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Musikvideos nach Schema F: das „Pixelige-LSD-Green-Screen-Video“

Wir ergründen ab sofort Klischees der Musikvideogeschichte. Den Anfang macht das archetypische Psych/Garage/Surf-Video mit seinen drogigen Strukturen und pixeligen Applikationen.

Wenn man wie wir tagtäglich unzählige Musikvideos von Bands verschiedenster Genres ansehen muss, kommt man nicht drum herum festzustellen, dass sich in der Geschichtsschreibung dieser im Durchschnitt 3 bis 4-minütigen Streifen immer wieder bestimmte Stereotypen herausgebildet haben. Etwa der obligatorische Booty-Shake vor dem neuen Lamborghini Aventador LP 700-4 in HipHop-Videos oder aufgetürmte Marshall-Verstärker-Wände bei jeder Metal-Band, die auch nur annähernd etwas auf sich hält.

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In unserer neuen Reihe Schema F wollen wir ein paar dieser Klischees vorstellen und ergründen. Den Anfang macht das von uns getaufte „Pixelige-LSD-Green-Screen-Video“ mit seinen dezidierten Codes, bekannt aus den Rockmusik-Subgenres Psychedelic, Garage und Surf Punk, und stigmatisiert durch den inflationären Gebrauch von verstörenden Pixel-Grafiken in allen erdenklichen Farben auf Green-Screen-Hintergrund. Um diese bahnbrechenden Erkenntnisse gewinnen zu können, haben wir nächtelang Videos gesichtet und verglichen, seitenlange Analysen geschrieben und radikal schubladisiert, was wir Musikjournalisten ja so lieben. Also, Psychedelic- und Garage-Bands aufgepasst, wenn ihr genau hinseht, dann bekommt ihr hier mal eben so eine Brauanleitung, das perfekte Rezept für euer nächstes Musikvideo:

Scheiß auf die Story, mach es zusammenhangslos

Am Anfang eines jeden Musikvideos steht immer folgende Frage: Story oder keine Story? Wenn du Geschichten erzählen willst, dann scheiterst du meistens an deinen eigenen Ansprüchen, alles in drei Minuten unterzubringen. Und wenn dich das nicht schon überwältigt, dann spätestens die Reaktionen deiner Freunde auf diese ultra-langweilige Typ-trifft-Mädchen-Story oder was auch immer du vorhattest. Wenn man dennoch viel zu viel Inhalt in viel zu wenig Zeit pressen will, kann man der Sache ziemlich simpel aus dem Weg gehen: das „Pixelige-LSD-Green-Screen-Video“ enthält definitiv kein bisschen Story.

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Sehen wir es mal so, wenn der geneigte Anhänger dieser Art von Spartenmusik solch ein Video gucken will, dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass er das halb vier Uhr morgens rotzevoll und bekifft macht und sich eher über ineinander fließende Farben und wahllos zusammengekleisterte Bildelemente freut, als über intelligentes Storytelling. EMA hat da ein ganz gutes Beispiel auf Lager. Mund als Gesicht, rohe Eier in der Hand zerplatzen lassen, Handschlag mit sich selbst, Schleim und animierte Fußbälle auf einem verpixelten Backsteinblock zertrümmern. Alles klar? Natürlich reicht es auch, wenn man nicht ganz so viele Elemente in das Video packt, sondern es ein wenig minimalistischer hält, was mich zum nächsten Punkt bringt.

Strukturen

Ganz wichtig: Strukturen. Womit wir wieder bei den Drogen wären. Al Lover hat mit den Thee Oh Sees hier gerade mal deinen stundenlangen LSD-Trip essentiell auf 2:57 Minuten runtergekürzt. Rotierende, spinnennetzartige Blumenmuster durch den Kaleidoskop-Fleischwolf gedreht und dazu der latente Strobo-Effekt. Was machst du? Du tanzt natürlich so gut wie noch nie zuvor, weil du es ja so dermaßen spürst. Alles ist so bunt hier, ich kann die Luft sehen, alle Moleküle, ich bin ein Teil davon. Naja, ihr wisst schon.

Mach es bunt

Dass man die ganze Sache nicht nur in den Dortmund-Farben Schwarz und Gelb fabrizieren muss, auch wenn ja bald Champions-League-Finale ist, beweisen Hooded Fang im noch frischen Video zum Song „Graves“. Neon-Ocker, N64-Lila, Kotzgrün, mittleres Schieferblau, Tangerine Tango und so weiter. All die schönen Farben, die Karl Lagerfeld so gerne für seine neue Chanel-Kollektion nutzen würde, am Ende aber doch nur für den H&M-Abfall verwenden darf.

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Blitze, Hotdogs, Palmen, Aliens und Sterne in Pixel-Optik

Kommen wir zu einem weiteren Punkt auf der Ebene der Bildgestaltung, der mit den hintergründigen Strukturen eine bildliche Symbiose eingeht: absurde Zeichen in dilettantischer Pixel-Optik. Die Band Wavves um Nathan Williams reiht im Pitchfork-Video zu „Post Acid“ (der Name sagt vielleicht schon alles) in wahnwitzigem Tempo Sterne, Blitze, Explosionen und Palmen aneinander und nutzt gern mal den Effekt des Unendlichkeitstunnels, der bei genauerem Studium des Hooded Fang-Videos bereits aufgefallen sein sollte. Die Grafiken sollten dabei natürlich nicht allzu professionell wirken, man macht ja schließlich keine Visuals für den versnobbten Technoclub, in den man nur reinkommt, wenn man seinen feinsten Abendzwirn angezogen hat.

Wenn ich das Video sehe, dann komme ich mir vor, als wäre ich eingesperrt in das feucht träumende, von Pixeln vergewaltigte Gehirn eines Atari-Konsolenspieleentwicklers Anfang der 80er Jahre, als die Videospielbranche noch heil war. Das geilste an dem Video ist eigentlich, dass es in 3D ist. Da die meisten aber eh keine 3D-Brille zu Hause haben, es sei denn sie verdienen unverdientermaßen zu viel Geld und können sich den neuen Plasmafernseher von Samsung mit zwei Meter Bilddiagonale und fünf 3D-Brillen im Family-Pack leisten, wirkt das alles noch ein bisschen absurder.

Green-Screen-Technik

Um diese äußerst durchdachten Konzeptionen der Musikvideos realisieren zu können, benötigt es natürlich auch einiges an technischem Know-How, möge das Video noch so billig wirken. Wie macht man das nun? Green-Screen-Technik, also die Aufnahme des Videos vor einer grünen Wand, um dann in der Postproduktion den Hintergrund auszuschneiden und durch alles Mögliche ersetzen zu können. Was früher nur Nachrichtensprechern vorbehalten war, wird nun fast inflationär genutzt, um die Musiker grenzenlos übereinander zu schichten und um sich herum kreisen zu lassen. Dass diese Technik wirklich Zauberei ist, beweist dieser Meteorologe mit seiner Chamäleon-Krawatte. In Real-Life wäre so ein Accessoire eigentlich ziemlich geil.

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Band im Mittelpunkt

Da man sich ja gegen ein story-basiertes Video entschieden hat, fällt auch die Notwendigkeit weg, attraktive und gute Schauspieler zu engagieren. Wenn man aber dennoch Menschen im Mittelpunkt des Videos haben will, so fällt die Wahl schnell auf das am nächsten Liegende: die Musiker der Band selbst. Diese posieren natürlich nicht in der unglaublich coolen Guns N‘ Roses-Manier, wie Slash irgendwo mitten in der Wüste vor einer verlassenen Kirche mit Zigarette im Mund.

Die Psychedelic-Allstar-Combo aus San Francisco mit Ty Segall und White Fence liefern zu dem Song „Time“ noch einmal ein Paradebeispiel des „Pixeligen-LSD-Green-Screen-Videos“. Die Band spielt lässig gekonnt vor dem Green-Screen den Song runter, während eigenartig bunt-verpixelte Zauberwürfel-Applikationen aus dem strukturierten Hintergrund hervortreten.

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