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Sind Oasis Sozialisten?

Wir haben uns mit Alex Niven, dem Autor des Buches über ‚Definitely Maybe‘, getroffen und ihn so lange ausgequetscht, bis er es endlich zugegeben hat.

Definitely Maybe enthält, wie Autor Alex Niven meint, „einige der meist unterschätzten Textzeilen der ganzen Popkulturgeschichte.“ Bei all der Bewunderung, die Oasis' Meilenstein weiterhin genießt, ist es auch ein Album, über das sich gerne und mit großem Eifer lustig gemacht wird. Das ist, wie es ausschaut, vor allem in London der Fall, wo Britpop und seine Anhänger mittlerweile in den Pubs von Camden oder den Räumlichkeiten des NME ein Ghettodasein fristen.

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Kurz nach seiner Veröffentlichung und auch in den darauffolgenden Jahren war Oasis' Debütalbum allerdings der erste kulturelle Vorbote einer Energiewelle, die für eine gewisse Zeit (und vor allem im Rückblick) das ganze Land zu vereinen schien. Bei all der berechtigten Kritik, die es zu der Band und dem Album gibt, hat es in Großbritannien seitdem kein so allumfassendes kulturelles Phänomen mehr gegeben—auch wenn Oasis schon bald zu grotesken Karikaturen ihrer Selbst wurden, die sich nur zu gerne zur Speerspitze der Cool Britannia-Bewegung machen ließen. Cool Britannia war letztendlich das, was der New Labour-Regierung den Boden bereitete. Bis dahin konnte die Partei nur noch magere Ergebnisse in den von Arbeitern dominierten Orten und Städten einfahren, aus denen auch die Band und viele ihrer Fans kamen.

Niven nimmt diese politische Dimension von Oasis noch einmal genau unter die Lupe. Für ihn ist Oasis' Begabung dafür, das „kulturelle Gedächtnis“ der Arbeiterklasse zu bedienen, nicht nur einer der Hauptgründe für ihren Erfolg, sondern bleibt auch weiterhin ein Sinnbild für den Bedarf an eben diesem kulturellen Gedächtnis als Grundstein für Bemühungen der radikalen Linken, um das Land aus der aktuellen politischen Misere zu manövrieren—der gleichen Misere aus der Oasis entstanden sind. Hier spricht Niven über die Depression im Zuge der Thatcher-Ära, die die frühen Oasis inspiriert hat und erforscht, wie wir indem wir unsere Lehren aus den 90ern ziehen, vielleicht neue Formen der Ästhetik schaffen können.

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Hier sei auch angemerkt, dass Niven sozialwissenschaftliche Terminologie verwendet, um über Musik zu sprechen. Das kann einen an manchen Stellen etwas erschlagen, aber manchmal braucht es eben große Worte, um große Dinge auszudrücken. Wenn dir das nicht gefällt, kannst du gerne weiter /r/cringe-Bilder bei Reddit browsen.

Noisey: Ich war fünf Jahre alt, als Definitely Maybe erschien. Ich kann mich also nicht mehr wirklich daran erinnern, wie es hier damals war. Kannst du kurz zusammenfassen, wie die Stimmung in Großbritannien zu der Zeit war?
Alex: Ich war damals auch erst zehn Jahre alt—also nicht viel älter als du. Ich bin jetzt kein Freund dieser NME-Narrative, nach der die damalige Musiklandschaft komplett trostlos aussah, bis dann Britpop und Oasis kamen und die britische Musikszene heldenhaft vor Dance, elektronischer Musik und HipHop retteten. In den frühen 90ern gab es nichtsdestotrotz eine wachsende Reaktion auf die Thatcher-Politik und die damit einhergehende Kultur. Der große kulturelle Vorläufer zu Britpop oder dem Mitte 90er Moment, wie ich es lieber nenne, war Rave und die Jahre 1989/90. Ich würde sagen, dass diese Welle '92, '93 wieder ziemlich abgeflaut war. Dadurch, dass die Tories '92 wiedergewählt worden waren, lag auch dieses Gefühl von Desillusion in der Luft.

Du sprichst von der Idee, dass Phasen ökonomischen Abschwungs eine Volkskultur hervorbringen, die mehr an der Vergangenheit als an Innovation interessiert ist, und das passt wiederum zu dem, was du zu Beginn über Oasis gesagt hast, die du als sehr ‚authentische’ Kraft bezeichnest.
Ich finde, dass es an der Zeit ist, dem Konzept von Authentizität wieder mehr Beachtung zu schenken. Für die Postmodernisten ist Authentizität ein schmutziges Wort—etwas, mit dem man rumspielen kann, weil am Ende sowieso nichts authentisch sein kann. Wenn du aber verneinst, dass Kunst authentische Verbindungen zu den lebensweltlichen Erfahrungen gewisser Menschen und Bevölkerungsschichten hat, dann wird sich am Ende einfach die mächtigste Klasse für ihre eigenen Zwecke das aneignen, was auch immer sie will. Mumford and Sons sind ein klassisches Beispiel dafür, wie Menschen der höheren Mittelschicht sich an einer Kultur bedienen, die nicht ihre eigene ist. Im Endergebnis steckt einfach kein Funken Authentizität mehr.

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Die bekannten Kritikpunkte bei der Auseinandersetzung mit Oasis als Band aus der Arbeiterschicht, die von Musiktheoretikern wie Mark Fisher und Owen Hatherley formuliert werden, ist die des „Proletarier-Anstrichs“: Oasis seien ein Karikatur der Arbeiterschicht. Ich stimme in dem Sinne zu, dass Britpop im Großen und Ganzen schuld daran ist, aber in erster Linie durch Parklife von Blur. Oasis waren hingegen eine Proletarierband. Sie wurden vielleicht im Zuge des Fortschritts dieser Periode von den Medien und den Köpfen hinter New Labour überzeichnet, nichtsdestotrotz war es authentische Musik aus der Arbeiterschicht.

Zeichneten sich damals keinerlei Widersprüche zwischen ihrem eigenen Arbeiterklassenhintergrund und ihrer Aneignung von Künstlern ab, die eher traditionalistisch waren?
Ja, sie hatten sich in typischer Retromania-Manie bei Musik aus der Vergangenheit bedient. Während ich der Kritik daran wohl zustimme und auch wenn sich unsere Kultur zu einer sehr rückwärtsgewandten und konservativen entwickelt hat, glaube ich, dass das, was wir jetzt brauchen, und das, was wir damals brauchten, exakt das Gleiche sind. Die Linke hat heutzutage Innovationen bitter nötig, aber ich vertrete nicht die Meinung, dass Innovation und eine linke Einstellung unbedingt synonym sind. Der Futurismus zum Beispiel war wohl kaum eine linke Idee. Viele Aspekte der modernistischen Bewegung waren rechts, aber im Gegenzug waren wiederum viele linke Positionen im 19. Jahrhundert ziemlich auf Herkunft und Abstammung fixiert. Da gab es die Mittelalterbegeisterung von William Morris und John Ruskin oder die Art von Kommunitarismus, die der Gewerkschaftsbewegung zu Grunde lag.

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Oasis hingegen waren von einer Großstadtkultur umgeben, die sich auf Neuerungen gründete, die für sie aber nicht wirklich zugänglich waren. Ich würde sagen, dass sich populistische, politisch-künstlerische Bewegungen auf ihre Herkunft beziehen müssen, um voranzukommen und ein Bindemittel zu schaffen, das die Menschen vereint. Natürlich kann das auch total in die Hose gehen—im Extremfall endest du dann im Faschismus; für den etwas weniger extremen Fall gibt es immer noch UKIP oder New Labour. Ein erfreulicheres Beispiel wäre in dem Fall dann so etwas wie die Entstehung der sozialistischen Bewegung im 19. Jahrhundert. Es war allgemein anerkannt, dass man der Vergangenheit einiges schuldig war und dass man eben auch versuchte, aus der Vergangenheit zu lernen—ich würde sagen, dass das etwas Positives ist.

Gerade „Live Forever“ siehst du als sehr spezielle Form des Eskapismus—als Eskapismus in die Welt und nicht weg von ihr. Das scheint mir eine offensichtlich politische Form des Eskapismus zu sein.
Es gibt zwei unterschiedliche Formen der Romantik. Es gibt diese Romantiktradition, die sehr konservativ ist—da geht es darum, all die materiellen Gegebenheiten und sozialen Beziehungen zu verschleiern, um die Hierarchiestrukturen zu erhalten. Dann gibt es da aber noch diese andere, radikale Romantiktradition—die von William Blake und William Hazlitt. Um überhaupt erst mit einer radikalen oder revolutionären Idee ankommen zu können, musst du dich in eine Welt radikaler Vorstellungskraft und radikaler Hoffnung begeben. Du musst dich auf Mythen und irgendeine Art spiritueller Idee beziehen. Ich würde sagen, dass Oasis dies zu ihren besten Zeiten getan haben. Es ist ein radikaler Eskapismus, der sagt, dass doch noch alles gut werden kann. Ich denke, dass radikale Politik etwas in dieser Art braucht. Diese spirituelle Dimension ist einfach notwendig. Der Eskapismus von Oasis gehörte zu dieser Art.

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Die andere Möglichkeit ist die, dass Musiker sich nach innen kehren, wenn die Gesellschaft die Arbeiterschicht an den Rand drängt. Ist es das, was heutzutage wieder passiert?
Ja, neben dem positiven Eskapismus in der Oasis-Erzählstruktur gibt es auf Definitely Maybe auch viele Anspielungen auf das Gefangensein. Man bekommt den Eindruck diesen Gefühls, im Stich gelassen worden zu sein. Das Album ist voll mit Texten über Abrutschen, Weggleiten und sich auflösen. Es gibt da auch dieses Gefühl, begraben zu werden. Leider ist das heutzutage noch viel stärker vertreten als früher—diese unzähligen Musiker, die sich quasi in ihren eigenen Schlafzimmern eingraben. Einfach zu beschreiben, wie unsere kulturell-musikalische Landschaft heutzutage aussieht, wäre schwierig.

Ich würde sagen, dass wohl etwas an der Kritik dran ist, Oasis als provinziell abzustempeln. Sie haben sich nie mit globalen Themen befasst. Ein ganzes Land zu vereinigen, ist aber eigentlich auch keine schlechte Sache. Es war eine Art Stammeszusammenführung von Popkulturphänomen der Nachkriegszeit: Labour Party, die Überreste der Fußballweltmeisterschaft von 1966, Glam Rock, kleine Versatzstücken von Rave und die Erfahrungen irischer Immigranten—ich würde sagen, das ist um einiges erfreulicher als Mumford and Sons Blick auf die britische Kultur, der nicht weit über Cupcakes und Victoria Sponge-Kuchen hinausgeht. Es war einfach nicht diese, um auch hier wieder Blurs Parklife als Wegbereiter anzuführen, kleingeistige Englishness aus den reichen und konservativen Home Counties.

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Glaubst du, dass eine weitere kulturelle Welle dieser Art möglich ist?
Ich würde sagen, dass sich die materiellen Umstände der aktuellen Kultur erst einmal ändern müssten. Wirklich große Wellen progressiver Kunst, wie sie Großbritannien um Beispiel in den 60ern erlebt hatte, kommen nur vor, wenn innerhalb der Gesellschaft große Umstrukturierungen stattfinden.

Ich persönlich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir in einer Art vor-revolutionärem Moment leben. Wir haben erkannt, dass es nicht reicht, sich nur mit den Dingen an der Oberfläche zu beschäftigen. Du musst die Sache an der Wurzel packen und das ganze materielle Make-Up der Gesellschaft ändern, bevor du neue Formen der Musik zu hören bekommst. Es ist jetzt zwar nicht besonders schwer, isolierte Beispiele neuer Musik zu finden, aber der eigentliche Bruch vollzieht sich momentan nur zwischen kleinteiligen Auswüchsen. Etwas davon wird sich in der Gesellschaft festsetzen und zu einer großen sozialen Bewegung werden. Ich glaube, das ist es, wo der frische Wind her wehen wird.

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Alex Nivens 33 1/3 Buch über Definitely Maybe kannst du dir bei dem kleinen unabhängigen Buchhändler Amazon kaufen

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