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Interviews

„Punk ist verdammt konservativ geworden“—Terrorgruppe im Interview

Wir haben uns von der Terrorgruppe erklären lassen, warum es gute Gründe für ein Comeback gab, die Punkszene stehengeblieben ist und K.I.Z. ihre Brüder im Geiste sind.

Die Terrorgruppe ist wieder da. Alle, die in ständiger Angst vor Terroranschlägen leben, haben auf diese Meldung mit kreidebleichen Gesichtern und stummen Gebeten reagiert. Der Rest freut sich wie ein Gitarrenanfänger, der entdeckt hat, dass er mit einem Powerchord absolut jeden Pop -oder Rock-Song spielen kann. Also riesig. Denn über zehn Jahre nach ihrem letzten richtigen Album, haben sich die Aggro-Popper 2014 aus der selbstgewählten Studio-Abstinenz mit einer frisch aufgenommenen EP und ausgedehnter Tour zurückgemeldet. Es war Balsam für jeden, der endlich mal wieder aus vollem Halse übergewichtige Deutsche beleidigen, wild pogend auf Kraut rumstampfen oder am Tresen rumgrölen wollte. Wie es sich für ein standesgemäßes Comeback gehört, gingen Archi „MC“ Motherfucker, Johnny Bottrop und Co. dann wieder ins Studio, um ein ganzes Album aufzunehmen. Manchmal sollte man die Vergangenheit eben nicht ruhen lassen, sondern sie lieber laut scheppernd durch die Verstärker jagen.

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Wir haben Johnny und Archi in Berlin getroffen, uns von Zigarettenqualm anpusten lassen und über schlechte Reunions, gute Gründe für ein Comeback, ihr neues Album Tiergarten, die stehengebliebene Punkszene und ihre Gesinnungsbrüder K.I.Z. unterhalten.

Ihr seid wieder da, aber 2007 habt ihr noch gesagt: „Reunions sind kacke.“
Archi: Wir waren generell gegen so eine Reunion, weil wir uns nicht vorstellen konnten, wie wir das Projekt wieder auf die Beine stellen und loslegen sollten. Der Anfang ist immer schwer, du musst dich um die Leute, die Backline, die Technik und das ganze organisatorische Drumherum kümmern. Außerdem war vor allem ich von anderen Reunions geschockt—wenn dann so alte Säcke wieder auf der Bühne stehen und sich nicht bewegen können.
Johnny: Wir hassen Reunions eigentlich. Deswegen haben wir unsere Rückkehr im Januar 2014 geschickterweise „Comeback“ genannt (grinst). Reunion ist für mich wirklich negativ belastet. Ich habe kaum gute gesehen.

Witzigerweise sind Wizo voriges Jahr auch wiedergekommen.
Archi: Aber bei denen ist es was anderes. Die sind noch jung genug, dass man das noch machen kann. Das war eher eine lange Pause.

Und was war jetzt bei euch die Initialzündung, wieder Musik zu machen?
Johnny: Unsere DVD Sündige Säuglinge Hinter Klostermauern. Wir haben die rausgebracht und dann haben die Leute ständig gefragt, ob wir denn mal wieder spielen. Ich habe jedes Mal „Nein“ gesagt. Irgendwann habe ich mir den Archi geschnappt und ihn gefragt, ob wir nicht doch mal wieder spielen sollten. Archie meinte, dass wir dann aber auch neue Lieder spielen sollten. Nicht wie eine Cover-Band der eigenen Sachen.
Archi: Wenn die neuen Songs gut genug sind, dass wir ein Album machen können, dann macht das auch wieder Spaß und Sinn—das war der Hintergedanke.

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Das neue Album Tiergarten kommt vom Klang und auch vom Cover relativ spaßig daher. Gab es vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Geschehnisse in Deutschland eine Diskussion, ob man eine ernstere Platte machen sollte?
Archi: Grundsätzlich gab es nie eine Diskussion über die Ausrichtung der Texte. Aber wir haben am Schluss sehr viel aussortiert, vor allem die ernsteren und bemüht politischen Songs. Wir wollten es nicht zu ernst machen.
Johnny: Zu tagespolitisch. So eine Platte soll ja noch in zehn Jahren ihre Gültigkeit haben. Wir könnten natürlich ganz viel zu bestimmten Sachen der letzten 12 Monate sagen, aber wir wollten es nicht zu politisch machen.
Archi: „Blutbürger“ und „Schlechtmensch“ gehen ja in die Pegida-Richtung.
Johnny: Wir hatten vorher noch ernsthaftere Texte, dir wir erst beim Einsingen oder Mischen nochmal geändert haben. Wir wollen nicht so einen Fingerzeig-Punk machen. Und trotzdem sagen Leute, die uns von früher kennen, dass es fast schon unser ernsthaftestes Album ist.

Wie war das eigentlich im Studio, wolltet ihr da eher den alten Geist wieder aufleben lassen oder doch einen neuen Sound finden?
Archi: Generell wollten wir wieder das machen, was wir selbst am Liebsten hören wollen würden. Weil uns total viele neue Punkbands eben nicht gefallen. Deswegen sind wir wieder in die gleiche Richtung wie bei der Erstgründung gegangen. Das war eine Zeit, in der fünf Jahre zuvor Deutschpunk eingeschlafen und eher eine bierselige Saufmusik war—dieser richtige Funpunk, ohne Sarkasmus oder Ironie.
Johnny: 1993 war alles scheiße. Deutschpunk war teilweise zu schlimmer Saufmusik degradiert, Hardcore war mehr so „Jammer, Jammer, Jammer“ und sehr moralisiert. In Kreuzberg rannten alle Leute, die in den Achtzigern mal coole Bands hatten, auf einmal mit Cowboy-Stiefeln und Lederjacken rum und versuchten irgendwas zwischen Guns N’ Roses und Johnny Cash darzustellen. Dann kamen wir und haben einfach nur Punkrock gemacht.
Archi: Wir sind eben in den Siebzigern mit Punk aufgewachsen und wissen, wie sich das angefühlt hat. Genau das sollte die Platte jetzt auch widerspiegeln.

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Wird das auch neue Hörer ansprechen?
Johnny: Die Hälfte des Publikums sind Leute, die uns damals nicht live sehen konnten.
Archi: Ich bin immer froh, wenn neue Leute da sind, aber explizit darauf abzuzielen—das können wir gar nicht, da sind wir viel zu dämlich für. Ich bin gerade wieder mit K.I.Z. auf Tour und wüsste nicht, wie ich die jungen Leute kriegen sollte. Die machen das viel besser.
Johnny: Es gibt aber schon Sachen, die uns an heutigem Punkrock nerven. Von der musikalischen Seite: Es fehlen geile Melodien. Entweder driften die melodiösen Bands in Schlager ab—ich will keine Namen nennen, aber es gibt Refrains, die könnten genauso gut aus Achtziger, Neunziger Schlagern sein—oder die Bands werden so depressiv, atonal. Viel Gebrüll, aber es fehlt das gute Songwriting. Die Energie ist da, aber sie haben keine Songs.
Archi: Ich glaube, in den Neunzigern gab es eine Wandlung. Das ganze Blues- und Rock-betonte der Achtziger war einfach weg. Heutige Bands haben sich durch Neunziger-Bands sozialisiert. Durch Die Ärzte, durch Blink … durch uns (lacht). Aber der Background fehlt dann komischerweise. Wir haben den noch und daher eine ganz gute Basis, um darauf aufzubauen.

Also habt ihr in eurer Pause die Punkszene beobachtet und gedacht: „Das geht auch geiler“?
Archi: Es gibt keine Band, deren Platten ich feiere und regelmäßig auflege. Gut, Kraftklub hat das geschafft in den letzten Jahren.
Johnny: Kraftklub auf der poppigen Seite, aber im fast schon Underground Bands wie Puff oder Pisse. Dazwischen ist lange Zeit nichts.

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Kann natürlich auch sein, dass sich der Punk-Gedanke eher in andere Genres wie Deutschrap geschlichen hat. Siehe K.I.Z., Antilopen Gang oder Zugezogen Maskulin.
Archi: Seit ich K.I.Z. zum ersten Mal gehört habe, war ich der Meinung, dass das unsere Brüder im Geiste sind. Sicherlich musikalisch total anders, aber von den Texten her. Deswegen ist Tarek auch bei dem Lied [„Schmetterling“] dabei. Er wollte irgendwann ein Punk-Lied machen, kam dann zu mir und hat mir die Akkorde vorgesungen. Wir haben angefangen, aber das lag dann doch zwei Jahre rum. Für die Platte haben wir es dann fertig gemacht. Es fehlte einfach total lange die zweite Strophe.
Johnny: Bis eine Woche vor dem Mastern (lacht).
Archi: Aber es klappt total super, er hat damit ein neues Genre erfunden: Oi-Emo (lacht).
Johnny: Wobei, den Oi-Emo hat doch Wolfgang Petri erfunden.
Archi: Naja, geht so.

Wenn ich dagegen heute in der Stadt Punks sehe und mir die Patches auf den Rucksäcken und Westen angucke, sehe ich die gleichen Band-Patches wie vor zehn Jahren—als ob die Szene stehengeblieben sei.
Archi: Punk ist verdammt konservativ geworden. Das sind alles Nostalgiker—sind wir ja auch, aber auf eine andere Art und Weise. Wir versuchen, das Gefühl von früher in die neue Zeit zu transportieren. Aber bei vielen Leuten habe ich die Ahnung, dass sie mit dem zufrieden sind, was Punk für sie ist und das immer so weiterführen wollen. Die haben total das Problem, auf neue Sachen einzugehen. Nimm zum Beispiel eine andere Subkultur wie Rockabilly, die sind genauso.
Johnny: Rockabilly kommt wieder! Die Szene hat sich seit zwei Jahren geändert, die haben sich total geöffnet. Da gehen sogar HipHopper zu den Konzerten.

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Auch Hardcore ist extrem konservativ, vor allem Oldschool Hardcore.
Johnny: Alle Musik, die wir heute hören, ist in den Jahren von 1979 bis 1983 komplett entstanden—ob nun 2 Tone Ska, Skate-Metal, New Wave Pop, Gothic oder Thrashcore. Mal schauen, was noch kommt, vielleicht ist ja wirklich alles, was an Rockmusik gehen kann, schon erfunden worden.

Fühlt ihr euch denn da noch im Punk zuhause?
Johnny: Man muss sagen, dass in den Neunzigern die Szene mit diesen Leute, die du gerade beschrieben hast—Rucksäcke und Parkas mit dreißig Aufnähern drauf von Exploited und Daily Terror und einem Iro, der schlapp zur Seite hängt—das war ja nur teilweise unser Publikum. Die haben uns ja immer wieder vorgeworfen, wir wären zu poppig, nicht hart genug, zu kommerziell. Deswegen die Flucht nach vorne, dass unsere Musik eben Aggro-Pop ist und diese Punk-Regeln nicht für uns gelten. Da haben die ein Jahr lang rumgekotzt und sind dann wieder auf unsere Konzerte gekommen, weil sie es verstanden hatten.
Archi: Als wir jetzt wieder angefangen haben, habe ich das Problem entdeckt, dass wir lange nicht da waren und unser Publikum nicht erziehen konnten (beide lachen). Da ging es nämlich wieder los. Unsere EP war ja sehr 77-poppig—ich bin ja immer noch der Meinung, dass Punk Popmusik ist, gerade in den Siebzigern—und uns wurde vorgeworfen, dass das zu weich und nicht schnell genug wäre. Da hat man schon gemerkt, dass wir zehn Jahre weg waren und die jetzt dachten, wir wären eine typische Deutschpunk-Band.
Johnny: Oje, die haben die letzten zehn Jahre nur Toxpack gehört (beide lachen).

Tiergarten erscheint am 16.01. Du kannst es bei Glitterhouse oder Krasser Stoff vorbestellen.

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