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Der unfassbare Lizenzierungs-Thriller um Mobys „Play“

Moby stand kurz vorm Architekturstudium, bis er das Lizenzieren für sich entdeckte. Seitdem regnete es für ihn $$$.

Im Jahr 1999 kollidierten in Indien, in der Nähe von Delphi, zwei Züge und hinterließen ein furchtbares Durcheinander, in dem 500 Menschen ums Leben kamen. Gerade mal zwei Wochen später, starben mehr als 14.000 Personen bei einer Reihe von Erdbeben in der Türkei. Als serbische Truppen mit ihren ethnischen Säuberung in den kosovo-albanischen Dörfern der umkämpften Gebieten begannen, setzte die Nato auf Vergeltung und die Zahl der Ermordeten durch Luftangriffe stieg in kürzester Zeit enorm. Noch nie zuvor war der Gestank von Toten weltweit so stark wie zur Jahrtausendwende.

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Zur selben Zeit richtet Moby in seinem Apartment in New York den Blick in Richtung Kühlschrank und schaute was dieser so hergibt. Nusskotelett, Tofu-Burger-Pastete, vegane Aubergine-Lasagne. Er entscheidet sich für die Lasagne. Während er auf den Gong seine Mikrowelle wartet, denkt der amerikanische Techno-Mogul sehr intensiv über seine vegane Lebensweise nach. Tiere sind so liebenswert. Wirklich. Es ist so grausam, sie aus egoistischen Gründen einfach zu töten. Niemand möchte das Gesicht eines Schweins sehen, kurz bevor es stirbt, nur um uns ein leckeres Iceland-Steak mit Kirschlasur zu liefern. Umgotteswillen.

But still…

Musste genau das seine komplette Karriere ruinieren?

1999 betrachtet sich Moby selbst als grenzenlosen Versager. Nur zwei Jahre später werden ihn alle Menschen für einen grenzlosen Erfolgsgaranten halten, aber zu dieser Zeit wurde er für sein Animal Rights Album von Kritikern ausgehüllt wie eine Aubergine, fertig für die Zubereitung von veganem Frischkäse.

Bezogen auf die Schwere des Flops, ließ Animal Rights Lou Reeds Metal Machine Music aussehen wie 21 von Adele oder Last Action Hero wirken wie Avatar. Und das alles, weil es zum einen von Tierrechten handelte und darüber hinaus einen düsteren, gitarrenlastigeren Industrial-Sound versprühte, der seine bisherige Fanbase von ihm abwenden ließ. Von großen Hallen war Moby nun meilenweit entfernt, zurück zu einem 50-köpfigen Publikum pro Abend, sodass er sich auch noch selbst finanzieren musste. Schließlich entschloss er sich, nicht mehr für Soundgarden zu eröffnen, eine Erfahrung die hauptsächlich dazu führte, „jeden Abend mit Scheiße beworfen zu werden“ (Zitat) . Es ging so weit, dass er kurz vor einem Neustart außerhalb der Musik stand und tatsächlich Broschüren von Architektur-Universitäten durchforstete.

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Doch die Mikrowelle gongte und Moby kam von seiner Träumerei ab. „Ja“, dachte er sich, „Wenigstens habe ich noch mein neues Album Play. Das mit den ganzen alten Blues-Aufnahmen, gut gesampelter, knackiger Modern-Techno-Musik. Vielleicht hat sich da ja etwas getan? Es hat nun nicht unbedingt etwas bewegt in America, ok, aber eventuell kam es ja im Ausland gut an?“ Das Essen kühlte also ab und Moby kontaktierte seinen Agenten, um sich nach der Chartplatzierung zu erkundigen. Dieser teilte ihm mit, dass die Platte in den britischen Charts auf Platz 33 einstieg, mit der Tendenz nach unten. Knapp 6000 mal wurde es in der ersten Woche verkauft. Moby bedankte sich und legte auf. „Scheißdreck“ fluchte er. Sein Essen war wieder kalt. Sein Herz noch mehr.

Zwölf Monate später verkaufte sich das gleiche Album in Großbritannien 150.000 mal pro Woche. In Frankreich war es auf Platz eins. Ebenso in Australien, Norwegen und zehn anderen Ländern. Es wurden neun (!) Singles davon veröffentlicht.

Es ist nicht weniger als ein kulturelles Phänomen, ideal für die modernen Kaffeetische. Ein Vorbild dafür, wie es sein sollte. Wortreich. Elektisch. Vielseitig. Und gleichzeitig: aufwendig und neutral. Es ist freundlich, doch geschnürt mit einer gewissen Traurigkeit, die es nicht zu herkömmlich wirken lässt. Man könnte es als den Gipfel der Modernität betiteln. Ein echter Bringer. Ohje, kein Mensch kannte Mobys Probleme, aber egal. Warum es ihm nun umso besser geht? Wegen dem plötzlichen, unerwarteten Geldregen.

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Und warum hat diese außergewöhnliche Wende stattgefunden? Aus einem einfachen Grund—Moby hat es geschafft, die abgespielten Songs von

Play

so oft wie niemand vor ihm lizenzieren zu lassen. Er hat sie verkauft und wiederverkauft: an Hersteller kleinerer Automarken, an Hersteller größerer Automarken, an Hersteller von Haushaltsgeräten, selbst an Sargpolierer oder Unternehmen die elektronisches Hundereiniger-Equipment verleihen. Die Wahrheit ist also, dass der Nummer-Eins-Status in den Charts nur die Kirsche auf dem Kuchen darstellte, der schon längst gebacken war.

Weg von diesem „Geniestreich“ hin zum nächsten: Mobys Manager Marci Weber und Barry Taylor haben schon vor dem Release des Albums das eigentliche Fundament gelegt. Sie sorgten dafür, dass Mobys Song „God Moving Over The Face Of The Waters“ eine Schlüsselrolle beim Höhepunkt des Films Heat spielte und somit einen enormen Eindruck bei Insidern hinterließ. Diese knüpften sofortigen Kontakt mit den Music-Choosing-Departments, welche ihren Vorteil nutzten und beschlossen kostenlose Partys, während des Slamdance Filmfestivals zu veranstalten, sodass Mobys Beliebtheit innerhalb der Filmindustrie stieg. „Back in the Game“ schiss Moby fortan auf Animal Rights und diesen Schwall an Wohltaten. Die Strategie bewährte sich, auch wenn dabei das Medium Radio gänzlich ignoriert wurde.

Statt nun also die großen Radiostationen aufzusuchen, wurden bevorzugt die großen Werbeagenturen angesteuert. Independent-Filmbetriebe wurden missachtet, denn im Fokus standen stets die großen Produktionsfirmen. Schritt für Schriit kamen die Aufträge. Bailey's Irish Cream und Nordstrom verwendeten „Porcelain“. „Find My Baby“ wirbt mit American Express für den lockeren, erwachsenen Weg der Verschuldung, mit dabei ist auch der junge Tiger Woods. „The Sky Is Broken“ für Galaxy. „Everloving“ verkauft geschmacklose Schokolade für Thorntons. „Bodyrock“ gab seinen Segen an Rolling Rock weiter. Der VW Polo, Bosch und France Telecom bekamen auch „Porcelain“ und Maxwell House pachtete „Run On“, genau so wie Nissan … Am 20. April 2000 wurde auch der letzte unlizenzierte Song ausgeschlachtet: ein kleiner, frecher Klecks namens „7“, der niemals dafür gemacht war, verkauft zu werden, wurde an eine kleine britische Produktionsfirma verschleudert. Es war ein Erfolg, der alle Erwartungen übertraf. Zwar hat Moby in diesem Sinne das Musikgenre für Werbung nicht neu erfunden, doch hat er es zweifellos perfektioniert.

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Auf jedem Geschäftstreffen kauerte von nun an Mobys Schatten in der Ecke des Raums und verdeutlichte, dass eine Lizenzierung das Maß aller Dinge ist. Beim Unterzeichnen eines Plattenvertrags, saß fortan mindestens ein Angestellter im Raum, dessen Job es ist, sich vorzustellen wie der Sound zu Bildern des neuen Honda Civics passt.

Auf der ganzen Welt raten Führungskräfte ihren Angestellten nach Vertragspartnern Ausschau zu halten, bei denen eine Werbetauglichkeit besteht. Ein Album ist ein Album. Es ist gut, wenn es funktioniert. Doch es gibt da eine Möglichkeit, eine unrentable Platte zu retten, noch bevor die breite Masse das überhaupt wahrgenommen hat. Augenblicklich entstand ein neues Genre, gepägt von Glassy-Electro und Roosty-Techno. Musik, die irgendwie formlos wirkt, unscheinbar aber vorhanden, eben eine Sache für sich.

Es wird nicht lange dauern, bis die Industrie sich gänzlich über diese Lizenzierungen abzusichern versucht. Die Zeiten werden immer schwieriger und der Druck auf die kleinen, wenn auch feinen, Independent-Künstler steigt, während die Rechte an den süßen Lullabies am Ende der Record-Kette verkauft werden. The Maccabees wurden vor die Wahl gestellt „Toothpaste Kisses“ an Samsung zu verticken oder eben zu zerbrechen. Sie entschieden sich zu überleben. Chairlift wurden nahezu durch eine Werbung geboren und letzlich ebenso zerstört. Und so weiter und so fort. So mies das für diese Musiker ist, für Moby ist das alles wunderbar. Er macht eine Menge Kohle und wird mit Sicherheit bald seinen eigenen Mikrowellen-Gong lizenzieren lassen.

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