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Interviews

„Beatles-Level wäre okay für mich“—Kwabs im Interview

Kwabs zählte 2014 zu den Shootingstars einer neuen, vertrackten Elektro-R’n’B-Welle. Seine letzte Single „Walk“ geht wiederum stark in Richtung Radiopop. Was ist geschehen?

Es gibt da eine Gleichung, die für Millionen von Menschen selbstverständlich ist, für den ernsthaften Musikhörer aber haarsträubend bleibt. Sie lautet: Schöne Stimme = gute Musik. In Castingshows wird die Rechnung seit Jahren immer wieder neu aufgestellt. Irgendwer singt einen Song von irgendwem, Refrains blähen sich, Haare wehen, und wenn die Stimme gut war, haben am Ende alle Tränen in den Augen. Ergriffenheit auf Knopfdruck. Kwabena Adjepong alias Kwabs war auch mal Kandidat in einer Castingshow. „Goldie's band: By Royal Appointment“ war eine 2011 von der BBC produzierte Reihe, die, wie der Titel vermuten lässt, von Drum'n'Bass-Nussknacker Goldie moderiert wurde. Großes Ziel war ein Auftritt im Buckingham Palace vor Prince Harry (die Sendung lief aus gutem Grund nie in Deutschland). Von der Chronologie und dem bizarren Finale abgesehen wollte die Serie mehr sein als die durchschnittliche Popstarzucht: Gesucht wurden authentische Künstler mit eigener Message, eigenen Songs und eigenen Gefühlen. Bei Kwabs bekam man alles.

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Vom Youtube- und Castingshow-Phänomen hat sich der junge Londoner seitdem zu einer echten Nachwuchshoffnung der elektronischen Soulmusik entwickelt. Anfang 2014 veröffentlichte er zwei zartbittere Future-Soul-EPs, eine davon in Zusammenarbeit mit SOHN, über dessen kalten Soundscapes Kwabs Stimme aufsteigt wie heißer Dampf über isländischen Geysiren. Seit Mitte Oktober ist nun die einzeln veröffentlichte Single „Walk“ allgegenwärtig, ein Drei-Minuten-Song, der glatter daherkommt, als alles, was Kwabs zuvor gemacht hat. Mehr noch: der Track verhält sich zu vorherigen Arbeiten à la „Last stand“ wie Plastik zu Marmor. Würde man den Künstler nicht kennen, müsste man urteilen: Radiopop, der vor allem durch eine gute Stimme überzeugt. Wird Kwabs vielleicht doch noch der „nächste Seal“, wie der Guardian bereits prophezeite?

Beim Promotag(dem ein exklusives Promokonzert voranging) merkt man, dass seine Plattenfirma ordentlich in ihren Shootingstar investiert. Zum Interviewtermin sind außer dem 25-Jährigen noch drei weitere Leute aus seinem Team mit im Raum. Es wirkt ein bisschen wie Medientraining. Kwabs sitzt trotz einer Erkältung hochkonzentriert am Tisch und gibt auch auf beiläufige Fragen ernst und fast übereifrig Auskunft („Was ich gerade trinke? In meiner Tasse ist Kräutertee. Nein, es ist grüner Tee. Grüner Tee, aufgebrüht mit einer Zitrone. Es ist Grüner Tee mit einer Zitrone… Und Honig.“) Jede seiner Antworten beendet er mit einem Nicken, während seine Crew vom Sofa aus hinter aufgeklappten Laptops zuhört.

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Noisey: Deine zwei EPs haben 2014 für viel Aufsehen gesorgt. Wann erscheint denn nun das Debüt-Album?
Kwabs: Irgendwann im Frühjahr 2015. Es ist noch nicht ganz fertig, wir müssen noch ein paar Sachen machen, damit es sich richtig anfühlt. Ein Paar bereits veröffentlichte Stücke sind auch drauf, aber vor allem soll es neue Songs enthalten. Es soll ein Statement sein, wer ich jetzt bin.

Im Moment wirst du oft nach deinem Hit „Walk“ beurteilt. Ich habe den Eindruck, dass viele, die den Song mögen und dich zum Beispiel nur vom FIFA 15-Soundtrack kennen, die früheren Sachen mit SOHN nicht so richtig nachvollziehen können….
Musik bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Manche mögen das deepe Zeug, andere mögen Songs, die sie unmittelbar treffen. „Walk“ ist definitiv von der Sorte, er hat mehr Pop-Appeal. Daran habe ich natürlich nicht gedacht, als ich den Track geschrieben habe. Er ist einfach nur einer von mehreren Zugängen zu meiner Kunst. Gerade versuchen die Leute noch herauszufinden, wer ich bin, und sie versuchen das anhand der Songs, die ich schon gemacht habe. Ich glaube aber, ich habe das Bild noch nicht fertig gemalt.

2014 war das Jahr, in dem Künstler wie du, aber auch Leute wie Banks oder FKA Twigs eine neue Art von vertracktem Elektro-Soul populär gemacht haben. Magst du ihre Arbeiten?
FKA Twigs finde ich fantastisch. Sie hat eine atemberaubende Ästhetik und eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Sie ist mit das aufregendste, was der Musik in letzter Zeit passiert ist.

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Findest du ihr Songwriting kompliziert?
Ihre Songs sind herausfordernd. Aber auch herausfordernde Songs haben ein Publikum. Ich glaube aber, mein Publikum will nicht, dass ich es herausfordere. Ich denke, es will dass zu ihm spreche, für es singe und auf direktere Art mit ihm kommuniziere.

„Walk“ ist ja auch um einiges weniger elektronisch als deine Arbeiten zuvor. Begreifst du dich überhaupt als elektronischer Musiker?
Ich bin mit vielen Arten von Musik aufgewachsen, aber ich war nie ein Clubber. Ich liebe es, Sängern zuzusehen. Ich mag Live-Musik und Menschen, die durch ihre Instrumente atmen. Mit SOHN hat mich mein Team im letzten Jahr in einem Studio in London zusammengebracht. Es hat geklickt zwischen uns, er hat kapiert, wer ich bin und was ich will. Seine kalte Elektronik harmoniert gut mit meiner Stimme.

Wird dein Album noch weiter in Richtung Pop gehen?
Ich will viele Menschen erreichen, aber ich will auch mögen, was ich mache. Mal sehen, wohin meine musikalische Reise mich führt. Keine Ahnung, ob ich einmal ein großer Popstar sein werde. Wenn nicht, ist das auch okay.

Wie berühmt würdest du denn gerne werden, auf einer Skala von Eins bis Zehn? Zehn sind die Beatles.
Beatles-Level wäre okay für mich! Darüber kannst du dich nicht beschweren. Aber ich stehe ja immer noch am Anfang. Den Beatles war zu Beginn auch nicht klar, wie groß sie einmal sein werden. Es geht immer weiter, es wird größer, aber für mich fühlt es sich immer noch nach kleinen Schritten an. Einen Major-Vertrag mit Warner zu unterschreiben war ein erster großer Schritt in meiner Karriere. Ein Majorlabel hat große Ambitionen.

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Mit großen Verträgen kommen auch große Verpflichtungen. Hattest du einen Berater, mit dem du die Papiere durchgehen konntest?
Ja, es gab wirklich viel Papier zu unterschreiben. Aber am Ende ist der Akt des Unterzeichnens keine große Sache, wenn du danach nicht gerade die Champagner-Korken knallen lässt. Was den Berater angeht: mein Team steht seit dem ersten Tag hinter mir. Die haben abgeklärt, dass alles in Ordnung ist. Ich vertraue ihnen vollkommen.

Lohnt es sich heute eigentlich überhaupt noch, ganze Alben zu veröffentlichen, wenn Singles wie „Walk“ so gut einschlagen?
So ist das heute eben. Menschen kaufen einzelne Singles oder hören sich das Zeug einzeln auf Youtube an. Ich glaube aber, dass ein einzelner Song nicht vermitteln kann, wer der Künstler ist. Einen echten Eindruck bekommt man erst, wenn man die ganzen Songs dazuzählt, die es nicht ins Radio oder in die Charts schaffen. Ein Album ist deshalb immer noch das umfassendste Statement, das ein Künstler machen kann.

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