ist in der näheren Zukunft noch nicht abzusehen, dass wir das nicht mehr tun könnten. Wir sind immer noch aufgeregt und verspüren immer noch diese Katharsis, wenn wir spielen. Das ist einfach frei und enthemmt. Aber nochmal: Wir hören jetzt auf, weil es toll ist, dass wir uns immer noch so fühlen und Herren über unser eigenes Schicksal sind.

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Wo wir schon beim Schicksal sind: Nächsten Monat erscheint die Platte mit Giraffe Tongue Orchestra—deiner neuen Band mit Leuten von Alice in Chains, The Mars Volta und Mastodon. Hat das etwas mit der Dillinger-Situation zu tun?
Nicht wirklich. Ich habe überhaupt nicht vor, Dillinger mit GTO zu ersetzen oder so. Es geht einfach nur darum, etwas Neues im Leben zu tun; sich neue Herausforderungen zu suchen und so. Das müssen auch gar nicht unbedingt Bands sein. Die GTO-Geschichte hat bei mir mehr damit zu tun, dass ich es schaffen wollte, etwas zu veröffentlichen, das nicht Dillinger ist. Ich bin die letzten 20 Jahre so eng mit jedem Aspekt von Dillinger verbunden gewesen, dass ich jetzt wirklich etwas anderes tun muss. Ich muss auch mal mit anderen Menschen kollaborieren und etwas veröffentlichen, das nichts mit Dillinger zu tun hat. Das ist nämlich nicht besonders gesund. [lacht] Fast alle Leute aus meinem Telefonbuch kenne ich über die Band. Es ist schon verrückt.

Ihr habt in den letzten 20 Jahren eine Menge verrückter Shows gespielt—inklusive Feuerspucken, Prügeleien mit der Security und einer Haufen anderer Sachen, die den meisten Bands wahrscheinlich im Traum nicht einfallen würden. Wie blickt ihr darauf zurück?
Ich glaube, wir habe alle noch das Gefühl, jeden Laden auseinandernehmen zu wollen, in dem wir spielen. Wir sind Piraten. Wir gehen einfach durch Städte und vergewaltigen und plündern jeden Club—und das liebe ich auch so daran. Selbst wenn wir unsere anderen Jobs haben oder wie früher zur Schule gegangen sind, haben wir nur aufs Wochenende gewartet, damit wir in einer dieser Gemeindehallen spielen und sie zerstören konnten. Es war wirklich großartig. Das Gefühl, das mir diese Band gibt, ist etwas, das die wenigsten Menschen in ihrem Leben erfahren können. Ich bin also sehr dankbar dafür und dafür, dass ich das erleben darf. Wir haben erst gestern Nacht darüber gesprochen und wir werden nie etwas in unserem Leben bereuen. Wir haben nämlich alles getan. Wir haben Dinge gesehen, die man nicht wieder von der Netzhaut bekommt. [lacht]

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Ihr habt früher auch ein paar Sachen gebracht, mit denen ihr heute nicht mehr durchkommen würdet.
Nö, die machen wir immer noch. Wenn wir mit etwas aufhören, dann nicht weil jemand deswegen Probleme bekommen hat oder verklagt wurde—alles schon mehrmals passiert. Es ist einfach nur, weil wir nicht wollen, dass es zu einem Gimmick verkommt. Wir wollen die Leute überraschen. Wenn wir jedes Mal auf der Bühne Feuer spucken würden, würde das zu einer Zirkus-Show verkommen. Das ist nicht der Sinn der Sache. Es soll aufregend und unvorhersehbar bleiben. Sobald wir also etwas tun, das als Teil unserer Show erwartet wird, werden wir zu Slipknot oder Insane Clown Posse—und das wollen wir unbedingt vermeiden. Wir sind eine Punkband und uns gefällt die Vorstellung, dass wir keine Ahnung haben, was das Publikum machen wird, und das Publikum keine Ahnung hat, was wir machen werden. Das macht unsere Auftritte so gefährlich. Wir wollen keine "Bühnenshow" aufbauen.

Wann werden sich Dillinger genau von der Bühne verabschieden?
Wir werden die Runde für das Album machen und das war es dann. Diese Runde wird aber ziemlich ausgedehnt sein. Wir haben eine komplette US-Tour diesen Herbst und dann folgt noch eine gigantische Europa-Tour im Winter. Von da geht’s dann weiter nach Australien und so. Dann kommen wir zu den Sommerfestivals zurück und werden uns dann überlegen, welche unsere letzten Shows sein werden.

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OK, es ist jetzt vielleicht nicht gerade übermorgen, aber was meinst du, wie du dich fühlen wirst, nachdem du die letzte Note beim letzten Konzert gespielt hast?
Ich werde wahrscheinlich wieder irgendeine Verletzung haben, um die ich mich irgendwie kümmern muss. [lacht] Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass einfach das Wissen, dass die Zukunft anders sein wird, nachdem diese Sache so lange ein großer Teil unseres Lebens gewesen ist, einen großen Einfluss auf uns haben wird. Es gibt sehr wenige Bands da draußen, die es so lange geschafft haben, wie wir. Es ist verrückt und großartig, dass wir es so weit gebracht haben. Man muss sich gegenseitig schon lieben, um das zu machen—unabhängig von irgendwelchen Uneinigkeiten. Ich bin also ziemlich stolz darauf, sagen zu können, dass wir die letzten 20 Jahre eine Vollzeitband gewesen sind. Es ist schon ein interessantes Leben, wenn du verstehst, was ich meine.

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Jonah Bayer ist bei Twitter—@mynameisjonah