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Interviews

Poliça sind nicht politisch. Sie wollen nur eine Revolution.

Wir haben mit Poliça über Zensur, Kunst, Politik, und Feminismus geredet. Und es war alles andere als langweilig. Nicht, dass uns das überrascht hätte.

Es macht in der Regel keinen Spaß zu sechst über Themen wie Zensur, Kunst, Politik, und Feminismus zu reden. Bei Poliça ist das irgendwie anders. Vielleicht liegt es daran, dass die junge Band aus Minneapolis tatsächlich von alldem betroffen ist, vielleicht aber auch einfach daran, dass sie fürchterlich sympathisch sind. Poliça aus Minneapolis machen seichten und tiefgründigen Elektropop zugleich, was ein wenig überraschend scheint, wenn man bedenkt, dass keiner der Mitglieder vor Bandgründung etwas mit Pop zu tun hatte. Über den Instrumentals liegen Channys Vocals wie ein seidenmatter Lack, was viele dazu verführt hat, Poliças Sound unfairerweise „nur“ auf den gelungenen Einsatz von Autotune zu reduzieren. Poliça ist das aber scheißegal, denn die meisten (zum Beispiel Jay-Z oder Bon Iver) loben die Band seit der ersten Stunde in den Himmel. Zurecht.

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Warum das neue Album Shulamith so viel runder klingt als das vorherige, und wer den Überblick behält, über eine Band, die sich aus Folk-, Metal- und Elektromusikern zusammensetzt, haben sie uns im Gespräch verraten. Ryan Olson hat die vier zusammengebracht und wird von allen als fünftes Bandmitglied angesehen. Obwohl ihm das nicht in den Kram passt, war er als Produzent beim Interview dabei—unter der Bedingung, dass er auf kein Foto muss.

Noisey: Ich erinnere mich noch an euren spartanischen Facebook Status „Musician/Band—what else do you need to know“. Gibt es wirklich nichts anderes was man über euch wissen sollte?
Channy: Nein, wirklich nicht.

Soll das heißen, dass eure Persönlichkeiten hinter der Musik zurücktreten?
Channy: Ja, das wäre schön.
Chris: Bei unserem Projekt geht es in erster Linie um die Musik. Es geht darum, Musik zu machen, die uns begeistert und nicht darum, sich zwanghaft zu positionieren oder unser Privatleben irgendwohin zu projizieren, wo es nicht hingehört.
Channy: Ja genau, wir wollen einfach nur Musik machen.
Ben: Wir sind keine Aktivisten oder so, wir spielen gerne zusammen und lieben es auf Tour zu sein.

Das hört man auch eurem neuen Album an. Dass ihr viel zusammen spielt, meine ich. Es ist viel homogener als Give You The Ghost, oder?
Ryan (der Produzent): Du hast Recht. Bei den Aufnahmen zum ersten Album hat die Band sich kaum gekannt. Eigentlich gar nicht, oder? Die erste Probe war quasi nachdem das Album schon fertig war. Dann haben sie sich erst kennengelernt.
Chris: Channy habe ich erst getroffen, nachdem das Album fertig war. Ryan hat uns auf dem Album zusammengebracht, bevor wir uns überhaupt persönlich kannten.
Channy: Ja, Ryan hat mich nicht ins Studio gelassen, als Chris aufgenommen hat. (lacht)
Ryan: Das neue Album ist anders. Die vier haben viel miteinander gespielt und die Songs, als Band, miteinander geschrieben.

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Das hört man definitiv.
Ryan: Außerdem ist das neue Album viel besser produziert. Alleine schon technisch. Give You The Ghost war wirklich ein bisschen armseelig. Das habe ich noch in meinem Zimmer abgemischt. (lacht) Ryan, du hast da eine Band zusammengebracht, die sich weder kannte, noch das gleiche gemacht hat. Alle vier kommen aus komplett unterschiedlichen Richtungen.
Ryan: Ja, das war Teil der Idee. Es funktioniert auch erstaunlich gut.
Chris: Ben hat vorher Hardrock, Punk und alles andere was hart ist, gespielt. Ich mache eher melodische Sachen und Channy war Folk-Sängerin. Diese verschiedenen musikalischen Hintergründe machen den Sound von Poliça aus. Es macht ihn einzigartig.

Ihr habt neulich getwittert, dass ihr Musik macht um geremixed zu werden. War das euer Ernst oder Ironie?
Channy: Nein, ich mag den Prozess des Remixens, das Dekonstruktive. Ich mag es, verschiedene Versionen meiner Musik zu hören. Ich verstehe sie dann selbst besser und lerne andere Blickwinkel kennen.
Ryan: Wir bekommen zur Zeit wirklich viele Remixe und es ist toll zu sehen, wie andere deine Sachen interpretieren.
Chris: Wir reden hier aber nicht von diesen billigen Club-Mixen, wo einer einfach eine lieblose 4/4-Bassline drunterlegt.

Sowas kann die eigene Arbeit ja auch mal ruinieren, oder?
Ryan: Ja, das passiert auch oft.
Chris: Unser kreativer Prozess hat auch etwas vom Remixen. Man hört den Bass von Ryan und ahnt eine Idee, die man aufgreifen kann. Genauso mit den Drums oder Channys Vocals. Im Grunde re-interpretieren wir uns ständig selbst.

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Wer kam auf die Idee für das Video zu „Tiff“? Es zeigt Channy, die sich selbst foltert und scheint mir viel extremer als der Song an sich.
Channy: Die Idee kam nicht von uns, sondern vom Regisseur, Nabil. Ich bin auf ihn zugegangen weil ich seine Arbeit sehr mag. Ich finde, er hat den Song gut interpretiert. Es passt zu den Lyrics. Es geht um Selbstzerstörung, darum sich selbst die Luft zu nehmen. Ich selbst, war bei dem Dreh nur die Schauspielerin.

Das Video zu „Tiff“ kann man bei YouTube nur anschauen, wenn man über 18 ist und auch euer Albumcover wurde von iTunes zensiert. So provokativ seid ihr doch eigentlich gar nicht.
Channy: Wenn ich nur Bikinis und High Heels tragen würde, wäre das bestimmt nicht passiert. Wir sollten besser unsere Körper verkaufen.
Chris: Das ist echt eine merkwürdige Doppelmoral, die wir hier erfahren. Es gibt soviel brutalere, also wirklich blutrünstige, Cover. Heavy Metal Bands dürfen so viel Blut zeigen, wie sie wollen, aber bei Pop Bands sollen eine gewisse Erwartungshaltung erfüllen.
Channy: Es liegt wahrscheinlich daran, dass es eine Frau zeigt. Das weckt Assoziationen mit häuslicher Gewalt, was meiner Meinung nach absolut keinen Sinn macht. Natürlich kann es so und so interpretiert werden, aber genau das macht Kunst doch aus, oder? Man sieht ja auch gar keine Gewalt, nur eine Frau mit blutigen Haaren, vielleicht färbt sie sich aber auch gerade die Haare.
Chris: Mir macht diese Entwicklung Angst. Das ist Zensur von Kunst.
Channy: Wir machen Popmusik, aber wir wollen trotzdem Artworks und Videos, die einen gewissen künstlerischen Anspruch erfüllen. Dabei werden uns viele Steine in den Weg gelegt.

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Ist das Cover eine Referenz auf den Albumtitel Shulamith? Shulamith Firestone war eine revolutionäre Feministin in den 60er Jahren.
Channy: Ja, es passt schon gut zusammen, weil Shulamith darüber schrieb, wie Frauen die besten Jahre ihres Lebens damit verschwenden, Kinder zu gebären und für ihren Mann da zu sein. Das Cover zeigt diese Diskrepanz, eine Mischung aus Gewalt, Blut und Schönheitsstreben—das Leben einer Frau eben.

Die Texte auf Shulamith sind nicht sonderlich politisch. Wie kommt ihr zu dem Titel?
Channy: Mein Bruder gab mir zwei Bücher von Shulamith Firestone. Das war aber schon nachdem das Album fertig war. Die Figur hinter den Texten, Missy, hatte genau mit den Themen zu kämpfen, die auch in „The Dialectic of Sex“ zur Sprache kommen. Shulamith Firestone hält in gewisser Weise die Antwort auf all ihre Fragen bereit. Shulamith war deswegen der passende Titel, auch wenn ich ihre Werke erst nach den Aufnahmen gelesen habe.

In den Texten geht es auch viel um Beziehungen. Shulamith Firestone hält die Liebe für politisch. Ihr auch?
Channy: Die Art, wie wir lieben, ist tief in unserer Kultur verwurzelt und das in einer Art und Weise, die für Frauen nicht funktioniert kann. Das System ist so konzipiert, dass das Scheitern vorprogrammiert ist. Es ist ein kaputtes System. Wir bräuchten unbedingt einen neuen Ansatz, eine Revolution.

Also verhaltet ihr euch gender-gerecht untereinander?
Ryan: Nö. Ich bin ein echter Kerl. Ich bin kein Macho, aber das ist einfach so.
Channy: Das sind wirklich die besten Jungs, die ich kenne. Sie sind gute Väter und definitiv Pro-Frauen. Der Albumtitel war mir persönlich wichtig und muss nicht als Statement für die ganze Band betrachtet werden. Für mich fühlt er sich eben genau richtig an.
Chris: Für mich ist die Genderdebatte irgendwie komisch. Ich bin ein Kerl und ich mag Jungszeug, aber ich bin auch sensibel und weine—eher ein Frauen-Klischee. Bei uns im mittleren Westen arbeiten die Frauen genauso hart wie die Männer. Ich bin außerhalb dieser Debatte aufgewachsen und kann damit irgendwie nichts anfangen.

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Das mag sein. Ich finde die Debatte um Feminismus dennoch berechtigt. Im kleinen Kreise ist Sexismus vielleicht kein Problem oder kaum merkbar, aber im großen Maßstab gibt es doch ein deutliches Ungleichgewicht. Das darf man nicht ausblenden.
Channy: Ja, tatsächlich. Du hast recht, aber hier ging es allerdings um ein sehr persönliches Statement. Ich war aus der Balance geraten. Ich habe mich selbst behandelt wie in den 30ern, als ob ich ein schwächeres Geschlecht wäre. Es war wirklich etwas Persönliches. Etwas, dass nur mit mir etwas zu tun hatte.

Das neue Album Shulamith von Poliça ist bei Mempis Industries erschienen. Kauft es euch bei Amazon oder iTunes.

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