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Interviews

„Das ist unsere Band, ist mir egal, ob dir unser Mythos wichtig ist“—Refused im Interview

17 Jahre nach ihrem Hardcore-Klassiker ‚The Shape Of Punk To Come‘ sind Refused immer noch verdammt angepisst von dieser Welt.

1998 haben vier Jungs aus einer schwedischen Studentenstadt eine der punkigsten Aktionen der Musikgeschichte gewagt: Sie veröffentlichten einen unbestrittenen Klassiker, nur um sich wenige Monate später aufzulösen. Mit The Shape Of Punk To Come und der Verweigerung, den Weg in den Mainstream weiter zu beschreiten, sondern lieber den künstlerischen Freitod zu wählen, hatten sich Refused ein Denkmal gesetzt, dass von nun an in jedem neuen Hardcore-Jahrgang gewürdigt wurde. Bis 2012. Plötzlich waren sie wieder da, spielten aber nur auf großen Festivals wie dem Coachella. Missmut machte sich unter den unzähligen Fans breit, die ihr liebevoll gepflegtes Refused-Shirt nun immer seltener anzogen.

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Wieder wurde es ruhig um Refused. Sänger Dennis Lyxzén tourte lieber mit INVSN durch die Clubs und spielte mit Drummer David Sandström in der Band AC4. Die anderen beiden Bandmitglieder kümmerten sich um ihre eigenen Projekte. Scheinbar. Dann veröffentlichten Refused im Frühjahr 2015 mit „Elektra“ den ersten neuen Song seit 17 Jahren, einen Vorboten des im Juni erscheinenden Albums Freedom. Der Song stieß nicht nur auf Freudenschreie. Vielmehr machten sich Zweifel breit: Waren diese adrett gekleideten Typen wirklich die wütenden Punks von damals? Wieso konnten sie die Band nicht genau so lassen, wie sie war? Warum reißen sie ihr Monument nun erneut ein? Genau das wollten wir auch wissen und haben uns mit Dennis und David getroffen, um herauszufinden, wie viel Verweigerung noch in den inzwischen älteren Herren steckt.

Noisey: Ihr habt euch bereits zweimal aufgelöst. Habt ihr beide Male gedacht, dass es das endgültig gewesen sei oder gab es immer ein „vielleicht ja doch nicht“?
Dennis Lyxzén: Offiziell haben wir uns erst einmal getrennt. 2012 wussten wir schon, dass wir weiter zusammen Musik machen wollen. Es war also eher ein Trick (lacht).
David Sandström: Wir blieben absichtliche wage. Wir haben gesagt, „Das ist die letzte Show der Reunion“ und nicht „Das ist die letzte Show, die wir jemals spielen werden“, also dachte jeder, dass es vorbei war. Aber war es nicht. Wir wollten einfach im Geheimen an dem Album schreiben, damit die Leute keine Erwartungen an uns haben, uns ständig danach fragen und so Druck ausüben.
Dennis: Aber als wir uns 1998 aufgelöst hatten, dachten wir wirklich, dass es das gewesen wäre. Wir waren fertig: „Es ist vorbei, ich werde diese Ficker niemals wiedersehen.“ Aber das hat sich dann auch wieder geändert (grinst).

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Damals hieß es: „Refused are fucking dead“. Stimmt das nicht noch immer? Immerhin habt ihr euch weiterentwickelt und die „neuen“ Refused sind einfach etwas anderes.
David: Das stimmt, Refused ist heute etwas anderes.
Dennis: Wir sind heute andere Personen. Klar sind es immer noch wir, die die alten Songs spielen, aber… Als wir uns getrennt hatten, waren wir eine kleine Hardcore-Band, um die sich keiner wirklich gekümmert hat. Heute sind wir eine große Rockband, die vielen Leuten wichtig ist. Es ist so: Wir haben in einer Band gespielt und sie dann verlassen. Aber die Band hat ohne uns weitergemacht und 14 Jahre später sind wir wieder eingestiegen. Aber sie ist gewachsen und wurde etwas Anderes.
David: Wenn du in einer Band bist, geht es eigentlich darum, Musik zu schreiben, sie zu veröffentlichen und live zu spielen. Nichts weiter. Aber damals waren wir sehr chaotisch, haben uns im Studio gestritten und auf der Bühne miteinander gekämpft. Heute nehmen wir alles viel ernster, egal ob beim Aufnehmen oder den Live-Shows. Und wir haben sehr viel Energie, die wir fokussieren müssen. Wir sind heute mehr Refused, als wir als es damals sein konnten.

Ihr habt gerade gesagt, dass ihr früher zwar eine Hardcore-Band wart, euch jetzt aber eher als eine Rockband bezeichnet. Fühlt ihr euch noch der Hardcore-Szene zugehörig?
Dennis: Ich glaube es ist eine Hassliebe. Besonders bei mir. Hardcore und Punkrock haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Sonst würden wir heute nicht hier sitzen. Das trägst du einfach mit dir durchs Leben. Die Art wie ich rede, wie ich bin, das alles wurde dadurch beeinflusst. Ich gehe noch immer einmal die Woche zu Hardcore-Shows, wenn ich zuhause bin. Ich habe ein Punkrock-Label, auf dem ich Platten von Bands aus meiner Heimatstadt rausbringe. Aber als Band, als Refused, sind wir nicht wirklich daran interessiert, nur in Subkulturen zu existieren. Wir kennen unsere Wurzeln, aber sind eher eine Band, die Musik macht. Wenn Hardcore-Kids es als wichtig erachten, über uns in ihren Foren zu diskutieren, ist das schmeichelhaft, aber wir sind unsere eigene Band.
David: Es gibt auf unserem neuen Album einen Song, bei dem es um Neurologie geht, aber der Moshpart am Ende ist einfach „Clobberin Time“ von Sick Of It All.
Dennis: Es ist ein Teil unserer DNA.
David: Wenn ich zu einer Punk-Show gehe, will ich keine Band hören, die klingt wie wir. Ich will richtigen Hardcore hören und in den Pit gehen. Dafür ist diese Musik da.

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Spielten eure Hardcore-Wurzeln beim Songwriting des neuen Albums eine große Rolle?
Dennis: Die Bands, die uns beeinflusst haben, waren wahrscheinlich die gleichen wie vor zwanzig Jahren. Das kriegst du nicht raus. Wenn ein Riff wie Sick Of It All klingt, liegt das daran, das wir diese Band vor zwanzig Jahren geliebt haben.
David: Dieses Ideal von Sick Of It All hat sich seit 1996 nicht verändert. Wenn wir darauf verweisen, meinen wir die Band von ’96 und davor.
Dennis: Das Gleiche gilt für’s Texten. Ich habe gelernt, wie man Texte schreibt, weil ich ein Punk war. Heute achte ich eher bei Nick Cave oder Leonard Cohen auf die Lyrics und nicht mehr bei D.R.I. oder Minor Threat.
David: Heute schreist du wie Freddy Madball, aber es sind komplexe Texte.
Dennis: Als junge Band willst du wie deine Vorbilder klingen. Wenn wir jetzt Songs schreiben, wollen wir wie Refused klingen. Es gibt Riffs, die von anderen Bands inspiriert wurden, aber du kannst das nicht heraushören. Wir wissen, dass Kanye West bei diesem einen Part eine Inspiration war, aber nicht der Hörer.
David: Auf dem Album wurden wir zum Beispiel auch von Ennio Morricone und A$AP Rocky inspiriert..
Dennis: Jetzt wird es für alle ein Ratespiel! Mal sehen, ob irgendjemand wirklich etwas richtig wiedererkennt.

Ich glaube, ein Teil eures Status innerhalb der Szene geht darauf zurück, dass ihr The Shape Of Punk To Come herausgebracht habt, um euch Monate später aufzulösen. Das war das perfekte Punkrock-Statement. War es denn die Reunion wert, dieses Monument wieder zu zerstören?
David: Genau das wollten wir. Es ist so Erleichterung, zurückzukommen und dieses Monument zu zerschmettern. Fick diesen Mythos! Das ist unsere Band, ist mir egal, ob dir das wichtig ist.
Dennis: Eine lange Zeit haben wir uns nicht mir Refused verbunden gefühlt. Als ob es nicht zu unseren Leben gehört. Aber die Leute haben uns ständig daran erinnert. Ich glaube, viele Menschen wollten den Mythos aufrechterhalten und dann kamen wir wieder und hatten andere Klamotten an. Das war nicht das, was sie erwartet hatten. Ich könnte so viele Geschichten erzählen, die Refused komplett entmystifizieren würden…

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Noisey US hat in einem Artikel die Frage aufgeworfen, ob ihr die nächsten Nickelback werden könntet, weil ihr jetzt Dad Rock macht. Stören euch solche Artikel?
David: Ich habe kein Facebook und bin auch nicht besonders aktiv im Internet, also habe ich keine Ahnung, was die Leute so alles schreiben.
Dennis: David lebt in einer Realität, in der er sich sicher ist, dass jeder das neue Album lieben wird. Ich meinte dann zu ihm: „David. Nicht jeder.“ und er meinte: „Doch. Jeder.“
David: Bisher hat mir noch niemand etwas Gegenteiliges ins Gesicht gesagt! Wenn jemand etwas anonym sagt, zählt das nicht.
Dennis: Das ist seine Realität.
David: Es ist DIE Realität.
Dennis: Ich kann mit dem Begriff Dad Rock aber echt nichts anfangen. Ist das „erwachsenerer“ Rock?
David: Unsere Ideen sind viel radikaler, als das Meiste, was von anderen Bands kommt. Ich glaube viele 40-jährige wären verärgert über die Dingen, die wir sagen. Wir sind nicht die sichere Alternative.
Dennis: Um deine Frage zu beantworten: Es ist uns egal. Wenn du es dir wirklich zu Herzen nehmen würdest, was Leute auf Facebook schreiben, würde es dein Gehirn zerschmelzen und du könntest nie wieder irgendetwas schaffen. Die Leute sind verdammt dumm, können sich nicht ausdrücken und nutzen diesen Kanal, um ihre Frustration rauszulassen.

Ihr habt euch mit dem Song „Elektra“ zurückgemeldet. Dort singst du immer wieder „Nichts hat sich verändert“. Ist die Wut über all die Probleme der Gesellschaft und Politik die Gleiche wie damals?
Dennis: Ich habe immer über Politik geredet, das hat sich nie geändert. Es war nie ein Image, auch außerhalb von Refused haben wir immer politische Themen in unseren Bands angesprochen. Aber okay, wenn du älter wirst, kümmerst du dich weniger um Politik, so ist das Leben. Du hast Kinder, eine Familie, einen festen Job. Wir beide hatten nie einen Job, nur unsere Bands und Kunst. Seit ich sechs Jahre alt bin, fühle ich mich wie ein Außenseiter, wie ein kompletter Freak, der von draußen auf eine total verrückte Welt schaut. Das ist immer noch so. Wenn du als Jugendlicher deine Faust hebst, um eine Revolution zu starten, finden das die Leute toll - weil sie sowas von dir erwarten. Je älter du wirst, umso schwieriger wird es, diesen Glauben zu bewahren. Das macht mich sauer. Ich war wahnsinnig, als ich jung war, aber jetzt bin ich eine viel wütendere Person.
David: Stell dir einen 16-Jährigen vor, der eine Fensterscheibe einwirft. Das ist leicht. Jetzt stell dir einen gestandenen 40-Jährigen vor, der das Gleiche tut. Das ist ziemlich komisch. Das ist der Unterschied zwischen den Refused von damals und den heutigen Refused.
Dennis: Wenn du dir anschaust, was gerade in der Welt abgeht und nicht wütend wirst, dann stimmt doch was nicht. Guck uns Schweden und Deutsche doch mal an. Wir leben alle ein privilegiertes Leben und wir machen absolut nichts damit. Alles was wir tun, ist 12 Staffeln Two And A Half Men zu gucken und ein iPhone 6 zu kaufen: „Du hast all diese Möglichkeiten, was wirst du damit tun? Wirst du anderen Menschen helfen?“ - „Nö, ich gucke lieber Pornos auf Youtube.“—oder Porntube? Keine Ahnung, ich kenne mich damit nicht aus. Und das nennen die Leute dann ihre Freiheit! Das pisst mich am meisten an. Wir sind die Privilegierten und geben einen Fick auf alle anderen.

Julius ist auch bei Twitter: @Bedtime_Paradox

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