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Interviews

Marteria kann man gut dissen

Ihr möchtet mal etwas Kritisches über Marteria lesen? Wir können damit nicht dienen, aber Marteria kann sich ganz gut selbst dissen.

Fotos: Jan Kapitän

Es ist unmöglich, nicht mitbekommen zu haben, dass Marten Lanciny aka Marteria diese Woche sein neues Album Zum Glück in die Zukunft II veröffentlichen wird. Marteria ist momentan überall, alle reißen sich um ihn und keiner verliert ein schlechtes Wort über den Rostocker: welch intelligenten Texte und fetten Beats (dank The Krauts), wie charmant und talentiert er ist und ach, er ist so ein schöner Mann. Er scheint geradezu perfekt, Everybody's Darling. Nicht, um jemanden zu enttäuschen, aber diese Einleitung wird jetzt nicht darauf hinauslaufen, festzustellen, dass Marteria gar nicht so perfekt ist und allgemein überschätzt wird. Ich kann all dem nur zustimmen. Ach, er ist aber auch wirklich so ein schöner Mann. Und falls doch jemand Kritik und einen nötigen objektiven Blick auf diesen Künstler vermisst, keine Sorge: Marteria erledigt das im Interview für uns und disst sich einfach selbst. Wie gesagt, er ist eben perfekt.

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Noisey: Hi. Wie geht‘s dir?
Marteria: Gut, nur tierisch gestresst… Quatsch, null.

Du bist ernsthaft nicht gestresst?
Es ist ja jetzt der Anfang der Promotage, was natürlich immer viele Interviews bedeutet, aber wir wollen ja unsere Platte präsentieren und haben was zu erzählen.

Du bist Everybody‘s Darling in der Rap- und Medienlandschaft…
Ich wurde aber auch schon gedisst, so ist es nicht. Everybody‘s Darling, OK, es gibt viele Leute, die sich vielleicht auf die Musik einigen können, aber wir leben ja nicht davon, dass wir dissen oder so. Unsere Musik ist etwas anderes.

Ich habe immer das Gefühl, es ist unmöglich, ein schlechtes Wort über dich zu hören oder zu finden.
Tja. Aber ich finde Modelkarriere kann man schon krass dissen (lacht). Da gibt man schon ein großes Feld, wo man was gegen sagen kann. Rostocker. Schauspielstudent, die schlimmsten Menschen. Fußballer, alle dumm.

Eigentlich wolltest du dich doch positiv präsentieren.
(lacht) Ich sag das ja nur, weil du meintest, es ist unmöglich. Das war jetzt nur ein Witz.

Angesichts der Tatsache, dass Zurück in die Zukunft eine Trilogie ist, bedeutet das, dass wir es hier erst mit dem zweiten Teil von dreien zu tun haben?
Nein, und zwar weil der dritte Teil scheiße war. Das war dieser Western-Film. Die einzige Möglichkeit, das so zu machen—weil es ja schön wäre, eine Trilogie zu haben—wäre, das Album scheiße zu machen. Und darauf habe ich keinen Bock. Deswegen wird es einfach nur ein Zweiteiler, glaube ich. Oder ich mache so ein Western-Album. Fettes Brot haben das ja auch gemacht.

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Inwiefern war es dir wichtig, dass dieses Album eine Fortsetzung ist?
Sehr wichtig. Das war im Kopf, ich habe das zwar nicht laut ausgesprochen, aber es war für mich von Anfang an klar, dass es ein zweiter Teil wird. Erstens mag ich die Ästhetik daran und zweitens war der zweite Film Zurück in die Zukunft 2 mein Lieblingsfilm. Und die Thematik Zum Glück in die Zukunft ist nicht auf einer Platte erledigt. Es gibt ja auch immer so einen Parallelsong auf der zweiten Platte zur ersten Platte. Ich brauche auch die zwei Platten, um alles, was zu dem Thema Zum Glück in die Zukunft gehört, zu erzählen. Zum Glück geht es ja in die Zukunft, das ist auch so eine Doppeldeutigkeit.

Das war also schon bei der ersten Platte geplant?
Ja.

Hast du dir währenddessen schon überlegt, welche Themen du beim nächsten Album behandelst?
Genau. Zum Beispiel bei dem Song „Louis“ über meinen Sohn auf dem ersten Teil geht es um eine Sammenzelle, die sich gegen 300.000 andere durchsetzt und reinknallt. Aber am Ende hat es doch nicht geklappt, Frau ist weg, der Plan ist nicht so aufgegangen. Und jetzt gibt es diesen Song, in dem es darum geht, 24 Jahre alt zu sein und diese zehn Minuten vor dem Krankenhaus zu verbringen. Deine Braut liegt mit Wehen da und gleich kommt dein Kind und die Gedanken schießen durch den Kopf. Damals habe ich auch ein paar Sachen aufgeschrieben. Das hätte man theoretisch auch auf die erste Platte packen können, aber so ein Song ist sehr schwer. Er darf nicht peinlich sein, muss cool sein, muss Eier haben und soll dich auch berühren, aber nicht auf so komische Art und Weise. Das ist ja auch ein Parallelding. Ich finde es ganz interessant, auf der zweiten Platte, diesen Song zu machen, darüber, dass er gleich kommt. Auch dass man einen Song darüber schreibt, wie man 24 ist, keine Kohle hat, alles scheiße ist, Zukunft, was mache ich, jetzt auch noch Vater… Und sich trotzdem freuen, weil es in fünf bis zehn Minuten losgeht und dann ist von heute auf morgen alles anders. Das finde ich ganz schön, dass das so parallel ist.

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Glaubst du, dass man früher oder später als Rapper Schwierigkeiten bekommt, Texte zu schreiben?
Ich glaube nicht. Keine Ahnung, was dann ist. Aber ich denke, Texte gibt es immer. Es kommt darauf an, wie viel Inspiration man hat. Wenn ich die ganze Zeit im Schrebergarten sitze, dann eher nicht. Es gibt ja auch Blockaden. Ich habe das bis jetzt noch nicht. Ich gehe sehr locker und leicht mit dem Thema Text um, ob es beim Duschen oder auf dem Klo sitzen ist, dann kommt eben irgendwas und schon hat man einen Text. Es gibt so viele Themen und so viel Zeug. Ich kann auch gleichzeitig mit Marsimoto Sachen machen, die in einer ganz anderen Welt sind. Das ist eine Voraussetzung, du kannst über alles und jeden ein Lied machen. Über diese Blume hier, die Kaffeemaschine da vorne. Kaffeemaschine, alles klar, Büro, Büroetage, Stromberg, der Kaffee ist schlecht, einer kippt falschen Kaffee rein, in dem Marihuana ist, weil er es aus Südamerika gezogen hat, und schon gibt es eine Geschichte für ein Lied.

Dann geht auch ein Lied über den Schrebergarten.
Darüber geht ein super Lied. Das wird wahrscheinlich sogar ein Hit—wenn das die Sportfreunde Stiller machen würden.

Wärst du gern noch mal 20?
Niemals. Horror. Ich bin tatsächlich ein Verfechter von Altwerden. Ich finde das voll geil, älter zu sein als jünger. Schule ist mir immer tierisch auf den Sack gegangen. Wenn ich jetzt aufwache, weil die Feuerwehr auf der anderen Straßenseite so laut ist, denke ich mir immer: Fuck, damals musstest du jetzt aufstehen. Unmenschliche Zeiten, 6.45 Uhr die S-Bahn kriegen. Und irgendwann kam jemand auf die Idee, die nullte Stunde einzuführen. Dann gab es nicht die erste Stunde um 7.30 Uhr, sondern die nullte Stunde um 7 Uhr. Ganz schlimme Zeiten. Dann noch daran zu denken, seine komischen Taschen mitzunehmen, eine Sporttasche, eine Kunsttasche und eine Flöte… Horrorzeiten. Dann Ausbildungssuche, wenn man eine hat, hat man eh kein Bock drauf, und dann steht man vor dem Nichts. Ganz schlimm dieses Alter. Ständig Nebenjobs, kellnern, immer ungewiss, immer nervig. Ich finde es schön, alt zu sein, Sachen erzählen zu können und einen Punkt zu setzen und nicht immer ein Fragezeichen.

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Aber das ist doch auch aufregend?
Null. Also klar ist das irgendwie aufregend für viele Leute. Aber ich glaube, wenn im Erwachsenenalter dein Leben nicht so verläuft, wie du es dir vorgestellt hast oder einen Job hast, den du nicht magst, du aber früher eine schöne Zeit gehabt hast, dann guckst du natürlich zurück und denkst: Das war so geil! Aber das habe ich ja nicht. Ich bin ja total glücklich. Ich habe mir meinen Traum erfüllt, Musik zu machen. Also bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Und je älter ich werde, desto weiser werde ich und desto weisere Dinge kann ich erzählen. Ich kann reisen, ich kann auf‘s Land fahren, ich kann ohne Navigationssystem 400 Kilometer ins Landesinnere fahren und finde was. Wie cool ist das denn? Das konnte ich früher nicht.

Du hast dir allerdings auch schon alle feuchten Träume pubertierender Jungs erfüllt mit Fußballer, Model und Rapper…
Naja, was heißt erfüllt. Ich habe es ausprobiert und nicht beendet. Ich habe es gemacht, aber nicht erfüllt. Ich habe mein Leben lang Fußball gespielt so wie jeder Zweite. Ich war ganz gut, aber habe es nicht erfüllt, indem ich Profi wurde. Dann habe ich Modeln angefangen, habe es aber nicht erfüllt, weil es ein Scheißjob war und ich eh nie Bock darauf hatte. Schauspieler sein, ist unfassbar nervig—alles Alkoholiker, rotweintrinkende Leute, im Mittelpunkt stehende Menschen, alle zugekokst—OK nicht alle, das ist jetzt ein bisschen übertrieben… Aber die eine Sache, die ich immer gemacht habe, ist Musik. Man kann alles machen, kreativ sein, man hat immer mal 2-3 Jahre Pause zwischendurch… (lacht)

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Bei dir ist das aber eher nicht so, oder?
Na, kommt darauf an. Aber nee, ist ja nicht so, dass ich mich irgendwann an den Pool setze. Aber es gibt eine Sache, die ich immer in meinem Leben wollte, und das ist ausschlafen. Ich wollte immer morgens ausschlafen können. Und das habe ich mir erfüllt. Ich könnte jetzt auch ganz zurückgehen auf 100 Fans und in Jazzclubs spielen. Solange ich ausschlafen kann, ist alles gut.

Ich verstehe jetzt die Motivation. Du sagst auf deinem Album ja, dass die Welt voller Wunder ist. Worüber wunderst du dich am meisten?
Das größte Wunder ist schon das, was im Song thematisiert wird, dass man das überhaupt erleben kann. Die Leute sehen das nicht mehr. Die setzen eine Steuererklärung höher an als das. Im Endeffekt bist du von Anfang an als Mensch ein krasser Gewinner, was auch immer dann auf dem Planeten an sich passiert. Erstmal setzt du dich gegen 300.000 andere durch. Hallo? Das ist ein Sechser im Lotto mal eine Milliarde, das musst du erstmal schaffen. Dann hast du die Möglichkeit zu leben und dann vergessen alle dieses Wunder und es ist nur wichtig, dass die Heizkosten bezahlt werden. Klar müssen die bezahlt werden, aber das ist nicht wichtig, das hat nichts mit dem Glück im Leben zu tun. Die Leute sollen positiv denken und glücklich sein, wenn sie morgens aufwachen. Ich kenne das auch, nicht glücklich zu sein und unfassbar viele Sorgen zu haben. Wie kriege ich diese Rechnung bezahlt? Wie schaffe ich das? Und im Endeffekt sind es Dinge, die nicht viel Geld kosten, kleine Dinge, kleine Hobbys, wie dein Fußballverein zu supporten, wie angeln zu gehen, oder irgendwas, was einem Spaß macht. Das kann jeder Mensch machen und das ist das größte Wunder überhaupt.

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Auch, dass wir hier sitzen und ein Interview führen, ist ein großes Wunder. Nur weil dein Vater irgendwann mal gesagt hat: „Ich zieh' den schon rechtzeitig raus“, genauso wie meiner, sitzen wir jetzt hier (lacht). Das hätten auch ganz andere sein können, die ganz anders denken und in ganz andere Richtungen gehen. Das ist sehr, sehr verrückt. Man sollte darüber öfter mal nachdenken. Es sind die großen Dinge, weswegen ich auch dieses Lied gemacht habe, und die sehen die Leute eben nicht. Irgendwelche Glatzen laufen in Hellersdorf rum und sagen: Hier dürfen keine Asylanten…ach, haltet einfach die Fressen! Das ist bescheuert. Ihr seht einfach nicht, was für ein Glück ihr habt und ihr verschwendet eure Zeit mit so einem Scheiß.

Du hast offensichtlich eine Intention hinter deiner Musik…
Immer.

…nervt es dich dann, wenn Leute deine Texte nicht verstehen? Ich erinnere mich an einen Facebookpost deines Labels mit dem Satz „Revolution wird mit R geschrieben.“
Ja, super, ne? Aber das war ein Tippfehler. Klar verstehen die das, aber die schreiben sowas einfach schnell. Ich habe mich natürlich totgelacht und gesagt: Seid ihr bescheuert? Aber sowas passiert nun mal. Wenn jemand Marteria ohne r schreibt, dann ist mir das egal. Das macht er nicht, weil er mich hasst, sondern weil er ein Fehler macht und Fehler sind sehr, sehr wichtig.

Und abgesehen von den Fehlern?
Naja, du kannst ja ganz einfache, belanglose Musik machen, die nicht aneckend ist oder wo die Leute nie etwas falsch verstehen können. Meine Musik ist ja manchmal etwas quer denkend, sehr oft doppelter Boden, dreifache Bedeutung. Da kann ich nicht verlangen, dass das sofort jeder versteht. Ich finde es umso schöner, wenn jemand nach einem Jahr noch Sachen erkennt. Und wenn sie es nie erkennen, ist es auch gut, solange sie verstehen, was ich meine. Ich kann auch nicht verlangen, dass ich eine bescheuerte Idee habe, mit einen Joint im Mund und denke: „Höhö, das ist ein Witz.“ Ich kann nicht davon ausgehen, dass Ute aus Paderborn, die gerade bügelt, das auch sofort versteht. Das kann man nicht verlangen. Im Endeffekt geht es um Einstellungen und darum, dass Leute den Weg, den wir in der Musik gehen, mit uns gehen und das mögen.

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Für wie wichtig empfindest du Humor im HipHop?
Sehr wichtig. Damit steht und fällt alles. Natürlich mögen wir Witze und sind humoristische Menschen. Rostocker sind im Allgemeinen ja auch bekannt als das lustigste Volk Deutschlands. Ich finde es auch gut, dass die ganze Gangster-HipHop-Welt sehr humoristisch geworden ist. Menschen mit Humor beweisen auf jeden Fall immer einen hohen Anteil Intelligenz. Humor ist was Intelligentes. Das vergessen viele Leute.

Ich muss dich jetzt noch auf den Marsimoto-Mythos ansprechen. Stimmt es, dass du Quasimoto damals einen Brief geschrieben hast und ihn um Erlaubnis gefragt hast?
Ja, das stimmt. Das habe ich mit Stefan Szillus, der alte Juice-Chefredakteur, gemacht. Der kannte ihn und hatte ihn öfter mal interviewt. Und dann habe ich mit ihm zusammen im Büro angerufen und gefragt, ob das cool ist, weil es ja eine Hommage an ihn ist. Er war sozusagen der Mentor des Ganzen. Als wir das damals gemacht haben, fanden die Leute in unserem Freundeskreis das einfach witzig.

Hast du eigentlich aufgehört zu kiffen?
Nein! Also eindeutig weniger, weil ich gerade in der Marteria-Phase und nicht in der Marsimoto-Phase bin. Ich bin auch nicht der Morgensaufsteher-Kiffer-Typ, ich bin der Party-Kiffer oder ab und zu im Studio. Ich bin jetzt nicht so, dass ich mir ständig Weed hole, weil ich sonst verrückt werde. Aber wenn die Marsimoto-Zeit beginnt, fahren wir alle nach Jamaika und nehmen eine neue Platte auf. Und dann kiffen wir natürlich auch. Kiffen ist super!

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Unterscheidet sich das wirklich so krass?
Voll. Ich brauche den Vibe einfach für Marsi, dass man ein bisschen stoned ist und die Laune hat. Bei so einem Wetter könnte ich keine inspirierende Sachen schreiben für Marsi. Dann wäre das so ein kaltes Depeche-Mode-Marsi-Album. Das will ich nicht. Das muss so einen südländischen Vibe haben. Letztes Mal waren wir in Spanien, das war perfekt und diesmal geht es nach Jamaika.

Zum Glück in die Zukunft II erscheint am 31. Januar bei Four Music (Sony Music). Holt es euch bei Amazon oder iTunes.

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