FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

„Mich interessiert es nicht, ob irgendein Rapper irgendeinen Ohrring trägt“—MoTrip im Interview

Wir habe kurz vor dem Release seines zweiten Albums mit Motrip über große Themen, anspruchsvolle Reime und seine Ghostwriting-Jobs geredet.

Er war dann einfach mal zurück. Wie aus dem Nichts erschien vor ein paar Wochen, drei Jahre nach seinem Debüt Embryo, MoTrips „Mathematik“. Das Video dazu? Pures Understatement! Was für einen Künstler wie MoTrip, dem (zum Teil zu Unrecht) nachgesagt wird, er würde vor allem Rap über Rap machen, durchaus Sinn macht. Auch bei seiner zweiten Single „Trip“—hier wiederum wurde ein durchaus opulenter Clip in Los Angeles gedreht—steht MoTrips größtes Talent im Vordergrund, nämlich anspruchsvolle Reime so aufzuschreiben, dass das Ganze am Ende auf Platte kinderleicht klingt.
Warum es trotzdem so lange gedauert hat, bis der Lieblings-Ghostwriter der Deutschrap-Szene ein neues Album veröffentlicht hat? Das hat vor allem persönliche Gründe. Wir haben mit MoTrip trotzdem lieber darüber gesprochen, was er uns mit Mama vermitteln möchte und wie wohl er sich in der Deutschrap-Neidgesellschaft fühlt.

Anzeige

Noisey: Das Politische spielt auf Mama eine ziemlich große Rolle. Auf „Gegenwart“ rappst du: „Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt—lass uns die Gegenwart retten.“ Auf „Lauf der Dinge“ mit Azad wiederum sagst du allerdings: „Wir können nichts ändern—Lauf der Dinge.“ Können wir also etwas ändern oder doch nicht?
MoTrip: Wir können definitiv etwas ändern. Natürlich kann nicht jeder von uns acht Milliarden Schritte gehen. Aber wenn acht Milliarden Menschen einen Schritt gehen, dann sind sie trotzdem acht Milliarden Schritte gegangen. Eigentlich müssen wir nur etwas in unserem direkten Umfeld bwegen, um die ganze Welt zu verändern. Wenn jeder zu seinen Mitmenschen ein bisschen netter wäre, wäre direkt die ganze Welt besser. Das ist nicht so, weil ich das sage, sondern das ist einfach so (grinst). „Lauf der Zeit“ handelt eigentlich davon, dass manche Menschen uns Rapper eben in einem schlechten Licht sehen: Das sind alle Assis von der Straße. Und die rappen, dabei ist Rap doch gar keine echte Mucke. Der Song ist also eigentlich unpolitischer gemeint.

Du bist also selbst jemand, der versucht etwas zu verändern und sich nicht für ohnmächtig hält?
Absolut. Resignation ist das Schlimmste, nämlich eine Ohnmacht, die durch Angst entsteht, obwohl diese uns eigentlich vor allem motivieren sollte. Wenn ein Mensch aus Angst vor einem Löwen wegläuft, dann tut er das, um zu überleben. Das Gefühl der Angst sollte einen allerdings nicht dazu bringen, vor dem Leben wegzulaufen. Man kann sich ja auch aus Angst einen Speer greifen und den Löwen erledigen. Das ist ein voll bescheuertes, flaches Beispiel, oder? Trotzdem: Man kann und man muss definitiv was ändern. Allerdings sind es natürlich die Leute mit der wenigsten Macht, die all die Probleme am meisten spüren. Die Menschen, die wiederum viel Macht und Geld haben, die sind ja zufrieden. Warum sollten die was ändern wollen?

Anzeige

Große Leute werfen kleine Schatten?
So in der Art. Wir alle gemeinsam werfen aber einen viel größeren Schatten, als das alle Reichen zusammen könnten. Wir aber sehen nur, dass unsere Zukunft verkackt ist. Ich habe so viele Leute in meinem Freundeskreis, die immer sagen: „Ach Bruder, das wird sich eh niemals ändern, es ist einfach so. Ich lebe mein Leben und solange ich dieses und jenes habe, bin ich zufrieden.“ Boah, da kriege ich die Krise! Gemeinsam können wir alles bewegen. Die Häuser, die da drüben stehen, standen vor ein paar Jahren doch auch noch nicht da. Ich weiß, dass das nichts Neues ist. Ich wärme hier alte Che Guevara-Sprüche auf, aber die sind nun mal wahr. Es muss einfach wieder mehr in unser Bewusstsein gelangen, dass wir unser Schicksal selber in der Hand haben. Das Leben ist keine Soap, in der die Regie am Ende schon alles richten wird.

Du hast unter anderem deswegen so lange für dieses Album gebraucht, weil du dich oft als Ghostwriter betätigt hast. Für wen, das sei jetzt mal dahingestellt. Das wirst du eh nicht verraten—oder?
Nein, nein (grinst).

Warum hast du so viel als Ghostwriter gearbeitet?
Ich habe nicht deswegen so lange für dieses Album gebraucht, weil ich ständig für andere geschrieben habe. Wenn ich ghostwrite, dann geht das bei mir meist sehr schnell.

Pflegst du zu den Rappern, für die du schreibst, in der Regel freundschaftliche Beziehungen?
Ja. Diese Sachen haben nur in den seltensten Fällen finanziell so viel eingebracht, dass ich das einfach mit geschäftlichen Gründen rechtfertigen könnte. Größtenteils bin ich einfach wirklich Fan der jeweiligen Künstler. Ich muss die Sachen, die ich mache, ja auch irgendwie mögen. Ich muss etwas fühlen können, damit ich es nachbauen kann. Das ist das Wichtigste.

Anzeige

Hast du manchmal auch Anfragen abgelehnt?
Auf jeden Fall. Ich habe durchaus auch schon mal die Anfragen von bekannten Deutschrappern abgelehnt. Darauf bilde ich mir aber gar nichts ein und, das sage ich jetzt einfach nochmal: Ich gehe da als Fan ran. Ich will gerne mit diesen Leuten arbeiten, das ist halt die Wahrheit. Und natürlich werde ich für diese Arbeit entlohnt, mir gehören am Ende ja die GEMA-Rechte, weil das zu meinem geschriebenen Werk zählt.

Du hast ja nicht nur für andere geschrieben, sondern vor allem in den ersten Jahren deiner Karriere mit vielen verschiedenen Künstlern zusammengearbeitet. Auf „David gegen Goliath“ sagst du jetzt, dass du auf keiner Seite mehr stehst. Was steht hinter dieser Aussage?
Mich interessiert dieses ganze Lager-Ding einfach nicht mehr. Trotzdem habe ich relativ viele Leute auf meinem Album und wenn es nach mir ginge, wären da noch zehn Leute mehr mit drauf, zum Beispiel Savas, Bushido, Genetikk und und und. Aber das haben die Zeit und andere Umstände einfach nicht zugelassen. Zu Savas zum Beispiel habe ich gar keinen Kontakt mehr.

Haben dich persönliche Erfahrungen aus der Vergangenheit dazu gebracht, dass du nicht nicht mehr so stark mit einzelnen Camps identifizierst?
Das trifft es ganz gut. Ich habe ja von Anfang an Features geschenkt bekommen, die eigentlich unbezahlbar waren. Savas hat mit mir gearbeitet, da war ich erst 15 oder 16. Danach kamen Samy, Sido, Bushido, Azad, Eko—es hat einfach nicht aufgehört. Es gehört einfach dazu, dass man dann auch zurückgibt, das gehört sich einfach. Deshalb will ich denen eigentlich auch auf meinem Album eine Plattform bieten. Wenn ich heute sage, dass ich auf keiner Seite mehr stehe, dann beziehe ich das vor allem drauf, dass ich mit diesen Loyalitäts-Geschichten im Game nichts mehr zu tun haben will.

Anzeige

Du willst deswegen für dich stehen, weil du mit dem Loyalitäts-Thema schlechte Erfahrungen gemacht hast?
Genau. Das war schon eine traurige Feststellung, die ich da machen musste. Es ist ja nicht so, als hätte ich nicht irgendwo dazugehören wollen. Wenn du mich mit 16 danach gefragt hättest, hätte ich sofort gesagt: Ich unterschreibe bei Savas auf Lebenszeit.

Kannst du die Rapper, die du früher gehört hast und mit denen du mittlerweile persönlichen Kontakt hattest, heute überhaupt noch unvoreingenommen hören?
Es ist natürlich nicht mehr dassselbe wie früher, weil ich jetzt selber Musikschaffender bin und die Schattenseiten des Games gesehen habe. Ich kaufe mir aber immer noch alle Alben und höre sie auch privat. Ich habe meine fünf bis zehn üblichen Verdächtigen, die ich extrem feiere und von denen ich mir alles reinziehe. Alles andere höre ich im Rahmen meiner Möglichkeiten aber auch. Ich bin definitiv ein riesengroßer HipHop-Fan, und dabei ging es mir schon immer nur um die Musik. Mich interessiert es nicht, ob ein Rapper irgendeinen Ohrring trägt, der mir nicht gefällt.

Ich würde gerne noch eine Frage zu „Kanacke mit Grips“, einem Song von Embryo, stellen? Wurdest du für den eigentlich viel kritsiert? Dieser Titel könnte immerhin suggerieren, dass „Kanacken“ in der Regel keinen Grips haben.
Also zumindest kam bei mir keine Kritik an. Einzig Ssio hat in einem Interview mal so was Ähnliches gesagt. Aber so meine ich das natürlich nicht. Ich wollte damit vor allem den Wichsern da draußen, die alle Männer mit schwarzen Haaren über einen Kamm scheren sagen, dass sie falsch liegen.

Anzeige

Findest du nicht, dass man sollte das Wort „Kanacke" so ähnlich wie das N-Wort sehen sollte?
Ich finde es auf jeden Fall wichtig, wer das zu wem sagt. Wenn aber beispielsweise ein Fler „Kanacke“ sagt, dann habe ich damit kein Problem.

Nein?
Fler ist ein Kanacke, ob er will oder nicht. Es geht voll darum, wer das wie sagt. Das wird dir auch jeder Afrikaner sagen. Ich sehe doch, dass in Flers Umfeld schon immer viele Ausländer waren. Wenn er sagt „Ey, ich bin mit Kanacken unterwegs gewesen“, dann höre und rieche ich, wie er das meint und fühle mich kein bisschen angegriffen. Wenn du jetzt aber gleich zur mir sagen würdest: „Ey letztens bin ich über die Straße gegangen und da waren wieder so'n paar Kanacken mit nem fetten BMW“, dann würde ich dir auch sagen, dass du bescheuert bist.

Du bist ja schon von Anfang an bei vielen braven Jungs und Mädels gut angekommen. Hast du mal darüber nachgedacht, ob das vielleicht etwas damit zu tun haben könnte, dass du so bist, wie sie dich haben wollen? Dein Deutsch ist gut, du bist nett und unkompliziert…
Das ist eine gute Frage. So habe ich das noch nie gesehen. Wenn du mich fragst, ob ich es darauf anglege, dann sage ich: Nein, auf keinen Fall. Aber natürlich habe ich tatsächlich sehr viele Hörer, die zu mir kommen und sagen, dass sie neben meiner Musik auch meine Art lieben. Das ist aber eben einfach meine Art. Die Leute in meinem direkten Umfeld würden es, glaube ich, lieber sehen, wenn ich selbst auch mal etwas mehr feiern würde (grinst). Die Wahrheit liegt sicher igendwo in der Mitte.

**

Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.