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Die Retter des Pop: Es gibt sie doch!

Die alles berechnende Hitschmiede der Superstars hat den Pop langsam aber sicher zerstört. Unser Tipp: weniger Chartradio, mehr Pvris, Vimes und SZA.

Ich hatte hier schon eine ellenlange Abhandlung verfasst, in der ich die Probleme der aktuellen Popmusik beschrieben hatte, aber Panik Panzer sagt, dass alle Noisey-Artikel zu lang sind. Daher habe ich alles wieder gelöscht und stattdessen meine Ergüsse auf wenige Stichworte zusammengefasst:

- Rihanna ANTI = langweilig
- Sia This Is Acting = mega langweilig,
- Pop = von Mächtigen wie Max Martin kontrollierte Langweilermusik,
- Haltung, politische Botschaften, Innovation = unerwünscht,
- Popstar = Geldmaschine (ohne Kontrolle über ihr/sein Leben).

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Ergo: Pop ist tot. Man könnte ihn also einfach komplett zu den Akten legen, HipHop, R’n’B und House hören und einfach darauf scheißen. Aber leider besteht der Schema-F-Bausatz des Pop ja heute bereits fast nur noch aus Bauteilen, die ursprünglich eben aus HipHop, R’n’B und House kamen und das birgt durchaus die Gefahr, dass es irgendwann gar keinen Unterschied mehr gibt. Bitter.

Bevor ihr jetzt nur noch Jazzplatten hört, wollen wir also darauf aufmerksam machen, dass es hinter der abstoßenden Fassade durchaus beachtenswerte Pop-Musiker gibt, neue und nicht mehr ganz so neue, die dem Genre aktuell sanft neues Leben einhauchen.

R’n’B: SZA, The Internet

Rihannas gerade veröffentlichtes Album ist nicht nur von den Verkäufen, sondern auch musikalisch insgesamt eine Enttäuschung. Aber klar, das hier ist Rihanna, und deswegen sind auf ANTI natürlich auch gute Lieder, der Opener des Albums zum Beispiel, „Consideration“. Das ist mit seinem verpuffenden Boom-Bap-Beat und dem ihm zugrunde liegenden minimalistischen Basslauf schon ziemlich sexy. Dieser Track hat einen Featuregast: SZA. SZA hat bereits 2014 ihr Debütalbum auf dem Rap-Label Top Dawg Entertainment, auf dem u.a. auch Kendrick Lamar und Schoolbay Q veröffentlichen. Damit und mit Featuregästen wie Chance The Rapper, Isaiah Rashad und eben Kendrick, war SZA die Aufmerksamkeit der richtigen Leute eigentlich schon sicher. Trotzdem blieb ihr bisher der Massenerfolg verwehrt. Vermutlich, weil ihre Musik viel zu ruhig, minimalistisch und zurückhaltend ist. Hier zieht eben nicht spätestens alle sieben Sekunden irgendein Synthie-Geschredder die volle Aufmerksamkeit des gelangweilten Radiohörers auf sich. Musikalisch ganz ähnlich und ebenfalls großartig—daher sollen sie hier nicht unerwähnt bleiben—sind The Internet. Quasi das Odd Future-Pendant zu SZA, nur als Band, aber ansonsten auch zurückhaltender R’n’B auf höchstem, handgemachtem Niveau.

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Elektro-Gefrickel: Mura Masa

Der Name Mura Masa geistert schon ein paar Tage durch die Musikszene. 2014 veröffentlichte der damals 18-jährige Brite sein Mixtape Soundtrack to a Death via Soundcloud und sorgte für den ersten kleinen Bloghype. 2015 folgte dann das offizielle Debütalbum Someday Somewhere und Tracks wie „Lovesick“ und „Firefly“ feat. Nao entwickelten sich in kürzester Zeit zu Indie-Hits. Mura Masa macht sanften Elektropop, der mal Richtung SOHN mal Richtung James Blake geht. Catchige Melodien, die nie ins Gefällige abrutschen, machen süchtig, zerhackte Samples, leicht abseitiges Gefrickel und außergewöhnliche Rhythmik sorgen für den nötigen musikalischen Anspruch und damit Langlebigkeit. Der große Mainstreamerfolg wird damit vermutlich nicht zu holen sein, aber eine Karriere á la James Blake oder Jamie XX ist definitiv realistisch.

Soul/House: Majid Jordan

Majid Jordan balancieren elegant auf der Schnittstelle zwischen House, Soul und R’n’B und erinnern uns in jeder Sekunde daran, wo House eigentlich herkommt: aus dem Soul, richtig. Die Beiden sind auf ihrem lang ersehnten Debütalbum sexy, cheesy, treibend, schwitzig, schnulzig, harmonisch und ihr Protegé Drake darf auch ran. Nicht nur wegen des Überhits „Something About You“ ist Majid Jordan schon im Februar ein heißer Anwärter auf das Album des Jahres.

Elektro-Breitseite: Rüfüs

Rüfüs sind ein bisschen wie ein Gegenentwurf zu Mura Masa und gleichzeitig musikalisch eng mit ihm verwandt. Im Grunde malen beide das gleiche Bild, nur Mura Masa verwendet Pastelltöne, während das australische Trio ordentlich in den Farbtopf langt. Das Bild, das Rüfüs damit malen, ist allerdings mindestens genauso packend. Suchtfaktor: 100. Schon das Debütalbum Atlas (2014) sorgte für massiv gute Laune und Sommerstimmung, das gerade erschienene neue Album Bloom setzt dem Vorgänger noch eine Krone auf. Bassläufe wie in „Like an Animal“ oder „You Were Right“ untermalen die eingängigen Synthie-Melodien. Das ist vielleicht alles ein bisschen simpel, aber es funktioniert. Rüfüs machen tanzbaren Elektropop, der nicht ganz so dumm ist, wie das, was im Radio läuft. Mehr verlangen wir gar nicht.

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Synthiepop: Chvrches

Synthiepop ist beim besten Willen nichts Neues. Aber das Glasgower Trio Chvrches beherrscht dieses Genre aktuell wie kaum eine andere Band. Spätestens seit dem 2013 veröffentlichtem Debütalbum The Bones of What you Believe ist Chvrches ein fester Bestandteil der britischen Hype-Maschinerie, der 2015 erschienene Zweitling Every Open Eye machte aus den Newcomern einen festen Bestandteil des Indie-Pops. Das Album ging in UK auf Platz vier, in US auf Platz acht. „Leave A Trace“ oder „Empty Trace“ sind schlicht und einfach Hits. Die Band wird von Kritikern gefeiert und von Fans geliebt, weil sie keine Marionette der Industrie ist und Sängerin Lauren Mayberry in Interviews Haltung zeigt. So weit so gut. In Zukunft müssen Chvrches aber die schwierige Balance zwischen Indie-Lieblingen und Popstars hinbekommen.

Emo-Pop-Rock: Pvris

Die Schreibweise ist nicht der primäre Grund, warum Pvris hier direkt nach Chvrches auftauchen. Die Band aus Lowell, Massachusetts, tanzt auf einem schmalen Grat zwischen Emo, Rock und Pop. In den schlechteren Momenten erinnern sie an Evanescence, in den guten ist ihre Musik so unfassbar catchy, dass sie in kürzester Zeit abhängig macht. Aktuell ist dank der erdrückenden Macht von HipHop, R’n’B und Ibiza-House im Pop kaum Platz für verzerrte Gitarren. Pvris wäre wohl noch am ehesten zuzutrauen, sich einen Platz trotzdem dauerhaft zu sichern. Das Debütalbum White Noise wird 2016 zwei Jahre alt. Der Nachfolger könnte noch dieses Jahr kommen. Dann wird sich zeigen, ob Pvris richtig durchstarten.

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Deutschpop: Lary / Mine / Vimes

Ich habe, wie anfangs schon gesagt, vor nicht allzu langer Zeit die gegenwärtige Armut des deutschen Pop beleuchtet: Wer textlich was drauf hat, tobt sich im HipHop aus. Diejenigen, die musikalisch was können, kommen aus Österreich. Diejenigen, die ein Haltung haben, machen Punk. Deutschpop ist flach, simpel und kraftlos. Aber abseits der Flachperlen gibt es auch bei uns Hoffnung. Lary hat vor zwei Jahren ein beachtliches Debüt veröffentlicht, das, wenn es nicht auf Deutsch gesungen wäre, mit Sicherheit international gute Chancen gehabt hätte. Aber gerade weil es auf Deutsch gesungen war, klang es umso Außergewöhnlicher. Ob sie mit einem zweiten Album dem noch Einen aufsetzen kann oder doch in die Majorlabelfalle tappt, kann man kaum vorhersehen. Die Gefahr besteht nach dem Massenerfolg von MoTrips „So wie du Bist“ und noch ein bisschen mehr, nachdem sie mit Lena zusammen auf der Bühne stand, durchaus. Hoffen wir, dass sie real bleibt.

Eine, die sich und ihrer äußerst außergewöhnlichen Musik definitiv treu bleibt, ist Mine. Auch sie hat nach ihrem Debütalbum vor allem in HipHop-Kreisen Aufmerksamkeit bekommen—als Featuregast von Fatoni, Edgar Wasser oder den Orsons—macht aber komplett andere Musik als Lary. Mine mischt Hundreds, Woodkid und Florence and the Machine mit HipHop-Rhythmen und deutschem Gesang. Pathos, orchestrale Instrumentierung, verzerrte Gitarren, drückende Beats, Sprachbilder, die aus schauderhaften Märchen und fantastischen Träumen entsprungen scheinen, alles ist erlaubt. Und funktioniert perfekt.

Ein drittes Beispiel für deutschen Pop—in diesem Fall auf Englisch vorgetragen—sind Vimes. Auf das Debütalbum des Kölner Duos warten wir seit mindestens zwei Jahren, am 12. Februar erscheint es endlich. Und was lange währt, wird endlich gut: Night In Limbo ist ein Elektropop-Album auf dem Niveau von oben erwähnten Majid Jordan, Mura Masa oder Rüfüs—und irgendwie musikalisch auch genau eine Mischung aus den dreien. Wobei der entspannte, melodiöse Kölner House, den man vor allem vom Genre-bildenden Label Kompakt kennt, offenbar einiges an positivem Einfluss auf Vimes hatte. Internationale Ambitionen sind bei den Beiden nicht überheblich, sondern vollkommen realistisch.

Na bitte, geht doch.

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