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„Lehrgeld habe ich genug bezahlt“—Der Plusmacher im Interview

Selbst der Plusmacher hat schon mal Minus gemacht, denn ohne Minus kein Plus. Wir trafen ihn und sprachen über das neue Album, die AON-Familie und die Mathematik der Straße.

Selbst der Plusmacher hat schon mal Minus gemacht, denn ohne Minus kein Plus. Das gibt der sympathische Magdeburger ohne Umwege zu. Mit ihm könnte bald der nächste Dealer weit oben in die Charts einsteigen. Denn für sein neues Album Die Ernte hat er zusätzlichen Rückenwind von der AON-Crew bekommen. Gemeint sind die Macher des Labels Alles oder Nix, die mit Kopfticker ein neues Label gegründet haben, um auch denjenigen eine Plattform zu bieten, die nicht schon immer zum engen Freundeskreis gehörten, aber musiktechnisch genauso dope sind. Plusmacher ist das erste und bisher einzige Signing und die Zusammenarbeit vielversprechend. Denn nicht nur das Umfeld ist ein ähnliches, sondern auch über die Vorstellungen von ansprechendem Straßenrap scheint man sich einig zu sein. Außerdem hatte der Plus zum Macher mit seinen Vorgänger-Alben Bordsteinwirtschaftslehre und Freie Schwarzmarktwirtschaft sowie einigen Videosingles schon hinreichend auf sich aufmerksam gemacht. Nach einem Besuch auf einem seiner Livegigs war Dingens, Labelmanager von AON, schließlich restlos überzeugt von seinen Qualitäten.

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Zum Interview trafen wir den Plusmacher an einem Samstagnachmittag in seiner E-Klasse und sprachen über Tracks von seinem neuen Album, seinen Umzug von Magedeburg nach Berlin, die Pegida-Bewegung und die vermeintlichen Unterschiede zwischen Wessis und Ossis.

Noisey: Seit wann rappst du eigentlich schon?
Plusmacher: Seit zehn Jahren locker. Mit 15, 16 habe ich angefangen. Das erste Mal einen Text geschrieben habe ich schon etwas früher, so mit 14.

Hast du mittlerweile eine bestimmte Methode oder Herangehensweise, wenn du einen Track schreiben willst? Inhaltlich ist ja vieles sehr ähnlich.
Eigentlich nicht, ne. Die Thematik, die den Track prägen soll, habe ich vorher schon irgendwie im Kopf. Wenn ich dann schreibe ist es aber oft so, dass sich viel wiederholt. Aber ich weiß ja auch, dass ich das kann und dass es gut ankommt. Warum sollte ich jedes Mal was Neues machen? Außerdem macht mir das, was ich gerade mache auch am meisten Spaß.

Du bist ursprünglich Magdeburger, oder?
Ja, genau.

Was hat dich denn nach Berlin verschlagen?
Letztendlich war das schon der Traum, mit der Mucke so richtig an den Start zu kommen. In Magdeburg war halt alles ausgeschöpft, was ich hätte machen können. Dort gibt es halt leider keine Strukturen wie hier in Berlin—ob das jetzt Journalisten, Agenturen oder Labels sind. Und es gab da auch andere Probleme. Ich musste da auf jeden Fall weg, sonst wäre ich verhaftet worden.

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Ok…
Viele Jungs von mir waren schon ins Gefängnis gekommen und haben teilweise drei Jahre Strafe abgesessen. Ich stand oft in deren Akten drin. Ich wusste sogar, dass ich eine eigene Akte hatte. Die Stadt war irgendwann einfach zu klein. Ich war schon viel zu lange aktiv. Es hätte nicht lange gedauert bis Scheiße passiert wäre.

Foto: Stefan Cleef

Seit wann bist du denn jetzt in Berlin?
2011, 2012. Ich war schon davor oft in Berlin. Einige Jungs vom Hassel [Anm.: Der Hasselbachplatz in Magdeburg, nach dem auch ein Track auf „Die Ernte“ benannt ist] hatten viele Kontakte in Berlin und so ist das halt entstanden.

Deine Karriere hast du also schon in Magdeburg gestartet. Hast du damals schon Konzerte gespielt?
Ja, und das ist heute auch einer meiner Vorteile. Ich bin alte Schule. Schon mit 15, 16 habe ich viele Konzerte gespielt. Wir sind auch in irgendwelche kleinen Kack-Städte gefahren und haben vor 15 Mann gespielt (lacht). Damals ist dann ein Kollaboalbum mit Fresh Face entstanden, einem meiner besten Freunden, mit dem ich auch heute täglich abhänge. Mit dem hat diese ganze Rapscheiße damals eigentlich angefangen. Mittlerweile habe ich vier Platten pressen lassen.

Auf dem neuen Album Die Ernte gibt es den Track „Jobcenter-Gangsta“, wo es unter anderem darum geht, wie es ist, jeden Tag auszuschlafen. Und es gibt andererseits den Track „Wir sind Gees“, in dem es um wohl verdienten Wohlstand geht. Wie passen Jobcenter und Wohlstand eigentlich zusammen?
(Lacht laut) Ey Dicker, alle Jungs von der Straße—und ich kenne die krassesten Typen, die richtig Knack [Anm.: Gewinn] machen—lassen sich ihre Bude trotzdem noch vom Amt finanzieren. Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber man muss halt gucken, wo man den Staat drankriegen kann. Dort passiert immer so viel Scheiße und so viel Mist. Wenn es halt die Möglichkeit gibt, dann … lässt man sich das ja auch nicht durch die Finger gehen.

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Im Titeltrack „Ernte“ sagst du in der Hook: „Trotz Razzia und Fahndung sorgt er für Umsatz am Bahnhof.“ Musstest du eigentlich schonmal in den Bau?
(Klopft aufs Armaturenbrett) Ne, noch nicht.

Toi toi toi.
Aber ich hatte die Bullen auf jeden Fall schon so richtig an der Backe—mit Wanze am Auto und so. Das war eine offensichtliche Observation, sodass ich irgendwann permanent mitbekommen habe, dass die an meinem Arsch waren, egal wo ich war. Die haben schon richtig Druck gemacht. Ich habe die Ziften schon erkannt und dachte nur noch: Ach, die schon wieder. Die können mir letztendlich ja eh nichts. Ich bin kein Dummer. Aber wenn du schläfst und denkst, dass sie dir vielleicht gleich das Brett eintreten, ist das schon Kopfkrise. Oder irgendein Otto kackt dich einfach nur an. Es gibt ja tausend Möglichkeiten, die das Eis immer dünner werden lassen.

Foto: Stefan Cleef

Ein anderer Track auf dem neuen Album heißt „Schuhkarton“. Da heißt es: „Ich bin Deutscher, aber komme mit der Ausländermasche“ oder es ist die Rede von deinem „Antikripo-Bandito-Flow“. Ist das Deutschsein ein großes Thema für dich?
Ja.

Wirst du oft damit konfrontiert?
Was soll ich sagen, Digga—90 Prozent meines Freundeskreises sind Kanacken. Als Deutscher biste halt immer so der Deutsche.

Wird das also oft erwähnt?
Ach ne, Quatsch! Mit dummen Sprüchen habe ich nie zu tun gehabt. Und wenn, dann habe ich das direkt geregelt. Deutscher bin ich aber trotzdem. Ich sage das manchmal einfach, weil es im Gangsterrap in Deutschland einfach eine Rarität ist, ein stabiler, guter Straßenrapper auf deutsch zu sein. Dominierend sind eigentlich immer Straßenjungs mit Migrationshintergrund gewesen. Deswegen ist es auch etwas schwieriger, sich da richtig durchzusetzen und zu präsentieren. Das soll natürlich kein Rumgeheule sein.

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Viele gibt es wirklich nicht.
Wirklich wenige. Die 187er gibt es noch und meine Wenigkeit. Und Fler ist noch am Start.

Aber der ist vielleicht etwas zu deutsch.
(Lacht) Ja, Fler… Ich finde Fler cool, wenn ich ehrlich bin. Ich meine, er ist schon ewig am Start und so, aber auch egal jetzt. Besonders viele Gedanken habe ich mir jedenfalls auch nicht dazu gemacht. Die sagen auch: Ich bin ein Türke, oder: Ich bin ein Afghaner. Dann habe ich einfach mal gesagt: Ich bin ein Deutscher. Diese Line hat für micht nicht viel Gewicht gehabt.

Hattest du denn manchmal den Eindruck, dass du bei diversen Aktivitäten Vorteile dadurch hattest, dass du Deutscher bist? Thema: Racial Profiling.
Ach, ob du jetzt deutsch bist oder nicht—wenn du zu krass durchdrehst und die eine SoKo ansetzen, dann würden die dich ficken, ob du nun Deutscher bist oder nicht.

Foto: Stefan Cleef

Du sprichst auf der Platte auch öfters mal von „Dunkeldeutschland“ und bist ja auch in Magedburg aufgewachsen. Wie bewertest du die Pegida-Bewegung? Du hast dich schon deutlich dagegen positioniert, aber hast du teilweise auch Verständnis?
Die Leute sind auf jeden Fall auch frustriert. Es gibt da zum Beispiel schon immer weniger Lohn als in anderen Bundesländern. Es ist dort immer schon bisschen mehr Krise gewesen. Ich meine, mittlerweile nicht mehr. Wenn ich mir andere Städte angucke, dann sieht es im Osten auf jeden Fall schöner aus. Da wurde viel gemacht. Viele fühlen sich trotzdem vernachlässigt, vom System vergessen. Und beim Flüchtlingsthema zum Beispiel, finden die dann halt einen Grund, um dem Ausdruck zu verleihen. Ey, weiß ich nicht. Das ist eine schwierieg Frage. Man muss auf jeden Fall auch sehen, dass Deutschland für die Zustände mitverantwortlich ist. Die verkaufen halt Waffen, wodurch Krisen verursacht werden. Von daher, wundert es mich auch nicht. Ich bin nicht geschockt. Das passiert halt einfach. Wozu soll ich mich da den ganzen Tag energisch reinsteigern und mir den Kopf zerbrechen?

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Du fühlst dich also ohnmächtig?
Letztendlich entscheidet es eh die Lobby da oben und da kannste als Volk nichts gegen machen. Ich versuche halt damit umzugehen und das Beste daraus zu machen. Bei mir ist jeder willkommen, wir sind alle gleich, scheiß egal aus welchem Land du kommst. Wenn ich irgendwo hingehen will, dann gehe ich dahin und frage niemanden vorher um Erlaubnis. Wenn mich irendein Otto da nicht haben will, dann soll er rankommen. Und außerdem verstehe ich natürlich völlig, dass ganze Familien flüchten müssen vor dem Krieg. Und selbst, wenn jemand einfach nur Bock hat, hier herzukommen, ohne dass bei ihm Krieg ist, sondern weil er einfach nur besser verdienen will—warum soll er dann nicht hier herkommen? Hier gibt’s nunmal das Geld. Wenn ich den ganzen Tag nur trockenes Brot fressen würde und mir vom Wasser aus der Leitung der Magen kaputt ginge und ich dann mitkriegen würde, wie hier alle im Überfluss leben, wäre das natürlich anziehend. Aber was soll ich jetzt dagegen machen? Natürlich kann man sagen, dass wir alle auf die Straße demonstrieren gehen müssen, aber die Leute wachen doch sowieso nicht auf. Die sind zu dumm, weil die sich alle blenden lassen—diese ganzen scheiß Trottel eben.

Eine Frage zu deinem Label Kopfticker, auf dem du das erste Signing bist. Es ist das neue Label von Alles oder Nix, wenn man so will. Wie fühlt es sich an, mit Xatar und den anderen Jungs zusammen zu arbeiten, aber nicht wirklich zur AON-Family dazuzugehören? Fühlt es sich überhaupt so an?
Nein, gar nicht. Ich finde das alles eigentlich nur positiv. Bei Kopfticker habe ich Priorität. Ich bin der erstgesignte Künstler und muss auf niemaden warten, wenn ich irgendwas releasen will. Und die Jungs kennen sich halt schon ewig. Die waren schon früher alle down miteinander. Wir sind einfach vom selben Schlag, was unser Umfeld angeht. Und wir haben auch sonst ähnliche Ansichten. Zusammengekommen sind wir aber nur durch die Mucke. Es ist wirklich eine musikalische Zusammenarbeit. Ich habe nicht früher auf der Straße Sachen von denen bekommen oder sowas.

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Die sind also auf dich zugekommen?
Genau. Dingens, auch Mitgründer von Kopfticker und mein Labelmanger und auch AON-Labelmanager, hat mich live gesehen und war geflasht. Das hat er dann Giwar [Anm. Xatar] erzählt. Sie haben sich meine Nummer besorgt und mich angerufen.

Foto: Stefan Cleef

Wie ist heute euer Kontakt?
Wir hören uns oft. Ich mache hier mein Ding und die sind halt in einer anderen Ecke von Deutschland. Das finde ich auch viel geiler. So kann ich mich hier verbreiten und durch die Jungs bin ich auch da noch präsent. Ein anderes Verhältnis kann jetzt erstmal gar nicht sein. Wenn ich in Köln leben würde, würde sich das vielleicht über die Zeit anders entwickeln, weil man halt vor Ort ist und öfters im Office abhängen kann. Ich war vor paar Tagen erst wieder in Köln und ich fahre übernächste Woche wieder dahin, weil wir eine Autogrammstunde in einem Vinylstore geben. Ich versuche mich auch sonst immer bei den Jungs blicken zu lassen.

Siehst du einen großen Unterschied bei den Leute im Westen zu denen im Osten, was die Mentalität betrifft?
Eigentlich nicht.

Aber in Berlin weht schon ein anderer Wind als im Rheinland, oder nicht?
Hier ist es ein bisschen abgefuckter. Meinst du das?

Oder im positiven Sinne, dass die Leute hier irgendwie direkter, ehrlicher sind.
Ja genau, größere Schnauze und offener.

Ist es dir also umgekehrt aufgefallen, dass die „Wessis“ heuchlerisch oder aufgesetzt sind?
Ein bisschen aufgesetzter auf jeden Fall. In vielen Städten scheint es mir viel mehr Tun als Sein zu sein. Aber sonst eigentlich nichts Negatives. Das ist mir eigentlich auch scheiß egal. Alle kochen nur mit Wasser. Du kannst ein krasser Ossi sein oder du kannst ein krasser Wessi sein und eben auch voll der Otto aus dem Westen oder aus dem Osten. Da mache ich eigentlich keine Unterscheide.

Es ist ja bekannt, dass du relativ oft und relativ viel Plus machst. Wann hast du das letzte Mal so richtig Minus gemacht?
(Lacht) Bruder, Lehrgeld habe ich schon genug bezahlt. Wir haben schon Leute abgerippt und das gleiche ist mir auch passiert. Ich habe schon sehr viel Geld verloren. Wir nennen das einfach Lehrgeld. Wenn man mal dumm ist, macht man auch schon mal Minus. Mein Name heißt ja nicht, dass ich immer nur Plus mache. Darum geht es natürlich den ganzen Tag. Man muss ja mit dem Arsch an die Wand kommen. Dieses Plusmachen ist aber viel allgemeiner gemeint, und zwar, dass man klarkommen und nach vorne gehen muss. Wenn man dabei Geld macht, muss man auch mal welches verlieren, um daraus zu lernen. Man kann ja nicht immer nur scheffeln.

Die Ernte erscheint am 15. Januar bei Kopfticker Records. Bestellt es euch schon mal bei Amazon oder iTunes.

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