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Es wird Zeit, dass Deutschrap wieder allen den Mittelfinger zeigt

Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der Rap von jedem geliebt wird?

Wir alle kennen das: Man hört ein unbekanntes Lied, verliebt sich, möchte darin baden und es nie wieder loslassen. Das Lied verkörpert alles, was man auch schon immer gedacht hat, aber irgendwie nie formulieren konnte (außer ihr seid Drake und lauscht euren eigenen Songs). Ihr wollt nichts anderes mehr hören. Vor allem aber wollt ihr das Lied ganz für euch alleine. Und dann, plötzlich, kennt das Lied jeder. Nachdem ihr anfangs verzweifelt herumerzählt, dass ihr den Song schon gepumpt habt, als er lediglich in den hintersten Ecken von Soundcloud zu finden war, schaltet ihr irgendwann einfach ab und gebt auf. Dann soll der Mob das Lied doch haben, scheiß auf die obligatorische Armlänge Abstand, willkommen auf dem Wühltisch der Musikindustrie.

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So geht es mir grade mit Rap. Aber ich bin noch nicht bereit aufzugeben. Ich und viele andere haben Rap bereits geliebt, als ein Bleistift und eine Kassette noch kein lustiges „Only 90s kids know what this is“-Meme war. Das ist auch keine besondere Leistung, sondern quasi einfach nur die Gnade der frühen Geburt (ja, Erika Steinbach, auch das gibt es). Und natürlich gehörte auch ein löbliches Umfeld dazu—sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Props gehen raus an die Nachbarjungs aus 36, die mich mit Bassboxxx-Tapes versorgten. Dank euch konnte ich Tracks hören, die alle anderen ganz grauenhaft fanden: diskriminierend, sexistisch, platt, unmusikalisch, gewaltverherrlichend, ihr kennt das Spiel. Dank Tapes wie (R)evolution oder Sexurlaub hatten wir die Möglichkeit zu rebellieren, ganz ohne irgendwelche PEGIDA-Scheiße nachzuplappern, Heroin zu spritzen oder Chemtrails zu jagen. Und dafür bin ich sehr dankbar, denn wenn eine Selbstfindungsphase und das Abkapseln vom Elternhaus in Verbindung mit so etwas Schönem wie Musik gebracht wird, dann ist das immer gut. Außer ihr hört Frei.Wild, ihr Deppen. Aber irgendwie ist mittlerweile alles anders geworden und ich glaube, wir sind an einem wichtigen Scheidepunkt angekommen (die Farid Bang-Fans dürfen hier kichern).

Ihr kennt sicherlich auch diesen Hans-Entertainment-Moment, wenn aus notwendiger Diskussionskultur plötzlich kleinkariertes Gelaber wird. Wenn aufgrund von notwendigen Denkanstößen plötzlich über alles und jeden diskutiert werden muss, egal wie belanglos oder unwichtig das Thema ist. Ja genau, so wie jetzt hier gerade. Oder wie Kommentarspalten-Streitereien zwischen den Anhängern von Toony und Seperate. Oder so wie—sprechen wir es doch aus—ganz 2015 und Deutschrap. Es ist ja nicht so, dass alles Gesagte überflüssig war—unlustige Comedians und Überreaktion hin oder her. Aber inzwischen hat man das Gefühl, dass wirklich jeder Fliegenschiss aus dem mit Clowns und Affen überfüllten Rap-Zirkus diskutiert werden muss, wenn er in sogenannten „etablierten“ Medien Erwähnung findet. (Da gehören wir natürlich nicht dazu, hier arbeiten nur unterbezahlte Hipster-Praktikanten und leptosome Waldorfschüler). Und offensichtlich gehört es dann zum Gipfel der Diskussionskultur, wenn einer aus der „Rap-Szene“ (zumindest digital) mal in die großen Redaktionsstuben schnuppern darf und statt eines Facebook-Posts für die eigenen Ja-Sager, einen Text für die altehrwürdigen Hüter der Druckerschwärze verfasst. Ständig wird sich erklärt und probiert, jeden noch so hinterwäldlerischen Heino-Fan zu überzeugen, dass Rap eine Kunstform sei und seine Berechtigung habe.

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Ist es denn wirklich nötig, einem WELT-Leser begrifflich zu machen, dass Haftbefehl der Babo und Celo&Abdi die Amos aller Amos sind? Oder dass Turntableism wahrscheinlich von DJ Kool Herc oder Grandwizard Theodore erfunden wurde? Ist es nicht beruhigend zu wissen, dass die Eltern und das spießige Umfeld überhaupt nicht verstehen, wovon man da eigentlich redet? Ich frage für euch, ihr Kids vor den Laptops, die nach irgendeiner Art der Rebellion suchen. Bei mir ist dieser Zug sowieso längst abgefahren.

Wäre es ist nicht viel reizvoller, sich in feinster Bunker-Mentalität (checkt nicht jeder, Mois!) in den eigenen Schildkrötenpanzer zurückzuziehen und auf den Rest der Welt zu scheißen? Sich aus der heilen Welt der amüsanten Hort-Nachmittage mit Milchreis und „Mensch ärgere dich nicht“ zu verabschieden und sich unverstanden zu fühlen? Ist das vielleicht sogar HipHop? Vielleicht kann man mal zwei Minuten innehalten und darüber nachdenken, ob dem Genre nicht doch eine „Fickt euch“-Haltung viel besser zu Gesicht stehen würde, als die verzweifelten Versuche vieler Protagonisten, irgendwo stattzufinden, wo Rap eigentlich nicht stattfindet.

Ich sage ja nicht, dass ich recht haben muss. Aber außer DCVDNS war noch niemand bei TV Total lustig und um ehrlich zu sein möchte ich auch gar nicht, dass meine Oma weiß, wer Kool Savas ist. Zu beiderseitigem Schutz. Ich möchte nicht, dass Joko & Klaas eine Diss gegen H.P. Baxxter performen und ich hab auch keine Freude daran, wenn ein CDU-Politiker mit Azzlack-Zeilen um Wähler wirbt. Vor Kurzem lief ich mit meinem kleinen Bruder durch Berlin und als er in Gedanken verloren „Hurra, die Welt geht unter“ summte, blieb eine Zahnarztgattin im Gucci-Kostüm stehen und verkündete: „Das ist auch mein totales Lieblingslied.“ Deshalb frage ich euch Kids ernsthaft: Ist das die Welt, in der ihr Leben wollt? Oder wird es vielleicht mal wieder Zeit, die Zimmertür mit einem lauten Rumms zuzuschmeißen, die Glasbong auszupacken, sich unverstanden zu fühlen und es wie Casper, Kollegah, Shiml und Favourite zu machen: Mittelfinger hoch!

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