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Interviews

Mike Shinoda bringt nach zehn Jahren Pause Fort Minor zurück

Wir haben uns mit dem Linkin Park-Mitglied über seine Kindheitserfahrungen mit Rassismus, seinen Hass auf das Wort „Nu Metal“ und seine Fuck 'em-Haltung unterhalten.

Es passiert auf Track 13 von The Rising Tied, „Kenji“. Der entscheidende Moment auf der 2005er-Veröffentlichung von Fort Minor, als Mike Shinoda ins Rampenlicht tritt und ohne Back-up agiert. Man hört ein Sample von Shinodas Vater, in dem dieser sich daran erinnert, wie sein Großvater im Alter von 15 aus Japan in die USA ausgewandert war. Anschließend gibt Shinoda die durchlebten Erfahrungen wieder. Seine Reime erzählen von seiner eigenen Geschichte und vom Erbe einer Generation: Von dem, was die amerikanische Regierung den japanischen Immigranten aufgrund von Paranoia und Verzweiflung angetan hat. Alle Vorurteile über „den Rapper von Linkin Park“, der eine Solo-Platte macht, lösen sich durch die geisterhafte Produktion und die Eindrücke von Zeilen wie „Japs not welcome anymore“ auf. Dir wird klar, dass Mike Shinoda ein richtiger Rapper ist.

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Wenn Facebook-Likes für dich relevant sind, dann könnte man behaupten: Mike Shinoda ist dank Linkin Parks 63 Millionen Likes nach Eminem der zweitgrößte Rapper der Welt. In der Welt von Linkin Park wirkt die Stimme von Leadsänger Chester Bennington wie der Hieb eines Schwerts, er sticht mit seiner Stimme brutal auf alles ein, das hören kann. Shinodas Reime setzen hingegen die kleineren Stiche. Es liegt an seinen Versen und Fähigkeiten, dass die Band so gut zwischen harten und sanften Elementen pendeln kann. Gitarrist Brad Delson gab ihm den Spitznamen „The Glue“—der Kleber—und es ist nicht schwer zu sehen, warum. Aber Shinoda ist trotzdem ein entspannter Typ. Er kommt eines Nachmittags in unser Büro, hielt ein iPhone und einen Kaffeebecher in der Hand und ich habe das Gefühl, dass der Typ ziemlich bescheiden wirken muss, wenn du mit ihm bei Starbucks in der Schlange stehst. Er erzählt dir gerne, wie großartig die durchsichtige Wu-Tang Platte mit dem W drauf ist, die er sich gerade gekauft hat. Die Stadion-Shows und die Millionen Fans weltweit? Daran denkt man nicht, wenn man mit Shinoda spricht.

Shinoda ist in Agoura Hills, Kalifornien, aufgewachsen, ungefähr eine Stunde außerhalb von Los Angeles. Von dort aus fuhr er in seiner Jugend häufiger, mit dem Vater eines Freundes, in die Stadt, um sich HipHop-Acts wie Public Enemy anzusehen. In der Highschool tauschten seine Freunde und er sich in erster Linie über HipHop aus. „Ich bin vor allem mit NWA und Ice-T groß geworden“, erzählt Shinoda mir am Telefon. „Ich erinnere mich daran, dass die Hälfte unserer Schule aus der Stadt kam. Die Schule war aber oben im San Fernando Valley, also haben die ganzen Freunde aus Downtown Kassetten mit Kram, den sie aus dem Radio aufgenommen hatten, mitgebracht. Zu der Zeit war KDAY [kalifornischer Radiosender] angesagt und es gab Ice-T und King T und N.W.A., dieses Zeug. Also das gab es, aber zu der Zeit kamen auch Sachen, die nicht aus L.A. waren, wie 2 Live Crew, raus, ein paar Sachen aus New York. Aber ich denke, der L.A.-Sound war mehr das, was alle mochten.“

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Agoura Hills ist der Ort, der Shinodas ethnisches Bewusstsein hervorgerufen und den Blickwinkel geformt hat, der später seine Kunst beeinflussen sollte. Er ist 1977 als Kind von Muto und Donna Shinoda geboren, als halb japanisch-amerikanisches Kind in einem Vorort, in dem fast nur Weiße lebten.

Fotos von Derek Scancarelli

„Die Familie meines Vaters ist japanisch-amerikanisch, geboren und aufgewachsen in Kalifornien, und wurde nach Pearl Harbor während des Zweiten Weltkriegs inhaftiert “, erklärt Shinoda. „Sie wurden in Arizona in ein Lager gesteckt. Selbst Amerikaner kennen diese Geschichte nicht wirklich. Wie sie die Leute aus ihren Häusern geholt haben, ihnen keine Zeit gaben, vernünftig zu packen, und sie zwangen, Sachen in zwei Koffer oder zwei Müllsäcke zu packen, und sie dann wegschafften. Sie haben die Japaner in manchen Fällen in Pferdeställe gesteckt. Die Rennbahn von Santa Anita war zu der Zeit quasi ein Gefängnis für japanische Amerikaner. Sie haben sie in Pferdeställe gezwängt, mit der Scheiße und dem Heu, bis die Lager fertig waren. Und als die Lager fertig waren, haben sie sie mit Stacheldraht und Türmen dort eingesperrt. Waffen haben ins Innere des Lagers gezeigt, nicht nach außen. Und dort sind Kinder aufgewachsen; mein Vater war drei Jahre alt, als das passierte. Er ist größer geworden und hat sich umgesehen und gedacht: ‚So sieht die Wirklichkeit aus.‘ Irgendwann haben sie es rausgeschafft. Sie sind zurück in ihre Häuser, aber die waren zerstört. Alles war kaputt und wurde geplündert. Wenn du japanisch-amerikanisch warst, konntest du auch kein Eigentum erwerben, du wurdest überall diskriminiert. In den Schulen, auf der Arbeit, es war verrückt.“

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Shinoda hat diese Trennung zwischen ihm und anderen Kindern früher ebenfalls gespürt. „Als ich ein Kind war, wussten [andere Kinder] nur, dass ich gemischter Herkunft bin. Sie wussten nicht, was ich war“, sagt Shinoda. „Viele Leute dachten, ich wäre Hispanic. Manche Leute wussten, dass ich asiatisch bin, aber sie wussten nicht genau was… Ich erinnere mich, dass ich einmal einen Freund zu Besuch hatte, der einen merkwürdigen Kommentar über unseren angeblichen Gärtner gemacht hat, worauf ich zurückblöken musste: ‚Das ist nicht unser verdammter Gärtner, das ist mein Vater, du Arschloch.‘ Der Rassismus war immer irgendwie da. Wir waren quasi eine Undercover-Minderheit.“ Diese Vorurteile verfolgten ihn lange: Als Shinoda das ursprüngliche Logo für Hybrid Theory an Linkin Parks Label schickte, wurde es von einem A&R abgelehnt, weil es „zu asiatisch“ aussah.

Als junger Mann besuchte Shinoda das Art Center College of Design im Süden Kaliforniens, quasi das Nonplusultra der Design-Hochschulen an der Westküste, und machte dort seinen Abschluss in Design und Illustration. Es war eine harte Schule, die er dort durchlief. Shinoda hatte fast das ganze Jahr über Unterricht, belegte sieben Kurse pro Semster und schlief oft nur wenige Stunden pro Nacht. Diese Zeit hat ihm ein dickes Fell verpasst, etwas, das sich später, im Zuge seiner polarisierenden Musikkarriere, als nützlich erweisen sollte.

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„Das Beste, was auf in der Kunstschule gelernt habe, war, Kritik auszuhalten und daraus zu lernen, weil wir das dort mussten—du hast vielleicht 40 Stunden für ein Projekt aufgebracht, sagen wir für ein Gemälde; du hast 40 Stunden an einem Gemälde gearbeitet“, überlegt er. „Und dann bringst du das mit, sie hängen es vorne hin und das Erste, was passiert, ist, dass Leute sich melden und sagen: ‚Also ich mag es nicht, die Komposition ist schlecht und dein Thema ist schwach und die Pinselstriche hättest du hier und da besser machen können.‘ Und dann lässt sich die ganze Klasse über deine Arbeit aus.“

Die meisten seiner Mitstudenten waren bereits in ihren 30ern, Shinoda hingegen gehörte zu der kleinen Gruppe von Studenten, die bereits mit 18 zugelassen worden war. „Wir alle, die wir direkt von der Highschool kamen, fanden direkt zusammen“, erinnert Mike sich. „Wir waren fast immer in den gleichen Kursen. Wir wollten ausgehen und abhängen, wenn wir Zeit hatten. Das war aber schwierig. Es gab keine Studentenwohnheime. Es gab keine Verbindungen. Es gab keinen Sport. Es gab nur Kunst.“ Seinen Abschluss machte er trotzdem. Ungefähr zur selben Zeit gründete er mit seinem Kommilitionen Joe Hahn und ein paar weiteren Freunden aus seiner Highschool-Zeit eine Band namens Xero. Eines der Mitglieder, Mark Wakefield, verließ die Band schnell, nachdem sich anfangs kein Erfolg einstellte. In der Folge holten die Jungs einen Sänger namens Chester Bennington an Bord und benannten die Band zunächst in Hybrid Theory und dann in Linkin Park um.

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Mit einem Sound, der Elemente von Hardrock, elektronischer Pop-Produktion und HipHop zusammenführte, fingen Linkin Park den Zeitgeist der frühen 2000er ein und wurden schnell enorm erfolgreich. Ihr Debütalbum, Hybrid Theory, so erklärt es Shinoda, „hat sich wie verrückt verkauft und die Singles waren so erfolgreich, wie eine Single im Radio es eben sein kann.“ Die Band hat sich eine treue Fanbase aufgebaut und bald Konzerte vor einem riesigen Publikum gespielt. Aber ihre Musik hatte auch ihre Gegner und Journalisten fragten sich, ob Linkin Park Pop-Songwriter und -Produzenten an Bord geholt hatten, um ihren Sound zu formen. Bald haftete ihnen das zumeist negativ konnotierte Label „Nu Metal“ an.

„Es gab die, die dieses Label nur abschätzig benutzt haben und eine klare Linie ziehen wollten—sie wollten uns hassen“, erklärt Shinoda. „Und das war der ganze Sinn, richtig? Diese Abfälligkeit. Die Leute denken, dass die Abfälligkeit, mit der häufig im Internet kommuniziert wird, eine moderne Sache ist—aber das stimmt nicht. Das gibt es schon immer. Damals haben wir das Wort Nu Metal logischerweise gehasst. Und wir haben immer gesagt, dass wir nicht die Fahnenträger für irgendeine Bewegung oder ein Genre sein wollen. In der Retrospektive haben wir unseren Standpunkt vielleicht ein bisschen zu aggressiv vertreten, aber zu der Zeit fühlte sich das angemessen an.“

2004 veröffentlichte Band dann Meteora, eine etwas komplexere Variante der Sounds und Strukturen, die auf Hybrid Theory zu finden waren, und wurden zu einer der größten Bands der Welt. Tatsächlich waren Linkin Park damals so groß, dass Jay-Z auf sie aufmerksam wurde und gemeinsam mit ihnen eine EP veröffentlichte, die den Titel Collision Course trug. Das Projekt zeigte damals, dass Linkin Park auch in der Welt des HipHop bestehen konnten.

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„Ich hatte immer das Gefühl, dass ich durch die Hintertür zum Rap gekommen bin“, sagt Shinoda. „Als Kind wollte ich immer Rapper sein und dann fing dieses Band-Ding an und ich dachte nur: ‚Oh cool, das macht richtig Spaß, über diese vermischten Rock-Electro-HipHop-Songs zu rappen‘ und im Mix, als wir alles fertig gestellt haben, ist es mehr zu der Rock-Seite gependelt und die Leute ordnen die Alben eher als Rock ein. Aber wenn du hinhörst, dann sind all die anderen Elemente auch da. Sie stehen nur nicht so im Vordergrund wie bei einigen unserer anderen Alben.“

Fort Minor nahm ebenfalls während der Collision Course-Sessions Formen an, als Shinoda sich wieder dem HipHop annahm. Er setzte sich mit dem Rap-Trio Styles of Beyond aus L.A. in Verbindung (alte Highschool-Freunde), um die Gruppe zu vervollständigen und das Ganze zu mehr als nur einem Mike Shinoda-Soloprojekt zu machen. „Ich fand, dass Leute, die aus ihrer Gruppe aussteigen und ihr eigenes Ding unter ihrem eigenen Namen machen, nach Aufmerksamkeit suchen“, sagt er. „Also habe ich es Fort Minor genannt, weil mir die Ästhetik besser gefiel.“

Die Direktheit von The Rising Tied ist unwiderstehlich. Bereits in den ersten 45 Sekunden von „Remember The Name“ hörst du alles, was du brauchst, um zu verstehen wie der Mindset bei den Aufnahmen des Albums war: „Fuck ’em“. Der Ausdruck fungierte als notwendiger Schutz gegenüber der Außenwelt. Linkin Park waren vielleicht berühmt, aber die Erwartungen an Fort Minor waren niedrig. Die Kritiker taten Shinodas Raps für Linkin Park oft als simpel und textlich einfallslos ab. Fuck ’em; Shinoda wird darüber rappen, wie er die entspannten Sommer beim Grillen mit einer Geliebten vermisst. Fuck ’em; er wird eine Story erzählen, die in einem einzigen Moment spielt und von Perspektive zu Perspektive springt. Fuck ’em; er wird darüber rappen, wie jeder im Büro ihm sagt, dass er lieber beim Klavierspielen bleiben soll. Fuck 'em, auch „Where'd You Go“, die zweite Single, chartet auf Platz 12 der Billboard Hot 100. Fuck 'em!

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Bei den MTV Music Video Awards 2006 öffnete Ne-Yo einen Umschlag in Form eines Klapphandys, um Fort Minor als Gewinner des ersten Best Ringtone-Awards für „Where’d You Go“ zu ehren. Im Video von damals sieht man, wie Shinoda ein bisschen über das Ergebnis lacht, mit den neben ihm stehenden abklatscht und auf die Bühne springt. Eine gelangweilte Rihanna sieht zu, während Shinoda eine lange Liste an Namen von Leuten, denen er danken will, vorliest. Dieser Moment war damals fürs Erste das Ende von Fort Minor. Linkin Park kamen zurück, machten vier weitere Platten und tourten zig mal um die Welt. Fort Minor wurde zu einer Art Fußnote in der Geschichte der Popmusik. Wenn du Linkin Park live gesehen hast, dann hast du dennoch gespürt wie Fort Minor sich ab und zu wieder den Weg an die Oberfläche gebahnt hat; aber dabei blieb es dann auch.

Zehn Jahre später kehren Fort Minor nun mit einem neuen Video und einem neuen Song namens „Welcome“ zurück. Jetzt ist es nur noch Shinoda, der im Vordergrund steht. Im Video sieht man ihn an der sonnigen Küste von Venice Beach, wo er ein großes Wandbild malt. „Welcome“ erforscht, wie die Kunst mit der Virtualität zusammenfindet, indem er fragt, wie wir Kunst und Menschen in einer 3D-Welt sehen. Was wird aus der Kraft des Designs, wenn du sie ins Weltall bringen kannst? Es ist auch ein Aufruf an die Entrechteten oder Leute, die sich alleine fühlen. Textlich gesehen richtet er sich an die, die das Gefühl haben, dass sie nicht reinpassen oder nicht akzeptiert werden.

Fort Minor ist ein Projekt, das vom Finden einer Identität handelt. Sowohl von der Identitätsfindung einer Person mit einem multietthnischen Hintergrund, die vor Ausgrenzung flüchtet, als auch von der eines Musikers, der daran interessiert ist, sich über Genregrenzen hinwegzusetzen. Am Ende unserer Unterhaltung erzählt Shinoda mir davon, wie Linkin Park das erste Mal in Japan auf Tour waren. „Ich war noch nie dort und dann stieg ich aus dem Flugzeug und der Flughafen roch wie das Haus meiner Tante. Es hat mich sofort getroffen und das auf nich gerade subtile Weise. Sondern eher so: ‚Oh mein Gott, dieses ganze Land fühlt sich vertraut an!“, sagt er und lacht.

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