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Air Max Day 2015

Paris: Heimat des Clubbings in den Banlieues

Durch die Clubszene werden die Vorstädte immer lebendiger.

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Die Jugend der französischen Banlieues, also dem echten Frankreich, wo die spaßigen Sachen passieren, hat die Nike Air Max schon lange ins Herz geschlossen und Frankreich wird als einer der wichtigsten Märkte für Nikes Flaggschiff angesehen. Um also den Air Max Day am 26. März zu zelebrieren—Nikes weltweite Feier der Geburt einer Schuh-Revolution—schauen wir, wie die neue Generation französischer Clubber sich den Banlieues annimmt, anstatt sie zu ignorieren, wie sie ein neues Lebensgefühl formt und natürlich auf die Nikes, die sie trägt.

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Die jungen Pariser, die die Clubs besuchen, über die wir in diesem Artikel sprechen, kleiden sich auf eine neue Art, die die physische und kulturelle Umgebung der Banlieues reflektiert, in denen sie unterwegs sind. Vergiss Blazer, klassischen französischen Chic, gedeckte Farben und Sachen aus dem Maison irgendwas. Denk stattdessen an Air Max BWs, die zusammen mit Hoodies, Raver-Westen und Shorts getragen werden, sowie an viele Farben und etwas Sportkleidung. Warum die BW? Natürlich weil die verklemmten Türsteher im Pariser Zentrum und die Old School-Hipster und Bobos der Stadt—denk an schnöselige, mittelalte Hipster—sie hassen.

„Zunächst war es ziemlich schwer, Leute davon zu überzeugen, in die Bezirke außerhalb der Périphérique zu kommen“, sagt Julien Artigues, Teil des Kollektivs Die Nacht. Der Boulevard Périphérique umrandet die äußeren Bezirke von Paris und grenzt das Zentrum der Stadt von den Vororten ab. Noch vor ein paar Jahren schienen die Pariser nicht gewillt zu sein, zum Ausgehen in diese Bereiche vorzudringen, doch mittlerweile strömen Tausende zu großen Events in die Gemeinden, die die Hauptstadt umgeben.

Im Jahr 2010 haben sowohl die New York Times als auch die Le Monde das Nachtleben der Stadt für tot erklärt, letztere ist sogar so weit gegangen, Paris als „europäische Hauptstadt der Langeweile“ zu bezeichnen. Berichte, die selbst damals scheinbar übertrieben waren. Da es unwahrscheinlich erschien, die schon lange bestehenden Probleme des Pariser Nachtlebens zu lösen, hat die Clubszene stattdessen kreative Wege gefunden, sie zu umgehen. Im Zentrum haben sonntägliche Partys wie die Concrete, die auf einem Boot auf der Seine stattfand, und Sundae eine Lösung für das Problem mit Lärmschutzauflagen und Sperrstunden gefunden. Zur gleichen Zeit haben die Veranstalter weiter draußen nach Orten gesucht, die den Kreislauf aus allzu bekannten Clubs durchbrechen konnten.

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„Es war schwierig, weil es dafür wenig Vorbilder gab“, sagt Artigues. Die Nacht, 2008 von Artigues Freund Jeremie Feinblatt gegründet, war unter den ersten Veranstaltern, die Partys in den Vororten geschmissen haben. Ihre erste Veranstaltung fand in einer ehemaligen Eisenbahnstation statt, seither haben sie das Ganze auf immer größere Veranstaltungsorte ausgeweitet, um mit der hohen Nachfrage Schritt zu halten. Da es in der Stadt wenige Läden gibt, die tausende an Clubbern beherbergen können, hat Feinblatt ungewöhnliche Locations ausfindig gemacht, wie ein leerstehendes Schwimmbad, eine Keksfabrik oder sogar einen Flugplatz.

Zunächst haben sich die Events hauptsächlich über Mundpropaganda herumgesprochen, was den Veranstaltungen einen Sinn für Gemeinschaft verliehen hat, wie Artigues andeutet. „Ich denke, die Leute haben sich während der Reise angefreundet, weil du auf dem Weg dahin Leute triffst.“ Es ist ein Ritual, das sich in der Rave-Geschichte zu wiederholen scheint. In den 90ern haben die Raver in Großbritannien auf ähnliche Weise die Nächte der Wochenenden verbracht und sind der M25-Autobahn nach scheinbar endlosen Wegbeschreibungen zu geheimnisvoll gelegenen Raves gefolgt. Das war es dann aber auch schon mit den Parallelen: In Paris geht es eher um ehemalige Industriegebäude als um Grünstreifen in den Außenbezirken und die Raves sind legal.

Weitere Gruppen sind gefolgt, was es schwerer gemacht hat, originelle Orte zu finden. Als Resultat haben Veranstalter andere Wege gefunden, sich abzugrenzen. Für Fabien Kratz, Gründer von OTTO10, ist es wichtiger, eine Atmosphäre zu kreieren, als einen neuartigen Veranstaltungsort aufzutun.

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Frustriert davon, dass Clubber in Paris „nur herumstanden und sich gegenseitig angeglotzt haben“, hat Kratz es darauf abgesehen, dass die Leute lockerer werden, indem er die OTTO10-Partys verspielter gemacht hat. „Wir wollten ein umfangreiches Party-Konzept entwerfen, also haben wir Kostüme verteilt und die Locations, in denen wir die Partys gemacht haben, umgestaltet“, sagt Kratz. Die kitschigen und nicht zusammenpassenden Outfits, die die Clubber bei OTTO10 angefangen haben zu tragen, standen in starkem Kontrast zu der Humorlosigkeit mancher Clubnächte in der Hauptstadt. Der Schritt in die Vorstädte ermöglicht den Veranstaltern Raum für Experimente: Sie mischen die übliche Club-Formel auf, indem sie Veranstaltungen am Tag organisieren und vielseitigere Line-Ups zusammenstellen. „Wir wollen keine Party, bei der es immer die gleiche Musik im gleichen Raum gibt“, sagt Kratz.

Die Nacht und OTTO10 waren, wie die meisten Kollektive, hauptsächlich in den nördlichen und östlichen Randbezirken aktiv. Dort finden sich mit Saint-Denis und Auberville einige der ärmsten Kommunen der Hauptstadt, mit den höchsten Arbeitslosenraten des Landes. Ihre Einwohner sind außerdem ethnisch viel diverser als im Zentrum von Paris—Statistiken dazu sind allerdings schwer zu bekommen, da Frankreich im Zensus keine Statistiken zur Ethnie erhebt.

Meistens sind die einmaligen Events in den Vorstädten für Clubber aus anderen Teilen von Paris gedacht und nicht für die Einwohner selbst. Artigues gibt zu: „Es war nicht unser Ziel, diese Gemeinden mit einzubeziehen.“ Kratz sagt ebenfalls, dass die OTTO10-Events in den Randbezirken kein vielfältigeres Publikum anziehen, deutet aber an, dass sie Clubbing zugänglicher gemacht haben. „Clubbing in Paris ist teuer und Partys [in den Randbezirken] sind erschwinglicher, was bedeutet, dass junge Leute, die wenig verdienen oder arbeitslos sind, daran teilhaben können.“

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Die Bewegung in der Clubszene war jedoch nichts vollkommen Neues; die Einwohner der Vorstädte haben ebenfalls ihre eigenen Events gegründet. In Palaiseau, im äußersten Süden der Stadt, wird von ein paar Leuten in den Zwanzigern, die in der Gegend aufgewachsen sind und dort leben, die Opération Maxi Puissance betrieben. Sie organisieren ein alljährliches Festival, Aoutside, und veranstalten über das ganze Jahr weitere Events. Wie der Name bereits sagt, ist das Kollektiv genauso involviert in Aktivitäten in ihrem Heimatbezirk wie in die Organisation von Events. Der Kopf der Organisation, Matthieu Helbert, erklärt, dass die Veranstaltungen von OMP nur für seine eigene Community gedacht sind. „Das ist unsere Stadt und wir sollten auch einen Anteil daran haben. Wir veranstalten keine Partys, um Anerkennung zu bekommen, sondern um unsere Gegend lebenswerter zu machen“, erklärt er.

Die Eigenständigkeit von OMP ist nicht durch die Entfernung begründet—Paris ist nur dreißig Minuten Zugfahrt entfernt—sondern eine Reaktion auf das Nachtleben der Hauptstadt. „In Paris musst du alles immer auf sehr schicke, kodifizierte Weise machen. In den Vorstädten gibt es solche Codes nicht“, sagt Helbert. Zum einen gibt es keine Türpolitik, wegen der man sich Sorgen machen muss. „Du kannst dich schlecht anziehen, wenn du willst“, lacht Helbert, „was jedoch nicht heißt, dass wir keinen Sinn für Mode haben.“ Komfort ist wieder das oberste Gebot geworden und eine Rave-Ausrüstung aus Air Max BWs und Sweatern, mit der du in Pariser Nachtclubs nicht reinkommen würdest, ist wieder möglich.

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Diese neue Clublandschaft spiegelt den Wandel in der französischen Kultur wieder. Da immer mehr von Frankreichs Möchtegern-Musikern, Künstlern und ähnlichen Kreativen durch die wachsende Bevölkerung und den Mangel an brauchbaren Clubs aus der Stadt gedrängt werden, gibt es eine Vermischung von Klassen und Ethnien, die du innerhalb der Péiphérique sonst nicht beobachten kannst, besonders nicht in den Clubs oder in der weltbekannten Modeszene der Stadt.

Leute mit Geld kombinieren ihre Air Max BWs mittlerweile mit einer neuen Generation an Designern, die in Magazinen wie WAD zu finden sind, inklusive der von A$AP Rocky bevorzugten Modelinie Pigalle—der Gründer der Linie, Stéphane Ashpool, hat gesagt, er wolle, dass durch Pigalle „Paris gleichbedeutend mit Multikulturalität“ wird. Andrea Crews und Paris Nord knüpfen an den neuen Pariser Streetwear-Ethos an. Indem sie weniger teure T-Shirts und Hoodies rausbringen und, im Fall von Pigalle, durch einige ausgewählt Kollaborationen mit Nike. Es scheint, als würden die relativen Freiheiten der Pariser Vorstädte den Modegeschmack der Stadt ebenso aufwecken, wie den Geschmack in Sachen Nightlife.

Das alles heißt nicht, dass sich die Vorschriften nicht auch auf die Vorstädte auswirken. Eines der bekanntesten Venues der Stadt, Le Ferry, wurde vor Kurzem von den Behörden geschlossen. Als ehemalige Grundschule wurde der Örtlichkeit 2013 eine stillschweigende Erlaubnis erteilt, als Gemeinschaftsgebäude genutzt zu werden. „In dem Moment, als es bekannt wurde, wurde [dem Bürgermeisteramt] bewusst, dass es nicht das ist, was sie wollen, da sie keine Kontrolle über die Veranstaltungen haben—also haben sie es geschlossen“, sagt Louise Calzada, Mitglied von OPM und Sängerin der örtlichen Band Le Vasco. Die Entscheidung hatte eine Kampagne zur Rettung des Veranstaltungsorts zur Folge und hat die Verwaltung gezwungen, eine peinliche Kehrtwende zu machen.

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In Saint-Denis, nördlich von Paris, hat die Clubszene in einem anderen verlassenen Gebäude ebenfalls eine Heimat gefunden. Das 6b, ein ehemaliger Bürokomplex, wurde viele Jahre besetzt, bevor der Architekt Julien Beller 2008 den Vermieter überzeugt hat, das Gebäude von örtlichen Freiwilligengruppen nutzen zu lassen. Sieben Jahre später ist fast jeder Stock durch die 170 Organisationen gefüllt, die in dem Gebäude arbeiten. Beller, der mittlerweile das Gremium anführt, das sich um die organisatorischen Belange des Ortes kümmert, sagt, dass „das 6b für Leute aus der Nachbarschaft ist, die überwiegende Mehrheit der 300 Leute, die hier arbeiten, lebt in Saint-Denis.“ Viele von ihnen sind Sozialarbeiter, die den Leuten dienen, die in den naheliegenden Sozialbauten leben. Die Ausstellungen in den Räumlichkeiten werden zusammen mit den Einwohnern kuratiert und der großzügige Veranstaltungsraum kann von den Mitgliedern der Gemeinde kostenfrei gemietet werden.

Das 6b ist auch eine beliebte Location für Dance-Events und viele Veranstalter—unter ihnen auch OTTO10—nutzen das Gebäude. Teller glaubt, dass die Menge an Veranstaltungen, die in den Vororten stattfindet, einen positiven Effekt hat: „Clubbing ist demokratischer geworden, weil mehr Leute Zugang zur Szene haben, weshalb es mehr Vielfalt bei den Veranstaltungen gibt.“ Obwohl er warnt, dass Veranstalter trotzdem eine Rolle spielen müssen, da das Publikum sich von Veranstaltung zu Veranstaltung erheblich unterscheidet.

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Da es mitten in einem Gebiet liegt, das mit Wohnungen bebaut werden soll, scheint die Zukunft des 6b ungewiss. Für die Bauunternehmer ist das Gebäude ein Segen, weil es potenzielle Bewohner in die Gegend lockt. Ob sie das Gebäude aber noch tolerieren, wenn die Neuankömmlinge einmal eingezogen sind, ist allerdings schwer zu sagen. Teller bleibt zuversichtlich, was die Aussichten des 6b betrifft. „Selbst wenn das passiert, wird die Gemeinde immer in unserem Gebäude repräsentiert werden“, sagt er.

Die Veränderungen, die in Saint-Denis schon länger vonstatten gehen, haben bereits auf kommende Reformen in den Pariser Vororten vorgegriffen. Ab dem nächsten Jahr wird die Gemeinde eine von vielen sein, die an Le Grand Paris angegliedert wird, was die Hauptstadt bis zu den angrenzenden Departments ausweitet. Dieser Schritt soll, wenn er funktioniert, Ressourcen neu verteilen und bessere Transportmöglichkeiten für diejenigen bieten, die in Armut und Isolation an den Rändern der Stadt leben. Vielleicht bringt das auch die unsichtbare Mauer zum Einstürzen, die die Périphérique zwischen den Parisern und der abgeschiedenen Bevölkerung, die außerhalb davon lebt, errichtet hat. Etwas unbeabsichtigt hat das Nachtleben der Stadt die Richtung gewiesen, obwohl ihr Vermächtnis bislang unklar ist. Im besten Fall können die Einwohner nun Anteil an der Pariser Clubszene haben, im schlechtesten war das nur ein Vorbote der Gentrifizierung—dem ähnlich, was zuvor schon in London und Berlin zu beobachten war. In welche Richtung es geht, wird nur die Zukunft zeigen.

Mehr in dieser Serie:

Amsterdam: Die Heimat von Gabber
London: Die Heimat des Shuffle
Berlin: Die Heimat des echten Drum'n'Bass

Fotografin: Alex De Mora
Creative Director: Kylie Griffiths
Assistenten: Ellie, Sian und Thomas
Produktionsassistentin: Tabitha Martin
Haare: Johnnie/Morocaan Oil
Make-up: Lucy/Mac Cosmetics
Make-up-Assistenten: Lydia Harding und Celia Evans
Models: Perri, Rhimes und Anne-Marie