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Interviews

„Musik ist dafür da, dass du Kritik äußerst“—Trümmer im Interview

Es gibt zu viele Bands, die sich anpassen, doch Trümmer wollen das Messer sein, dass in die Blase der heilen Welt pikst.

Foto: Gergana Petrova

Die Allmacht von Facebook verlangt, dass du als Band auf dieser Plattform sein musst. Am Besten von Anfang an, sodass jeder Schritt genauestens dokumentiert wird und du deine „Fans“ mit bedeutungslosen Posts zumüllst. Anscheinend findet nur so deine Band auch Beachtung. Dass es aber auch anders geht, haben Trümmer bewiesen. Die drei Hamburger haben lange Zeit auf jegliche Internetpräsenz verzichtet. Eben so lange, bis sie ihren Sound gefunden hatten. Trotzdem durften sie OK Kid und Casper supporten, erspielten sich eine immer größere Fanbase und veröffentlichen jetzt ihr Debütalbum über PIAS Germany (was ihre über 2000 Facebook-Fans sehr freuen wird). Wir haben Trümmer im Berliner Label-Büro getroffen und über ihre Anfänge, fehlende Provokation und lähmende Apathie gesprochen. Noisey: Ihr habt anfangs ein großes Geheimnis um eure Musik gemacht. Teil eines großangelegten Marketingplans?
Tammo: Eigentlich überhaupt nicht. Wir haben erstmal nur für uns Musik gespielt. Eben das gemacht, worauf wir Bock hatten. Es kam uns sehr absurd vor, alles, was wir machten, jeden Tag in sozialen Medien zu veröffentlichen. Deswegen haben wir uns dagegen entschieden. Das war kein Marketingkonzept. Du solltest Dinge erst veröffentlichen, wenn du damit zufrieden bist und sie fertig sind. Unsere Platte ist jetzt fertig.

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Ihr habt gewartet, bis ihr euren Sound gefunden hattet und genug Songs fertig waren?
Tammo: Ja genau, eben Songs, die wir auch veröffentlichen wollten. Anfangs war alles noch schnell und laut, chaotisch. Bis wir dann den Sound gefunden hatten, dauerte das ein bisschen. Vielleicht sollte eine Band, die noch nicht einmal fertige Aufnahmen hat, nicht Bilder davon posten, wie sie ihren Proberaum aufräumt.

Was echt viele machen.
Max: Ja, außerdem haben wir am Anfang überhaupt nicht darüber nachgedacht, was Leute interessieren könnte oder was wir ihnen geben könnten. Es ging nur darum, Musik zu machen, zu schauen, was wir zu dritt erschaffen konnten.

Wir seid ihr dann an die Support-Slots für Casper und OK Kid gekommen?
Max: Wir haben Musik gemacht und irgendwann unser erstes Konzert gespielt. Die Leute wollten uns wieder sehen. Dann fragte die Spex, ob wir für sie nicht auf dem c/o pop spielen wollen. Das ergab sich alles von Konzert zu Konzert. Einen Plan darüber, dass wir erst dies und dann jenes machen werden, gab es nicht. Das hat sich tatsächlich so ergeben.

Setzt sich gute Musik also wirklich noch ohne Facebook und Co. durch?
Paul: Auf jeden Fall. Ich glaube, das haben wir aus Versehen eindrucksvoll bewiesen (lacht). Das ist auch echt interessant: Als das Internet aufkam, MySpace und so, war das ja total krass von wegen: „Boah, The Horrors sind im Internet“. Mittlerweile ist das komplett anders: „Boah, die sind nicht im Internet!“
Tammo: Klar kannst du im Netz alles immer und überall hören. Das ist natürlich total positiv, führt aber auch dazu, dass ich als Hörer sauschnell überfordert bin, weil ich nicht weiß, was ich alles hören soll. Es gibt einfach so scheiße viel und kaum Filterfunktionen. Du wirst halt die ganze Zeit zugeschissen.
Max: Das Schöne ist ja auch, dass du dadurch eine totale Freiheit hast. Wenn Leute deine Musik schon durch Singles oder Proberaummitschnitte kennen, entsteht dadurch ein Erwartungsdruck. Du wirst auf Konzerten daran gemessen. Wenn du das nicht hast, genießt du die totale Freiheit, jedes mal neu zu entscheiden, was du wie spielen möchtest.
Tammo: Auf den ersten Konzerten haben wir vor jedem Konzert Songs rausgeschmissen und ohne Ende neue geschrieben. Ist ganz geil vor Leuten zu spielen, die nicht wissen, was sie erwartet und zu gucken, was dann passiert.

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Euer Facebook-Verzicht war also kein Zeichen von Anti-Haltung?

Tammo:

Nee, keine bewusste Kritik.

Max:

Wir beide haben gar kein Facebook, darum haben wir wirklich nicht dran gedacht.

Aber jetzt nutzt ihr es. Müssen denn junge Bands irgendwann zwangsläufig soziale Medien nutzen?
Paul: Müssen sie nicht.
Tammo: Es kann eine schöne Möglichkeit sein, mit Leuten zu kommunizieren. Du solltest aber wissen, worüber und was du kommunizieren willst.
Paul: Unsere Idee war es, erst rauszugehen, wenn das Album fertig ist. Dann haben wir etwas in der Hand. Genau darauf liegt der Schwerpunkt, das ist unsere zentrale Aussage und nicht irgendwelche Bildchen von uns. Keine Ahnung, ob du Facebook wirklich brauchst. Es ist keine Vorraussetzung dafür, Musik zu machen oder präsent zu sein. Du musst ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass du solche Kanäle in deinem Sinne nutzt, aber die große Facebook-Kritik steht jetzt nicht dahinter. Du weißt, worauf du dich einlässt, wem das Unternehmen gehört und was daran scheiße ist.

Ihr betont immer wieder, dass ihr etwas verändern wollt, eure Texte sollen anecken. Ist das heutzutage in der angepassten Rocklandschaft überhaupt noch möglich?
Paul: Das ist möglich, total.

Wie merkt ihr das?
Paul: Zu unseren Konzerten kommen mittlerweile die verschiedensten Menschen, von 30 bis 40-Jährigen, aber auch 15 bis 20-Jährige. Ältere Leute fühlen sich vielleicht an etwas erinnert, was sie damals hatten und Jüngere fühlen sich ermuntert, selbstständig zu denken. Das hat sich schon eingelöst. Ich erinnere mich an den Gig in der Uni Duisburg, wo Teenies meinten: „Geil, das ist ja genau mein Sound.“ Ist echt krass, wie unterschiedlich die Leute sind, die da aufkreuzen und sich angesprochen fühlen.
Max: Wir haben jetzt am Wochenende ein Konzert auf Sylt gespielt. Da kam eben das Sylter Publikum an und auch die fanden es gut. Die haben sich damit beschäftigt und meinten: „Ey, wir können nachvollziehen, worüber ihr da singt. Uns geht es teilweise nicht anders.“

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Sylter Publikum?
Tammo: Besser situierte Leute ab 40.

Habt ihr das Gefühl, dass es in den Charts keine provokanten Künstler mehr gibt?
Paul: Casper ist extrem erfolgreich. Wenn du zusammenfasst, was er macht, ist das auch eine kritische, linke Haltung. Er ist vielleicht aber auch ein anderes Phänomen.
Tammo: Ich fühle mich in den Charts von fast nichts, was da passiert, angesprochen.
Max: Da herrscht oft sehr viel Gemütlichkeit und Reproduktion dessen, was sowieso schon da ist. Ein gegenseitiges auf-die-Schulter-klopfen für das, was du sowieso schon bist.
Paul: Ist ja sehr interessant, dass diese Helene Fischer mit 29 schon eine der größten Stars in Deutschland ist. Was die verkörpert, ist das totale Einverständnis. Heile Welt, alles ist okay. Scheinbar sehnen sich die Leute danach. An genau dieses Gefühl kannst du andocken. Ein Messer sein, was da reinpikst.

In eurem Song „Saboteur“ singt ihr von Fremdbestimmung. Habt ihr Angst, als Band in eine Maschinerie zu geraten, in der ihr nicht mehr frei entscheiden könnt?
Paul: Die Gefahr droht permanent, wenn du anfängst, ernsthaft Musik zu machen. Dazu musst du dich verhalten, dich immer wieder neu definieren, dich selbst befragen. Aber eine wirkliche Angst habe ich davor nicht.
Tammo: Bisher haben wir auf jeden Fall noch nichts gemacht, was auch nur ansatzweise fremdbestimmt sein hätte können.
Paul: Wir machen Musik, weil es eine Möglichkeit ist, wirklich frei zu sein. Und das in einer Gesellschaft, in der es ganz wenige Freiräume gibt. Bands zu gründen, war immer schon der Ausdruck davon, genau das zu machen, was du willst. Das ist eine Utopie, die verteidigt werden muss. Zum Glück kamen wir bisher noch nie in die Situation, in der wir gesagt haben: „Okay, eigentlich wollte ich das nicht machen, naja okay.“ Wird auch nie passieren.

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In einem Interview mit jetzt.de habt ihr gesagt, dass ihr Ironisierung bekämpfen wollt, da sie jede Weiterentwicklung behindere. Warum gerade Ironie, wieso nicht ein Ankämpfen gegen Apathie und Ignoranz?
Tammo: Das meint alles eigentlich fast das Gleiche. Wir haben nicht zwangsläufig etwas gegen Ironie, aber dagegen, dass du Dinge wegironisierst.
Paul: In unserer Generation herrscht eine sehr zynische Haltung gegenüber sich selbst, den eigenen Wünschen, dem eigenen Leben. Das ist etwas sehr Merkwürdiges. Es ist neu, dass 23-Jährige die Attitüde an den Tag legen: „I’ve seen it all“. Dagegen wollen wir angehen.
Max: Oft habe ich das Gefühl, dass mein Gegenüber mir zwar etwas sagt, aber das nicht das ist, was er eigentlich sagen möchte, was eigentlich aus ihm spricht.
Tammo: Das Schutzschild der Coolness.

Alles wird unter einem Mantel der Ironie versteckt.
Max: Genau, du hast Angst davor, für deine Aussagen abgelehnt zu werden. Nur weil es nicht irgendwelchen Codes oder gesellschaftlichen Normen entspricht.

Wo habt ihr das erlebt? Persönliche Kontakte?
Max: Ja, du merkst es daran, wenn Leute sich über ihre Zukunft unterhalten. Dass sie das Gefühl haben, Dinge machen zu müssen.
Paul: Wir bewegen uns gerade aber in einem Umfeld, wo eh alle einen anderen Film fahren. Wenn du dich da mal rausbewegst, ist es schon so, dass Lebenswege durch diesen ganzen Bologna-Scheiß total zugespitzt sind. Dass Karrierepläne relativ schnell entworfen werden müssen. Ist jetzt kein Plädoyer gegens Studieren, nicht akademiefeindlich oder so.
Tammo: Vor zwanzig Jahren war das Studium noch ein Synonym fürs Ausprobieren. Wenn das zehn Jahre gedauert hat, war es halt so. Diese Möglichkeit gibt es jetzt nicht mehr. Mit 18 oder 19 Jahren kannst du dich nicht erstmal fünf Jahre ausprobieren.
Paul: Der Druck steigt (grinst). Der Moment der Selbsterfahrung wird dir total genommen. Wo willst du den auch machen? Heutzutage musst du extrem funktionieren. Darum gehts auch bei „Saboteur” im Sinne von: „Hey, es ist auch geil, nicht zu funktionieren und durchzudrehen, die Kontrolle zu verlieren.”

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Im Interview mit zeitjung.de meintet ihr, dass ihr hofft, dass Systeme und Staaten zerfallen, damit aus den Trümmern etwas Neues entstehen kann. Wie war das gemeint?
Tammo: Es geht um eine gedankliche Ebene. Muss eine Gesellschaft denn so sein, wie sie seit vielen Jahren bereits ist? Wie kann eine andere Gesellschaft aussehen? Utopien sind unvorstellbar geworden. Eigentlich müsste da doch was sein, wenn du das junge Menschen fragst. Es gibt so viele Probleme, aber du nimmst sie hin und sagst: „Ist halt Finanzkrise, wird wieder Bankengeld verbrannt und jeder von der NSA überwacht. Scheiß drauf.“
Paul: Eine Krise löst die nächste ab. Der Ausnahmezustand ist der Normalzustand geworden. Eigentlich gehts auf unserer Platte darum, dich selbst aus dieser Apathie zu befreien. Du sollst dir selbst die Frage zu stellen, ob du das geworden bist, was du sein wolltest, als du 16,17 warst. Hast du den Weg eingeschlagen, den du einschlagen wolltest? Das ist kein Diss an die Generation. Wir wissen es ja auch nicht besser.
Max: Wenn ihr das Gefühl habt, irgendwas läuft falsch, dann seid nicht ihr der Fehler. Ihr könnt selbst was verändern und andere Dinge machen. Genau das machen wir auch.
Paul: Das wollen wir mit der Musik zusammenlegen, sie dadurch aufzuwerten. Eine alte Geste, die wir aus dem Punk und Rock‘n’Roll nehmen. So, dass Musik eben nicht dafür da ist, sich einzulullen. Musik ist dafür da, dass du Kritik äußerst. Das ist heutzutage leider nicht mehr selbstverständlich.

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