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Wir waren im coolsten, schwimmenden Tonstudio der Welt

Ben Philips hat ein Londoner Leuchtturmschiff zu einem Tonstudio umgebaut.

Ben Phillips hat euch durchschaut. Anstatt tausende von Euros auszugeben, um für sein Studio Werbung zu machen, lässt er einfach die Bands selbst die frohe Kunde verbreiten. Denn die sind alle so geil drauf, damit anzugeben, bei ihm aufgenommen zu haben, dass sie Facebook, Twitter, Instagram und Tumblr mit ihren Bildern zu müllen und so weiß bald die kleinste Coverband aus Mühlhausen, wer Ben Phillips ist. Was an seinem Studio so toll ist? Ach nichts eigentlich. Außer dass es mitten in East London auf einem alten, riesigen Leuchtturmboot ist und deshalb Lightship95 heißt. Außerdem ist Ben Phillips einer der angenehmsten Zeitgenossen überhaupt. Warum? Weil er kein Facebook, Twitter, Tumblr oder Instagram hat, sondern sich einfach darauf konzentriert, das zu tun, was ein guter Produzent und Soundtechniker tun sollte: Gut aufnehmen. Dabei scheißt er auf digitales Equipment und sterile Studio-Schwanzvergleicherei. Er will den Moment klingen lassen. Musik soll gespielt werden. Nicht diskutiert. Also studier du mal schön weiter Musikwissenschaften oder geh an die Popakademie und bastel an deiner perfekten Karriere als Rädchen in der Maschine der Industrie. Größe passiert woanders. Wer schon bei ihm aufgenommen hat? Ach nur Mazes, Paws, Noisettes, Minus The Bear, Dry The River, Keaton Henson, Micachu and The Shapes, Pucifer, Veronica Falls, Big Deal, Male Bonding, Novella …

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Noisey: Wie bist du auf die Idee gekommen, auf einem ausrangierten Leuchtturmboot ein Studio aufzumachen?
Ben Phillips: Ich habe vier Jahre lang nach passenden Räumlichkeiten gesucht. Nach etwas Einzigartigem. Ich habe eine alte Kapelle angesehen und ein viktorianisches Haus. Außerdem noch ein verfallenes Gebäude im Hafen in Kent. Aber wenn du ein Studio aufmachen willst, dann musst du dich mit so viel Bürokratie und anderem Scheiß auseinandersetzen—weißt du, einerseits wollen sie, dass du was „Kreatives“ machst, aber wenn es darauf ankommt, legen sie dir Steine in den Weg. Also habe ich begonnen, mich zu fragen, woher ich einen Raum bekomme, der groß genug ist, aber auch einzigartig. Also habe ich angefangen nach Lastschiffen zu suchen. Ich wollte einfach eine riesige Halle haben. Doch dann entdeckte ich dieses Schiff. Es war zwar mehr Arbeit, es umzubauen, als mit einem Lastschiff, doch ich konnte es so unterteilen, dass ich auch darin wohnen kann. Raum ist teuer in London … also war es eigentlich Verzweiflung, was mich dazu getrieben hat. Sogar große Studios machen hier mittlerweile dicht, weil es einfach zu teuer ist.

Du hast jetzt also einen dicken Vorteil gegenüber anderen Studios in London.
Ja schon. Und die alten Studios Londons, die es seit Jahrzehnten gibt, werden zu Wohnungen umgebaut. Die großen Plattenlabels verkaufen ihre Studios.

Wieso das?
Weil ihnen das Internet das Geschäft ruiniert hat. Studios lohnen sich nicht mehr.

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Oder sie wollen sie sich einfach nicht mehr leisten.
Ja das auch. Und es gibt immer weniger wirklich gute Tonstudios mit gutem Equipment in einer guten Räumlichkeit. Das sind irgendwelche Rumpelkammern wo du aufnehmen kannst, aber sie klingen einfach beschissen. Klar ist das hier ein wirtschaftlicher Vorteil auf dem Boot, aber es ist auch ein großartiger Ort zum Aufnehmen.

Hast du eigentlich mal selbst in Bands gespielt?
Ja. Als Sänger und Drummer. Hardcore und Punk-Bands

Name?
Willst du nicht wissen. Willst du auch nicht hören.

Hahaha. So schlecht?
Ja. Haha.

Du machst eigentlich gar keine Werbung für dein Studio. Wie werden die Leute auf dich aufmerksam?
Mund zu Mund. Aber dieser Ort ist ja auch ein super Gesprächsthema. Es bleibt leicht hängen. Musiker reden ja auch untereinander. Die wollen angeben, wo sie was aufgenommen haben und so verbreitet es sich. Und jeder, der hierher kommt, macht Fotos und lädt sie auf Facebook, Twitter und wie heißt der andere Scheiß? Instagram?

Hahaha. Ja so heißt das.
Die machen Werbung für mich. Ich muss da nichts tun.

Perfekt. Das spart dir einen Haufen Geld und Zeit.
Total. Außerdem ist es ja so, dass du—vor allem in der kreativen Branche—niemandem sagen darfst, dass etwas cool oder hip ist. Dann ist es sofort uncool. Du musst warten, bis die Leute von selbst drauf kommen. Den Leuten taugt es, wenn sie denken, sie hätten etwas als erstes entdeckt.

Du hast also die ganze Hipster-Scheiße durchschaut.
Ja. Du brauchst zwar ein bisschen mehr Geduld, aber auf lange Sicht ist das so effektiver. Ein Studio ist eine langfristige Investition, da darfst du keinen Erfolg über Nacht erwarten. Du musst es aufbauen, aufbauen, aufbauen. Sobald genügend Leute darüber reden, brauchst du nicht mehr viel zu tun, außer gut zu sein.

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Wann hast du angefangen, das Schiff umzubauen?
Ich habe es im August 2008 gekauft und Ende 2008 damit begonnen, es umzubauen. Dann habe ich es hierher in die Trinity Buoy Warf in East London karren lassen und die Arbeiten beendet. Das brauchte etwa noch ein Jahr. Das Studio ist seit 2010 in Betrieb.

Wie viel Geld hast du etwa reingesteckt?
Etwa eine halbe Millionen Pfund. Aber das Schiff ist schon mehr wert. Vor allem, weil es ja auch Wohnraum hat. Es ist wie ein großes Haus mitten in London. Wenn also richtig beschissen läuft mit dem Studio, habe ich wenigstens noch ein Haufen Kohle. Haha.

Hast du Tontechniker eigentlich gelernt oder studiert?
Nein. Nur learning by doing. Ich habe mal angefangen Tontechnik zu studieren, aber das ist so lächerlich. Die Lehrer haben ja selbst keine Ahnung von der echten Welt. Die haben das studiert und sind dann direkt an der Schule geblieben. Das bringt nichts. Selber machen und ausprobieren und ein gutes Verständnis für Physik reichen aus.

Wie arbeitest du mit Bands als Tontechniker und Produzent?
Ich arbeite am liebsten mit Leuten, die wissen, was sie wollen und die ich nicht an der Hand nehmen muss. Es gibt Bands und Musiker, die kommen ins Studio und erwarten, dass alles von alleine passiert. Das hasse ich. Die müssen ihren Teil schon beitragen. Das Problem heute ist wirklich das digitale Aufnehmen, bei dem du alles immer wieder und wieder wiederholen kannst. Ich benutze daher analoges Equipment. Digital verführt dazu, alles ewig perfektionieren zu wollen, bis der eigentliche Klang kaputt ist. Natürlich ist analog beim Mixing anspruchsvoller und limitierter. Aber du musst auch Entscheidungen schneller fällen und dich auf Sachen festlegen.Das ist gut. Ich finde das ist ein Riesenproblem heute, dass Leute sich nicht mehr festlegen können, weil ihnen ständig alles zur Verfügung steht. Wir haben zu viel Auswahlmöglichkeit und die Leute sind immer verängstigter, etwas festzumachen. Aber wenn du dich nicht festlegen kannst, dann gibt es auch keine echte Kreativität mehr.

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Die Kreativität geht in einem Optimierungsprozess verloren.
Ja! Idealerweise nehme ich Bands daher live auf und mache nicht zu viele Takes. Wenn sie scheiße spielen, dann klingen sie auch beschissen. So ist das nun mal. Wenn aber eine gute Band kommt, die trotzdem alles hundert Mal aufnehmen will, dann wird es schwierig etwas Besonderes in der Aufnahme einzufangen. Wenn einfach nur jeder einzelne Takt optimiert wird und du dich nur auf dumme Details konzentrierst, dann kommt nichts rüber. Denn beim Aufnehmen geht es darum, die Leute in ihren besten Momenten einzufangen und nicht darum einen perfekten Klang zu kreieren. Und das ist es, was vielen Aufnahmen fehlt. Das digitale Aufnehmen hat diese Scheiße mit sich gebracht. Jeder denkt stundenlang über Details nach und nichts passiert. Musik ist aber nichts, worüber du nachdenken sollst. Sie will gespielt werden. Die kleinen Fehler geben dem ganzen erst Charakter. Das macht es spannend. Ich genieße genau diese Momente.

Glaubst du, dass das Schiff die Art ändert, wie die Bands spielen und arbeiten? Was ist da deine Erfahrung?
Na ja, für London ist das hier ein sehr ruhiger und entspannender Ort. Das hilft den Leuten dabei, sich zu konzentrieren, glaube ich. Ein paar Bands meinten auch schon, dass diese kleine Entfernung vom Festland ihnen schon hilft, sich mehr auf ihre Arbeit zu fokussieren. Außerdem habe ich versucht, den Ort nicht zu steril zu machen. Es ist zwar ein Studio voll mit dem besten Equipment, aber es sieht nicht aus wie das Wartezimmer eines Arztes. Eher wie ein Wohnzimmer. Es gibt so viele große Studios, die so abartig hässlich sind. Vollgeklatscht mit beschissenen Ikea-Wandpostern und einer geschmacklosen, klinisch reinen Einrichtung. Deine Umgebung spielt eine wichtige Rolle, vor allem als Musiker. Wenn du dich nicht wohl fühlst, kannst du gerne vor einem 20.000 Euro teuren Mikrofon stehen. Da hast du nichts davon.

Da hast du natürlich Recht. Was kotzt dich denn so richtig am Music Business an?
Ich finde, es gibt keinen echten Mut mehr. Ich höre oft das Gleiche. Musiker nutzen die Musik nicht mehr als das großartige Medium, das es eigentlich ist. Jeder spielt den gleichen Rotz und sagt das Gleiche. Die achten zu sehr darauf, was von ihnen verlangt wird. Alle sausen umher, um irgendwo hinzukommen und wissen nicht mal wofür und kopieren alles, was gerade passt. Ich will mal wieder zu einer Show gehen, bei der es gefährlich wird. Woʼs eine Herausforderung gibt.